Beckerle

Beckerle

Adolf Heinz Beckerle (* 4. Februar 1902 in Frankfurt am Main; † 3. April 1976 ebenda) war in der Zeit des Nationalsozialismus als deutscher Gesandter in Sofia an der Deportation bulgarischer Juden beteiligt. Beckerle war ranghohes Mitglied der SA und Abgeordneter der NSDAP im Weimarer und nationalsozialistischen Reichstag.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ausbildung und frühe politische Betätigung

Der Sohn eines Post-Oberamtmanns besuchte von 1908 bis 1921 die Volksschule und das Realgymnasium in Frankfurt und legte im März 1921 am dortigen Wöhlergymnasium das Abitur ab. An der Universität Frankfurt nahm er ein Studium der Volkswirtschaft, Wirtschaftswissenschaften und Philosophie auf, das er 1927 als Diplom-Volkswirt abschloss. 1921 und 1922 war er neben dem Studium Zeitfreiwilliger bei der Reichswehr. Beckerle unterbrach sein Studium mehrfach: Von Mai 1925 bis Juni 1926 war er Offiziersanwärter der preußischen Schutzpolizei an der Polizeischule in Hannoversch Münden. Andere Unterbrechungen waren durch Auslandsreisen nach Nord- und Südamerika und Tätigkeiten in Banken, als Krankenpfleger sowie in kaufmännischen und industriellen Berufen bedingt.

1922 wurde Beckerle Mitglied im Verband nationalgesinnter Soldaten und im Bund Wiking. Am 29. August 1922 trat er kurzzeitig der NSDAP (Mitglieds-Nr. 7.197) bei. Nach Abschluss des Studiums wurde Beckerle am 1. September 1928 erneut NSDAP-Mitglied (Mitglieds-Nr. 80.983) und trat zudem der SA bei. Am 1. April 1929 übernahm Beckerle die Führung des SA-Sturms 68 in Frankfurt; vom 1. Januar 1930 bis zum 13. April 1932 leitete er als SA-Standartenführer die dortige SA-Standarte II. Von Juli 1931 bis April 1932 übernahm er zusätzlich die Führung der SA-Untergruppe Hessen-Nassau-Süd. Am 24. April 1932 wurde Beckerle für die NSDAP in den Preußischen Landtag gewählt, legte dieses Amt jedoch nieder, als er am 31. Juli des gleichen Jahres ein Mandat im Reichstag erhielt. Ein zuvor aufgenommenes Jurastudium brach er 1932 ab. Im Juli 1932 wurde Beckerle Gauführer des „NS-Reichsbundes für Leibesübungen“ in Hessen-Nassau.

In der Zeit des Nationalsozialismus

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde Beckerle am 1. März 1933 zum SA-Gruppenführer und am 9. November 1937 zum SA-Obergruppenführer befördert. Vom 1. Juli 1933 bis zum 31. Januar 1942 übernahm er die Führung der SA-Gruppe Hessen. Ab 14. September 1933 war er vertretungsweise Polizeipräsident von Frankfurt, von Februar 1934 bis Juni 1941 übernahm er diese Funktion endgültig. Im Zusammenhang mit dem „Röhm-Putsch“ im Juli 1934 wurde er als Polizeipräsident kurzzeitig seines Amtes enthoben. Am 27. Februar 1935 heiratete Beckerle Silke Edelmann.

Nach dem deutschen Angriff auf Polen übernahm Adolf Heinz Beckerle im Oktober und November 1939 die Funktion des Polizeipräsidenten im polnischen Łódź. 1939 und 1940 war er als Kriegsfreiwilliger an der Westfront, aus der Wehrmacht wurde er als Leutnant der Reserve entlassen.

Beckerle gehörte zusammen mit Hanns Ludin und Manfred von Killinger zu einer Gruppe höherer SA-Führer, die nach der Kritik Hitlers an den deutschen Berufsdiplomaten in den südosteuropäischen Ländern von Außenminister Ribbentrop dort als neue Gesandte eingesetzt wurden. Diese „SA-Diplomaten“ dienten zugleich als Gegengewicht zu den dortigen Ambitionen des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler. Von seinen Funktionen in Frankfurt wurde Beckerle im Februar 1941 urlaubsbedingt entbunden; ab 28. Juni 1941 war er Deutscher Gesandter in Sofia. In dieser Funktion war Beckerle maßgeblich beteiligt an der Deportation und Ermordung von etwa 11.000 Juden:[1] In Vernichtungslager deportiert wurden Juden aus Mazedonien und Thrakien, Gebiete, die Bulgarien 1941 annektiert hatte.

Nach Kriegsende

Am 18. September 1944 wurde Beckerle von der Roten Armee in Swilengrad im Süden Bulgariens gefangengenommen. Beckerle wurde von einem sowjetischen Militärgericht zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Während seiner Gefangenschaft wurde Beckerle von der Zentralspruchkammer in Hessen am 22. März 1950 in der Entnazifizierung als „Hauptschuldiger“ eingestuft. Am 13. Oktober 1955 gehörte er zu den letzten deutschen Kriegsgefangenen, deren Freilassung zuvor bei einem Besuch Konrad Adenauers in Moskau vereinbart worden war. Von der Stadt Frankfurt erhielt er eine Entschädigung von 6.000 DM; von 1956 bis 1966 war er als Prokurist in Neu-Isenburg tätig. Im November 1966 wurde Beckerle wegen seiner Beteiligung an den Judendeportationen in Bulgarien verhaftet. Das Verfahren gegen ihn wurde jedoch am 19. August 1968 eingestellt, da Beckerle krankheitsbedingt verhandlungsunfähig war.[2]

Literatur

  • Joachim Lilla (Bearbeiter): Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933-1945. Droste Verlag, Düsseldorf 2004, ISBN 3-7700-5254-4.
  • Martin Schumacher: M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933-1945. Eine biographische Dokumentation. 3. erweitere Auflage, Droste Verlag, Düsseldorf, 1994, ISBN 3-7700-5183-1.
  • Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust. Olle und Wolter, Berlin 1982, ISBN 3-88395-431-4.
  • Bogdan Musial: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939-1944. (= Quellen und Studien. Band 10) Harrassowitz, Wiesbaden 2000, ISBN 3-447-04208-7.
  • Gerald Reitlinger: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-1945. 4. Auflage, Colloquium Verlag, Berlin 1961

Anmerkungen

  1. Zu Beckerles Beteiligung an den Judendeportationen Einträge bei Chronologie des Holocaust unter: 19. Juni 1942, 9. Oktober 1942, 1. November 1942, 16. November 1942, 4. Februar 1943, 27. Februar 1943, 7. Juni 1943, 31. August 1943
  2. Es liegen unterschiedliche Angaben vor, ob es zu einem Gerichtsverfahren gegen Beckerle gekommen war: Ernst Klee: Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2005, ISBN 3-596-16048-0, Seite 36, spricht von „Einstellung Ermittlungsverfahren wegen Krankheit“, bei Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-10-091052-4, heißt es hingegen: „Aus seiner Stellung als Prokurist vor Eröffnung eines Prozesses vor dem OLG Frankfurt Nov. 1967 entlassen; im Prozess […]“.

Weblinks


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