Wir sind Papst

Wir sind Papst
Titelseite der Bild zur Wahl Ratzingers vom 20. April 2005

„Wir sind Papst!“ war eine Schlagzeile der Bild-Zeitung am 20. April 2005, einen Tag nach der Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum Papst Benedikt XVI. Das Blatt spielte damit auf einen Satz wie „Wir sind Weltmeister“ an, der zu Jubelfeiern bei gewonnenen Fußballweltmeisterschaften gehört – ein Vergleich, der teilweise zu heftiger Kritik führte. Nach Angaben von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann wurde die umstrittene Schlagzeile vom Politikchef des Blattes, Georg Streiter, erfunden.

Wirkung

Im Laufe des Jahres 2005 wurde die Schlagzeile vielfach im Fernsehen und in der Presse zitiert und entwickelte sich schnell zu einem geläufigen Ausdruck. Die Gesellschaft für deutsche Sprache setzte die Wendung „Wir sind Papst!“ auf den zweiten Platz unter den zehn Wörtern des Jahres 2005. Die Schlagzeile sei sprachlich einprägsam und habe eine bestimmte Stimmung in der Bevölkerung widergespiegelt. Außerdem sei sie später zu Sprach-Spielen genutzt worden. Der Art Directors Club für Deutschland verlieh Bild einen Goldenen und einen Silbernen Nagel für Zeitungsgestaltung bzw. Text der „Wir sind Papst!“-Ausgabe.[1]

Bereits am 27. April 2005 hatte Bild unter der Überschrift „Eine Schlagzeile wird Kult“ festgestellt, ihr Aufmacher sei auf dem Weg, Kultstatus zu erlangen. Die von der Bild-Zeitung abgedruckten Fotobeweise stammten allerdings aus einer sich satirisch verstehenden Gegenaktion eines Blogs; ein angeblich auf einer Brücke befindliches Graffito „Wir sind Papst“, das die Bild-Zeitung gedruckt hatte, war durch digitale Bildbearbeitung entstanden.[2][3]

Das Musikduo Urbi & Orbi veröffentlichte kurz nach der Papstwahl die Single Wir sind Papst!, die sechs Wochen in den unteren Rängen der deutschen Charts vertreten war. Der Spruch wurde auch in abgewandelter Form verwendet, etwa durch das Magazin Der Spiegel, das über einem Bild mit Gerhard Schröder und Angela Merkel kurz nach der Bundestagswahl 2005 titelte: „Wir sind Kanzler“, und von Petra Pau die sich Anfang Januar 2006 in einer Presseerklärung mit den Worten „Wir sind Preußen!“ gegen Matthias Platzecks Ruf nach Preußischen Tugenden wandte.[4]

„Wir sind Papst!“ wurde – meist zusammen mit dem Kampagnen-Slogan „Du bist Deutschland“ – auch von Kabarettisten und Satirikern immer wieder aufgegriffen und fehlte auch in keinem Jahresrückblick 2005. So mutmaßte etwa Hagen Rether, beim Tod des Papstes würde die Bild-Zeitung wahrscheinlich „Wir sind tot!“ titeln. Der bayerische Komiker Michael Mittermeier hingegen verkündete, nicht „ihr Deutschen“, sondern „wir Bayern“ seien Papst. Der türkischstämmige Satiriker Osman Engin nahm in seinem Magazinbeitrag Ich bin Papst für den WDR den Ausspruch zum Anlass, die „oft absurden Situationen im Umgang mit vermeintlichen Ausländern“ deutlich zu machen. Er wurde dafür mit dem Medienpreis der ARD ausgezeichnet.

Der Versuch der Bild-Zeitung, den Ausspruch als Wortmarke eintragen zu lassen, wurde vom Münchener Marken- und Patentamt im November 2006 abgelehnt. Eine solche Marke verstoße der Meinung des Gerichtes folgend gegen die guten Sitten: „Werde der Begriff des Papstes – als Jesu Stellvertreter – zu Verkaufszwecken verwendet, könnten Gläubige daran Anstoß nehmen“.[5]

Die Bild-Schlagzeile wurde auch im Rahmen der österreichischen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 von einigen österreichischen Medien in die Schlagzeile „Wir sind Präsident!“ umgemünzt. [6]

Im Jahre 2007 wurde die Schlagzeile immer wieder aufgegriffen. Nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft durch die deutschen Fußballfrauen hieß die Schlagzeile „Wir sind WeltmeisterIN!“, im Oktober titelte das Blatt nach den beiden Nobelpreisen für deutsche Forscher „Wir sind Nobelpreis!“.

Auch die Verleihung des Oscars für den besten fremdsprachigen Film 2007 an Florian Henckel von Donnersmarck (Deutschland) und 2008 an Stefan Ruzowitzky (Österreich) verleitete etliche Medien zum Ausspruch: „Wir sind Oscar“.[7][8]

Im Zusammenhang mit Papst Benedikts XVI. umstrittener Rücknahme der Exkommunikation von vier Bischöfen, darunter der Antisemit und Holocaust-Leugner Richard Williamson der Pius-Bruderschaft am 21. Januar 2009, wurde der Ausspruch „Wir sind Papst“ in der öffentlichen Debatte mehrfach infrage gestellt und variiert. So titelte die taz am 2. Februar 2009 „Wir sind peinlich. Die seltsamen Entscheidungen des Papstes Benedikt XVI.“[9] Des Weiteren lautete der Titel einer Ausgabe der Talkshow Maybrit Illner am 5. Februar 2009 „Sind wir noch Papst? Religion im Rückwärtsgang?“[10] und der Publizist Henryk M. Broder veranschaulichte in Spiegel Online den Ansehensverlust Benedikts XVI. zusammenfassend mit den Worten „Eben waren wir noch alle Papst, jetzt brechen wir den Stab über den Pontifex.“[11]

Quellennachweise

  1. Bild, 26. März 2006
  2. Bildblog, 27. April 2005
  3. Die Presse, 4. Mai 2005 (inaktive, ehemalige Online-Version: http://www.diePresse.com/Artikel.aspx?channel=k&ressort=km&id=480357
  4. Presseportal: „Wir sind Preußen!“, 3. Januar 2006
  5. „Papst gehört nicht „Bild“ allein“, Süddeutsche Zeitung, 30. November 2006 (inaktive, ehemalige Online-Version:http://www.sueddeutsche.de/sz/2006-11-30/medien/artikel/HMG-2006-11-30-017-af5Ik3GRZzqTgKB4f1Pi_g/)
  6. „Die höchste Form der Anerkennung“, Wiener Zeitung, 3. Mai 2006
  7. BR-online - Wir sind Oscar… (inaktive, ehemalige Online-Version: http://www.br-online.de/bayern3/film/artikel/oscar_2007/index.xml)
  8. ORF Steiermark - Wir sind Oscar - Ja, natürlich!
  9. Schlagzeile der Berliner taz am 2. Februar 2009; siehe dazu auch der Artikel Ogott, ogottogott! Wohin führt Ratzinger die katholische Kirche? von Philipp Gessler in die tageszeitung, 2. Februar 2009.
  10. Informationen zur Sendung vom 5. Februar 2009 auf der Website von Maybrit Illner
  11. Henryk M. Broder: "Vatikan-Debakel: Papst am Pranger" in Spiegel Online, 5. Februar 2009.

Weblinks


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