Bessarabiendeutscher

Bessarabiendeutscher
Das frühere Bessarabien in Europa

Die Bessarabiendeutschen sind eine deutsche Volksgruppe, die zwischen 1814 und 1940 in Bessarabien (heute unter Moldawien und Ukraine aufgeteilt) lebte. Heute sind sie bis auf wenige Einzelpersonen dort kaum noch vertreten. Sie wanderten mit etwa 9.000 Personen zwischen 1814 und 1842 aus Baden, Württemberg, dem Elsass, Bayern sowie aus einst preußischen Gebieten im heutigen Polen nach Bessarabien ein. Das Gebiet am Schwarzen Meer war damals Gouvernement des russischen Zarenreichs. In ihrer 125-jährigen Geschichte waren die Bessarabiendeutschen eine nahezu rein bäuerliche Bevölkerung. Sie stellten mit 3 % Bevölkerungsanteil eine Minderheit dar. Im Sommer 1940 wurde Bessarabien als Folge des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 von der Sowjetunion militarisch besetzt. Einer Umsiedlung ins Deutsche Reich Ende 1940 schloss sich die Volksgruppe nahezu geschlossen mit rund 93.000 Personen an.

Prominentester Vertreter dieser Volksgruppe ist der deutsche Bundespräsident Horst Köhler. Seine Eltern lebten bis zur Umsiedlung 1940 in der deutschen Kolonie Ryschkanowka in Nordbessarabien, danach übergangsweise in einem Lager im Deutschen Reich und wurden schließlich 1942 im besetzten Polen angesiedelt, wo Horst Köhler 1943 geboren wurde.

Bessarabiendeutsche Männer mit typischen Pelzmützen (Karakulmütze)

Inhaltsverzeichnis

Wappen

Wappen der Bessarabiendeutschen

Das Wappen der Bessarabiendeutschen entstand erst nach der Umsiedlung von 1940 und nach dem Zweiten Weltkrieg. Es versinnbildlicht die verlassene Heimat am Schwarzen Meer. Es ist geviert, in 1 ein schwarzer Ziehbrunnen im silbernen Feld, 2 und 3 blau-golden geteilt, in 4 ein sich bäumendes schwarzes Pferd im silbernen Feld; mittig belegt mit einem roten Zentralschild mit zwei goldenen Ähren, diese belegt mit einem goldenen lateinischen Kreuz [1].

Die Bedeutungen des Wappens sind:

  • Blau symbolisiert den blauen Himmel über der Steppe.
  • Gold steht für die goldenen Ährenfelder in der weiten Landschaft.
  • Rot ist der Flagge Rumäniens entliehen; der Staat, dem die Bessarabiendeutschen als treue Bürger verpflichtet waren.
  • Der Steppenbrunnen stellt dar, wie wichtig Trinkwasser im trockenen Klima für Menschen und Tiere war.
  • Das Kreuz ist Sinnbild für die Kirche und den ausgeprägten Glauben.
  • Die Ähren am Kreuz sind Zeichen für den Ertrag der schweren Arbeit und symbolisieren das tägliche Brot.
  • Das Pferd weist auf den treuesten Helfer des Bauern hin, mit dem er den fruchtbaren Schwarzerdeboden kultivierte.

Bessarabisches Heimatlied

Das Bessarabisches Heimatlied wurde 1922 vom Direktor der deutschen Lehrerbildungsanstalt Werner-Seminar in Sarata Albert Mauch (Text und Melodie) geschaffen. Der Text lautet:

Gott segne dich, mein Heimatland!
Ich grüß dich tausendmal,
Dich Land, wo meine Wiege stand,
Durch meiner Väter Wahl!
Du Land, an allem Gut so reich,
Ins Herz schloß ich dich ein
Ich bleib' dir in der Liebe gleich,
Im Tode bin ich dein!
So schirme, Gott, in Freud und Leid,
Du unser Heimatland!
Bewahr der Felder Fruchtbarkeit
Bis hin zum Schwarzmeerstrand!
Erhalte du uns deutsch und rein,
Send' uns ein freundlich Los,
Bis wir bei unsern Vätern ruhn
Im heimatlichen Schoß!

Herkunft

Anwerbung

Im sechsten Türkenkrieg zwischen 1806 und 1812 eroberten Truppen des russischen Zaren Alexander I. Bessarabien. In dem einst ostmoldauischen Gebiet richtete er das Gouvernement Bessarabien ein, das kleinste des Zarenreichs. Hauptstadt wurde das mittelbessarabische Kischinew (Chişinău).

Nomadisierende Tatarenstämme aus dem südlichen Landesteil von Bessarabien, dem Budschak, wurden nach der russischen Eroberung ausgewiesen oder zogen freiwillig ab. Das Gebiet war danach dünn besiedelt und weitgehend ungenutzt. Zur Kolonisierung des brachliegenden, aber fruchtbaren Landes warb Russland ab 1813 im Ausland gezielt Siedler an. Russische Untertanen waren noch bis 1861 Leibeigene. Die Angeworbenen sollten vor allem die Landwirtschaft auf dem fruchtbaren Schwarzerdeboden verbessern. Zar Alexander I. erließ am 29. November 1813 ein Manifest, in dem er deutschen Siedlern folgende Privilegien versprach, zum Teil auf ewig:

  • Landschenkung
  • Zinsloser Kredit
  • Steuerfreiheit auf 10 Jahre
  • Selbstverwaltung
  • Religionsfreiheit
  • Freiheit vom Militärdienst

Das Angebot galt den deutschen Siedlern im Wartheland, besonders bei Łódź, im Herzogtum Warschau. Daher wurden sie später als Warschauer Kolonisten bezeichnet. Sie stammten aus Preußen, Württemberg und Baden und wurden nach den Polnischen Teilungen durch Preußen angeworben. Sie hatten sich erst wenige Jahrzehnte zuvor dort niedergelassen. Der Zar war auf ihre trostlose Lage bei der Nacheile der Grande Armée aufmerksam geworden.

Die zweite Auswanderungswelle nach Bessarabien kam aus dem südwestdeutschen Raum, insbesondere aus Württemberg. Die Auswanderer wurden von Werbern der russischen Krone nach Südrussland eingeladen. Ihren Höhepunkt hatte die Auswanderung um 1817/18 nachdem 1816 das Auswanderungsverbot in Württemberg aufgehoben worden war.

Die Auswanderer waren Bewohner von deutschen Fürstentümern und Kleinstaaten, da es zu dieser Zeit kein Deutschland gab und das Heiliges Römisches Reich bereits nicht mehr existierte.

Auswanderungsgründe

Auswanderungsgründe im Herzogtum Warschau waren:

  • Politisch
  • Wirtschaftlich
    • Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation

Die Deutschen im Herzogtum Warschau hatte Preußen zur Kolonisierung des Landstrichs nach der ersten polnischen Teilung angeworben. Nach dem Frieden von Tilsit verschlechterte sich durch staatlichen Druck die Position der Siedler. Sie folgten daher bereitwillig der Anwerbung und den Versprechungen des Zaren.

Auswanderungsgründe in Südwestdeutschland waren:

  • Politisch
  • Wirtschaftlich
  • Religiös
    • Pietismus (protestantisch-reformatorische Bewegung für lebendige Glaubenserfahrung und praktische Frömmigkeit)
    • Chiliasmus (Erwartung einer tausendjährigen Gottesherrschaft auf Erden)

Auswanderung

Auswanderungswege aus dem deutschen Raum nach Bessarabien 1814 - 1842 (Karte mit den Grenzen Europas mit Stand 1999)

Aus dem Südwesten

Zwischen 1814 und 1842 wanderten aus südwestdeutschen Gebieten etwa 2.000 Familien mit insgesamt ca. 9.000 Personen nach Bessarabien in Südrussland aus. Die Auswanderung aus den Räumen Württemberg, Baden, Elsass, Pfalz und Bayern mit dem zeitlichen Höhepunkt 1817 wurde als Schwabenzug bezeichnet. Nach der Passerteilung durch deutsche Behörden traten sie ihre Reise in größeren Gruppen, sogenannten Kolonnen, an. Die Reisedauer für die etwa 2.000 km lange Strecke betrug je nach Reiseroute zwei bis sechs Monate. Viele der Auswanderer mit religiösen Emigrationsgründen schlossen sich zu sogenannten Harmonien zusammen. Die Reise verlief vorwiegend auf der Donau, wozu die Auswanderer auf dem Landweg bis Ulm zogen. Dort schifften sie sich auf Ulmer Schachteln (Ein-Weg-Schiffe) ein. Während der Schiffsfahrt erkrankten viele Auswanderer an Infektionen und verstarben. Die Fahrt führte flussabwärts bis zum Donaudelta kurz vor der Mündung ins Schwarze Meer. Eine wochenlange Quarantäne unter freiem Himmel auf einer Flussinsel vor der Stadt Ismajil (Oblast Odessa, Ukraine) forderte weitere Todesopfer. Etwa 10 - 50 % der Auswanderer sollen die Schiffsreise nicht überlebt haben.

Aus dem Nordosten

Die Zahl der deutschen Auswanderer aus Nordostdeutschland sowie aus den deutschen Ansiedlungsgebieten in Polen wird auf etwa 1.500 Familien geschätzt. Sie bevorzugten den Landweg mit Pferd und Wagen und hatten während der Reise weniger an Infektionskrankheiten zu leiden. Sie waren 1814 die ersten Deutschen in Bessarabien und wurden wegen ihrer Herkunft als Warschauer Kolonisten bezeichnet.

Kolonisationswerk unter russischer Herrschaft

Ansiedlung

Hauptsiedlungsgebiete der 150 deutschen Orte in Bessarabien

Das zaristische Russland siedelte die deutschen Auswanderer in Bessarabien planmäßig an. Sie bekamen in Südbessarabien, auf weiten, baumlosen Steppenflächen des Budschak, Flächen von insgesamt 1.500 km² zur Verfügung gestellt. Im Sprachgebrauch der Bessarabiendeutschen war es Kronland, weil es von der russischen Krone (dem Zaren) zur Verfügung gestellt wurde. In der ersten Siedlungsphase bis 1842 entstanden 24 deutsche (Mutter-) Kolonien. Die Flur- und Ansiedlungsflächen sowie der Grundriss der Siedlungen war von der russischen Ansiedlungsbehörde vorgegeben. Die so neu entstandenen Dörfer hatten alle den gleichen Siedlungsgrundriss als Straßendorf. Angelegt wurden die Siedlungen meist in einem langgestreckten Tal mit sanft ansteigenden Hügeln. Nur sehr wenige Ankömmlinge fanden im Land sogenannte Kronshäuschen vor, die vom russischen Staat (der "Krone") schon errichtet worden waren. Meist hausten sie am Anfang in selbst gegrabenen Erdhütten. Schon die Ankunft war eine Enttäuschung, denn die Auswanderer stießen in kaum besiedeltem Land auf eine Ödnis mit hohem Gras, Disteln und Unkraut. Über das weitläufige Land zogen Viehherden von moldauischen Pächtern, die die Felder der Ansiedler zerstörten.

Selbstverwaltung

Die vom Zaren bei der Anwerbung versprochene Selbstverwaltung der deutschen Ansiedler leitete eine russische Sonderverwaltung unter dem Namen Fürsorgekomitee für die Kolonisten Südrusslands (vormals: Vormundschaftskontor für die ausländischen Ansiedler in Neurussland). Es handelte sich um den Ansiedlungsstab für alle Neuansiedler, der auch die weitere Entwicklung im Schwarzmeergebiet begleitete. Der Sitz befand sich zunächst in Kischinew und ab 1833 in Odessa. Die Amtssprache der Behörde war deutsch. Ihr gehörten ein Präsident und rund 20 Mitarbeiter (Beamte, Übersetzer, Arzt, Tierarzt, Landmesser) an. Die Ansiedlung und Förderung der Siedler war gleichzeitig ein russischer Modellversuch zur Gewinnung von Erfahrungen. Diese sollten der eigenen, rückständigen Landwirtschaft in Zeiten von Leibeigenschaft zugute kommen.

Präsidenten des Fürsorgekomitees waren:

Name Amtszeit
General Ivan Insov 1818–1845
Staatsrat Eugene von Hahn 1845–1849
Baron von Rosen 1849–1853
Baron von Mestmacher 1853–1856
Islawin 1856–1858
Alexander von Hamm 1858–1866
Th. Lysander 1866–1867
Vladimir von Oettinger 1867–1871

Neben der Ansiedlung wahrte das Fürsorgekomitee die Rechte der Siedler und beaufsichtigte ihre Pflichten gegenüber der russischen Regierung. Die deutschen Ansiedler betrachteten die Einrichtung allgemein als segensreich, da sie die anfängliche Willkür der korrupten russischen Verwaltung beschränkte. Wie bei der Anwerbung versprochen unterstützte die Behörde die Siedler solange sie noch nicht voll wirtschaftsfähig waren. Es gab kleinere Geldbeträge, Lebensmittel und Materialien, wie Wagen, Pflug, Arbeitsgeräte. In der Praxis versickerten die Mittel aber in der korrupten russischen Verwaltung.

Die Kolonisten unterlagen dem bereits von Katharina der Großen 1764 eingeführten Kolonisationsgesetz, in Kriminalsachen jedoch der staatlichen Gerichtsbarkeit. Als der Zar 1870 den Kolonistenstatus aufhob, wurde das Fürsorgekomitee 1871 aufgelöst. Unterhalb des Fürsorgekomitees gab es für die rund 150 deutschen Gemeinden 17 Gebietsämter (Wolost), mit einem gewählten Gebietsvorsteher (Oberschulz), zwei Beisitzern und einem Schreiber. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Verwaltung der Brand- und Waisenkassen. Das Gericht auf dieser Ebene nannte sich Wolostgericht, das aus einem Richter und drei Beisitzern bestand.

Die Dörfer wurden vom Dorfschulz (Bürgermeister) und zwei Beisitzern verwaltet, die die männlichen Landbesitzer des Ortes für jeweils drei Jahre wählten. Neben der Einhaltung von Zucht und Ordnung hatte der Dorfschulz behördliche Verordnungen durchzusetzen und führte die Aufsicht in Erbschafts- sowie Waisensachen. Ihm standen zwei oder mehr Hilfspolizisten zur Seite, die Dorfwache und ein gesetzeskundiger Dorfschreiber.

Ortsnamensgebung

Ursprünglich wurden die Kolonien nach den Nummern der vermessenen Landstücke, wie Steppe 9, Kolonie Nr. 11, Die Zwölfte, bezeichnet. Danach gaben sich die neu gegründeten Gemeinden Namen, die sich an fremdsprachige Bezeichnungen für Geländegegebenheiten, wie Flüsse, Täler, Hügel, anlehnten. Ab 1817 verlieh das Fürsorgekomitee den neu gegründeten Dörfer so genannte Gedächtnisnamen. Diese Bezeichnungen erinnerten an die Orte von siegreichen Schlachten gegen Napoleon im Vaterländischen Krieg, wie Tarutino, Borodino, Beresina, Arzis, Brienne, Paris, Leipzig, Teplitz, Katzbach, Krasna, Wittenberg (ursprünglich Malojaroslawez). Durch die Vielfalt der Ortsnamensgebung existierten für etliche Orte mehrere Bezeichnungen.

In einer späteren Phase der deutschen Ortsgründungen ab etwa 1850 benannten die Siedler ihre Dörfer nach eigenen Hoffnungen (Hoffnungstal, Friedenstal) oder religiösen Motiven (Gnadental, Lichtental). Zahlreiche deutsche Dorfgründungen übernahmen auch Begriffe türkisch-tatarischer Herkunft, wie Albota (weißes Pferd), Basyrjamka (Salzloch), Kurudschika (trocken).

Siedlungsentwicklung

Die Lebensbedingungen der Kolonisten waren trotz der gewährten Privilegien in der Anfangszeit hart. Die ersten Behausungen waren primitive Lehmhütten oder sogar Erdlöcher mit Schilfdach. Ungewohntes Klima und Krankheiten löschten ganze Familien aus. Landplagen behinderten das Aufbauwerk [2]. Darunter fallen folgende Ereignisse: Viehseuchen (1828,29, 1834, 1847, 1859/60), Überschwemmungen, Epidemien wie Pest (1829) und Cholera (1831, 1853,1855), Missernten (1822-24, 1830, 1832-34), Starkfröste (1828), Käferplagen (1840-47) sowie Heuschrecken- und Mäuseplagen. 1827 und 1828 hatte die Bevölkerung die Lasten des Durchmarsches der russischen Armee in den russisch-türkischen Krieg zu tragen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte in den deutschen Siedlungen ein geregeltes und eigenständiges Leben auf wirtschaftlichem, kulturellem sowie religiösem Gebiet. In Verbindung mit landwirtschaftlichem Können, günstigem Klima und guten Böden setzte gemäß dem Sprichwort „Die erste Generation hat den Tod, die zweite die Not und die dritte erst das Brot“ ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. Dazu trugen auch die charakteristischen Eigenschaften der Volksgruppe, wie Fleiß, Gläubigkeit, Kinderreichtum und Sparsamkeit, bei.

Die 24 ersten Dörfer deutscher Auswanderer wurden Mutterkolonien genannt. Sie entstanden noch im Rahmen der staatlichen russischen Kolonisation. Die etwa 125 nach 1842 entstandenen Siedlungen (einschließlich Gutshöfe, Weiler) hießen Tochterkolonien. Sie waren auf private Siedlungstätigkeit der schon im Lande lebenden Bessarabiendeutschen zurückzuführen. Die 24 ersten Kolonien waren:

Bevölkerungsentwicklung

  • 1826: 9.000 Personen
  • 1862: 24.160
  • 1897: 60.000
  • 1919: 63.300
  • 1930: 81.100
  • 1940: 93.300
Siedlungsnummer Siedlung Gründung
Nr.1 Borodino 1814
Nr.2 Krasna 1814
Nr.3 Tarutino 1814
Nr.4 Klöstitz 1815
Nr.5 Kulm 1815
Nr.6 Wittenberg 1815
Nr.7 Beresina 1815
Nr.8 Leipzig 1815
Nr.9 Alt-Elft 1816
Nr.10 Paris 1816
Nr.11 Arzis 1816
Nr.12 Brienne 1816
Nr.13 Teplitz 1817
Nr.14 Katzbach 1821
Nr.15 Sarata 1822
Nr.16 Alt-Posttal 1823
Nr.17 Neu-Arzis 1824
Nr.18 Neu-Elft 1825
Nr.19 Gnadental 1830
Nr.20 Lichtental 1834
Nr.21 Dennewitz 1834
Nr.22 Friedenstal 1834
Nr.23 Plotzk 1839
Nr.24 Hoffnungstal 1842

Geografie

Das Hauptsiedlungsgebiet der Bessarabiendeutschen lag im südlichen Landesteil im steppenähnlichen Gebiet des Budschak in Südbessarabien. Es war ein flachwelliges Hügelland, das bis ins 20. Jahrhundert weitgehend baumfrei war. Die Siedler pflanzten in der Nähe ihrer Dörfer Akazienwälder und Gehölzstreifen an, um den Ackerboden gegen Wind und Erosion zu schützen. Die Dörfer lagen meist an südlich fließenden Steppenflüssen. Da sie von der Schneeschmelze in nördlich liegenden Gegenden gespeist wurde, trockneten sie im Sommer meist aus.

Landwirtschaft und Viehzucht

Beim Pflügen

Entsprechend der Anwerbung des Zaren betätigten sich anfangs nahezu alle Neuankömmlinge als Landwirte, die auf eigenem Boden wirtschafteten. Vom Staat bekam jede deutsche Familie 60 Desjatinen (etwa 65 ha) Kronland als vererbbares Ackerland. Das Siedlungsgebiet der Deutschen im südlichen Bessarabien, dem Budschak, lag im südrussischen Schwarzerdegürtel. Dessen tiefgründige, dunkle Erde zählt zu den fruchtbarsten Ackerböden, die keiner Düngung bedürfen. Die Ernte war dennoch nicht immer gesichert wegen des trockenen Steppenklimas. Hauptschädlinge für die Landwirtschaft waren der Ziesel (auch Erdhase genannt), der Feldhamster und Heuschreckenschwärme. Naturkatastrophen waren seltene Erdbeben (1940) und Überschwemmungen durch Hochwasser führende Flüsse nach der Schneeschmelze.

Die Ackerflächen wurden als Steppe bezeichnet, da die Landschaft nahezu baumfrei war. Hauptanbaukulturen waren Getreide, Mais, Hülsen- (Soja) und Ölfrüchte (Sonnenblumen). Die Hauptprodukte wurden vielfach ins nahegelegene Odessa exportiert oder in Mühlen weiterverarbeitet.

Wirtschaftlichen Erfolg brachte vor allem der Weinanbau, denn die tief wurzelnden Rebstöcke überstanden längere Trockenperioden gut. Die flachwelligen Hänge des bessarabischen Hügellandes boten günstige Anbaubedingungen. In einigen Kolonien wurde großflächig Weinanbau (siehe Weinbau in Moldawien) betrieben, was insbesondere in der Kolonie Schabo der Fall war. Der Ort, den 1822 Weinbauern aus dem Schweizer Kanton Waadt gegründet hatten, entwickelte sich schnell zu einer der führenden Winzer-Orte in Russland. Jede deutschstämmige Bauernwirtschaft baute auf dem Hofgrundstück Wein für den Eigenbedarf an. Der Selbstversorgung diente jedem Hof auch ein eigener Obst-, Gemüse- und Krautgarten.

Viehhaltung betrieben die Deutschen nur in geringem Ausmaß, denn der anfallende Dung wurde wegen der hohen Bodenfruchtbarkeit nicht benötigt. Soweit er anfiel, wurde er getrocknet und im Winter als Brennmaterial verwendet. Stärker verbreitet war die Schafhaltung, vor allem des feinwolligen Karakulschafes. Aus dem Fell ließen sich die typischen schwarzen Pelzmützen (Karakulmützen) der Männer herstellen. Die Federviehhaltung zur Selbstversorgung war auf jedem Hof eine Selbstverständlichkeit.

Im Gegensatz zur moldauischen Bevölkerung nutzten die Deutschen das Pferd statt des Ochsen als Zugtier. Schon von Jugend an und mit großer Zuneigung waren sie diesen Tieren verbunden, die sozusagen zur Familie gehörten. Gezüchtet wurde das alt-arabische Pferd, ähnlich dem arabischen Vollblüter. Bei der Umsiedlung 1940 der Bessarabiendeutschen verblieb der gesamte Pferdebestand, ausgenommen einzelne Zuchttiere, in das sowjetisch besetzte Bessarabien. Rinderzucht wurde von deutschen Siedler in geringerem Ausmaß betrieben. Anfangs wurde sie mit dem bodenständigen Steppenrind, später mit dem Roten Steppenrind aus Molotschna und ab 1918 mit dem Angler Rind durchgeführt.

Wohnweise

Typischer Ortsaufbau als Straßendorf an extrem breiter Hauptstraße, hier: Paris etwa 1940
Typischer Grundriss eines Hofgrundstückes

Die Bessarabiendeutschen waren größtenteils Landwirte und lebten in Dörfern auf ihren Bauernhöfen. Die Dorf-, Grundstücks- und Hausformen der Kolonistendörfer ähnelten sich stark. Die Bauernhöfe lagen an einer bis zu 50 m breiten, von Akazien gesäumten Straße. Gekreuzt wurde diese Straße oft nur durch eine Quer- oder Kreuzstraße im zentralen Dorfbereich, dort wo sich die Kirche oder das Bethaus mit Schule befand.

Der Aufbau einer typischen deutschen Siedlung ist anhand des Dorfes Hannowka erkennbar.

Grundstück

Die Grundstücke waren von der Fläche her sehr großzügig gestaltet, da die meisten Dörfer Straßendörfer mit nur einer Straße waren. Die Straßenfront betrug zwischen 25 bis 50 m. In die Tiefe erstreckten sich die Grundstücke 100 bis 500 m. Neben den Gebäuden gab es auf dem Grundstück Wirtschaftsflächen (Dreschplatz, Heuschober). Im hinteren Grundstücksteil war neben Gartenflächen meist ein großer Weingarten angelegt.

Gebäude

Das Hauptgebäude des Hofes war das langgestreckte eingeschossige Kolonistenhaus. Das war ein Haus mit einer 5 bis 10 m breiten Giebelfront und einer Gesamtlänge von etwa 25 m. Der Giebel lag fast immer zur Straße. Im vorderen Bereich zur Straße waren flurlose Räume (Stuben, Küche), dahinter schlossen sich Stallungen und Schuppen an. Auf vielen Höfen gab es ein kleines Gebäude, in dem in der warmen Jahreszeit gekocht und daneben auf dem Hof gegessen wurde, die Sommerküche. Darüber hinaus gab es einen separaten Keller. Baumaterial der Häuser war in Steinbrüchen gewonnener Stein oder in der Sonne getrockneter Lehmziegel. Die mit Lehm verputzen Gebäude waren mit Kalk stets weißgetüncht. Die Dächer deckte man überwiegend mit Schilfrohr, später mit Zementziegeln. Auf dem Wirtschaftshof fanden sich Stallungen, Dreschplatz sowie ein Vorrats- und Weinkeller. Im hinteren Grundstücksteil lagen Gemüse-, Obst- und Weingärten.

Neue Siedlungen

Mit der Gründung der letzten Kolonie (Hoffnungstal) 1842 stoppte der Zuzug von Auswanderern aus Deutschland und die staatliche, russische Kolonisierung endete. Danach setzte im Land eine Binnenkolonisation durch private Siedlungstätigkeit ein. Das Ackerland der 24 Mutterkolonien war infolge von Bevölkerungszuwachs knapp geworden. Die Bessarabiendeutschen kauften oder pachteten Land von russischen Großgrundbesitzern und gründeten neue Dörfer, sog. Tochterkolonien.

Zu weiteren Ortsgründungen kam es ab 1920 als Folge der rumänischen Agrarreform. Dabei wurden Großgrundbesitzer mit mehr als 100 ha Land enteignet. Ihr Land wurde an Landlose verteilt, die je 6 ha erhielten. Auf dem frei gewordenen Land gründeten sich sog. Hektardörfer.

Durch die verschiedenen Arten der Besiedlung entstanden während der Anwesenheit der Deutschen in Bessarabien zwischen 1814 und 1940 rund 150 deutsche Siedlungen und Gutshöfe.

Bessarabiendeutsche Einrichtungen

Kirche

Typisches Bethaus mit Glockenstuhl (gleichzeitig Dorfschule), hier: bessarabiendeutsche Siedlung Hannowka

Kirche und Religion prägten intensiv das Leben aller Bessarabiendeutschen, denn viele ihrer Vorfahren hatten einst ihre deutsche Heimat aus religiösen Gründen verlassen. Auch die russische Kolonialverwaltung erklärte die Religionspflichten, darunter den sonntäglichen Gottesdienstbesuch, für die Neuansiedler als verbindlich. Praktisch trug der Gebrauch von Bibel und Gesangbuch dazu bei, dass die deutsche Sprache in der Fremde erhalten blieb. Als erste Gemeinschaftseinrichtung neu gegründeter Dörfer wurde ein Gotteshaus errichtet. In 120 Gemeinden entstanden stattliche Kirchengebäude, anfangs im klassizistischen, später im neugotischen Stil für bis zu 1000 Besucher. In kleineren entstand ein Bethaus, in dem sich auch die Wohnung des Küsters und die Dorfschule befand. Den Unterhalt für Kirche, Schule, Küster und Lehrer (meist ein Küsterlehrer in Doppelfunktionen) trugen die Kolonisten. Da viele Auswanderer aus Württemberg stammten, wo der Pietismus weit verbreitet war, gab es in vielen Ansiedlungen Zusammenkünfte von Stundenleuten.

Kirchlich organisiert war die Mehrzahl der rund 150 deutschen Siedlungen in 13 Kirchspielen und drei Pfarrgemeinden evangelisch-lutherischer Konfession. Jedes Kirchspiel hatte einen Pastor, der für mehrere Kirchspieldörfer zuständig war. Daneben gab es eine reformierte Pfarrgemeinde (Schabo) und einen römisch-katholischen Kirchenbezirk mit vier Gemeinden (Balmas, Emmental, Krasna, Larga). Diese gehörten dem am 3. Juli 1848 gegründeten Bistum Cherson an, welches kurz darauf in Bistum Tiraspol umbenannt wurde.

Ein Sonderfall des religiösen Lebens der Bessarabiendeutschen war der charismatische Prediger und namhafte Vertreter der Erweckungsbewegung Ignaz Lindl, der mit seinen Anhängern 1822 die Gemeinde Sarata gegründet hatte [3]. Er übte eine starke Anziehungskraft auf die Kolonisten aus, die zu seinen sonntäglichen Predigten aus bis zu 80 km Entfernung pilgerten.

Schulunterricht und Bildungseinrichtungen

Dorfschule und Bethaus in Leipzig/Bessarabien, ca. 1940
Knaben-Lyzeum Tarutino, ca. 1965

Anfangs unterrichteten die Kolonisten ihre Kinder in ihren Bauernhäuser selbst. Später gaben von der Gemeinde angestellte (und meist schlecht entlohnte) Lehrer Unterricht in Betstuben oder Lehrerwohnungen. Er beinhaltete Lesen, Schreiben, Rechnen sowie als Hauptfach Religionsunterricht.

Die in Bessarabien typische und enge Verbindung der religiösen Einrichtung Kirche mit der politischen Einrichtung Dorfgemeinde zeigte sich auch im Schulwesen. Die Schulen unterstanden von Anfang an der Kirche, gebaut und unterhalten wurden sie von der Dorfgemeinde. Auch räumlich gab es eine Verbindung. In kleineren Gemeinden ohne Kirche gab es Bethäuser für den Gottesdienst, in denen auch der Schulunterricht stattfand. Verquickt waren Kirche und Gemeinde auch durch das Amt des Küsterlehrers. Er unterrichtete die Kinder und nahm bei Abwesenheit des Pastors auch kirchliche Handlungen vor.

Die in Sarata um 1850 entstandene Werner-Schule bildete bessarabiendeutsche Lehrer aus und ließ das Unterrichtsniveau steigen. Da die Schulkinder ausnahmslos Kinderarbeit auf den Feldern ihrer Eltern verrichteten, fand der Unterricht größtenteils nur im Winterhalbjahr statt.

Anfangs befand sich das bessarabiendeutsche Schulwesen nach dem Willen der russischen Ansiedlungsbehörde vollkommen autonom in der Hand der Kolonisten, so dass die Unterrichtssprache deutsch war. Ab etwa 1880 kam es im Rahmen von Russifizierungsbestrebungen zur Einführung von Russisch als Pflichtfach. Obwohl die Schulen formal unter russischer Staatsaufsicht standen, blieben sie unter kirchlichem deutschen Einfluss. Nach der Zugehörigkeit zu Rumänien ab 1918 kam es im Schulwesen zu erneuten Romanisierungsbestrebungen durch den Staat. Die Rumänisierung diente auch der Entrussifizierung. Der rumänische Staat eignete sich die Schulgebäude an, wandelte sie in Volksschulen um und bezahlte die Lehrer. Die deutsche Unterrichtssprache wurde mehr und mehr durch die rumänische verdrängt, ebenso die Lehrer. Deutschunterricht gab es nur noch auf freiwilliger Basis als Überstunden der Lehrer. Ausgenommen davon waren die höheren gymnasiumsähnlichen Schulen in Tarutino sowie die Werner-Schule zur Lehrerausbildung in Sarata. Ab 1937 gab es Lockerungen in der rumänischen Schulpolitik. Die deutsche Sprache wurde in der Schule wieder vermehrt eingeführt und 1939 kamen die enteigneten Schulgebäude durch königlichen Erlass in den Besitz der Gemeinden zurück.

Schulsystem:

  • Volksschulen in (fast) jedem deutschen Dorf
  • Evangelisch-deutsche Lehrerbildungsanstalt Werner in Sarata, 1844 eröffnet, benannt nach dem Stifter und Kaufmann Christian Friedrich Werner (1759-1823) aus Schorndorf, der sein Vermögen der Gemeinde vermachte. Die Schule diente der Ausbildung der deutschen Schullehrer und war die erste deutschsprachige Lehrerbildungsanstalt im Zarenreich.
  • Evangelisch-deutsches Mädchenlyzeum (Höhere Töchterschule) in Tarutino, 1878 eröffnet
  • Evangelisch-deutsches Knaben-Lyzeum in Tarutino, 1906 eröffnet
  • Bauernschule in Arzis, 1935 eröffnet

Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen war wegen der fehlenden ärztliche Versorgung bereits seit der deutschen Besiedlung Bessarabiens ab 1814 ungenügend. In den Dörfern gab es nur Hebammen und Laienmediziner, die als Feldscher bezeichnet wurden. Die häufigsten Krankheiten waren Tuberkulose, Typhus, Milzbrand, Trachom und Malaria. 1937 war die Sterblichkeit bei jungen Menschen im Vergleich mit dem Deutschen Reich überdurchschnittlich hoch. Die Säuglingssterblichkeit und die der Jugendlichen war dreimal höher, die der Kinder zwischen 1-14 Jahren sogar fünfmal höher als die im Deutschen Reich [4].

Einrichtungen:

Bankwesen

Die ersten Kreditanstalten in Bessarabien entstanden ab 1880, die bald durch die liberale Gesetzgebung des Zarenreichs aufblühten. In der rumänischen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden auf genossenschaftlicher Basis beruhende Volksbanken unter Bezeichnungen wie Cornelia, Minerva, Veritas. Diesen war mit rund 80 % der Höfe ein Großteil der Bevölkerung Bessarabiens als Genossenschaftsmitglieder angeschlossen.

Weitere Finanzvereinigungen waren Waisenkassen in deutschen Dörfern, die 1940 in nur noch acht Dörfern bestanden. Sie verwalteten das Vermögen von Waisen. Die erste Waisen- und Sparkasse wurde 1830 eingerichtet, 1869 war sie in allen bessarabiendeutschen Gebieten vorhanden.

Pressewesen

In der Zeit der Zugehörigkeit Bessarabiens zu Russland war die 1863 gegründete "Odessaer Zeitung" das meistgelesene Blatt. Nach der Zugehörigkeit zu Rumänien gründeten einige deutsche Lehrer 1919 die "Deutsche Zeitung Bessarabiens". 1935 entstand als Konkurrenzblatt das "Deutsche Volksblatt", das die Ideologie der nationalsozialistisch geprägten Erneuerungsbewegung transportierte. Als Bindeglied zu den in die USA ausgewanderten Bessarabiendeutschen wurde auch die "Dakota Freie Presse" gelesen. Als wichtiges Organ des kulturellen Zusammenhaltes der Bevölkerungsgruppe wirkte ab 1920 der bis heute jährlich erscheinende Heimatkalender.

Politik und Wirtschaft

  • Deutscher Volksrat, mit Sitz in Tarutino, gegründet 1920 als Zusammenschluss rumänischer Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit zur Wahrung ihrer Interessen (Pendant zum Romanisierungsdruck des rumänischen Staates gegenüber Minderheiten)
  • Gemeinschaftsverband, (heute Bessarabischer Gemeinschaftsverband, entstanden 1823 aus erweckten und pietistischen Kreisen (Stundisten und Brüderversammlungen).
  • Deutscher Wirtschaftsverband, mit Sitz in Tarutino, gegründet 1921 als Zusammenschluss deutscher Genossenschaften zur Aussschaltung des Zwischenhandels in Bessarabien

Kultur und Freizeit

  • Heimatmuseum in Sarata (heute Heimatmuseum der Bessarabiendeutschen in Stuttgart), gegründet 1822, etwa 700 Museumsstücke aus der Geschichte der Volksgruppe.
  • Kurort Bad Burnas zwischen dem Schwarzen Meer und dem Burnas-Liman, gegründet 1925, bis zu 18.000 Kurgäste pro Saison, Nutzung des heilschlammreichen Salz-Limans, mit mehreren Erholungsheimen für bessarabiendeutsche Kinder, Lehrer, Pfarrer.

Bedeutende Vertreter der Volksgruppe

  • Christian Friedrich Werner (1759-1823), Stifter der Werner-Schule Sarata
  • Ignaz Lindl (1774-1845), Priester und Gründer von Sarata
  • Alois Schertzinger (1787–1864), Mitgründer von Sarata
  • Johann Gottlieb Gerstenberger (1826-1900), Gutsbesitzer und Duma-Abgeordneter
  • Gottfried Schulz (1853-1916), Großgrundbesitzer und Initiator neuer deutscher Siedlungen
  • Andreas Widmer (1856-1931), Duma-Abgeordneter
  • Daniel Erdmann (1866-1942), Bürgermeister und rumänischer Parlamentsabgeordneter
  • Immanuel Wagner (1870-1946), Bürgermeister und Leiter des bessarabiendeutschen Heimatmuseums
  • Daniel Haase (1877-1939), Oberpastor evangelische Kirche
  • Karl Rüb (1896-1970), Hilfswerk-Gründer für Bessarabiendeutsche in der Bundesrepublik
  • Dr. Otto Broneske (1900-1989), Leiter Deutscher Volksrat für Bessarabien in Rumänien
  • Immanuel Baumann (1900-1974), Oberpastor evangelische Kirche
  • Edwin Kelm (*1929) Vorsitzender der Landsmannschaft der Bessarabiendeutschen
  • Arnulf Baumann (*1932) Pastor und Bundesvorsitzender des Hilfskomitee der Evangelisch-lutherischen Kirche aus Bessarabien
  • Horst Köhler (*1943), Kind bessarabiendeutscher Eltern und deutscher Bundespräsident

Verhältnis zu anderen Nationalitäten und deutschen Volksgruppen

Grafik: Ethnische Gruppen in Bessarabien 1930

Bessarabien war von jeher ein multikulturelles Gebiet, das schon immer Durchzugsgebiet für viele Völkerschaften war. Das Gebiet war einer Vielzahl von Nationalitäten bewohnt unter denen die Rumänen (Moldauer) die Mehrheit darstellten. Nach den Russen, Ukrainern, Juden und Bulgaren waren die Deutschen mit einem Bevölkerungsanteil von nur 3 % die fünftgrößte Minderheit. Weitere Minderheiten waren die Gagausen, Zigeuner (Roma), Armenier, Griechen und Albaner. Vermischungen unter den Bevölkerungsgruppen war selten, das Zusammenleben stellte sich als Parallelität dar. Es gestaltete sich in einem Mit- und Nebeneinander über Generationen hin meist friedlich und in guter Nachbarschaft. Gegenüber den übrigen Bevölkerungsgruppen hatten die Deutschen wegen ihrer typisch deutschen Tugenden (Fleiß, Ordentlichkeit, Sparsamkeit) einen wirtschaftlichen Vorsprung. Die Achtung für ihre Verlässlichkeit drückte sich dadurch aus, dass Geschäfte mit dem sprichwörtlichen deutschen Wort abgeschlossen wurden.

Die deutschen Kolonisten bewohnten überwiegend eigene Dörfer, ebenso die anderen Völkerschaften in Bessarabien. In gemischten Dörfern hielten die Deutschen an ihrer nationalen Identität fest. Die Abgrenzung hatte keine nationalsozialistischen (da noch nicht vorhanden) Ursachen oder rassistische Überlegenheitsgefühle. Entscheidender Grund war die unterschiedliche Religionszugehörigkeit. Da Kirche und Religion für die Bessarabiendeutschen identitätsstiftende Momente in der Fremde waren, gab es kaum Mischehen. Trotzdem lebten die verschiedenen Ethnien in friedlicher Kooperation nebeneinander. Die Bessarabiendeutschen beschäftigten auf ihren Höfen vielfach Moldauer, Russen, Bulgaren als Landarbeiter in der Ernte. Die Deutschen forderten ihren Hilfskräften ebenso harte Arbeit ab, wie sie selbst leisteten, bezahlten und verköstigten sie aber gut.

Umgebende deutsche Volksgruppen waren im Nordwesten die Bukowinadeutschen, im Westen die Siebenbürger Sachsen, im Süden ab der Donaumündung die Dobrudschadeutschen und im Osten ab Odessa die Schwarzmeerdeutschen. Engere Verbindungen bestanden unter den Volksgruppen nicht (außer der gemeinsamen Repräsentierung durch die Deutsche Partei in Rumänien während der Zwischenkriegszeit), jedoch herrschte eine gewisse Fluktuation in Richtung Süden durch Umzüge bei der Suche nach neuem Land.

Sprache und Mundart

In der Zarenzeit bis 1918 erlernten die Bessarabiendeutschen die russische Staatssprache. Nach dem Übergang Bessarabiens zu Rumänien 1918 musste Rumänisch als neue Staatssprache erlernt werden. Man blieb aber immer der deutschen Muttersprache treu. In den Wortschatz schlichen sich jedoch zahlreiche Fremdwörter ein, die dem dort lebenden Völkergemisch aus rumänischen, ukrainischen, russischen, bulgarischen und gagausischen Bestandteilen entlehnt wurden.

Innerhalb der deutschen Kolonisten gab es zwei unterschiedliche Mundarten, die auf ihrer unterschiedlichen Herkunft aus Deutschland beruhten. Die Sprecher wurden entweder den Schwaben oder den Kaschuben zugeordnet. Als Schwaben galten die aus Süddeutschland ausgewanderten Kolonisten. Ihre Mundart, die badische und die schwäbische waren am stärksten vertreten. Aber auch die weniger verbreitete kaschubische Mundart wurde beibehalten. Kaschubisch hatte dabei nichts mit dem slawischen Stamm der Kaschuben aus dem Danziger Raum gemein. Kaschuben war in Bessarabien eine spöttische Bezeichnung für die Warschauer Kolonisten, die aus dem Großherzogtum Warschau eingewandert waren. Sie hatten ihren plattdeutschen Dialekt beibehalten.

Ende der Kolonistenprivilegien und erneute Auswanderung

Seit der Einwanderung hatten die Siedler den privilegierten Status von Kolonisten unter Führung des Fürsorgekomitees für die Kolonisten Südrusslands inne. 1871 wurden die einst auf ewig zugesagten Privilegien zurückgenommen. Man war der Meinung, dass die Kolonisten wegen ihrer guten wirtschaftlichen Lage keiner Förderung mehr bedurften. Die Einführung des 15-jährigen (6 aktive, 9 Reservistenjahre) Militärdienstes ab 1874 und die Landknappheit führten schlagartig zu einer Auswanderung von schätzungsweise 25.000 Personen, insbesondere nach Nordamerika, Brasilien oder Argentinien. Trotz dieser Emigration aus Bessarabien war die deutschstämmige Bevölkerung von 9000 eingewanderten Personen innerhalb von 125 Jahren bis 1940 auf etwa 93.000 Personen angewachsen.

Verschärfte Russifizierungspolitik ab 1880

Ab 1880 verschärfte sich die Russifizierungspolitik im Zarenreich, dessen Ursachen im aufkommenden slawischen Nationalismus Panslawismus und in national-chauvinistischen Strömungen zu suchen waren. Von den Folgen waren alle Minderheiten im Reich betroffen, vor allem Juden durch Pogrome. Den Bessarabiendeutschen wurde mangelnde Assimilation vorgeworfen. Höhepunkt waren geplante Enteignungen und Deportationen Anfang des Ersten Weltkriegs 1915 sowie durchgeführte Schließungen deutscher Schulen. Der Ausbruch der russischen Oktoberrevolution 1917, während der sich Bessarabien vom russischen Reich absonderte, beendete die Represssion.

Rumänisches Zwischenspiel

Bessarabiens Anschluss an Rumänien

Die Bessarabiendeutschen waren seit ihrer Auswanderung aus Deutschland über 100 Jahre lang Untertanen des russischen Zaren. Zwischen 1918 und 1940 wurden sie für 22 Jahre rumänische Staatsangehörige. Dies war Folge der russischen Oktoberrevolution 1917, als auch in Bessarabien Unabhängigkeitsbestrebungen aufkamen. Unter der Bezeichnung Landesrat (Sfatul Ţării) bildete sich in der bessarabischen Hauptstadt Chişinău (russ. Kischinew) eine nationale Volksversammlung, die die Regierung übernahm. Der Landesrat erklärte 1918, wohl wegen der rumänischen Mehrheit in der Bevölkerung, den Anschluss an Rumänien. Die Bessarabiendeutschen entgingen dadurch dem Schicksal der übrigen Russlanddeutschen in der Sowjetunion, das aus sozialer Benachteiligung bis hin zur Deportation oder Zwangsarbeit bestand. Dafür schränkte der rumänische Staat teilweise die kulturelle Autonomie der Bessarabiendeutschen (wie aller Minderheiten) ein. In der Öffentlichkeit durfte nur noch Rumänisch gesprochen werden.

Nationalsozialistische Bestrebungen

Die Bessarabiendeutschen blieben, wie viele andere Volksgruppen im neu entstandenen Großrumänien nach 1918 weiterhin eine nationale Minderheit. Politisch hatten sie sich im konservativ geltenden und kirchlich ausgerichteten Deutschen Volksrat für Bessarabien organisiert. Nach über 100 Jahren in der Fremde war Anfang des 20. Jahrhunderts der Kontakt zum Mutterland Deutschland vollkommen abgebrochen. Doch mit der Machtergreifung Hitlers 1933 schwappte der Nationalsozialismus auch auf das rund 1500 km entfernte Bessarabien über. Der größte Teil der bäuerlich, kirchlich geprägten Bessarabiendeutschen blieb an den Entwicklungen in Deutschland politisch desinteressiert bis ablehnend. Unter den jüngeren Bessarabiendeutschen und den wenigen Angehörigen nicht-bäuerlicher Berufsgruppen entstand die Erneuerungsbewegung[5], die eine völkische Erweckung anstrebte, Deutschland idealisierte und antikommunistisch ausgerichtet war. Nährboden dieser Bewegung war die Diskriminierung von Minderheiten durch die rumänische Romanisierungspolitik. Die Jugend innerhalb dieser Bewegung passte sich äußerlich der Hitler-Jugend an, wendete sich (durch Besuchskontakte) kulturell dem Mutterland zu und trat bei größereren Zusammenkünften NS-ähnlich auf durch Embleme, Trachten, Heldenehrungen usw. Der radikalere Flügel der Erneuerungsbewegung übernahm aus Deutschland NS-Ideologien einschließlich dem Führerprinzip. Der gemäßigtere Flügel hielt das Vertreten der nationalsozialistischen Rassen- sowie Blut-und-Boden-Lehre im Ausland für nicht angebracht. Er strebte die politische Gleichstellung der deutschen Minderheit im rumänischen Mutterland an.

Rückkehr ins Mutterland

Umsiedlung

Bessarabiendeutscher Umsiedlertreck zieht im Herbst 1940 in Richtung eines Donauhafens
Bahntransport von Umsiedlern zum Donauhafen Galaţi, Aufnahme aus dem Bundesarchiv

Die Umsiedlung der Besssarabiendeutschen 1940 hat ihren Ursprung in Adolf Hitlers Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939. Nach dem erfolgreichen Polenfeldzug sprach er davon, dass im "Zeitalter des Nationaliätenprinzips und des Rassegedankens" eine "neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse" im Osten und Südosten Europas notwendig sei. Diese Gebiete, zu denen auch Bessarabien zählt, sah er mit "nichthaltbaren Splittern des deutschen Volkstums" gefüllt.

Nach dem Ende des deutschen Westfeldzugs mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne am 22. Juni 1940 sah die Sowjetunion den Zeitpunkt gekommen, die Rückgabe Bessarabiens nach 22 Jahren (ihrer Meinung nach widerrechtlichen) Zugehörigkeit zu Rumänien zu erreichen. Mit dem besiegten Frankreich hatte Rumänien seinen Bündnispartner verloren. Am 28. Juni 1940 besetzte die sowjetische Rote Armee überraschend das Territorium Bessarabiens. Rumänien bekam zuvor ein 48-stündiges Ultimatum zur Abtretung gestellt, dem es kampflos nachkam. Wie im Geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 verabredet, duldete das Deutsche Reich die Besetzung. Gegenüber der Sowjetunion bekundete es sein Desinteresse an der Bessarabischen Frage, aber nicht am Schicksal der etwa 94.000 dort lebenden Volksdeutschen. Hitler-Deutschland verlangte die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung gemäß dem Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag ins Deutsche Reich. Am 5. September 1940 unterzeichneten die Sowjetunion und das Deutsche Reich in Moskau einen Umsiedlungsvertrag. Er ermöglichte allen Bessarabiendeutschen die Umsiedlung nach Deutschland. Jeder Bewohner ab 14 Jahre konnte die Entscheidung darüber selbst treffen. Gründe, in die Umsiedlung einzuwilligen und sie sogar als Rettungsmaßnahme anzusehen, waren:

  • Furcht vor Rechtlosigkeit (Deportation)
  • Aufgabe des eigenen Bodens (Zwangskollektivierung)
  • Ende des deutschen kulturellen und kirchlichen Lebens
  • Einsetzende Verarmung in Bessarabien schon vor der Besetzung
  • Hoffnung auf ein materiell besseres Leben im Deutschen Reich
  • "Völkische Pflicht" zur "Rückkehr" ins "Mutterland"

Nahezu geschlossen entschied sich im September 1940 die 93.000 Personen umfassende deutsche Volksgruppe zur Umsiedlung. Zurück blieben nur etwa 1000 Deutsche (meist wegen Ehepartnern anderer Volkszugehörigkeit oder hohen Alters). Die praktische Durchführung lag bei der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi), einer SS-Organisation. [6] 600 uniformierte SS-Männer (ohne Rangabzeichen) wurden nach Bessarabien entsandt. Sie registrierten die Umsiedlungswilligen und schätzten als gemeinsam deutsch-sowjetische Umsiedlungskommission deren Vermögen zwecks späterer Entschädigung. Im September und Oktober 1940 reisten die Bessarabiendeutschen mit 30 kg Gepäck pro Person ab. Frauen und Kinder wurden auf Lkw zu den bis zu 150 km entfernten Donauhäfen mit Sammellager transportiert, die Männer folgten als Treck mit Pferdewagen. Nach kurzem Aufenthalt ging es auf Ausflugsdampfern der Donauflotte 1000 km donauaufwärts in Richtung Deutschland.

Zwischen totalitären Regimen

Die Umsiedlung war faktisch ein Rückzug aus 125 Jahre alten Siedlungsgebieten deutscher Ostsiedler. Unter dem Motto Heim ins Reich schlachtete das NS-Regime die Umsiedlung für ihre propagandistischen Zwecke aus. Der erlittene Heimatverlust von 93.000 Menschen durch die Heimkehr ins Reich wurde sogar ins Gegenteil verkehrt. Zitat:

  • Freudig lässt er (der bessarabiendeutsche Bauer) Haus und Hof zurück und kehrt mit wenig Habseligkeiten heim ins Reich. Sein sehnlichster, jahrelanger Wunsch, in deutsche Heimatgaue wieder zurückkehren zu dürfen, ist heute zur Tatsache geworden.

Ein an der Umsiedlung beteiligter SS-Mann skizzierte seine ausgewanderten Landsleute im NS-Propagandastil so:

  • In völkischer und teilweise auch in rassischer Hinsicht ist der bessarabische Bauer als gut zu bezeichnen. Er ist den Sitten und Gebräuchen sowie der Sprache und dem Dialekt seiner Väter durch ein Jahrhundert treu geblieben.

Zur Entscheidung zum Weggehen der Bessarabiendeutschen im Herbst 1940 trugen wesentlich die Maßnahmen der neuen sowjetischen Machthaber bei, wie:

  • Ablieferung eines Erntesolls
  • Schließung der deutschen Schulen
  • Beschlagnahmung von Krankenhäusern und Apotheken
  • Enteignung von Banken und Industrieunternehmen
  • Verhaftung von Gutsbesitzern und Angehörigen anderer Volksgruppen

Sowjetischen Quellen zufolge dienten die Maßnahmen im Okkupationsgebiet der Sowjetisierung und dem Kampf gegen konterrevolutionäre Tätigkeiten. Sie setzten sich auch nach dem Weggang der Deutschen fort. Ende 1940 wurden die verlassenen Ländereien neu gegründeten Sowchosen und Kolchosen zugeteilt. Im Jahre 1941 wurden ca. 30.000 Bewohner Bessarabiens als "antisowjetische Elemente" in Gulags nach Sibirien deportiert.

Lageraufenthalt und Einbürgerung

Nach ihrer Ankunft Ende 1940 im Reich wurden die Bessarabiendeutschen in rund 250 Umsiedlungslagern in Sachsen, Franken, Bayern, im Sudetenland und im damals dem Reich angeschlossenen Österreich untergebracht. Sie lebten ein bis zwei Jahre in drangvoller Enge in Schulen, Turnhallen oder Ballsälen von Gasthäusern.

Wie bei allen Rückkehrern, stand die einheimische deutsche Bevölkerung auch den Bessarabiendeutschen wegen ihrer fremdartigen Sitten und Gebräuche zunächst distanziert gegenüber. Wegen ihrer Herkunftsregion Bessarabien wurden sie anfangs für Araber gehalten und spöttisch als Bessere Araber bezeichnet. Wegen der aus ihrer Heimat mitgebrachten, schwarzen Karakulmützen nannte man sie auch Pudelmützen.

Bereits in der Anfangszeit der Rückkehr wurden wehrfähige Männer zum Militärdienst eingezogen. Männer entgingen dem Lageraufenthalt auch in der Weise, in dem sie sich freiwillig zu SS meldeten. Dort gab es Bedarf wegen ihrer Dreisprachigkeit (deutsch, rumänisch, russisch), was ihnen an der Ostfront eine Dolmetschertätigkeit bei der Verfolgung von Partisanen, Juden und Kommissaren der Roten Armee ermöglichte.

Während des Lageraufenthaltes hatten die vom Status her Volksdeutschen ein Einbürgerungsverfahren über sich ergehen lassen. Dazu gehörte eine gesundheitliche und rassisch-politische Untersuchung. Nur wer als gesund, rassisch wertvoll und politisch zuverlässig eingestuft wurde (94 Prozent), kam für die Ansiedlung als freier Bauer auf eigener Scholle in den von Hitler-Deutschland eroberten polnischen Ostgebieten infrage. Etwa 6 Prozent der Bessarabiendeutschen wurden aus verschiedenen Gründen (gesundheitliche, rassische, politische) für eine Ansiedlung im Osten nicht für wert befunden. Sie mussten in unselbständiger Funktion (Industriearbeiter) im Alt-Reich verbleiben, was viele als Schmach empfanden.

Neuansiedlung im besetzten Polen

1941/42 wurden die Bessarabiendeutschen im besetzten Polen, vor allem im Wartheland, in Danzig-Westpreußen und in geringem Ausmaß auch im Generalgouvernement neu angesiedelt. Dies geschah im Rahmen des Generalplanes Ost, einem nationalsozialistischen Siedlungsprojektes zur Germanisierung. Die deutsche Besatzungsmacht beschlagnahmte den Besitz und die Höfe polnischer Bewohner. Der Besitz wurde von deutschem Militär freigemacht durch Gewaltanwendung oder Androhung von Gewalt. Unmittelbar danach (Zitat: Manchmal waren die Betten noch warm) wurden bessarabiendeutsche Familien zu den Höfen verbracht, die sie als (vorläufige) Entschädigung für ihr verlassenes Eigentum in Bessarabien erhielten. Oft dienten die ehemaligen polnischen Besitzer auf den Höfen als Knechte. Viele der Bessarabiendeutschen, die einer strengen kirchlichen Tradition entsprangen, sahen das Unrecht bei ihrem Neuanfang im Deutschen Reich. Trotzdem nahmen sie die zugewiesenen Höfe an und wagten den Neuanfang als selbstständige Bauern nach der bitteren Zeit der Untätigkeit und Enge während ihres 1-2 jährigen Lageraufenthaltes.

Im Generalgouvernement nahe der russischen Grenze verloren zahlreiche Bessarabiendeutsche bei nächtlichen Partisanenüberfällen ihr Leben. Wahrscheinlich aus den vertriebenen Hofbesitzern hervorgegangen, holten sich Partisanen ihren Teil zurück. Auch bewaffnete Dorfschutzkommandos aus den Reihen der bessarabiendeutschen Neuansiedler unter Leitung der SS konnten die Überfälle nicht stoppen.

Flucht nach Westen

Als 1944/45 die Rote Armee und damit die Front näher rückte, war nach nur zwei Jahren das deutsche Siedlungs- und Germanisierungsprojekt im Osten gescheitert. Die Bessarabiendeutschen, wie die übrige ansässige deutsche Bevölkerung, flüchteten in Flüchtlingstrecks nach Westen in das Gebiet der späteren Bundesrepublik und der späteren DDR. Viele wurden von der heranziehenden Front überrollt und verblieben, teilweise für Jahre, in polnischen Gebieten bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland. In der sowjetisch besetzten Zone wurde eine kleinere Gruppe von Bessarabiendeutschen als „Wiedergutmachungsmaßnahme“ zum Arbeitseinsatz nach Sibirien deportiert.

Neuanfang in Deutschland

Integration

Nach der Flucht aus den östlichen Teilen des Deutschen Reichs und Polens, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu Polen kamen, waren im Nachkriegsdeutschland etwa 80.000 Deutsche aus Bessarabien angekommen. Davon befanden sich etwa 50.000 Personen im Süden der Bundesrepublik Deutschland, etwa 20.000 Personen in Norddeutschland und etwa 10.000 Menschen im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Als Neuankömmmlingen wurde Bessarabiendeutschen, wie allen Heimatvertriebenen, eine enorme Integrationsleistung abverlangt. Als Bauernvolk kannten sich die meisten Angehörigen dieser Volksgruppe nur in der Landwirtschaft aus. In Deutschland als besitzlose Flüchtlinge angekommen, gelang nur den wenigsten der Neustart als selbständige Landwirte. Daher kamen in den 1950er innerhalb der Bessarabiendeutschen in Westdeutschland Pläne auf, in großer Anzahl gemeinsam ins südamerikanische Paraguay auszuwandern. Die Pläne konnten aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden.

Die meisten Bessarabiendeutschen wandten sich beruflich nach 1945 von der Landwirtschaft ab und wurden in West- wie in Ostdeutschland zu Industriearbeitern. Ein Großteil der Volksgruppe siedelte sich in Baden-Württemberg an, von wo aus die Vorfahren einst ausgewandert waren. Die Integration der Bessarabiendeutschen in die deutsche Gesellschaft ging auf die gleiche Weise wie bei anderen Heimatvertriebenen schnell vonstatten und war in den ersten Nachkriegsjahren abgeschlossen.

Organisierung

Heimathaus der Bessarabiendeutschen in Stuttgart

Während in der DDR Vertriebenenvereine und heimatliche Vereinigungen aus politischen Gründen verboten waren, schufen sich nach dem Zweiten Weltkrieg Bessarabiendeutsche in der Bundesrepublik die Organisationen:

1960 errichtete die Landsmannschaft in Stuttgart das Heimathaus der Bessarabiendeutschen. Der Standort Stuttgart wurde gewählt, da seit 1954 eine Patenschaft zur Stadt bestand. Grund war auch die Herkunft der meisten Angehörigen der Volksgruppe aus dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs vor der Auswanderung Anfang des 19. Jahrhunderts.

2006 fusionierten die einzelnen Organisationen zum Bessarabiendeutschen Verein, die Altenpflegeeinrichtung Alexanderstift wurde jedoch aus wirtschaftlichen Gründen selbstständig.

Pietistische Kreise formierten sich in der Nachkriegszeit im Bessarabischen Gemeinschaftsverband, auch Bessarabischer Gebetsverein genannt. 1974 erfolgte die Umbenennung in Evangelischer Gemeinschaftsverband Nord-Süd.

Traditionspflege

Bauernpaar mit Kleinkind in früherer Landestracht der Bessarabiendeutschen bei einem Heimattreffen 2003 in Möckern

Heute pflegt der Bessarabiendeutsche Verein die Kultur und Tradition der Bessarabiendeutschen. Monatlich erscheint ein Mitteilungsblatt, jährlich ein Heimatkalender.

Regelmäßig finden Heimattreffen oder Jubiläumsveranstaltungen aus Anlass von Dorfgründungen (im Jahre 2004/05 zahlreiche 190-Jahr Feiern) statt. Etwa seit 2005 stiegen die Veranstaltungen und auch die Teilnehmerzahlen an, obwohl die Erlebnisgeneration des 1940 verlassenen Siedlungsgebietes größtenteils nicht mehr lebt. Bei den Treffen wird häufig das zweiversige Heimatlied der Bessarabiendeutschen, das Albert Mauch 1922 verfasste, gesungen. Es ist ein verbindendes Musikstück.

Der Kontakt zur alten Heimat war wegen des kommunistischen Regimes bis Ende der 1960er Jahre nicht möglich. Seit diesem Zeitpunkt nehmen aber Bessarabiendeutsche und ihre Nachfahren an organisierten Reisen in die Region teil. Dabei stellten sie in vielen ihrer Heimatdörfer Gedenksteine zum Andenken an die deutsche Besiedlung auf. Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 und der eingetretenen Armut führten Bessarabiendeutsche auch Hilfslieferungen für die dort lebende Bevölkerung durch.

Siehe auch

Quellen

  1. Hans Wagner in: Heimatkalender der Bessarabiendeutschen 1956 und Axel Hindemith: Bessarabiens Wappen in Jahrbuch der Bessarabiendeutschen 2008
  2. Die Deutschen Kolonisten in Bessarabien, Karl Wilhelm Kludt, Odessa, 1900
  3. Lindls Person und Wirksamkeit in: Die Deutschen Kolonisten in Bessarabien, Karl Wilhelm Kludt, Odessa, 1900
  4. Axel Hindemith: Gesundheitszustand der Bessarabiendeutschen, in: Jahrbuch der Deutschen aus Bessarabien 2005 auf Grundlage: Otto Fischer: Über die Lebensverhältnisse der Deutschen in Bessarabien im Hinblick auf eine zukünftige Aussiedlung, Wien 1939
  5. Hugo Schreiber: Die Erneuerungsbewegung in Bessarabien in: Jahrbuch der Deutschen aus Bessarabien 2008
  6. Umsiedlungsbefehl von Heinrich Himmler vom 12. Oktober 1939 als "Anordnung 21/II" (PDF-File)

Literatur

  • Immanuel Wagner: Zur Geschichte der Deutschen in Bessarabien. Heimatmuseum der Deutschen in Bessarabien. Melter, Mühlacker 1958, Stuttgart 1982 (Repr. Christian Fiess, Hrsg.)
  • Alois Leinz: Heimatbuch der Bessarabiendeutschen. 20 Jahre nach d. Umsiedlung. Hrsg. im Auftrag der Bessarabiendeutschen Landsmannschaft Rheinland-Pfalz. Wester, Andernach 1960
  • Alfred Cammann: Vom Volkstum der Deutschen aus Bessarabien. Schriftenreihe Göttinger Arbeitskreis. Würzburg 1962, H.66
  • Friedrich Fiechtner: Heimat in der Steppe. Aus dem Schrifttum der Bessarabiendeutschen ausgewählt und bearbeitet von Friedrich Fiechtner. Verein zur Förderung des Schrifttums der Deutschen aus Bessarabien, Stuttgart 1964
  • Albert Kern: Heimatbuch der Bessarabiendeutschen. Ev.-Luth. Kirche, Hannover 1964
  • Jakob Becker: Bessarabien und sein Deutschtum. Krug, Bietigheim 1966
  • Arnulf Baumann: Die Deutschen aus Bessarabien. Ev.-Luth. Kirche, Hannover 2000, ISBN 3-9807392-1-X
  • Ute Schmidt: Die Deutschen aus Bessarabien. Böhlau, Köln 2004, ISBN 3-412-05004-0
  • Andreas Siewert: Bessarabien - Spuren in die Vergangenheit, Crailsheim 2005, ISBN 3-929233-44-4
  • Cornelia Schlarb: Tradition im Wandel - Die evangelisch-lutherischen Gemeinden in Bessarabien 1814-1940, Köln, 2007, ISBN 978-3-412-18206-9
  • Ute Schmidt: Bessarabien - Deutsche Kolonisten am Schwarzen Meer, Berlin, 2008, ISBN 978-3-936168-20-4

Weblinks

Siedlungen

Umsiedlung


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