Zug nach Chemnis

Zug nach Chemnis
Talfest in Hieroglyphen
Neues Reich
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N25

Heb-en-inet
Ḥb-n-jnt
Fest des Tales[1][2]
Musikerinnen beim Fest (Grab des Nacht)

Das altägyptische Talfest (auch „Schönes Fest vom Wüstental”) zählte zu den thebanischen Himmelsfesten und fiel jährlich in die altägyptische Jahreszeit Schemu (Zeit der Hitze), die vom Erntebeginn bis zur Nilschwemme andauerte. Als Nekropolenfest stand es in direkter Verbindung mit dem Totenkult. Im Neuen Reich wurde das Talfest in Anspielung auf die Göttinnen Hathor, Sachmet und Bastet auch als „Fest der Trunkenheit” verstanden, da in Esna zeitgleich das Fest „Besänftigen der Sachmet” stattfand.[3] Die thebanische Bevölkerung nahm nicht direkt am Prozessionszug sowie der Barkenüberfahrt des Amun teil, sondern beging in Gleichsetzung den „Tag des Rauschtrunks[4] als „Fest im Grabe[5]

Darstellungen und Bilder der Abläufe des Talfestes sind erstmals mit Beginn der 18. Dynastie belegt. Die Malereien konzentrierten sich auf die heilige Amun-Barke, die bei Ankunft in Theben jeweils in den Totentempeln der verstorbenen Könige Station machte, um schließlich in das Sanktuar des amtierenden Herrschers gebracht zu werden. In die Prozessionen war das Fest „Zug nach Chemmis[6] integriert, um die jährliche Wiedergeburt des Königs als Horus zu zelebrieren. Insofern bestand das Talfest aus mehreren Kleinfesten, die nach und nach den Festkalender ergänzten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte des Talfestes

Anlass und Inhalt der Talfestfeierlichkeiten veränderten sich im Verlauf der ägyptischen Geschichte umfassend. In der frühen 18. Dynastie standen zunächst alte Traditionen im Vordergrund, wie beispielsweise Weihegaben während ritueller Opferhandlungen, Verklärungen beim Festmahl und Besuche der Tempelwachen sowie von Haremsdamen der Göttin Hathor. Im weiteren Verlauf erhielten verschiedene Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, die Reise in das Land der Toten anzutreten. Die einstige Vereinigung des Amun und der Hathor, die den Charakter eines Wiedergeburtfestes inne hatte, verband sich mit den Neuerungen, ohne dabei alte Riten zu verändern. Lediglich die Abfolge der Rahmenhandlungen wurde spätestens ab der mittleren 18. Dynastie umgestellt und den neuen Bedürfnissen angepasst.[7]

Erst nachdem große Teile der Bevölkerung am Festgeschehen teilnehmen konnte, wandelte sich das Talfest in ein Jubelfest, zu dem die Priesterschaft mit Blumen die Besucher der Gräber willkommen hieß. Die Huldigung der Gottheit Amun-Re und die begleitenden Zeremonien des Tanzes wurden durch rauschartige Trinkgelage ergänzt.[7] Nach der Amarna-Zeit lebte in der 19. Dynastie der alte Geist des Talfestes nochmals auf. Der kulturelle Niedergang der 20. Dynastie ersetzte die fröhlichen Aktivitäten durch traurige Riten. Bildliche Darstellungen der früheren Sorglosigkeit reduzierten sich von diesem Zeitpunkt an, um später vollständig zu verschwinden.[8]

Ursprung

Totentempel des Mentuhotep II.

In den Festlisten des Alten Reichs ist das Talfest noch unbekannt. Am Ende des Alten Reiches zerfiel das ägyptische Reich. Die Könige der folgenden neunten und zehnten Dynastie wählten wahrscheinlich Herakleopolis Magna als ihre Residenz, die jedoch später von Mentuhotep II erobert wurde. In diesen Zeitraum fällt die erste geschichtliche Erwähnung des Amun-Tempels in Karnak.

In der Ägyptologie wird aufgrund fehlender zeitgenössischer Quellen die chronologische Rekonstruktion bis Mentuhotep II. als Reichseiniger differenziert beurteilt. Eine gesicherte Darstellung ist aus diesen Gründen nicht möglich. Unter Mentuhotep II. konnte die Reichseinigung nur durch Berücksichtigung der Königs- und Horusideologie des Alten Reiches vollzogen werden. Die seit der Reichseinigung verwendeten Bauelemente des Totentempels von Mentuhotep II. zeigen ebenfalls die Göttersymbolik des Alten Reiches.[9] Das eingeführte Talfest ist erstmals auf einem Fels-Graffito für Neb-hepet-Re (Mentuhotep II.) erwähnt, das oberhalb seines Totentempels von einem Priester dort angebracht wurde. Die zugehörige Prozession konnte auf das letzte Drittel der Regierungszeit von Mentuhotep II. datiert werden.[1] Mit Beginn der Feierlichkeiten transportierte die Priesterschaft eine Statue von Amun-Re vom Karnaktempel zur königlich-göttlichen Barke, um in das Tal des Mentuhotep II. zu gelangen.

„[Erster Monat der Jahreszeit Schemu, Neumond:] Der Priester Neferibed: Amun preisen, dem Götterherrn die Erde küssen, an seinen ersten Festen des Sommers (Jahreszeit Schemu), wenn er am Tage der Fahrt zum Tale Neb-hepet-Res aufleuchet, seitens des Amunpriesters Neferibed.“

Inschrift des Wab-Priesters Neferibed[10]

Heckruder eines ägyptischen Nilschiffs. Szene aus der Grabkammer des Menna (um 1422-1411 v. Chr.).

Das Tal des Mentuhotep II. stand im Zeichen der Hathor, die als kuhgestaltige Himmelsgöttin in einer Kapelle oberhalb des Totentempels verehrt wurde. Auf Grundsteintäfelchen sind die Namen von Mentuhotep II. und Hathor erhalten geblieben. Wahrscheinlich veranlasste der besondere Hathorkult im Tal des Mentuhotep II. die Königin Hatschepsut, ihren Totentempel ebenfalls dort erbauen zu lassen. Auf einem Denkstein des Amenophis III. ist zu lesen, dass „sein Vater Amun die Ruderfahrt in das Tal unternimmt, um die Götter des Westens zu sehen.“[11]

Ähnliche Redewendungen sind bereits im Mittleren Reich auf Grabsteinen angebracht. So lautete der Wunsch eines Priesters aus Al-Qurna: „Mögest du Opferbrote des Amun empfangen an seinem schönen Fest der Ruderfahrt“.[12] Aus weiteren unterschiedlichen Benennungen des Talfestes als „Kommen des Gottes Amun aus Karnak“ oder „sein schönes Fest vom Wüstental“ wird ersichtlich, dass sich der Name des Talfestes vom Ziel der Reise Amuns ableitete.[11]

Neues Reich

Karte von Deir el-Bahari
III) Tempel der Hatschepsut Talfestzug:[6]
7) Hof
14) Amuntrakt
Chemmiszug[6]
7) Hof
11) Hathor-Schrein

Bis zum Beginn des Neuen Reiches galt die Fahrt des Amun der Göttin Hathor, die „Amun auf der Westseite Thebens besuchte, um die Nacht bei ihr zu verweilen”. Während der Barkenüberfahrt fuhr Amun noch ohne Begleitung der anderen Götter. In der 18. Dynastie änderte sich mit Amun-Re in seiner Sonderform als „Götterkönig” der Termin und Name des Festes, das die Ägypter nun im zweiten Schemu-Monat unter der Bezeichnung „Schönes Fest des Tales von Amun-Re” feierten und auf mindestens zwei Tage erweiterten.[13]

Den symbolischen „Zug nach Chemmis” musste Hatschepsut umgestalten. Als Königin konnte sie sich nicht als „Horus auf dem Thron” legitimieren, weshalb sie den Prozessionszug zum Hathor-Schrein ziehen ließ und sich „Kind der Hathor” nannte.

Das „Talfest” gehörte zu den kalendarisch festgelegten „Erneuerungsfesten”, die für die jeweiligen Könige ausgerichtet wurden, um die Funktion des Königs als Stellvertreter der Gottheit „Amun-Re” zu bestätigen. Im Rahmen der Feierlichkeiten des Talfestes fand eine Prozessionsfahrt nach Deir el-Bahari statt. Thutmosis III. verlegte das Fest während seiner Regierungsdauer in seinen Totentempel, der zwischen den Anlagen von Mentuhotep II. und Hatschepsut lag.

Nach seinem Tod wurden die Feierlichkeiten zumeist im Bereich des Totentempels von Hatschepsut ausgerichtet. Mit Beginn der Thronbesteigung durch Amenophis IV. wurden die Feierlichkeiten während seiner Regierungszeit bis zum Nachfolger Tutanchamun ausgesetzt. Aus den Grabinschriften des Neferhotep geht hervor, dass spätestens unter Eje II. zwischenzeitlich erneut der Totentempel des Thutmosis III. Mittelpunkt der Prozessionen war.

Im Grab des Nacht, einem Beamten der 18. Dynastie, sind die privaten Festlichkeiten im Rahmen des Festes in eindrucksvoller Weise wiedergegeben und bis heute erhalten worden.[14]

Talfestdaten

Die Abhängigkeit des Talfestes vom Sothis-Mondkalender konnte zu Überschneidungen mit jenen Hauptfestterminen führen, die mit einem festen Datum an den Verwaltungskalender gekoppelt waren. Durch die seit dem Neuen Reich verfügte Datumsverlegung fiel der frühestmögliche Talfesttermin im Verwaltungskalender auf den 26. Schemu I (26. Pachon); der letztmögliche Beginn auf den 26. Schemu II (26. Payni). Bei Terminüberschneidungen wurde das jeweils jüngere Fest auf einen anderen Termin verschoben. Ramses III. vermerkte in seinem Festkalender zwei reservierte Feiertage für das Talfest:

„Was an Amun-Re, den König der Götter, als Festleistung für sein Fest des Tales geopfert wird, das in den zweiten Monat der Jahreszeit Schemu fällt. Der Neumondtag bringt es. An diesem und am nächsten Tag (nach Neumond) ruht dieser herrliche Gott im Haus der Millionen von Jahren des König Ramses III. im Bezirk von Amun.“

MHC 135 + MHC 159[15]

In der nachfolgenden Tabelle sind die Daten aufgeführt, die auf Papyri erhalten sind und den jeweiligen Königen zugewiesen werden konnten. Auffällig ist der Vermerk von Tausret: 28. Schemu II, als Amun-Re ruhte im Totentempel der Sat-Ra-meri(t)-en-Amun, König von Ober- und Unterägypten, im Tempel des Amun im Westen von Theben. Da der 28. Schemu II unmöglich den normalen Beginn des Talfestes markieren konnte, musste es sich entweder um einen dritten Feiertag oder um einen verschobenen Termin des Talfestes handeln. Unklar bleibt auch der genaue Aufenthaltsort des Amun-Re, da der Totentempel von Tausret in Theben-West zwischen den Anlagen von Thutmosis IV. und Merenptah aufgrund der kurzen Regierungsdauer nicht vollendet werden konnte.[2]

Talfest
König Quelle Ägyp. Kalender Datum[16] Anmerkungen
Ramses II. Graffito DB 32 20. Schemu II 8. April 1268 v. Chr. Regierungsjahr 12
Tausret Graffito DB 3 26. Schemu II 27. März 1191 v. Chr. Regierungsjahr 7
19. Dynastie Ostraca Cairo 25538 23. Schemu II ? Rückkehr Amuns 25. Schemu II

Festcharakter bis zur Amarnazeit

„Schönes Fest des Tales von Amun-Re” als Königsfest

Frauen werden während der Feierlichkeiten von einer Dienerin bedient (Grab des Nacht)

Die Feierlichkeiten zum „Schönen Fest des Tales von Amun-Re” stellten nach dem Opet-Fest das zweithöchste Ereignis des Jahres dar, dessen Prozession mit Teilnehmern aus der Familie des Königs, der Priester- und Beamtenschaft ein eindrucksvolles Schauspiel abgegeben haben muss und vor allem auf die Zeitgenossen sehr nachhaltig wirkte.

Der mit Galaschurz und Kompositkrone besonders festlich bekleidete König lud den Reichsgott Amun-Re zur Fahrt auf die Westseite des Nils ein. Priester in ihren weißen Gewändern brachten eine Barke mit der Statue des Amun-Re, die in einem geschlossenen Schrein aus Holz auf einem Sockel stand, vom Karnak-Tempel über den Prozessionsweg bis zum Nilufer. In Begleitung von weiteren Barken und Schiffen der Götter Mut und Chons erfolgte der Transport der geheiligten Statuen von der Ostseite zur Westseite des Nils. Mittels der eigenen göttlichen „Amunsbarke“, ab dem Neuen Reich „Userhat Amun“ genannt, wurde die Statue im Schlepptau der Königsbarke gezogen und übergesetzt. Erhalten sind keine dieser Prunkbarken, doch sind sie aus Darstellungen bekannt. Sie waren aus edlem Holz gefertigt und mit Gold und Silber verziert.

Auf der Westseite befanden sich mehrere bedeutende Totentempel, beispielsweise von Sethos I., Mentuhotep II. und Amenophis III., sowie das Tal der Könige und das Tal der Königinnen als wichtige Begräbnisstätten. Über mehrere Kanäle ging es an der Westseite angelangt bis zum Kai des königlichen Gedächtnistempels. Aus dem Festkalender von Medinet Habu ist bekannt, dass die Statue von Amun-Re nur in den Nächten des zweitägigen Festes zwischen brennenden Fackeln im Allerheiligsten des königlichen Gedächtnistempels ruhte. Die Fackeln standen fest verankert in vier künstlichen Steinteichen.[17] Nach der Nachtwache löschte die Priesterschaft die Fackeln rituell mit frisch gemolkener Milch.

Von dort führte der erste Weg in einer feierlichen Prozession in den Talkessel von Deir el-Bahari und danach zu mehreren königlichen Gedächtnistempeln. Teilweise von Beamten getragen, die sich später rühmten, in der Weise als Träger ausgezeichnet worden zu sein, teilweise auf Kufen über den Sand gezogen, wurde die Amunsbarke in Westtheben transportiert.[18] Danach kam man zum Ramesseum, wo der Gott Amun-Re verehrt wurde. Hier wurden die Statuen ins Allerheiligste des Tempels gebracht. Auch die Schutzgötter der Toten, ganz besonders der vergöttlichte Pharao Amenhotep I. wurden hier angebetet. Er war der Gott der Nekropolenarbeiter, die auf der Westseite in Deir el-Medina lebten. Hier fanden die offiziellen Feierlichkeiten mit großen Opfern durch den König und die Priester statt. Die Funktion der Gedächtnistempel umschrieb Amenophis III.:

„Die Totentempel gelten als Ruhestätte des Amun-Re, seine Schönheit zu heben, der Ruheplatz des Götterkönigs an seinem Fest des Tales in der Wüste, wenn er zum Westen fährt, die Götter des Westens zu sehen.“

Weihinschrift des Amenophis III. [17]

Die Totentempel der Könige fungierten während des Talfestes als Stationskapellen. Nur einmal jährlich kehrte Amun-Re während der Talfestprozessionen in die innersten Räume ein; später galt dies entsprechend für die mitreisenden Götter. Die Opfergaben waren für verstorbene Könige bestimmt. Nach der Vorstellung der Ägypter kamen nicht nur die Lebenden, selbst die Toten sollen zum Fest herbeigeeilt sein, um Amun-Re zu sehen. Geopfert wurden Tiere, Weihrauch, Myrrhe und riesige Sträuße aus Lotosblumen, Papyros und anderen Blumen.[11]

„Fest im Grabe” als Tanz- und Trinkfest

Feierlichkeiten zum „Schönen Fest vom Wüstental“, dargestellt im Grab des Nacht

Während der offiziellen Feierlichkeiten standen alle Menschen, die Verwandte in Westtheben bestattet hatten, bereits an den Gräbern ihrer Vorfahren, um dort zu opfern und zu feiern. Vom Berghang konnten sie die Prozessionen gut beobachten. Nach der Barkenfahrt des Amun stiegen Priesterabordnungen den Berghang hinauf, begleitet von den Chören, die vorher Amuns Überqueren des Nils besungen hatten.

Gemeinsam zogen sie durch die Gräberstadt und begrüßten die dort Anwesenden und überreichten Blumenstäuße als Zeichen von Liebe, Dank und Gunst der Gottheit Amun. Die großen, zum Teil mannshohen, Blumensträuße waren schon ein Blickfang während der Prozession. Sie galten als Inbegriff des Lebens, das auf diese Weise in die Totenstadt getragen wurde. Etwa zur gleichen Zeit trafen gemietete Musiker ein, die nun zum Tanz aufspielten. Die Festlichkeiten begannen am Morgen des ersten Tages und dauerten die Nacht hindurch bis zum Sonnenaufgang des zweiten Festtages, um Amun-Re zu symbolisch zu begrüßen. Zuvor wurde musiziert, gegessen und getrunken. Gesungen wurde von Lebensfreude sowie das Lob der Götter Amun und Hathor.

Die Feier zeigte deutliche Merkmale eines Trinkgelages. Die mit dem Fest verbundene Trunkenheit gehörte wie selbstverständlich dazu. Aus bereitgestellten Fässern füllten die Ägypter immer wieder den Wein in kleinere Krüge, aus denen in Becher und Schalen unentwegt eingegossen wurde. Die Gäste des Grabes sind auf Abbildungen entweder beim Schlürfen des Trunks oder in vollen Zügen trinkend zu sehen. Die ungehemmten Trinkfreuden endeten zumeist in der finalen alkoholisierten Bewusstlosigkeit, die ebenfalls Inhalt der Grabdarstellungen war. Als mythologischer Hintergrund diente die Vorstellung, im Reich der Toten Lebensfreude und Genuss bis zur Grenze des Möglichen zu steigern. Ohne Lärm, Tanz und Ausgelassenheit war diese Form des Feierns nicht möglich. Das Leitmotiv lautete entsprechend: „Trinke und feiere den schönen Tag”.[3] Ein typisches Beispiel der Trinkfreuden stellt der Spruch einer Tochter des Grabherrn auf einem Schrein dar:

„Deinem Ka, trinke den schönen Rauschtrunk, feiere einen schönen Tag mit dem, was dir dein Herr (Amun-Re) gegeben hat, der Gott, der dich liebt. Großer, der den Wein liebt, der für Myrrhen gelobt ist, du hörst nicht auf, dein Herz zu erfrischen in deinem schönen Haus.“

Theben, Grab 21[4]

Der Festbestandteil der Trunkenheit ist hauptsächlich auf die Wesenszüge der Göttin Hathor zurückzuführen, da sie als „Herrin der Wüstenberge“ und „Herrin der Trunkenheit“ angesehen wurde. Im „Mythos von der Himmelskuh“ konnte die Vernichtung der Menschheit durch Hathor als Auge des Re nur durch die List „Besänftigung durch Verabreichung eines Mischtrunks“ verhindert werden. Für Theben wird ausdrücklich der Monat des Talfestes für diesen Anlass angegeben. Im Kalender des Eingangsbereiches vom Mut-Tempel in Karnak heißt es: „Man flutet für sie das rote Bier zu jener Zeit des Talfestes, [...] um ihr Herz in ihrem Groll zu besänftigen“. Vermutlich wurden in den Tempeln ähnliche Riten vollzogen, um den Besuch des Amun bei Hathor und die Freuden des folgenden Trinkgelages zu feiern.[3]

„Zug nach Chemmis”

In den Pyramidentexten wird Chemmis als der Geburtsort von Horus genannt. Unter Bezugnahme auf den verstorbenen König ist zu lesen: „Deine Mutter Isis hat dich in Chemmis geboren, du empfängst deine Hände, welche dem Nordwind gehören”. Weitere Berichte sind den Sargtexten zu entnehmen: „Oh ihr Menschen, sehet diesen König, den Sohn der Isis. Er wurde in Buto empfangen und in Chemmis geboren”. Den Hintergrund bildete die mythologische Vorstellung, dass sich der junge Horus am geheimen Ort Chemmis aufhielt, um verborgen vor Seth von Isis zum Mann heranzuwachsen.

Hatschepsut sieht sich in den Inschriften der Hathor-Kapelle von Deir el-Bahari als „Hathor-Kind”, das von Isis geschützt wurde: „Ich bin durch die Sümpfe gezogen und habe mich niedergelassen in Chemmis als Schutz.” Als erwachsener Thronfolger und Erbe zieht der neue König von Chemmis schließlich aus, um seinen Vater zu schützen und zu rächen.

Nach Hatschepsuts Ernennung wird der mythologische Begriff „Horus in Chemmis” häufig in königlichen Inschriften als Rechtmäßigkeit des Regierungsanspruchs auf den „Horusthron der Lebenden” verwendet: „Seine Majestät war noch ein Knabe wie der kindliche Horus in Chemmis, indem seine Schönheit war wie die dessen, der seinen Vater schützt”.

Amarna und die Zeit danach

Aton als alleiniger Gott des Lebens

Unter Echnaton endeten durch Einführung seines Aton-Kultes die Feierlichkeiten des Talfestes bis zu seinem Tod. Die Amarna-Zeit hatte direkten Einfluss auf den späteren Festcharakter. Hervorzuheben ist jedoch der Hinweis, dass die Lehre des Echnaton keine ideologischen Änderungen für die Talfeste nach der Amarnazeit brachte, sondern nur auf das äußere Erscheinungsbild einwirkte.[19]

Amarnazeit

Durch die Erhebung von Aton zur einzigen lebensspenden Gottheit fanden die Vorstellungen eines Weiterleben nach dem Tod in der Duat ein jähes Ende. Echnaton konnte in seiner Theologie keine Antwort darauf geben, was den Toten nach dem Ableben widerfährt. Dieser Bruch mit dem bisherigen Glauben stellte die Geburtsstunde der Harfnerlieder dar, die inhaltlich Rückgriff auf das Mittlere Reich nahmen und damalig vereinzelte Gedanken über den Tod in einem neuen poetischen Rahmen ausschmückten.[19]

Das Harfnerlied des Antef gilt als klassisches Vorbild für alle späteren Harfnerliedfassungen, die als Variationen dieses Liedes zentralen Eingang in den Totenglauben fanden. Das Harfnerlied des Antef stammt aus dem Amarnagrab des Pa-Atonemheb und nimmt Bezug auf den Sinn des Lebens:

Blinder singender Harfner bei den Feierlichkeiten (Grab des Nacht)

„Die da Häuser bauten, ihre Stätte ist nicht mehr. Was ist mit ihnen geschehen? Ich habe die Worte des Imhotep und des Hordedef gehört, deren Sprüche in aller Munde sind. Wo sind ihre Stätten? Ihre Mauern sind zerfallen, sie haben keinen Ort mehr, als wären sie nie gewesen. Keiner kommt von dort, von ihrem Ergehen zu berichten und unser Herz zu beruhigen. Du aber erfreu dein Herz. Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen. Kleide dich in weißes Leinen und vermehre deine Schönheit, lass dein Herz dessen nicht müde werden. Kränke dein Herz nicht, bis jener Tag der Totenklage kommt. Feiere den schönen Tag, werde dessen nicht müde. Refrain: Bedenke, niemand nimmt mit sich, woran er gehangen; niemand kehrt wieder, der einmal gegangen.“

Auszüge aus dem Harfnerlied des Antef[20]

Die Zeit nach Amarna

Unter Haremhab und den Königen der 19. Dynastie erfolgte die Renaissance des Talfestes. Auch wenn der Atonkult verschwand, so blieb doch seine Botschaft der Offenheit und das Zeigen der Wirklichkeit im Gedächtnis der Ägypter. Vor Echnaton war es im Amun-Re-Kult üblich, sich über den Tod nur in persönlichen Zwiegesprächen Gedanken zu machen. Im Talfest bestimmte jedoch der Osirismythos die Inhalte. Die Amarnazeit bewirkte daher eine Umkehr der früheren Verhältnisse: Horus und Osiris traten thematisch in den Hintergrund, während Isis, Hathor und Nephthys als klagende Mütter ob der Toten dem Talfest nun eine eher traurige Stimmung verliehen. Die ehemalig gelebte Sorglosigkeit des Horus wich der Isisklage.

In den Gräbern der Zeit nach Ramses IV. ist an den Darstellungen zu erkennen, dass sich der Charakter des Talfestes merklich änderte. Der Niedergang und das damit verbundene Chaos der auslaufenden 20. Dynastie sorgten für eine thematische Überbetonung der Isisklage. Die Ägypter glaubten, die frühere Stabilität ihres Landes mit besonderer Frömmigkeit wiederherstellen zu können. Statt Abbildungen des Lebens schmückten in der Folge nur noch Opferszenen, Verklärungen und Unterweltsbücher die Wände. Frühere Bilder von nackten Tänzerinnen wurden in älteren Gräbern zumeist übermalt oder unkenntlich gemacht. Der Isisklage folgte nun die Opferhaltung in der Hoffnung auf bessere Zeiten.[8]

Tod von Ramses III.

Darstellung des Ramses III.

Ein Papyrus aus der Zeit von Ramses IV. schildert ausführlich einen Prozess, bei dem es um eine Palastintrige gegen Ramses III. ging. Die rückwirkenden Berichte über die Palastintrige sind entgegen der üblichen Verfahrensweise undatiert. Die Verbindung der Palastintrige mit dem Tod von Ramses III. im 32. Regierungsjahr ist in der Ägyptologie Inhalt kontroverser Diskussionen. Das Todesdatum 15. Schemu III (7. April) 1156 v. Chr.[21] ist als sicher anzusehen, da es mehrfach belegt ist. Es fiel auf den ersten Feiertag des Opferfestes für die Gottheiten Amun-Re und Hapi. Den Anlass des Festaktes, der in der Nähe seines Totentempels begangen wurde, ließ Ramses III. auf einer Stele niederschreiben: Möge Amun-Re und Hapi dafür sorgen, damit es dem Nil nicht an Wasser mangele, die Herrlichkeiten der Duat zu verbergen.[22] Einige Ägyptologen vermuteten dennoch die Feierlichkeiten des Talfestes als Zeitpunkt des Mordanschlages, da es das letzte protokollierte Fest in zeitgenössischen Quellen war.

Um einen Zusammenhang zum Talfest herstellen zu können, entwarfen James H. Breasted und Hans Goedicke die spekulative These, dass Ramses III. die Palastintrige 21 Tage schwer verletzt überlebt habe. Demnach wäre der Anschlag am 23./24. Schemu II passiert, was einen Talfesttermin um den 21. Schemu II voraussetzt. Belege oder Hinweise für diese Annahme konnten weder Breasted noch Goedicke nennen. Erik Hornung und Wolfgang Helck lehnen aufgrund der langen Zeitspanne zwischen Festbeginn und dem Tod von Ramses III. sowie wegen der fehlenden Hinweise die Theorie einer Talfest-Palastintrige im 32. Regierungsjahr ab.[23]

Rolf Krauss, der sich ebenfalls mit den verschiedenen Annahmen beschäftigte, sieht die Möglichkeit eines Talfest-Zusammenhangs nur dann gegeben, falls das einen Monat zuvor stattfindende Minfest gemeinsam mit dem Talfest verschoben wurde.[21] Das Minfest war wie das Talfest ebenfalls an den Mondkalender gebunden, weshalb eine Verschiebung unter diesen Umständen ausgeschlossen werden kann.[21] Außerdem verweist Rolf Krauss auf den Inhalt eines Graffitos aus dem siebten Regierungsjahr von Ramses III. mit den dort für den 9. Schemu III. belegten Opfergaben an Amun-Re. Da sich im altägyptischen Mondkalender nach jeweils 25 Jahren die Monddaten wiederholen, muss im 32. Regierungsjahr von Ramses III., entgegen der Annahme von Breasted und Goedicke, der 9. Schemu III. erneut als Feiertag in Verbindung der Gottheit Amun-Re Bestandteil eines Festaktes gewesen sein.

Rolf Krauss bemerkt zur erwähnten Opfergabe des 9. Schemu III, dass in jenen Angaben des siebten Regierungsjahres das Talfest nicht erwähnt wird und es sich um ein anderes Fest handeln könne.[24] Siegfried Schott sieht im 9. Schemu III (9. Epiphi) das Datum des Krönungsfestes von Amenophis I. in Deir el-Medina, das 1181 v. Chr. und 1156 v. Chr. ebenfalls an diesem Tag begann.[25]

Talfestdaten im Mondkalender zur Zeit von Ramses III.
Jahr Quelle[24] Ägyp. Kalender Datum[16]
31. Regierungsjahr Bürgerlicher Mondkalender 21. Schemu II 14. März 1157 v. Chr.
32. Regierungsjahr Bürgerlicher Mondkalender 9. Schemu II 2. März 1156 v. Chr.

Literatur

  • Jan Assmann: Tod und Jenseits im Alten Ägypten. Beck, München 2003, ISBN 3-406-49707-1
  • Wolfgang Helck: Geschichte des Alten Ägypten; Bd. 1, Abschnitt 3. Brill, Leiden 1981, ISBN 90-04-06497-4
  • Erik Hornung: Untersuchungen zur Chronologie und Geschichte des Neuen Reiches. Harrassowitz, Wiesbaden 1964
  • Rolf Krauss: Sothis- und Monddaten. Studien zur astronomischen und technischen Chronologie Altägyptens. Gerstenberg, Hildesheim 1985, ISBN 3-8067-8086-X (formal falsche ISBN)
  • Jean-Marie Kruchten: Les annales des prêtres de Karnak (XXI - XXIIImes dynasties) et autres textes contemporains relatifs à l'initiation des prêtres d'Amon. Dep. Oriëntalistiek, Leuven 1989, ISBN 90-6831-170-0, S. 245–267.
  • Siegfried Schott: Das schöne Fest vom Wüstentale: Festbräuche einer Totenstadt. Verlag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 1953
  • Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten. Verlag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz/Wiesbaden 1950
  • Abdel Ghaffar Shedid, Matthias Seidel: Das Grab des Nacht. Kunst und Geschichte eines Beamtengrabes der 18. Dynastie in Theben-West. von Zabern, Mainz 1991, ISBN 3-8053-1332-2, S. 17, 27.
  • Magdalena Stoof: Das hunderttorige Theben. Urania, Leipzig-Jena-Berlin 1986 (Reihe akzent), ISBN 3-332-00066-7, S. 77–79.
  • Martina Ullmann: Origins of Thebes as a Ritual Landscape In: Peter F. Dorman: Sacred space and sacred function in ancient Thebes: Occasional proceedings of the Theban workshop. Oriental Institute of the University of Chicago, Chicago 2007, ISBN 1-885923-46-5
  • Sylvia Wiebach: Die Begegnung von Lebenden und Toten im Rahmen des thebanischen Talfestes. In: Studien zur Altägyptischen Kultur (SAK) 13. Hamburg, 1986, S. 263-291.

Einzelnachweise

  1. a b Martina Ullmann: Origins of Thebes as a Ritual Landscape. S. 7-8.
  2. a b A. Erman, H. Grapow: Wörterbuch der ägyptischen Sprache I, S. 93, 9
  3. a b c Siegfried Schott: Das schöne Fest vom Wüstentale: Festbräuche einer Totenstadt. S. 76-77.
  4. a b Siegfried Schott: Das schöne Fest vom Wüstentale: Festbräuche einer Totenstadt. S. 125.
  5. Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten. S. 71.
  6. a b c Rolf Gundlach, Matthias Rochholz: Ägyptische Tempel - Struktur, Funktion und Programm : (Akten der Ägyptologischen Tempeltagungen in Gosen 1990 und in Mainz 1992). Gerstenberg, Hildesheim 1994, ISBN 3-8067-8131-1, S. 68 und 75.
  7. a b Siegfried Schott: Das schöne Fest vom Wüstentale: Festbräuche einer Totenstadt. S. 85.
  8. a b Wolfgang Helck: Geschichte des Alten Ägypten; Bd. 1, Abschnitt 3. S. 198-199.
  9. Wolfgang Helck: Geschichte des Alten Ägypten; Bd. 1, Abschnitt 3. S. 93-97.
  10. Herbert E. Winlock: The rise and fall of the middle kingdom in Thebes. Macmillan, New York 1947, Abbildung 40, I. und S. 79ff.; Deutsche Übersetzung: Siegfried Schott: Das schöne Fest vom Wüstentale: Festbräuche einer Totenstadt. S. 94.
  11. a b c Siegfried Schott: Das schöne Fest vom Wüstentale: Festbräuche einer Totenstadt. S. 5-7.
  12. Siegfried Schott: Das schöne Fest vom Wüstentale: Festbräuche einer Totenstadt. S. 94
  13. Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten, S. 105.
  14. Shedid/Seidel: Das Grab des Nacht. von Zabern, Mainz 1991, S. 17.
  15. Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten. S. 107.
  16. a b Umrechnung auf den heutigen gregorianischen Kalender.
  17. a b Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten, S. 70.
  18. Stoof: Das hunderttorige Theben, S. 78f.
  19. a b Jan Assmann: Tod und Jenseits im Alten Ägypten. S. 193–194.
  20. Jan Assmann: Tod und Jenseits im Alten Ägypten. S. 195–196.
  21. a b c Rolf Krauss: Sothis- und Monddaten, Gerstenberg, Hildesheim 1985, S. 143.
  22. Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten. S.109
  23. Wolfgang Helck: Geschichte des Alten Ägypten; Bd. 1, Abschnitt 3. S. 200-201.
  24. a b Rolf Krauss: Sothis- und Monddaten. Studien zur astronomischen und technischen Chronologie Altägyptens. S. 138.
  25. Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten. S. 109-110.
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