Werksgebäude Chemische Fabrik v. Heyden

Werksgebäude Chemische Fabrik v. Heyden
Chemische Fabrik v. Heyden, 1898

Die Chemische Fabrik v. Heyden in Radebeul war die weltweit erste Arzneimittelfabrik, die in industriellem Maßstab die Produktion eines Arzneimittelstoffes, der Salicylsäure, durchführte[1].

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Chemiker Friedrich von Heyden promovierte 1873 bei Rudolf Schmitt in Chemie am Polytechnikum Dresden. Dort lernte er den Chemiker Hermann Kolbe kennen, der 1859 die Struktur der Salicylsäure sowie die Kolbe-Synthese (später zur Kolbe-Schmitt-Reaktion weiterentwickelt) erarbeitet hatte.

Um seine Vermutungen zu antiseptischen Eigenschaften der Salicylsäure untersuchen zu können, richtete sich von Heyden auf Anregung seines Professors Schmitt in der Remise seiner Villa Adolpha in der Leipziger Vorstadt ein Labor ein. Gleichzeitig entwickelte er ein Verfahren, um Salicylsäure, den Ausgangsstoff für Aspirin, chemisch rein in industriellem Rahmen herstellen zu können.

Um dem steigenden Bedarf nachkommen zu können, gründete von Heyden 1874 eine Fabrik in Dresden, die sich jedoch schon im ersten Produktionsjahr als zu klein herausstellte. Daher gründete er im gleichen Jahr in Radebeul in der Meißner Straße 35 eine größere Fabrik, die 1875 als Salicylsäure-Fabrik Dr. F. v. Heyden in das Handelsregister eingetragen wurde. Hermann Kolbe wurde durch die Einbringung seiner Kolbe-Synthese Teilhaber der Fabrik, die weltweit erstmals Arzneimittelsynthese im industriellen Maßstab betrieb. Der Aufbau dieser Fabrik, die sich zu einem der bedeutendsten Chemieunternehmen Sachsens entwickelte, war gleichzeitig der Beginn der Industrialisierung Radebeuls. Nach dem Tod Hermann Kolbes übernahm Rudolf Schmitt 1884 die wissenschaftliche Leitung des Unternehmens.

1885 zog sich von Heyden aus der Geschäftsleitung des Unternehmens zurück, er verkaufte es an Kolbes Sohn Carl Kolbe, ebenfalls ein Chemiker, der bereit 1884 die Leitung übernommen hatte, sowie an den Kaufmann Carl Rentsch, verblieb jedoch bis 1919 als Vorsitzender des Aufsichtsrats dem Unternehmen verbunden. Die jetzt Salicylsäure-Fabrik Dr. F. v. Heyden Nachfolger genannte Firma wurde 1896 zur GmbH und 1899 zur Aktiengesellschaft umfirmiert. Carl Kolbe förderte die Wohlfahrt, unter anderem durch die 1899 mit 25.000 Mark erfolgte Einrichtung der v. Heyden-Stiftung. Bis 1907 blieb er der Generaldirektor der Chemischen Fabrik v. Heyden.

Rudolf Schmitts Sohn Hermann Schmitt, der später vom 29. Oktober 1923 bis 31. Oktober 1923 als Reichskommissar amtierender Sächsischer Innenminister war, wurde Aufsichtsratsvorsitzender der Chemischen Fabrik v. Heyden.[2]

Bereits im Jahr 1885 wurde der Chemiker Richard Seifert, ebenfalls ein Schüler von Rudolf Schmitt, eingestellt. Durch seine enormen Fähigkeiten, die ihm den Beinamen „Chemiker von Gottes Gnaden“[1] einbrachten, steigerten sich Produktion und Produktpalette auf weitere Salicylabkömmlinge wie Acetylsalicylsäure oder auch Salicylsäurephenylester (Salol), aber auch Produkte zur aseptischen Wundbehandlung oder Süßstoffe (Zuckerin). Nebenher erforschte Seifert die Rezeptur eines Mundwassers, das er 1891/92 nach mehrjähriger Forschungsarbeit seinem Freund Karl August Lingner zur Vermarktung überliess, das dieser als „Odol“ verkaufte. Ab 1907 wurde Seifert Direktor und Nachfolger Kolbes in der Chemischen Fabrik v. Heyden.

Durch die Erweiterung auf weitere Produkte wie Grundstoffe für die chemische Industrie und weitere Pharmazeutika wuchs das Unternehmen von 200 Mitarbeitern in 1895 über 1.500 Mitarbeiter 1914 bis auf 3.000 in 1923. Tochterfirmen entstanden in Nünchritz, in Garfield in New Jersey sowie Hirschfelde bei Zittau und in Weißig.

Ab 1933 arbeitete der Chemiker Richard Müller im Unternehmen. Während seiner Forschungen gelang ihm 1941 die technische Herstellung von Methylchlorsilanen, welche das Ausgangsprodukt für die Herstellung der Silikone sind. Da es ihm zeitgleich mit dem US-amerikanischen Chemiker Eugene G. Rochow gelang, wird dieses Verfahren heute Müller-Rochow-Synthese genannt.

Während des Zweiten Weltkriegs blieb das Unternehmen von Zerstörungen verschont, jedoch wurde das Radebeuler Werk von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und demontiert. Bereits 1946 lief eine erneute Produktion in Radebeul wieder an, was maßgeblich durch Richard Müller befördert wurde. 1948 wurde das Unternehmen enteignet und in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt. Die Gesellschafterversammlung verlegte daraufhin den Firmensitz nach München.

In den enteigneten ostdeutschen Unternehmensteilen wurde Müller 1952 Leiter des VEB Silikon-Chemie in Nünchritz, 1953 wissenschaftlicher Leiter des Gesamtbetriebs neben seiner Tätigkeit als Leiter eines Instituts für Silikon- und Flourcarbonchemie. 1951 erhielt er den Nationalpreis der DDR. Am 17. Juni 1953 machte er sich zum Wortführer der Arbeiterproteste im VEB Chemische Fabrik v. Heyden.

1958 musste das Unternehmen aus juristischen Gründen in VEB Chemische Werke Radebeul umbenannt werden. Am 1. Januar 1961 wurden die VEB Chemischen Werke Radebeul in den VEB Arzneimittelwerk Dresden eingegliedert.

Die nach München verlegte Chemische Fabrik von Heyden wurde 1969 als Squibb-von Heyden GmbH Teil der Squibb Corporation.[3]

Werksgebäude

Chemische Fabrik v. Heyden, Meißner Straße 35, 2008
Chemische Fabrik v. Heyden, Meißner Straße 37, 2008
Chemische Fabrik v. Heyden, Meißner Straße, Ecke Forststraße, 2008
Chemische Fabrik v. Heyden, Forststraße, 2008
Chemische Fabrik v. Heyden, Gittertor, 2008

Das Werksgelände ging von der heutigen Hausnummer Meißner Straße 35 aus, belegt jedoch ein großes Areal zwischen Meißner Straße, Forststraße, Sidonienstraße und Kiefernstraße. An der Meißner Straße liegen auch auf der gegenüberliegenden, nördlichen Straßenseite Gebäude der Fabrik.

Meißner Straße 35

Das unter Denkmalschutz[4] stehende, viergeschossige Fabrikations- und Verwaltungsgebäude steht direkt links des Haupteingangs, eine langgestreckte Straßenfront direkt zur Meißner Straße. Das Gebäude hat Eckrisalite sowie ein Plattformdach. Die Putzfassade ist im Erdgeschoss mit Nutungen versehen.

Drei Geschosse des Gebäudes stammen aus dem Jahr 1900, 1912 wurde der Bau auf die heutige Höhe aufgestockt.

Meißner Straße 37

Das ebenfalls denkmalgeschützte Laboratoriumsgebäude[4] rechts vom Haupteingang wurde um das Jahr 1910 erbaut oder umgebaut. Der stattliche zweigeschossige Bau steht leicht von der Straße nach hinten versetzt, die Straßenansicht zeigt mittig einen breiten, dreigeschossigen Mittelrisaliten, in dem sich ein segmentbogiger Erker über dem ehemaligen Eingangsportal befindet. Über dem Portal befindet sich eine korbbogige Verdachung mit einer getriebenen Blende, in welcher sich wiederum ein Medaillon mit dem Motiv eines Destillationskolbens befindet.

Der schlichte Putzbau zeigt Ecklisenen sowie Stichbogenfenster, obenauf befindet sich ein stark ausgebautes Mansarddach. Das Mansarddach wird von zahlreichen Gauben und Hechtgauben geprägt sowie von den wie Mauerscheiben angeordneten Schornsteinen und Entlüftungen.

Zur Straße hin wird dieser Grundstücksteil durch einen Lanzettzaun mit einem barockisierenden Torgitter abgeschlossen.

Meißner Straße, Ecke Forststraße

Das denkmalgeschützte Werksgebäude[4] an der Ecke Meißner Straße, Forststraße ist ein dreigeschossiger Putzbau mit zwei Gebäudeflügeln. An den Flügelecken befinden sich flache Risalite, die Mitte des Gebäudes ist abgefast, dort befindet sich der Eingang. Das um 1900 erbaute Gebäude trägt ein flach geneigtes Walmdach. Über den stichbogigen Fenster befinden sich jeweils Schlusssteine, im ersten Obergeschoss tragen die Fenster in den Risaliten gerade Verdachungen. Der Bau ist durch Gesimse gegliedert, Der Putz im Erdgeschoss durch Nutungen verziert.

Heute ist das Gebäude aus dem Fabrikgelände ausgegliedert. Es beherbergt ein Motorradgeschäft für die Marken Harley-Davidson und Buell.

Forststraße

Das denkmalgeschützte Fabrikationsgebäude[4] an der Forststraße ist ein zweigeschossiger Klinkerbau im Stil der Moderne. Das kubische Gebäude mit Flachdach stammt möglicherweise von dem Dresdner Architekten Curt Herfurth[5] aus dem Jahr 1934. Es ist horizontal durch Klinkerbänder gegliedert, unter anderem zwischen den Fenstern im Obergeschoss, sowie vertikal durch die vorstehenden Treppenhäuser.

Chemische Fabrik „Pyrgos“ im Albertschlösschen

Von 1922 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs betrieb das Unternehmen im Albertschlösschen im Stadtteil Serkowitz die Tochtergesellschaft Chemische Fabrik „Pyrgos“.

Siehe auch

Heyden-Gold

Literatur

  • Große Kreisstadt Radebeul (Hrsg.): Stadtlexikon Radebeul. Historisches Handbuch für die Lößnitz, 2005, ISBN 3-938460-05-9
  • Central-Organ für Chemiker, Techniker, Fabrikanten, Apotheker, Ingenieure, Jahrgang IX. Herausgeber und verantwortlicher Redacteur: Dr. G. Krause in Cöthen. 4. März 1885
  • Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und Stadt Radebeul (Hrsg.): Stadt Radebeul. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Denkmale in Sachsen, SAX-Verlag, Beucha 2007, ISBN 978-3-86729-004-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Große Kreisstadt Radebeul (Hrsg.): Stadtlexikon Radebeul. Historisches Handbuch für die Lößnitz, 2005
  2. Die Innenminister des Königreiches und Freistaates Sachsen 1831 – 1945
  3. Geschichte Bristol-Myers Squibb
  4. a b c d Denkmalliste Radebeul
  5. Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und Stadt Radebeul (Hrsg.): Stadt Radebeul. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Denkmale in Sachsen, SAX-Verlag, Beucha 2007, S. 205 f.

51.09686111111113.6930722222227Koordinaten: 51° 5′ 49″ N, 13° 41′ 35″ O


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