Bestreitendes Vorbringen

Bestreitendes Vorbringen

Das Vorbringen oder der Vortrag einer Prozesspartei (Parteivortrag) stellt die Gesamtheit der Behauptungen dar, die eine Partei im Prozess vorbringt. Man unterscheidet Rechtsansichten und Tatsachenvortrag. Der Vortrag von Tatsachen ist vor allem im Zivilprozess von Bedeutung. Das Zivilgericht hat den tatsächlichen Sachverhalt nicht von Amts wegen aufzuklären, sondern den Tatsachenvortrag der Parteien zugrunde zu legen (Verhandlungsgrundsatz oder Beibringungsgrundsatz) und hierüber gegebenenfalls Beweis zu erheben (vgl. näher hierzu Relationstechnik).

Inhaltsverzeichnis

Die Rechtslage im deutschen Zivilprozess

Die Zivilprozessordnung (ZPO) regelt die Erklärungs- und Vortragspflichten der Parteien näher in § 138.

Wahrheitspflicht der Parteien

Dieser enthält zunächst in § 138 Abs. 1 die Normierung der Wahrheitspflicht der Partei. (Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben). Soweit hier auch ein vollständiger Vortrag gefordert wird, meint dies nicht, dass die Partei verpflichtet wäre, alles vorzutragen, was zur Sache gehören könnte. Die Pflicht zur Vollständigkeit ist vielmehr ein Unterfall der Wahrheitspflicht und meint, dass die Erklärung der Partei nicht durch Auslassungen unwahr werden darf. Im übrigen ist unvollständiges oder unsubstantiiertes Vorbringen nur insoweit sanktioniert, als dass es regelmäßig die Aussichten der Partei, im Prozess zu obsiegen, schmälern wird.

Wahrheitspflicht des Rechtsanwalts

Der Rechtsanwalt ist zur Wahrheit im Zivilprozess verpflichtet. Er darf zugunsten seines Mandanten weder unwahre Tatsachen vortragen noch wahre Tatsachen verschweigen, sofern dies zu einer unwahren Sachverhaltsdarstellung führt. Ebenfalls untersagt ist ihm das Bestreiten wahrer Tatsachen. Seine Wahrheitspflicht ergibt sich aus seiner Stellung als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Danach ist er verpflichtet, an der Verwirklichung und Aufrechterhaltung der Rechtspflege mitzuwirken, was ihm Unwahrheiten vor Gericht wegen der Gefahr von Fehlurteilen verbietet. Wenn er gleichwohl Unwahrheiten vorträgt und die Gegenseite dadurch den Prozess verliert, haftet er dieser auf Schadensersatz. Dies ist ein Fall der sogenannten Dritthaftung, weil der Anwalt hier nicht seinem Mandanten, sondern einem Nichtmandanten (Dritten) haftet.

Erklärungspflicht

In § 138 Abs. 2 und 3 wird sodann die Erklärungspflicht jeder Partei näher dargelegt. Hierbei bestimmt Abs. 2, dass jede Partei sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären hat. Diese Erklärung kann dabei grundsätzlich dahingehen, dass das gegnerische Vorbringen entweder zugestanden oder bestritten wird.

Zugestandenes Vorbringen

Gesteht der Gegner eine Tatsachenbehauptung der anderen Partei zu, so liegt insoweit ein unstreitiger Vortrag vor. Bedeutsam ist hierbei, dass das Gericht an das unstreitige Parteivorbringen gebunden ist. Es darf über Fragen, die zwischen den Parteien eines Zivilprozesses nicht in Streit stehen, keinen Beweis erheben. Selbst wenn das Gericht aus anderen Gründen von der Unrichtigkeit des unstreitigen Vorbringens überzeugt ist, muss es dennoch seine rechtliche Würdigung an dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien ausrichten.

Die Regelungen über den unstreitigen Vortrag sind eine direkte Folge dessen, dass es im Zivilprozess gerade keine Amtsaufklärungspflicht gibt. Das Gegenteil gilt etwa im Strafprozess: Hier kommt dem Gericht nach § 244 Abs. 2 StPO eine umfassende Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung zu. Das Gericht wäre deswegen daran gehindert, ein Geständnis des Angeklagten ungeprüft seiner Verurteilung zu Grunde zu legen, weil der Sachverhalt zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft unstreitig sei.

Bestrittenes Vorbringen

Bestreitet eine Partei das Vorbringen der anderen, so ist zunächst zu prüfen, ob eine der Parteien für das jeweilige Vorbringen Beweis angeboten, also ein Beweismittel benannt hat, durch welches das bestrittene (oder: streitige) Vorbringen bewiesen werden soll. Hier kommen alle auch aus anderen Verfahrensordnungen bekannten Beweismittel, wie der Zeugenbeweis, der Beweis durch Sachverständigengutachten, gerichtlichen Augenschein oder Urkunden in Betracht. Ist zu einer für die Entscheidung erheblichen Tatsache ein Beweis angeboten worden, so muss das Gericht diesen Beweis erheben. Erachtet es nach durchgeführter Beweiserhebung das Vorbringen für bewiesen, kann und muss das Gericht dieses Vorbringen seinem Urteil auch dann zu Grunde legen, wenn die Gegenseite an ihrem Bestreiten festhält. Gelingt der Beweis nicht, oder fehlt es von vorn herein an einem Beweisangebot, so muss das Gericht fragen, welche der Parteien für den streitigen Umstand beweispflichtig wäre, und die Tatsache, dass eine Aufklärung nicht möglich war, zum Nachteil eben dieser Partei werten.

Fehlende Erklärung

§ 138 Abs. 3 bestimmt die Folge, die sich aus einem Verstoß gegen die Pflicht zur vollständigen Erklärung gemäß § 138 Abs. 2 ergibt: In diesem Falle ist nämlich das gegnerische Vorbringen wie zugestandenes Vorbringen zu behandeln. Man spricht hier von der Geständnisfiktion.

Nichtwissen

Im Rahmen des Vorbringens einer Partei können Umstände behauptet werden, welche die Gegenseite weder zugestehen möchte, noch substantiiert bestreiten kann. Ein Beispiel wäre das Vorbringen eines als Kläger auftretenden Vermieters, der zur Begründung seiner Räumungsklage ausführt, andere Mieter hätten sich über den Beklagten beschwert, weil dieser die Hausordnung nicht einhalte. Der Beklagte kann nicht wissen, ob sich andere Mieter gegenüber dem Vermieter beschwert haben. Im Rahmen seiner Wahrheitspflicht (s.o.) kann er sich also allenfalls darüber erklären, ob er die Hausordnung eingehalten hat, zu dem Verhalten der anderen Mieter aber nichts sagen. In diesem Falle kann er sich über das klägerische Vorbringen mit Nichtwissen erklären. Die Erklärung mit Nichtwissen wird allgemein als Bestreiten mit Nichtwissen bezeichnet, obschon es sich hierbei streng genommen nicht um ein Bestreiten sondern um die Angabe von Ungewissheit handelt. Allerdings sind die Rechtsfolgen der Erklärung mit Nichtwissen dieselben wie diejenigen eines Bestreitens: Der Sachverhalt, über den sich eine Partei zulässigerweise mit Nichtwissen erklärt hat, ist kein unstreitiges Vorbringen, so dass entweder Beweis erhoben werden oder nach den Regeln der Beweislast entschieden werden muss.

Für die Erklärung mit Nichtwissen bestimmt § 138 Abs. 4, dass sich eine Partei nur über solche Tatsachen mit Nichtwissen erklären darf, die weder ihre eigenen Handlungen betreffen, noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. In dem bereits erwähnten Beispiel darf sich also der im Prozess als Beklagter auftretende Mieter über die Äußerungen der anderen Mietern mit Nichtwissen erklären. Sein eigenes Verhalten muss er aber entweder zugestehen oder mit einer konkreten Behauptung (es ist unrichtig, dass der Beklagte nachts gelärmt habe, vielmehr hat er ab 22 Uhr stets vermieden, lauter als mit Zimmerlautstärke Radio zu hören oder sonst seine Mitmieter durch Lärm zu belästigen) bestreiten.

Substantiiertes Vorbringen

Die Frage, wie konkret oder substantiiert ein Vorbringen sein muss, ist im Einzelfall immer wieder umstritten. Generell gilt, dass der Vortrag einer Partei den ihm zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt nicht in allen Einzelheiten schildern muss, sondern dass es ausreichend ist, wenn die Umstände genannt sind, aus denen sich die gesetzlichen Voraussetzungen ergeben, die der erstrebten Rechtsfolge zu Grunde liegen.

Literatur

Dr. Frank Lindenberg: Wahrheitspflicht und Dritthaftung des Rechtsanwalts im Zivilverfahren, Deutscher Anwaltverlag, Bonn 2002, ISBN 3-8240-5214-8

Siehe auch

Darlegungslast, Gutachten, Relationstechnik

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