Beitrittsverhandlungen Kroatiens mit der Europäischen Union

Beitrittsverhandlungen Kroatiens mit der Europäischen Union
Flagge Kroatiens
Kroatien und die EU

Die Beitrittsverhandlungen Kroatiens mit der Europäischen Union werden nach allgemeinem politischen Konsens aller politischer Parteien in Kroatien als oberste Staatspriorität erachtet.[1] Das Land stellte am 21. Februar 2003 den Antrag auf Vollmitgliedschaft, am 18. Juni 2004 erhielt Kroatien den offiziellen Status als Beitrittskandidat der Europäischen Union. Die eigentlichen Verhandlungen begannen am 4. Oktober 2005, nachdem die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien die volle Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Tribunal bestätigte, was seitens der EU als Grundbedingung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen gefordert wurde. Bereits zuvor trat am 1. Februar 2005 ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zwischen der EU und Kroatien in Kraft.[2]

Im Juni 2011 wurden die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien nach Abschluss aller Verhandlungskapitel formell beendet. Die letzten Verhandlungskapitel wurden im Rahmen der abschließenden Beitrittskonferenz am 30. Juni 2011 unter ungarischem Vorsitz abgeschlossen. Kroatien sollte demnach am 1. Juli 2013 in der siebten EU-Erweiterungsrunde im Alleingang das 28. EU-Mitgliedsland werden.[3] Mit dem Beitritt Kroatiens erhält die EU eine zusätzliche Amtssprache. Die kroatische Sprache wäre dann die 24. Amtssprache der EU.

Mit dem Beitritt Kroatiens beabsichtigt die EU den anderen Staaten Südosteuropas zu signalisieren, dass bei entsprechendem Reformwillen und einer Annäherung an europäische Grundwerte ein EU-Beitritt möglich ist.[4] Im Lande selbst wurde seitens kroatischer Politiker stets die Notwendigkeit von Reformen um des eigenen Willens und der Zukunft des Staates im europäischen Kontext hervorgehoben. Die kroatischen Beitrittsverhandlungen dauerten in ihrer Gesamtheit 5 Jahre und 8 Monate. Als neu-hinzugekommener Mitgliedstaat ist Kroatien gemäß vertraglicher Vorgaben verpflichtet den Euro als Währung einzuführen.

Der Beitrittsvertrag soll am 19. Dezember 2011, kurz nach den am 4. Dezember 2011 stattfindenden kroatischen Parlamentswahlen offiziell unterzeichnet werden.[5] Laut Beschluss des kroatischen Parlaments wird spätestens 30 Tage nach der Unterzeichnung ein Referendum über den EU-Beitritt erfolgen. Abhängig vom Ergebnis dieses Referendums wird das kroatische Parlament die Ratifizierung des Beitrittsvertrages behandeln.[6]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Europaflagge und die Flagge Kroatiens am Gebäude des Kroatischen Außenministeriums und des Ministeriums für Europäische Integration (MVPEI)

Unabhängigkeit und Sehnsucht nach Europa

Bereits seit der Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1991 besteht seitens Kroatien der Wunsch nach einem EU-Beitritt. Dies wird als logische Notwendigkeit erachtet, zumal Kroatien sich in kultureller und geschichtlicher Hinsicht als fester Bestandteil dieser Wertegemeinschaft sieht.[7]

Kurz nach der Ausrufung der Unabhängigkeit im Jahre 1991 sah sich Kroatien jedoch mit den blutigen Folgen der Loslösung von Jugoslawien konfrontiert. Bereits mitten in den Kriegswirren des Kroatienkrieges 1994 begannen Verhandlungen mit der EU über ein Stabilisierungsabkommen. Angesichts der Militäroperation Oluja, welche zur Wiedereingliederung der okkupierten Gebiete Kroatiens führte, kam dieses Abkommen jedoch nicht zustande. Dadurch verlor Kroatien wertvolle Finanzmittel, die im Programm PHARE vorgesehen gewesen wären.

Stabilisierung und Verhandlungsbeginn

Die Bemühungen Kroatiens um eine Annäherung an die Standards der EU, sowie um gutnachbarschaftliche Beziehungen in der Region, wurden im Rahmen des Gipfeltreffens in Zagreb zur Förderung der regionalen Zusammenarbeit in Südosteuropa am 24. November 2000 gewürdigt.[8] Als Folge dieses Prozesses konnte Kroatien am 29. Oktober 2001 ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der Europäischen Union unterzeichnen, ab wann auch eine Teilnahme am Programm CARDS ermöglicht wurde.[9] Die formelle Bewerbung Kroatiens um eine Mitgliedschaft in der EU wurde am 21. Februar 2003 eingereicht. Am 18. Juni 2004 erhielt Kroatien nach dem positiven Avis der EU den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen trat am 1. Februar 2005 in Kraft, ab wann auch Finanzmittel aus den Programmen PHARE und ISPA in Anspruch genommen werden konnten.[10][11]

Die Beitrittsverhandlungen sollten am 17. März 2005 beginnen, jedoch wurde die Zusammenarbeit der kroatischen Regierung mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Frage gestellt. Nachdem die Chefanklägerin des Strafgerichtshofs, Carla del Ponte, am 3. Oktober 2005 eine veränderte Haltung der kroatischen Behörden in dieser Frage und eine zufriedenstellende Zusammenarbeit bescheinigt hatte, wurden die offiziellen Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Der Screening-Prozess begann schließlich am 20. Oktober 2005. Seit 2006 nimmt Kroatien am Programm SAPARD für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung teil.[12] Mit 1. Januar 2007 wurden die Programme PHARE, SAPARD, ISPA und CARDS durch das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) ersetzt.

Stolpersteine aus der Nachbarschaft

Der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso erklärte am 13. März 2008, nachdem ein Disput zwischen Kroatien und Slowenien über Fischereirechte beigelegt werden konnte, dass das Land die Beitrittsverhandlungen im Jahr 2009 zum Abschluss bringen und somit 2010 der EU beitreten könnte.[13] Am 5. November 2008 veröffentlichte die Europäische Kommission einen detaillierten Fortschrittsbericht zu den Beitrittsverhandlungen. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn stellte Kroatien zu diesem Anlass erneut einen Abschluss der Verhandlungen Ende 2009 in Aussicht, während er den Beitritt spätestens im Jahr 2011 erwarte.[14]

Das Nachbarland Slowenien blockierte allerdings zehn Monate lang die Öffnung der letzten elf Verhandlungskapitel aufgrund der rechtlich ungeklärten Grenzfrage mit Kroatien, insbesondere hinsichtlich der adriatischen Hoheitsgewässer, woraufhin die Europäische Union den Beitritt auf unbestimmte Zeit vertagt hatte.[15] Am 11. September 2009 wurde bekannt gegeben, dass sich die beiden Staaten auf einen Kompromiss im Grenzkonflikt geeinigt hätten, so dass Slowenien sein Veto Kroatien gegenüber aufhob und die Beitrittsverhandlungen weitergehen konnten.[16] Einzig der außenpolitische Ausschuss des slowenischen Parlaments musste diesem Schritt noch zustimmen,[17] was er am 29. September einstimmig tat.[18]

Umsetzung von Reformen

Ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Beitrittsverhandlungen waren Fortschritte bei der Reform des Justizwesens, sowie der Umgang des kroatischen Rechtsstaates mit der Korruption im eigenen Lande. Die kroatische Behörde zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität (USKOK) etwa zeigte sich im Kampf gegen die Korruption als zunehmend wirksames Instrument. So konnten zahlreiche Korruptionsskandale aufgedeckt werden und hochrangige Politiker und Beamte vor Gericht gestellt werden. Als augenscheinlichstes Beispiel der erfolgreichen Justizreform kann die strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen kroatischen Premierministers Ivo Sanader ab 2010 genannt werden. Viele weitere Beispiele verdeutlichten die Unabhängigkeit des kroatischen Polizei- und Justizwesens. Diese gaben der Bevölkerung das klare Signal, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleichgestellt sind.

Am 6. Juni 2011 wurde das Kapitel „Fischerei“ abgeschlossen. Damit sind nun 31 von 34 Kapiteln geschlossen. Am 10. Juni 2011 empfahl die Europäische Kommission dem Rat, die verbliebenen Kapitel zu schließen. Sie sprach sich für die Aufnahme Kroatiens in die Europäische Union aus.[3]

Verhandlungsabschluss

Der Abschluss der Verhandlungen wurde während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft durch den Europäischen Rat am 24. Juni 2011 beschlossen.[19] Die letzten Verhandlungskapitel sollen im Rahmen einer abschließenden Beitrittskonferenz Ende Juni 2011 abgeschlossen werden. Die feierliche Unterzeichnung des Beitrittsvertrags wird für die polnische Ratspräsidentschaft Ende November oder im Dezember 2011 erwartet. Im Anschluss an die Unterzeichnung findet in Kroatien ein Referendum über den Beitritt statt. Dieses Referendum soll jedoch erst nach den anstehenden Parlamentswahlen noch gegen Ende 2011 stattfinden. Daraufhin soll der Beitrittsvertrag vom kroatischen Parlament, dem Sabor, formell verabschiedet werden. Der Abschluss der Ratifizierung zieht zudem eine Änderung der kroatischen Verfassung mit sich. Nach Ratifizierung des Beitrittsvertrags durch alle Mitgliedstaaten soll Kroatien voraussichtlich Mitte 2013 der EU beitreten.[20]

Verhandlungsprozedere

Davor Stier, Sondergesandter der kroatischen Regierung für europäische und transatlantische Beziehungen (2011)

Reformiertes Beitrittsverfahren

Das nach dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens im Jahr 2007 reformierte Beitrittsverfahren sieht die Erfüllung von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln vor. Kroatien war somit das erste Beitrittskandidatenland, bei dem das reformierte Beitrittsverfahren der EU angewandt wurde. Dieses sieht vor, dass Kroatien sowohl bei der Eröffnung von Verhandlungskapiteln, als auch bei deren Abschluss so genannte Benchmarks bzw. Leistungsnachweise („track record“) vorweisen muss, welche nachweislich belegen sollen, dass etwa Gesetzesakte nicht nur in Kraft getreten sind, sondern auch umgesetzt werden.[21] Die Mitgliedstaaten der EU verfügen über das Recht, zu jedem Zeitpunkt ein Veto gegen die Fortführung der Verhandlungen einzulegen. Diese Blockademöglichkeit wurde insbesondere von Slowenien ausgiebig in Anspruch genommen.[22]

Grundsätzlich sieht das reformierte Beitrittsverfahren vor, dass zunächst eine analytische Auswertung bzw. ein gründliches Screening der Gesetzgebung seitens der Europäischen Kommission vorgenommen wird. Kroatien musste in weiterer Folge vor Beginn und Abschluss jedes Kapitels die Erfüllung eigener Benchmarks bzw. Grundbedingungen vorlegen. Nach Prüfung durch die Kommission empfiehlt diese dem Rat, d.h. den Mitgliedstaaten, die Eröffnung bzw. den Abschluss eines oder mehrerer Verhandlungskapitel (Entwurf eines gemeinsamen Standpunktes der EU, engl. Draft EU Common Position). Erst nach Freigabe durch die Mitgliedstaaten (üblicherweise durch den Rat für Allgemeine Angelegenheiten der Außenminister der EU) beginnen bzw. enden die Verhandlungen eines Kapitels. Der formelle Abschluss von Verhandlungskapiteln findet im Rahmen von eigens anberaumten zwischenstaatlichen Beitrittskonferenzen (engl. Intergovernmental Conference) statt, an denen Vertreter der Kommission, des Vorsitzes und des Kandidatenstaates teilnehmen. Die Kommission erstellt jährliche Fortschrittsberichte zu den Verhandlungen.

Die Rolle des Europäischen Parlaments

Nach Art. 49 des EU-Vertrags bedarf jede Erweiterung der Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Das Europäische Parlament ist aktiver Beobachter der Beitrittsverhandlungen und bewertet regelmäßig den Stand der Verhandlungen. Die Kommission hat die Aufgabe, das Europäische Parlament über alle wichtigen Phasen der Beitrittsverhandlungen zu informieren. Eine große Rolle spielt das Europaparlament auch beim finanziellen Aspekt der Erweiterung. Denn als Haushaltsbehörde bewilligen das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam alle Ausgaben der EU.[23]

Verhandlungskapitel

Kapitel Screening eröffnet abgeschlossen
01. Freier Warenverkehr 17. Februar 2006 25. Juli 2008 19. April 2010
02. Freizügigkeit der Arbeitnehmer 8. September 2006 17. Juni 2008 2. Oktober 2009
03. Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr 16. Dezember 2005 26. Juni 2007 21. Dezember 2009
04. Freier Kapitalverkehr 21. Dezember 2005 2. Oktober 2009 5. November 2010
05. Vergaberecht 29. November 2005 19. Dezember 2008 30. Juni 2010
06. Gesellschaftsrecht 19. Juli 2006 26. Juni 2007 2. Oktober 2009
07. Schutz geistiger Eigentumsrechte 1. März 2006 29. März 2007 19. Dezember 2008
08. Wettbewerbsrecht 6. Dezember 2005 30. Juni 2010 30. Juni 2011
09. Finanzdienstleistungen 5. Mai 2006 26. Juni 2007 27. November 2009
10. Informationsgesellschaft und Medien 18. Juli 2006 26. Juni 2007 19. Dezember 2008
11. Landwirtschaft und ländliche Entwicklung 2. Februar 2006 2. Oktober 2009 19. April 2011
12. Lebensmittelsicherheit, Veterinärpolitik und Pflanzenschutz 7. Juni 2006 2. Oktober 2009 27. Juli 2010
13. Fischerei 29. März 2006 19. Februar 2010 6. Juni 2011
14. Verkehrspolitik 21. September 2006 21. April 2008 5. November 2010
15. Energie 21. Juni 2006 21. April 2008 27. November 2009
16. Steuerpolitik 4. Juli 2006 2. Oktober 2009 30. Juni 2010
17. Wirtschafts- und Währungspolitik 9. März 2006 21. Dezember 2006 19. Dezember 2008
18. Statistiken 14. Juli 2006 26. Juni 2007 2. Oktober 2009
19. Sozialpolitik und Beschäftigung 8. März 2006 17. Juni 2008 21. Dezember 2009
20. Unternehmens- und Industriepolitik 28. April 2006 21. Dezember 2006 25. Juli 2008
21. Transeuropäisches Verkehrsnetz 22. September 2006 19. Dezember 2007 2. Oktober 2009
22. Regionalpolitik und Koordination der strukturpolitischen Instrumente 6. Oktober 2006 2. Oktober 2009 19. April 2011
23. Justiz und Grundrechte 18. Oktober 2006 30. Juni 2010 30. Juni 2011
24. Justiz, Freiheit und Sicherheit 23. Februar 2006 2. Oktober 2009 22. Dezember 2010
25. Wissenschaft und Forschung 15. November 2005 12. Juni 2006 12. Juni 2006
26. Bildung und Kultur 17. November 2005 11. Dezember 2006 11. Dezember 2006
27. Umwelt 19. Mai 2006 19. Februar 2010 22. Dezember 2010
28. Verbraucher- und Gesundheitsschutz 11. Juli 2006 12. Oktober 2008 27. November 2009
29. Zollunion 16. März 2006 21. Dezember 2006 2. Oktober 2009
30. Beziehungen nach Außen 15. September 2006 12. Oktober 2007 30. Oktober 2008
31. Außenpolitik, Sicherheits- und Verteidigungspolitik 2. Oktober 2006 30. Juni 2010 22. Dezember 2010
32. Finanzkontrolle 29. Juni 2006 26. Juni 2007 27. Juli 2010
33. Finanz- und Haushaltsbestimmungen 27. September 2006 19. Dezember 2007 30. Juni 2011
34. Institutionen 5. November 2010 5. November 2010
35. Andere Fragen entfällt

Verhandlungsfortschritt:

  • Kapitel abgeschlossen

Neuerungen und Sonderklauseln

Kroatien war bislang das einzige Beitrittskandidatenland, welches Kapitel 23 „Justiz und Grundrechte“ zu erfüllen hatte.[24]

Der Beitrittsvertrag Kroatiens soll auf Wunsch Frankreichs vorsehen, dass Kroatien dem „reformierten Schengenraum“ beitreten soll.[25] Zudem soll die mit dem Beitritt verbundene Änderung von EU-Vertrag und AEU-Vertrag genutzt werden, um einige andere Reformen im Bereich der Fiskalstabilität in das Primärrecht aufzunehmen. Dies betrifft etwa den im Rahmen der Euro-Krise beschlossenen Europäischen Stabilisierungsmechanismus.[26]

Besonderheiten

Kriegsfolgen und Erweiterungsapathie

Als Besonderheiten der kroatischen Beitrittsverhandlungen aufgeführt werden können zahlreiche Angelegenheiten, die nicht Bestandteil des gemeinschaftlichen Besitzstandes (frz. acquis communautaire) und somit auch nicht Bestandteil der eigentlichen Beitrittsverhandlungen sind. So hatte sich Kroatien intensiv mit zahlreichen Nachwirkungen des Kroatienkrieges, welche bis zum Abschluss der Beitrittsverhandlungen spürbar waren, auseinanderzusetzen. Bereits mitten in den Kriegszeiten 1994 begannen Verhandlungen Kroatiens mit der EU über ein Stabilisierungsabkommen. Angesichts der Militäroperation Oluja, welche zu einer Wiedereingliederung der okkupierten Gebiete Kroatiens führte, kam dieses Abkommen jedoch nicht zustande. Dadurch verlor Kroatien wertvolle Finanzmittel, die im Programm PHARE vorgesehen gewesen wären.

Im Rahmen der Jugoslawienkriege zeigten sich zudem die Schwächen der fragmentierten EU-Außenpolitik. Die EU befand sich zu dieser Zeit in einem Prozess der institutionellen Neustrukturierung. Die Erfahrungen des Jugoslawienkriegs führten jedoch auch verstärkt die Notwendigkeit einer konsolidierten EU-Außenpolitik bzw. einer neuen Stragie gegenüber den südöstlichen Nachbarstaaten vor Augen. Die zögerliche Haltung gegenüber den Staaten Südosteuropas verzögerte jedoch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien. Lediglich Slowenien, das abgesehen vom 10-Tage-Krieg von den Kriegsfolgen verschont blieb, konnte im Rahmen des "Big Bang", der großen Erweiterungswelle im Jahre 2004, seine EU-Beitrittsbestrebungen finalisieren. Nach dieser umfassenden Erweiterung setzte innerhalb der EU zunehmends eine gewisse Erweiterungs-Apathie ein, was sich auf Kroatiens EU-Ambitionen negativ auswirkte.

Generell wurden die Beitrittsverhandlungen dadurch gebremst, dass die EU den Beginn von Beitrittsverhandlungen an die Auslieferung einstiger hochrangiger Generäle der kroatischen Streitkräfte knüpfte. Erst nach der Auslieferung von General Ante Gotovina wurde tatsächlich seitens des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) die volle Zusammenarbeit mit diesem Tribunal festgestellt. Das Tribunal selbst zählt jedoch nicht zu den EU-Institutionen. Weiters wurden bis kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen im Jahr 2011 seitens des ICTY Artillerieberichte über den Beschuss einiger kroatischer Ortschaften durch die kroatische Armee eingefordert.

Grenzkonflikt mit Slowenien

Als weiteres wesentliches Problem für den Fortgang der Verhandlungen stellte sich die Position Sloweniens im Hinblick auf den Grenzkonflikt in der Bucht von Piran (kroat. Savudrijska vala) oder anderer Probleme dar (vgl. Internationale Konflikte der Nachfolgestaaten Jugoslawiens). Auch dieses Problem ist nicht mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand verknüpft und somit kein eigentlicher Teil der EU-Beitrittsverhandlungen. Trotzdem wurde Kroatien aus diesem Grunde und auf Druck der EU untersagt, eine ökologisch-fischfangrechtliche Schutzzone (kroat. ZERP), die völkerrechtlichen Grundsätzen entspricht, auszurufen.

Regionale Zusammenarbeit

Angesichts der Bedeutung gutnachbarschaftlicher Beziehungen wurde daher von Kroatien stets das Erfordernis der regionalen Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten und Staaten des ehemaligen Jugoslawiens ausdrücklich betont. Das Beispiel der Blockade Sloweniens sollte sich etwa in möglichen Beitrittsverhandlungen mit weiteren Staaten des Westbalkans nicht wiederholen. Die Vertreter Kroatiens betonen daher kontinuierlich, dass Kroatien den EU-Beitritt weiterer Staaten des ehemaligen Jugoslawiens aufgrund ungelöster Nachbarschaftsprobleme nicht blockieren wird, was auch im Beitrittsvertrag formuliert sein sollte. Kroatien übermittelte als Zeichen des guten Willens daher sogar die Übersetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes an seine Nachbarstaaten.

Überwachungsmaßnahmen bis zum Beitritt

Für Kroatien wurden nach Drängen einiger weniger Mitgliedstaaten[27] und auf Vorschlag der Kommission[28] Überwachungsmaßnahmen eingeführt, die bis zum Beitrittsdatum selbst Anwendung finden. Die Umsetzung dieser Verpflichtungen Kroatiens wird durch die Kommission überwacht (Monitoring). Hierdurch soll gewährleistet werden, dass in den Bereichen "Justiz und Grundrechte" (Vorantreiben der Justizreformen), "Justiz, Freiheit und Sicherheit" (Grenzschutz, Polizei- und Justizkooperation, Kampf gegen die organisierte Kriminalität) und "Wettbewerbsrecht" (Restrukturierung des Schiffbau- und Stahlsektors) Reformen weiter vorangetrieben werden.[29][30] Konkret soll die Kommission halbjährlich über die Umsetzungsmaßnahmen berichten. Eine Verschiebung des Beitrittsdatums ist nicht möglich.[31]

Kommissarin Viviane Reding versicherte im Mai und Juni 2011, dass Kroatien im Justizbereich die nötigen Reformen implementiert und zeigte sich beeindruckt von den bisherigen Fortschritten. Diese Reformen seien irreversibel und dauerhaft.[32][33] Der Monitoring-Mechanismus dient daher lediglich als zusätzliches Mittel im Eventualfall. Kroatien wurde bereits während der Verhandlungen deutlich strenger bewertet als vorige Beitrittskandidaten. Der Kommissar für Erweiterung, Stefan Füle, betonte daher ausdrücklich, dass die Kommission im Falle Kroatiens keinen Grund dafür sah, ein Überwachungssystem ähnlich jenem für Bulgarien und Rumänien, das auch nach dem EU-Beitritt gelten würde, einzuführen.[34] Der Abschluss der Beitrittsverhandlungen wurde am 24. Juni 2011 vom Europäischen Rat beschlossen. Formell wurden die letzten Kapitel im Rahmen einer Beitrittskonferenz am 30. Juni 2011 abgeschlossen.

Verpflichtungen und Übergangsregelungen

Mit dem Tag des EU-Beitritts muss Kroatien grundsätzlich den gesamten gemeinschaftlichen Besitzstand (aquis communautaire) vollständig übernehmen und umsetzen. Zeitlich befristete Übergangsbestimmungen, die es auch bei früheren EU-Erweiterungen gab, betreffen v.a. die Bereiche Landwirtschaft, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Kapitalverkehr und Umwelt. Verpflichtungen beziehungsweise Übergangsregelungen betreffen insbesondere die folgenden Bereiche:[35]

  • Allgemeine wirtschaftliche Schutzklauseln betreffend das Funktionieren des Binnenmarkts bzw. den Bereich Justiz und Inneres
  • Kroatien verpflichtet sich dem "reformierten Schengenraum" beizutreten
  • Die von der Union mit Drittstaaten oder mit internationalen Organisationen geschlossenen oder vorläufig angewendeten Abkommen oder Übereinkünfte werden ab dem EU-Beitritt bindend.
  • Institutionelle Bestimmungen: Im Rat der EU erhält Kroatien die Gewichtung von 7 Stimmen.[36] Kroatien wird in der kommenden Legislativperiode mit 12 Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein.[37] Für einen Übergangszeitraum werden bis zur Europawahl 2014 interimistische Abgeordnete ernannt. Kroatien wird in der Europäischen Kommission durch einen Kommissar vertreten. Kroatische Vertreter werden auch für zahlreiche andere EU-Institutionen ernannt.
  • Finanz- und Haushaltsbestimmungen: Kroatien beteiligt sich ab dem Beitritt an der Finanzierung des EU-Haushalts.
  • Die kroatische Sprache wird zur Amtssprache in den EU-Institutionen

Siehe auch

 Portal:Europäische Union – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Europäische Union

Weblinks

Quellen

  1. vgl. Entschließung des kroatischen Parlaments über einen Beitritt zur Europäischen Union vom 18. Dezember 2002
  2. Europäische Kommission. Erweiterung. Kroatien – Länderprofil.
  3. a b Die Presse: EU-Kommission sagt "Ja zu Kroatien", 10. Juni 2011.
  4. Der Standard. Kroatien ebnet Staaten am Balkan Weg in die EU. (10. Juni 2011)
  5. EUbusiness.com: Croatia to sign EU entry on December 19
  6. Poslovni.hr (26. November 2010). "Sabor: Referendum o ulasku u EU nakon potpisivanja pristupnog ugovora"
  7. vgl. Aussage von Papst Benedikt XVI. anlässlich seines Kroatien-Besuches vom 4.-5. Juni 2011. Die Presse. Papst: Kroatien-Beitritt zu EU „logisch und notwendig“ (4. Juni 2011)
  8. Europäische Kommission. Erweiterung. Final Declaration of the Zagreb Summit on 24 November 2000.
  9. Safu.hr. CARDS
  10. Safu.hr. PHARE
  11. Safu.hr. ISPA
  12. Hrvatski-farmer.hr. SAPARD (Special Accession Program for Agriculture and Rural Development)
  13. EU says Croatia on course to join the bloc in 2010
  14. Croatia given timetable for EU entry
  15. http://www.nzz.ch/nachrichten/international/kroatien_kosor_1.2934212.html
  16. Diese Einigung soll auch auf Druck der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber Slowenien zustande gekommen sein.
  17. Kroatiens Weg in die EU wieder frei 11. September 2009
  18. EurActiv: Kroatiens EU-Beitritt rückt näher 30. September 2009
  19. Wiener Zeitung, 25. Januar 2011: Beitritt Kroatiens „frühestens 2013“.
  20. Vjesnik (22. Juni 2011). Spindelegger: Hrvatska članica EU-a sredinom 2013.
  21. Vjesnik.hr. Kosor zahvalila pregovaračima, građanima i braniteljima. (13. Juni 2011)
  22. Die Presse (19. Dezember 2008). Nach EU-Veto gegen Kroatien: Druck auf Slowenien steigt
  23. Europäisches Parlament. Informationsbüro für Österreich. Erweiterung.
  24. Vjesnik.hr. Kosor zahvalila pregovaračima, građanima i braniteljima. (13. Juni 2011)
  25. Nacional. Francuski ministar umiruje: Monitoring za Hrvatsku samo do ulaska u EU. (23. Mai 2011)
  26. Večernji list. Nova financijska disciplina u EU mogla bi usporiti pristup Hrvatske. (23. Oktober 2010)
  27. Mitgliedstaaten, die ein Monitoring einfordern, wären etwa Frankreich, die Niederlande und Großbritannien (sowie Deutschland). ORF 25. Mai 2011.
  28. Europäische Kommission. Pressemitteilung vom 10. Juni 2011. Statement by Commissioner Füle on the occasion of the recommendation by the Commission to close the remaining chapters with Croatia
  29. Rat der EU (30. Juni 2011). Pressemitteilung. Accession Conference at Ministerial level closes negotiations with Croatia.
  30. EU-Croatia: Monitoring reports on 3 negotiation chapters twice a year (11. Juni 2011)
  31. Večernji list. 21. Juni 2011. Motrenje bez mogućnosti odgode članstva
  32. Die Presse. Durchbruch bei Kroatiens Weg in die EU. (17. Mai 2011)
  33. Tportal.hr. Reding says is impressed with Croatia's progress in judiciary. (18. Mai 2011)
  34. Nacional (16. Juni 2011). Füle: Hrvatska nakon ulaska u EU neće biti pod monitoringom
  35. Fischer Weltalmanach. EU: Beitrittsvertrag.
  36. Euractiv (25. Oktober 2010). Kroatien ermisst künftige Machtposition in der EU
  37. Jutarnji list (11. Oktober 2007). Hrvatskoj 12 mjesta u parlamentu EU

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