Zellengefängnis Lehrter Straße

Zellengefängnis Lehrter Straße
Zellengefängnis um 1855

Das Zellengefängnis Lehrter Straße war ein preußisches Gefängnis im heutigen Ortsteil Moabit des Bezirks Mitte von Berlin. Es lag an der Lehrter Straße 1–5. Das Zellengefängnis wurde in den 1840er Jahren unter Friedrich Wilhelm IV. als „Preußisches Mustergefängnis Moabit“ errichtet und galt damals als besonders moderne Haftanstalt, weil die Gefangenen in Einzel- und nicht mehr in Gemeinschaftszellen untergebracht wurden.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Zellengefängnis Lehrter Straße, 1848
Lageplan von 1896

Das rund sechs Hektar große ehemalige Gefängnisgelände lag auf dem östlichen Areal der Lehrter Straße an der Einmündung in die Invalidenstraße in unmittelbarer Nähe des heutigen Berliner Hauptbahnhofs. Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wurde auf der Verkehrsinsel Seydlitz- Ecke Lehrter Straße ein Gedenkstein aufgestellt, der jetzt in den Eingangsbereich des Gedenkparks versetzt wurde.

Nicht zu verwechseln mit dem Zellengefängnis ist das noch heute als Außenstelle (Haus 3) der Justizvollzugsanstalt Plötzensee genutzte ehemalige Wehrmachtsgefängnis in der Lehrter Straße 60. In der Lehrter Straße 61 befindet sich außerdem eine Außenstelle des Amtsgerichts Tiergarten.

Geschichte

Der Planung zum Bau eines Mustergefängnisses war eine Gefängnisreform König Friedrich Wilhelms kurz nach seiner Thronbesteigung vorausgegangen. In der Kabinettsorder vom 26. März 1842 billigt er den Bau des Gefängnisses nach Plänen von Carl Ferdinand Busse als Kopie der britischen Strafanstalt Pentonville bei London. Im Jahr 1849 waren die Arbeiten beendet. Die fünf sternförmig angeordneten Flügel, die jeweils zentral überwachbare Einzelzellen enthielten, eine Kirche, diverse Beamtenwohntürme und ein Gefängnisfriedhof gehörten zu der Anlage.

Bereits vor Fertigstellung des Gesamtbaus wurde 1847 der sogenannte „Polenprozess“ gegen 256 polnische Separatisten geführt, darunter Ludwik Mierosławski. Als Gerichtssaal diente der Kirchenraum. Die im Dezember verkündeten Todes- und Freiheitsstrafen wurden nie vollstreckt und die ersten Häftlinge des Mustergefängnisses nach zwei Monaten entlassen.

Zwischen 1856 und 1860 war der deutsche Jurist Carl Eduard Schück (1804–1873), ein erklärter Anhänger der Einzelhaft nach pennsylvanischem Vorbild, Direktor des Gefängnisses.[1]

Teile des Zellengefängnisses wurden ab dem Jahre 1940 sowohl durch die Wehrmacht als auch durch die Polizei und seit dem Attentat vom 20. Juli 1944 auch durch die Gestapo als Untersuchungshaftanstalt genutzt.[2] Verdächtige Beteiligte am Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde hier inhaftiert, so zum Beispiel der spätere Bischof Hanns Lilje.

In der Nacht vom 22. zum 23. April 1945 wurden 16 Häftlinge unter dem Vorwand der Freilassung auf das nahegelegene ULAP-Gelände geführt und auf Anordnung von Heinrich Müller ermordet. Die Exekutionen wurden durch 30 SS-Männer unter dem Kommando von Kurt Stawizki per Genickschuss durchgeführt.[3] Unter den Ermordeten befanden sich Klaus Bonhoeffer und Albrecht Haushofer, bei dessen Leiche die im Gefängnis entstandenen Moabiter Sonette gefunden wurden. Der junge Kommunist Herbert Kosney überlebte die Hinrichtung schwer verletzt und konnte später als Augenzeuge berichten. Diese Exekutionen, ähnlich wie die „Politik der verbrannten Erde“ beim Rückzug der Wehrmacht, werden als Kriegsendphasenverbrechen bezeichnet.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gefängnis vergleichsweise wenig zerstört. Die Kirche sowie Teile eines Zellenflügels wurden ausgebombt, schwerwiegender waren die Plünderungen der Inneneinrichtung vom 26. April 1945. Der Gebäudekomplex wurde von Oktober 1945 bis März 1955 durch die Alliierten als Haftanstalt genutzt. Ende 1946 wurde die einzige Hinrichtungsstelle der Westsektoren eingerichtet. Zwischen Januar 1947 und Mai 1949 fanden dort insgesamt zwölf Hinrichtungen statt.

In den Jahren 1957/1958 wurde das Gefängnis abgerissen. Erhalten blieben lediglich Teile der Gefängnismauer und drei Beamtenwohnhäuser, die heute unter Denkmalschutz stehen. Der Friedhof wurde entwidmet, die Abteilung der Vollzugsbeamten blieb umzäunt erhalten. Der ehemalige Friedhofsteil für die Gefangenen jedoch wurde für eine Kleingartenanlage genutzt. Das Grundstück des Gefängnisses wurde planiert und als Parkplatz für das Poststadion genutzt. Der östliche Teil des Parkplatzes ging 1962 an das Tiefbauamt Tiergarten über, das diesen als Lagerplatz nutzte.

Bekannte Inhaftierte

Geschichtspark

Im Jahr 2003 begannen die Arbeiten für den 3,1 Mio. Euro teuren „Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“. Am 26. Oktober 2006 wurde der Park der Presse präsentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Am 17. Februar 2007 erhielt das Projekt des Berliner Landschaftsarchitekenbüros Glaßer und Dagenbach einen von zwei ersten Preisen im Bundeswettbewerb des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten für die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes, die Zusammenarbeit mit den Anwohnern und die gelungene Gestaltung der Details.[4]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

 Commons: Zellengefängnis Lehrter Straße – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Carl Eduard Schück: Die Einzelhaft und ihre Vollstreckung in Bruchsal und Moabit. Barth, Leipzig 1862.
  2. Ernst Haiger: Die letzten Gestapo-Häftlinge im Zellengefängnis. In: Bernd Hildebrandt/Ernst Haiger: Kriegsende in Tiergarten. Die Geschichte des Kriegsgräberfriedhofs Wilsnacker Straße. Berlin 2009, ISBN 978-3-86541-312-3, S. 50–53
  3. Sven Felix Kellerhoff: Staatspolizeilich erledigt. In: Die Welt, Ausgabe vom 21. April 2010
  4. Bund Deutscher Landschaftsarchitekten: Deutscher Landschaftsarchitektur-Preis 2007. 23. Februar 2007


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