Bethe-Weizsäcker-Formel

Bethe-Weizsäcker-Formel

Die Bethe-Weizsäcker-Formel ist eine Formel zur Beschreibung der Bindungsenergie von Atomkernen nach dem Tröpfchenmodell. Der Begriff Bindungsenergie kann als Synonym zum Begriff potentielle Energie in der klassischen Physik betrachtet werden. Im sogenannten Tröpfchenmodell werden die Nukleonen wie Moleküle eines inkompressiblen geladenen Flüssigkeitströpfchens betrachtet.

Die halbempirische Formel wurde erstmals 1935 von Carl Friedrich von Weizsäcker aufgestellt.

Inhaltsverzeichnis

Formel

Bindungsenergie pro Nukleon nach der Bethe-Weizsäcker-Formel

Für einen Kern mit N Neutronen und Z Protonen und damit einer Nukleonenzahl A = N + Z ergibt sich die Bindungsenergie EB aus fünf Summanden. Dies gilt nur für Kerne mit einer Nukleonenzahl größer 30. Kleinere Kerne weisen Unregelmäßigkeiten auf, die nicht in der Bethe-Weizsäcker-Formel berücksichtigt sind.

Streng genommen müsste man auch die Bindungsenergie der Elektronen an den Atomkern beachten. Die Atommasse ist wegen der Bindungsenergie der Elektronen an den Kern stets etwas kleiner als die Summe aus der Kernmasse und den Massen der Z Elektronen. Typische Elektronenbindungsenergien liegen im Bereich von einigen keV. Im Vergleich zu den Kernbindungsenergien, die im Bereich mehrerer MeV liegen, kann die Elektronenbindungsenergie daher im Rahmen der möglichen Genauigkeit der hier behandelten Formel vernachlässigt werden.

Gesamtbindungsenergie

Die gesamte Bindungsenergie eines Atomkerns setzt sich aus fünf Beiträgen zusammen:

Tröpfchenmodell.PNG

 E_\text{Bindung} =  E_\text{Volumen} - E_\mathrm{Oberfl\ddot{a}che} - E_\text{Coulomb} - E_\mathrm{Symmetrie} \pm E_\text{Paarbildung}
 E_\text{Bindung} = a_\mathrm{V} \cdot A - a_\mathrm{O} \cdot A^{\frac{2}{3}} - a_\mathrm{C} \cdot Z \cdot (Z-1) \cdot A^{-{\frac{1}{3}}} - a_\mathrm{S} \cdot \frac{(N - Z)^2}{4 A} +  \begin{cases} + a_\mathrm{P} \cdot A^{-\frac{1}{2}} & \mathrm{f\ddot{u}r}\text{ gg-Kerne} \\ 0 & \mathrm{f\ddot{u}r}\text{ ug- und gu-Kerne} \\ - a_\mathrm{P} \cdot A^{-\frac{1}{2}} & \mathrm{f\ddot{u}r}\text{ uu-Kerne} \end{cases}

Die Addition der Anteile ergibt also die Bindungsenergie. Die Formel ist unbrauchbar für sehr leichte Atomkerne mit geringer Nukleonenzahl, für größere Kerne ist sie eine gute Näherung. Aber auch hier kann sie beispielsweise die Magischen Zahlen nicht erklären, erst das Schalenmodell liefert dafür eine Erklärung.

Die Bindungsenergie pro Nukleon ergibt sich hieraus durch Division durch die Nukleonenzahl A.

Über die Bindungsenergie lässt sich die gesamte Kernmasse m berechnen:

\, m = N m_n + Z m_p - E_B/ c^2 mit der Ruhemasse des Neutrons mn = 939,553 MeV/c² und der Ruhemasse des Protons \,m_p = 938,259 MeV/c². Mit dieser Erweiterung wird die Formel auch häufig Massenformel genannt. Die für den Kern erhaltene Masse lässt sich über die Beziehung \, E = m c^2 auch durch eine Energie ausdrücken.

Erläuterung der fünf Beiträge

Volumenanteil

Wegen der konstant angenommenen Dichte ist das Volumen proportional zur Massenzahl. Die Volumenenergie resultiert aus der gegenseitigen Anziehung der Nukleonen aufgrund der starken Kernkraft. Da diese aber äußerst kurzreichweitig ist, trägt immer nur die Wechselwirkung mit den nächsten Nachbarn eines Nukleons zur Bindung bei. Für ein von allen Seiten mit anderen Nukleonen umgebenes Nukleon, wie es in großen Kernen der Fall ist, ist somit die Bindungsenergie unabhängig von der Gesamtzahl der Nukleonen:

a_\mathrm{V} \cdot A \qquad \text{mit} \qquad a_\mathrm{V} \approx 15{,}67~\mathrm{MeV}

Oberflächenanteil

Die Nukleonen an der Oberfläche sind von weniger Nachbarn umgeben als die Nukleonen im Inneren des Kerns. Dadurch sind sie schwächer gebunden und reduzieren die Bindungsenergie. Es wird daher ein destabilisierender Term angenommen, der proportional zur Oberfläche des Kerns ist (negatives Vorzeichen). Der Oberflächenterm beschreibt das Verhältnis von Oberfläche und Volumen. Die Oberfläche einer Kugel ist proportional zu R2 und daher auch zu  V^{\frac{2}{3}} . Wegen V ~ A (siehe Volumenanteil) gilt  R^2 \sim A^{\frac{2}{3}}. V.a. bei kleinen Kernen mit wenigen Nukleonen macht sich der Oberflächenanteil stark bemerkbar. Er wird mit wachsender Nukleonenzahl immer kleiner.

- a_\mathrm{O} \cdot A^{\frac{2}{3}} \qquad \text{mit} \qquad a_\mathrm{O} \approx 17{,}23~\mathrm{MeV}

Coulomb-Anteil

Ein weiterer destabilisierender Einfluss ist die coulombsche Abstoßung der gleichnamig positiv geladenen Protonen. Diese Energie ist nach dem coulombschen Gesetz proportional zum Quadrat der elektrischen Ladung (Ladungszahl Z) und umgekehrt proportional zum Radius. Da jedes der Z Protonen nur die Abstoßung der anderen (Z − 1) Protonen hat, ist der Effekt proportional zu Z(Z − 1) und nicht zu Z2. Der Radius wiederum ist proportional zur Potenz 1 / 3 des Volumens (und damit der Masse). Je größer ein Kern wird, desto größer wird die gegenseitige Coulomb-Abstoßung der Protonen im Kern. Dies ist auch der Grund dafür, dass Atome nur bis zu einer Ordnungszahl von 82 (Blei) dauerhaft bestehen können. Durch diese Abstoßung wird die Bindungsenergie ebenfalls verringert. Daher berechnet sich der Term zu

- a_\mathrm{C} \cdot Z \cdot (Z-1) \cdot A^{-{\frac{1}{3}}} \qquad \text{mit} \qquad a_\mathrm{C} \approx 0{,}714~\mathrm{MeV}

Symmetrieanteil

Dieser Term ist quantenmechanischer Natur und sorgt für ein Gleichgewicht zwischen Neutronenzahl und Protonenzahl. Er verschwindet für N = Z und schwächt die Bindung mit zunehmender Differenz zwischen Neutronen- und Protonenzahl. Ein Ungleichgewicht zwischen der Protonenzahl Z und der Neutronenzahl N = AZ wirkt also destabilisierend auf einen Kern. Es wird daher ein Term proportional zu NZ = A − 2Z angesetzt. Da das Vorzeichen dieser Differenz keinen Einfluss haben soll, wird sie quadriert und dann, zur Kompensation des Quadrats, wieder durch A dividiert. Dies ergibt einen Term

- a_\mathrm{S} \cdot \frac{(N - Z)^2}{4  A} \qquad \text{mit} \qquad a_\mathrm{S} \approx 93{,}15~\mathrm{MeV}


Teilweise findet man in der Literatur einen Wert a_\mathrm{S} \approx 23~\mathrm{MeV}. Dort wurde die 4 aus dem Nenner mit in die Konstante eingerechnet und taucht in der Formel nicht mehr auf.

Da sowohl Neutronen als auch Protonen der Fermistatistik folgen, gilt das Pauliprinzip, wonach jeder Quantenzustand nur einfach besetzt werden kann. Der energetisch höchst besetzte Zustand definiert die Fermienergie. Die Symmetrieenergie sorgt dafür, dass Neutronen und Protonen dieselbe Fermienergie haben.

Paarungsanteil

Die bisherigen Terme werden durch einen weiteren Term ergänzt, der auf der Beobachtung beruht, dass Kerne mit geraden Protonen- und Neutronenzahlen stabiler sind als solche mit ungeraden (was erst im Schalenmodell des Atomkerns eine Erklärung findet durch Paarbildung von Nukleonen unterschiedlichen Spins). Bei ungerader Protonen- und/oder Neutronenzahl bleibt jeweils ein ungepaartes Teilchen übrig, das deshalb lockerer gebunden ist.

Kerne mit gerader Protonenzahl Z und Neutronenzahl N (gg-Kerne) sind daher besonders fest gebunden, solche mit ungeradem Z und N (uu-Kerne) besonders schwach gebunden, die restlichen Kerne (ug-Kerne) liegen dazwischen; gg-Kerne stellen die meisten stabilen Nuklide, während von den uu-Kernen nur die vier leichtesten, H-2, Li-6, B-10 und N-14, stabil sind. Der Einfluss des Effektes nimmt mit steigender Nukleonenzahl ab. Man berücksichtigt somit einen Term

+  \begin{cases} + a_\mathrm{P} \cdot A^{-\frac{1}{2}} & \mathrm{f\ddot{u}r}\text{ gg-Kerne} \\ 0 & \mathrm{f\ddot{u}r}\text{ ug- und gu-Kerne} \\ - a_\mathrm{P} \cdot A^{-\frac{1}{2}} & \mathrm{f\ddot{u}r}\text{ uu-Kerne} \end{cases} \qquad \text{mit} \qquad a_\mathrm{P} \approx 11{,}2~\mathrm{MeV}

Die angegebenen Werte für die empirischen Parameter werden aus experimentell gemessenen Kernmassen bestimmt, indem die Massenformel an die Bindungsenergien von mindestens fünf Kernen angepasst wird. Je nach Wahl dieser Kerne variieren die genauen Werte in der Literatur. Dies liegt dann daran, dass die Formeln für jeweils andere Massenbereiche optimiert wurden.

Siehe auch

Literatur

  • Weizsäcker, C. F. von: Zur Theorie der Kernmassen; in: Zeitschrift für Physik 96 (1935) 431-458

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