Ödipus und die Sphinx

Ödipus und die Sphinx

Ödipus und die Sphinx ist ein analytisches Drama in drei Aufzügen von Hugo von Hofmannsthal und entstand 1906. Wie Elektra und Jedermann basiert Ödipus und die Sphinx auf einem antiken Stoff.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau

Hofmannsthal nimmt in seiner Bearbeitung des Ödipus-Stoffes eine Psychologisierung der Handlung vor. Schrittweise wird der Gewissenskonflikt des Protagonisten durch einen Wechsel von Fragen und Antworten ans Licht gebracht. Die Verarbeitung von Traum-Elementen stellt dem Orakelspruch der antiken Ödipus-Tradition eine zweite, moderne Handlungsmotivation gegenüber: Ödipus handelt nicht rational und selbstbestimmt, sondern triebgesteuert und unbewusst.

Werkkontext

In Ödipus und die Sphinx wird das Motiv des bewussten Eingriffs in das Schicksal, das Hofmannsthal auch in seinem Drama Elektra thematisiert, variiert. Hofmannsthals ursprünglicher Plan, eine Ödipus-Trilogie zu schreiben, wurde nicht realisiert. Ein zweiter Teil mit dem Titel König Ödipus wurde 1910 aufgeführt.[1]

Literaturhistorischer Kontext

Der Text zählt zu den Werken der Wiener Moderne. Die Überforderung der Menschen, die rasanten gesellschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts subjektiv verarbeiten zu können, bilden das Hauptthema der Epoche. Wesentlichen Einfluss auf die Literatur der Moderne hatten Sigmund Freud und die Psychoanalyse.

Inhalt

Erster Aufzug

Ödipus erfuhr von der Priesterin in Delphi, dass ihm vorbestimmt sei, seinen eigenen Vater zu töten. Um diesem Schicksal zu entgehen, zog er sich in die Berge zurück. Das Drama setzt ein, als Ödipus auf seine Diener Phönix, Ermos und Elatos trifft. Diese versuchen ihn umzustimmen und aus seiner selbst auferlegten Verbannung zu befreien. Es entwickelt sich ein Gespräch, in dem Ödipus ungehalten und mürrisch von den Dienern fordert, nach Korinth zurückzukehren. Sie sollen seinen Ring dem König Polybos übergeben, zusammen mit der Botschaft, dass sein Sohn, Ödipus, nie wieder zurückkehren werde. Phönix, der Sprecher der Boten, weigert sich hartnäckig und verlangt von Ödipus, er möge ihn steinigen, da er den Auftrag nicht ausführen könne.

Zweiter Aufzug

Die Nachricht vom Tod des thebanischen Königs Laios löst Aufruhr aus. Das Volk sammelt sich, um zu Kreon zu ziehen, den es zum neuen König krönen will. Kreon, der Bruder der Iokaste, erfährt davon durch einen Knaben, der sich leidenschaftlich für Kreons Thronbesteigung einsetzt und sich schließlich als Beweis für seine Loyalität selbst tötet. Währenddessen macht Antiope, die Mutter des Laios, ihrer Schwiegertochter Iokaste Vorwürfe wegen ihrer scheinbaren Unfruchtbarkeit. Sie glaubt, Laios habe den Zorn der Götter auf sich gezogen, da er eine Unfruchtbare zur Frau genommen hat. Von der Existenz des Ödipus weiß Antiope nichts. Von Iokaste erfährt sie den Grund, weshalb Laios zu einer Fahrt aufgebrochen ist, von der er nun nicht mehr zurückkam. Er wollte die Sphinx, ein geheimnisvolles, männermordendes Wesen, das von den Thebanern gefürchtet wird, bezwingen. Als Antiope nicht aufhört, Iokaste ihre Kinderlosigkeit vorzuwerfen, erzählt diese von Ödipus. Dessen Verschwinden gleich nach der Geburt ist offiziell damit begründet worden, dass er tot zur Welt gekommen sei. Tatsächlich aber ist ein Bote damit beauftragt worden, ihn an einen fernen Ort zu bringen und dort zu töten. Der Bote hat ihn jedoch nur dort ausgesetzt, um das Schicksal über sein Leben entscheiden zu lassen. Er wurde gefunden und zu Polybos gebracht. Davon weiß Iokaste jedoch nichts. Vor dem Palast fordert das Volk unterdessen lautstark die Krönung Kreons. Antiope lästert Kreon und bringt das Volk gegen ihn auf, indem sie behauptet, Kreon sei schuld an Laios´ Tod. Ein Kind führt den blinden Seher Teiresias herbei. Kreon, Antiope und das Volk fordern ihn auf, sie aus ihrer Not zu befreien. Der Seher beschreibt einen königlichen Knaben, der von der Sonne beschienen aus dem Wald tritt. Seine Weissagung tritt ein. Kreon sieht seine Krönung in Gefahr und versucht das Volk von dem Glauben an einen kommenden Halbgott abzubringen. Das Volk jedoch hört nicht auf ihn, sondern nimmt Iokaste den Schwur ab, sich mit dem kommenden Herrscher zu vermählen, sofern es diesem gelinge, sie von der Sphinx zu erlösen.

Dritter Aufzug

Ödipus zieht mit Kreon los, um die Sphinx zu töten. Als ihn die Sphinx erblickt, nennt sie seinen Namen, spricht von seinen Orakelträumen und stürzt sich selbst in den Abgrund. Kreon ist von den Vorgängen entsetzt und will Ödipus nun selbst töten. Als dieser ihm den Dolch entwendet, gibt er sich als Bruder der Königin zu erkennen. Ödipus lässt ihn los und fordert ihn auf, ihn zu töten, um die drohende Erfüllung des Orakels, an das ihn die Sphinx erneut erinnert hat, doch noch zu verhindern. Doch nun wagt es Kreon nicht mehr. Stattdessen erkennt er ihn als Sieger und König von Theben an. Als Ödipus Kreon eindringlich darum bittet, ihn zu töten, ergreift dieser erneut den Dolch. Doch ein Traum lähmt seinen Arm. Entsetzt wirft Kreon den Dolch weg. In diesem Moment schlägt ein Blitz in den Baum auf der Felsenklippe ein und setzt diesen in Brand. Kreon deutet diese als göttliches Zeichen der bevorstehenden Hochzeit von Ödipus und Iokaste. Das Volk hat den brennenden Baum als Siegeszeichen gedeutet und nähert sich jubelnd. Iokaste trägt die Krone, als sie auf ihn zugeht. Ödipus trägt Iokaste den Felsen hinab, vorbei am Volk der Thebaner, das seinem neuen König huldigt.

Interpretation

Im Mittelpunkt des Dramas steht der Zerfall des Subjekts, der durch eine neurotische Übersteigerung des Selbst bewirkt wird. In der Folge ist bei dem Subjekt die Wahrnehmung seiner selbst und seiner Umgebung gestört (Ich-Dissoziation). Friedrich Nietzsche hat diesen Vorgang als dionysische Regung[2] bezeichnet, bei der die Steigerung des Subjektiven zu völliger Selbstvergessenheit führt.[3] Durch die Verzweiflung, mit der Ödipus sich gegen sein Schicksal zu stellen versucht, wird seine Persönlichkeit gestört. Ödipus verliert die Kontrolle sowohl über die Normen, die sein gesellschaftliches Umfeld an ihn heranträgt als auch über seine Triebe und wird zunehmend unfähig, sein Handeln rational zu steuern. In Abgrenzung zur bisherigen Rezeption in der Literaturwissenschaft hinterfragt Torsten Zeiß das Opferdenken Hofmannsthals, welches sich in Ödipus und die Sphinx wie auch in nicht-fiktiven Schriften des Dichters äußert. Unter Berufung auf den Literaturwissenschaftler und Religionsphilosophen René Girard zeichnet er nach, wie die Verherrlichung des Selbstopfers in Ödipus und die Sphinx in Hofmannsthals Begeisterung für den Ersten Weltkrieg mündet, von dem dieser sich wie viele Intellektuelle seiner Zeit eine "reinigende" Wirkung verspricht.[4]

Aufführungen

Das Drama wurde 1906 unter der Regie von Max Reinhardt in Berlin aufgeführt. Sechsundzwanzigmal wurde es gezeigt. Der Erfolg blieb jedoch mäßig.[5]

Quellen

  1. Vgl. Werner Volke: Hofmannsthal. Hg. v. Kurt Kusenberg. Reinbek bei Hamburg 1967. Nachfolgend zitiert als Volke: Hofmannsthal. S. 100 f.
  2. Vgl. Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. Oder: Griechenthum und Pessimismus. Stuttgart 1993
  3. Vgl. Volke: Hofmannsthal. S. 95
  4. Vgl. Torsten Zeiß: Priester und Opfer. Hofmannsthals Ödipus aus Sicht der Mythen-Theorie René Girards. Tectum Verlag 2011
  5. Vgl. ebd. S. 100 f.

Literatur

Ausgaben

  • Hugo von Hofmannsthal: Ödipus und die Sphinx. In: Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Dramen II. 1892-1905. Hg. v. Bernd Schoeller. Frankfurt am Main 1979. ISBN 3-596-22160-9

Sekundärtexte

  • Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. Oder: Griechenthum und Pessimismus. Stuttgart 1993 ISBN 3-15-007131-3
  • Werner Volke: Hofmannsthal. Hg. v. Kurt Kusenberg. Reinbek bei Hamburg 1967. ISBN 3-499-50127-9'
  • Torsten Zeiß: Priester und Opfer. Hofmannsthals Ödipus aus Sicht der Mythen-Theorie René Girards. Tectum Verlag 2011. ISBN 978-3-8288-2596-3

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