Widenman

Widenman

Wilhelm Karl Widenmann (* 20. Juni 1871 in London; † 1955) war ein deutscher Offizier und Diplomat (Marineattaché).

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Kindheit und Jugend (1871 bis 1890)

Wilhelm Widenmann wurde 1871 als zweiter Sohn des Kaufmanns Carl Wilhelm Widenmann geboren, der zu dieser Zeit in London Teilhaber des Import-Geschäftes Widemann-Broicher war, das sich insbesondere auf den Import von tropischen Produkten nach Europa spezialisiert hatte. Die Mutter, Helene Johanna Wilhelmine Overweg (* 16. Dezember 1850 im Haus Ruhr; † 2. August 1939 Köln-Marienburg), war eine Tochter des Bismarck-Vertrauten und Reichstagsabgeordneten Carl Overweg. Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte Widenmann in London, wo er in der deutschen evangelischen Kirche getauft wurde. Der Vater starb bereits am 12. März 1871. 1874 kehrte die Mutter mit ihm und seinem Bruder Carl nach Deutschland zurück, wo sie bis 1876 auf dem Gut ihrer Eltern, Letmathe, lebte.

1876 zog die Kleinfamilie nach Düsseldorf, wo die Mutter im April 1877 in zweiter Ehe den damaligen Düsseldorfer Oberbürgermeister Wilhelm Becker heiratete, der so Widenmanns Stiefvater wurde. Von Ostern 1877 bis 1879 wurde Widenmann privat unterrichtet. Danach besuchte er bis 1880 die Vorschule des königlichen Gymnasiums der Stadt Düsseldorf, von 1880 bis 1883 die Sexta bis Quarta des Gymnasiums und ab Ostern 1883 das städtische Gymnasium.

Zu Widenmanns Kindheitsfreunden in Düsseldorf zählten unter anderem die Söhne des Fürsten Carl Anton von Hohenzollern – die Prinzen Wilhelm, Ferdinand (später als Ferdinand I. König von Bulgarien) und Carlos, der spätere Künstler Max Hünten, Carl von Rostorff, später Chef des Marinekabinetts von Wilhelm II., Ernst Peensgen, später Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke und auch Widenmanns späterer „Erzfeind“, der zukünftige britische Außenstaatssekretär Sir Eyre Crowe, dessen Vater damals als britischer Konsul in Düsseldorf fungierte. Zu den bekannten Persönlichkeiten, die im Haus der Eltern ein und ausgingen zählten unter anderem die Künstler Andreas und Oswald Achenbach.

Nach der Ernennung Beckers zum Bürgermeister von Köln im Jahr 1886 zog die Familie in die Rheinmetropole, wo Widenmann seine restliche Schulzeit am Friedrich-Wilhelms Gymnasium verbrachte, wo er Ostern 1890 das Abitur ablegte.

Frühe Karriere in der kaiserlichen Marine (1890 bis 1907)

Nach dem Abitur trat Widemann 1890 in die kaiserliche Marine ein. In dieser durchlief er zunächst eine Ausbildung an der Marineschule in Kiel, um danach auf verschiedenen Schiffen der Flotte als Offizier eingesetzt zu werden. In den 1890er Jahren bereiste Widenmann unter anderem Kapstadt und die Delagoa Bucht. Außerdem erlebte er 1896 als Beobachter die Bombariderung Sansibars durch das englische Kapgeschwader mit, das so einem Ultimatum der britischen Regierung gegen den damaligen Sultan der Insel Nachdruck verlieh.

Von 1904 bis 1906 gehörte Widenmann dem deutschen Ostasiengeschwader in Tsingtau als Artillerieoffizier an.

In den Jahren bis 1907 stieg Widemann bis zum Kapitän zur See auf. Besondere Förderung erfuhr seine Karriere dabei durch den Großadmiral und Staatssekretär im Reichsmarineamt (d.h. Marineminister) Alfred von Tirpitz.

Zeit als Marineattaché in London (1907 bis 1912)

Widenmann (Bildmitte) während des Besuchs des englischen Königs in Berlin im Februar 1909. Hinter ihm (salutierend) steht sein Kollege, der Militärattaché Roland Ostertag.

1907 wurde Widenmann zum Nachfolger des Konteradmirals Carl von Coerper zum Marineattaché an der deutschen Botschaft in London berufen, eine Schlüsselposition der damaligen deutschen Diplomatie, die er bis 1912 bekleiden sollte.

Während seiner Londoner Zeit spielte Widenmann eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit dem deutsch-britischen Flottenkonflikt der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg: Im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, dem Botschafter Paul Graf Wolff Metternich zur Gracht, der auf eine ausgleichende Politik bedacht war, war Widenmann ein energischer Verfechter des deutschen Flottenbaus, der von der englischen Politik, Presse und Bevölkerung allgemein als eine Bedrohung der eigenen Sicherheit wahrgenommen wurde. Dementsprechend unterlief er alle Versuche Metternichs, eine Beschränkung der deutschen Rüstung zur See zu erreichen und so die britischen Ängste und Verstimmungen – die erheblich zur informellen Anlehnung Großbritanniens an das französisch-russische Bündnis beitrugen – zu beseitigen. Stattdessen nutzte er seine Funktion, um in diplomatischen Berichten und Memoranden an Kaiser Wilhelm II. – zu dem er aufgrund des lebhaften Interesses des Souveräns für Marinefragen direkten Zugang hatte – gegen Metternich Stellung zu beziehen, dessen Urteile und Ratschläge – die zu einer maßvollen und verständigungsbemühten Korrektur der eingeschlagenen Politik aufriefen – in Frage zu stellen und die grundsätzliche Position des Botschafters systematisch zu untergraben. Er erreichte damit nicht nur das Scheitern der Pläne des Botschafters für ein Flotten-Agreement, das Großbritannien durch die Festlegung eines festen, für die Londoner Regierung akzeptablen – weil dem Inselkönigreich, aufgrund einer deutlich geringeren Stärke der Flotte der Kontinentalmacht Deutschland gegenüber der eigenen Marine, Sicherheit garantierenden – Rüstungs- und Größenverhältnisses der deutschen Flotte zur britischen Flotte beruhigen sollte, sondern trug auch maßgeblich zu dessen Sturz im Jahr 1912 bei.

Im Sinne der oben genannt politischen Stoßrichtung verhinderte Widenmann zudem 1912, kurz vor seinem Abschied vom Posten des Londoner Marineattachés, dass die eigentlich geplante Ernennung des gemäßigteren Offiziers und Diplomaten Werner von Rheinbaben zu seinem Nachfolger vollzogen wurde und erreichte stattdessen, dass Kapitän Erich von Müller, der politisch mit ihm auf einer Linie lag, auf dieses Amt berufen wurde. Widenmanns weit über den Rahmen seiner offiziellen Stellung hinausgehender Einfluss auf den Kaiser war dabei insbesondere auch seinem guten Verhältnis zum Kronprinzen und der außerordentlichen persönlichen Wertschätzung geschuldet, derer er sich bei der Kaiserin erfreute.

Zu unfreiwilligem literarischen „Ruhm“ kam Widenmann 1917 in Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes Erzählung The Last Bow, in der er als deutscher Meisterspion von Bork auftritt.[1]

Im Ersten Weltkrieg

In den Monaten vor und im ersten Jahr des Ersten Weltkrieges übernahm Widenmann zunächst verschiedene Schiffskommandos (bis Februar 1915 Kommandant des Kreuzers Kolberg, danach bis August 1915 des Kreuzers Regensburg) bevor er als Vorstand des Nachrichtenbüros im Reichsmarineamt (bis April 1916) und als Abteilungschef im Allgemeinen Marinedepartment des Reichsmarineamtes (bis Januar 1917) eingesetzt wurde. Insbesondere in der zuerst genannten Phase protestierte er dabei immer wieder energisch gegen den Nicht-Einsatz der deutschen Kriegsmarine durch die deutsche Führung, die die Flotte untätig in ihren Häfen ausharren ließ, da sie keine sinnvollen Einsatzziele zu erkennen mochte.

Tätigkeit in der Weimarer Republik (1919 bis 1933)

In den 1920er Jahren bekleidete Widenmann das Amt des Generaldirektors des Deutschen Überseedienstes der Teil des sogenannten Hugenberg-Konzerns war (s. Alfred Hugenberg). Politisch engagierte er sich, wie sein ehemaliger Vorgesetzter und Förderer von Tirpitz, in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), in der er eine Rolle in dem Richtungskampf spielte, der Hugenberg 1928 an die Spitze der DNVP brachte.

Späte Jahre (1933 bis 1954)

In den 1930er Jahren fasste Widenmann – unter anderem auf Ermutigung Erich Raeders – den Plan, eine Geschichte der Kaiserlichen Marine für die Zeit von 1871 bis 1914 zu schreiben. Zu diesem Zwecke stellte er einen Stab von zweiundzwanzig Forschern und technischen Fachleuten zusammen und begann mit der Sichtung von Akten. Die Verwirklichung scheiterte schließlich daran, dass die deutschen Marienakten für die Zeit von 1848 bis 1919 nach 1945 durch die britische Marine beschlagnahmt und nach London transportiert wurden.

Widenmann schrieb stattdessen 1950 – auf Drängen des Historikers Walther Hubatsch – seine Lebenserinnerungen nieder, wobei die Londoner Attachézeit den Schwerpunkt bildete. Sein Nachlass lagert heute unter der Kennnummer „N 158“ im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau.

Wiedenmann im Urteil der historischen Forschung

Widenmanns außenpolitisches Wirken in der Vorkriegszeit wird in der historischen Forschung heute praktisch uni sono als fatal bewertet: So urteilte Hajo Holborn Widenmann Widenmann sei „ein blindes Werkzeug Tirpitzs“ und ein „dilettantischer Störenfried“ gewesen.[2] Lamar Cecil charakterisierte Widenmann in seiner Biografie Wilhelms II ganz ähnlich als einen „malicious and ill-tempered devotee of his chief“[3] und der konservative Historiker Gerhard Ritter übte schließlich eine scharfe Kritik an Widenmanns Londoner Tätigkeit, die er im zweiten Teil seines Werkes Staatskunst und Kriegshandwerk veröffentlichte: Die Wochenzeitung Die Zeit fasste diese Kritik – die vor allem auch das Versagen Wilhelms II. in bezug auf die Person Widenmmanns betonte – in Ausgabe 49 des Jahres 1960 in dem Artikel „Glanz und Elend des deutschen Militarismus“ wie folgt zusammen: „Widenmann hätte nicht so unheilvoll wirken können, der Admiral von Tirpitz hätte nicht so lange seine schützende Hand über den Attache halten können, wenn nicht der Attache einen Rückhalt an dem mächtigsten Manne im Reiche gefunden hätte: dem Kaiser.“

Schriften

  • Besondere Missionen der preussisch-deutschen Kriegsmarine bis zum Beginn des Weltkrieges 1914-1918. In: Nauticus. Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen, Jahrgang 24, 1941.
  • Marine-Attaché an der kaiserlich-deutschen Botschaft in London 1907-1912 (= Göttinger Beiträge für Gegenwartsfragen, Band 4), Göttingen 1952. (Mit einem Vorwort von Walther Hubatsch)

Einzelnachweise

  1. Nick Rennison: Sherlock Holmes. The Unauthorized Biography. 2006, S. 234. “Von Bork is almost certainly a disguised version of the German naval attache in London Wiedenman who ran a network of spies in and around nava bases such as Chatam, Rosyth and Scapa Flow.”
  2. Das Zeitalter des Imperialismus. 1871 bis 1945, (= Deutsche Geschichte in der Neuzeit, Band 3), München 1971, S. 112.
  3. Cecil: Wilhelm, S. 124.

Weblinks


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