Bierhallenputsch

Bierhallenputsch
Unruhen auf dem Münchner Marienplatz während des Putsches

Mit dem Hitlerputsch oder Hitler-Ludendorff-Putsch versuchten Adolf Hitler, Erich Ludendorff und weitere Nationalsozialisten am 8. und 9. November 1923 in München, die Regierungsmacht an sich zu reißen.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Odeonsplatz nach dem Putsch

Auf die sozialdemokratische bayerische Regierung Eisner und die Münchner Räterepublik reagierten die „vaterländischen und nationalistischen“ Gruppen mit dem zunehmend radikaler formulierten Wunsch nach „Ordnung“ und mit deutlich verstärkten antidemokratischen Tendenzen. Hinzu kamen separatistische Ansätze. Die 1918 als Nachfolgeorganisation des bayerischen Zentrums gegründete Bayerische Volkspartei behielt sich schon 1919 eine Abtrennung Bayerns vom Reich vor. Inflation, Not und die französische Besetzung des Ruhrgebietes verstärkten dieses Vorhaben. Zum Ausbruch des Konflikts kam es, als der neue Reichskanzler Gustav Stresemann im September 1923 den „passiven Widerstand“ der Regierung Cuno abbrach. Diesen „Verrat“ nahm die bayerische Regierung unter Ministerpräsident Eugen Ritter von Knilling zum Anlass, den Ausnahmezustand in Bayern zu erklären, die Grundrechte außer Kraft zu setzen und Gustav Ritter von Kahr zum Generalstaatskommissar zu ernennen.

Gustav von Kahr versuchte gemeinsam mit Otto von Lossow und Hans Ritter von Seißer, seine republikfeindlichen Pläne in Angriff zu nehmen. Von der „bayerischen Ordnungszelle“ aus sollte in Berlin eine nationale Diktatur ausgerufen werden. Der Stellvertreter von Kahrs, Freiherr von und zu Aufseß, drückte diese Intentionen am 20. Oktober 1923 in folgenden Worten aus:

„Es heißt für uns nicht: Los von Berlin! Wir sind keine Separatisten. Es heißt für uns: Auf nach Berlin! Wir sind seit zwei Monaten von Berlin in einer unerhörten Weise belogen worden. Das ist auch nicht anders zu erwarten von dieser Judenregierung, an deren Spitze ein Matratzeningenieur [Anm.: damit ist Ebert gemeint] steht. Ich habe seinerzeit gesagt: In Berlin ist alles verebert und versaut, und ich halte das auch heute noch aufrecht.“[1]

Zum Eklat kam es am 18. Oktober. Nach einem Artikel gegen Friedrich Ebert und Hans von Seeckt, dem Chef der Heeresleitung, forderte Reichswehrminister Otto Geßler das Verbot des NSDAP-Sprachrohrs „Völkischer Beobachter“. Otto von Lossow, Kommandeur der bayerischen Reichswehrdivision, erhielt den Auftrag, dieses Verbot durchzusetzen. Dieser verweigerte jedoch die Ausführung des Befehls und wurde seines Amtes enthoben. Daraufhin unterstellte er die bayerische Division seinem alleinigen Kommando und vereidigte sie auf Bayern und seine Regierung. Damit war der offene Bruch mit dem Reich vollzogen.

Der Putsch

Stoßtrupp Hitlers (mit Hakenkreuz-Armbinden) verhaftet sozialistische Stadträte, Aufnahme aus dem Bundesarchiv
Die Feldherrnhalle – letzte Station des Putsches
Bodenplatte zum Gedenken an die getöteten Polizisten

Hitler hatte den Putsch bereits für den 29. September 1923 geplant[2], wartete dann aber die turbulenten Entwicklungen in Bayern ab. Er wollte die neue Situation ausnutzen und die bayerische Regierung zum Sturz der Reichsregierung veranlassen. Am 30. Oktober 1923 rief er im Münchner Zirkus Krone zum Aufstand auf. Eine passende Gelegenheit bot sich, als Gustav Ritter von Kahr in Anwesenheit von Lossows, von Seißers und zahlreichen Prominenten aus verschiedenen nationalistischen Lagern zur Vorbereitung seiner Putschpläne im Bürgerbräukeller am 8. November 1923 über die Ziele seiner Politik sprechen wollte. Etwa 30 Minuten nach Beginn betrat Hitler in Begleitung Hermann Görings sowie weiterer Nationalsozialisten den Saal, feuerte einen Revolverschuss in die Decke, um die Aufmerksamkeit des Auditoriums zu haben, warnte, das Versammlungslokal sei von der SA umstellt, und verkündete, die „nationale Revolution“ sei ausgebrochen. Er bat das Triumvirat und den mittlerweile herbeigeholten General der Infanterie und ehemaligen Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff in einen Nebenraum, während Göring eine Rede hielt. Unterdessen konnte Hitler von Kahr, von Lossow und von Seißer auf seine Seite bringen; Hitlers Ziel war ein sofortiger Aufstand, wozu das Triumvirat ihm seine Unterstützung zusagte. Zurück im Saal baten die drei die Anwesenden, Hitlers Staatsstreich zu unterstützen. Um 2:55 Uhr nachts widerrief Gustav von Kahr über Rundfunk seine Zusage. Die Proklamation der Putschisten lautete folgendermaßen:

„Proklamation an das deutsche Volk! Die Regierung der Novemberverbrecher in Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden. Eine provisorische deutsche National-Regierung ist gebildet worden. Diese besteht aus General Ludendorff, Adolf Hitler, General von Lossow, Oberst von Seißer.“[3]

Nach dem Vorbild der italienischen Faschisten um Benito Mussolini sollten die in Bayern stehenden Reichswehrverbände zusammen mit antidemokratischen Wehrverbänden nach Berlin marschieren und dort die Macht im Deutschen Reich übernehmen.

Am Freitagmorgen, 9. November 1923, marschierten Hitlers Anhänger[4]unter seiner und Ludendorffs Führung zur Feldherrnhalle in München, wo der Marsch durch die bayerische Bereitschaftspolizei, angeführt von Michael Freiherr von Godin, gestoppt wurde.

Dabei wurden vier Polizisten und ein Passant getötet. Sechzehn Putschisten wurden erschossen. Unter den Gewalttätern waren folgende Berufsgruppen vertreten: vier Kaufleute (darunter Klaus von Pape), drei Bankbeamte, ein Hutmacher, ein Oberkellner, ein Schlosser, ein Student, ein Diener (Kurt Neubauer), ein Rittmeister, ein Oberlandesgerichtsrat (Theodor von der Pfordten), ein Ingenieur sowie der Diplomat und Mitinitiator Max Erwin von Scheubner-Richter. Ludendorff wurde am gleichen Tag verhaftet. Hitler entkam durch Flucht mit Hilfe eines Sanitätsautos, „die wenige Jahre später von ihm selbst verbreitete Legende, er habe ein hilfloses Kind aus dem Feuer getragen, ist schon vom Ludendorff-Kreis widerlegt worden, ehe er selbst davon Abstand nahm.[5] Hitler versteckte sich in Uffing am Staffelsee im Landhaus von Ernst Hanfstaengl, wurde jedoch einige Tage später ebenfalls in Haft genommen.[6] Die NSDAP wurde im ganzen Reich verboten.

Prozess und Urteil

Hitler, rechts neben Ludendorff (Bildmitte), posiert mit weiteren Teilnehmern des Hitler-Ludendorff-Putsches vor dem Gerichtsgebäude (1924)

Hitler stand ab Frühjahr 1924 unter Hochverratsanklage vor dem Volksgericht in München. Allerdings gelang es ihm, sich im Laufe des folgenden „Hitler-Prozesses“ aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten vom Angeklagten zum Ankläger hochzustilisieren. Dabei deutete er unter anderem das Ereignis und Gedenken der Kriegsniederlage zum „eigentlichen Hochverrat“ um, und instrumentalisierte es in seinem Sinn als „Aufruf zum Putsch und Auflehnung gegen die Landesverräter“.

Mit der Begründung, dass bei einem Mann, „der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler“ und der sich durch „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen“ auszeichne, das Motiv des Verrats nicht aufrecht erhalten werden könne, wurde es vom Gericht ausdrücklich abgelehnt, Hitler als verurteilten Ausländer aus Deutschland auszuweisen, wie es § 9 des Republikschutzgesetzes zwingend vorsah. Hitler wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, mit der Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung schon nach sechs Monaten.

In der Festung Landsberg diktierte Hitler seinen damaligen Mithäftlingen Emil Maurice und Rudolf Heß Teile des ersten Bandes seines Buches Mein Kampf. Nach neun Monaten wurde Hitler Ende 1924 „wegen guter Führung“ vorzeitig, aber bedingt, aus der Haft entlassen.

In einem Gutachten war der Münchner Vize-Polizeipräsident Friedrich Tenner mit bemerkenswertem Klarblick zur folgenden, vom Gericht nicht berücksichtigten Einschätzung gelangt: „Hitler […] ist heute die Seele der ganzen völkischen Bewegung. Er wird grosse Massen […] seiner Idee der NSDAP zuführen.“

Ludendorff stand ebenfalls in München vor Gericht, wurde jedoch (aufgrund seiner „Verdienste im Ersten Weltkrieg“) freigesprochen.

Untersuchungsausschuss

Am 31. Juli 1924 setzte der Bayerische Landtag einen Untersuchungsausschuss zur „Untersuchung der Vorgänge vom 1. Mai 1923 in München und der gegen Reichs- und Landesverfassung gerichteten Bestrebungen in Bayern vom 26. September (Einsetzung des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr bis 9. November 1923)“ ein, welcher am 27. April 1928 seinen Abschlussbericht vorlegte. [7]

Trauerfeiern 1933–45

Propagandabriefmarke der Reichspost von 1935

Nach der Machtübernahme stilisierte die NS-Propaganda den Putschversuch in eine heroische Niederlage um und gedachte in aufwendig inszenierten jährlichen Totenfeiern in München der dabei Umgekommenen als „Gefallener“ und „Opfer“ (darunter Max Erwin von Scheubner-Richter) Deutschlands und der „Bewegung“.

„Aus dieser ganzen Not ist unsere Bewegung entstanden, und sie hat daher auch schwere Entschlüsse fassen müssen vom ersten Tage an. Und einer dieser Entschlüsse war der Entschluss zur Revolte vom 8./9. November 1923. Dieser Entschluss ist damals scheinbar misslungen, allein, aus den Opfern ist doch erst recht die Rettung Deutschlands gekommen. [8]

Hitler widmete diesen 16 Umgekommenen, er nennt sie Blutzeugen, den ersten Band seines Buches „Mein Kampf“. Der später von Hitler allen Beteiligten verliehene „Blutorden“ war beim Zeitpunkt der Stiftung die höchste Parteiauszeichnung der NSDAP. Die sogenannte Blutfahne wurde ab 1926 auf den Parteitagen zur mystisch überhöhten Weihe der Parteifahnen und SS-Standarten verwendet.

Am 1. März 1939 erklärte Hitler den 9. November, den Gedenktag für die Bewegung, zum staatlichen Feiertag.

Am Münchner Königsplatz wurden nach der Machtergreifung zwei Ehrentempel für die 16 getöteten Putschisten errichtet, deren sterbliche Überreste dorthin umgebettet wurden. Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurden diese Bauten gesprengt; heute sind nur noch die Sockel übrig.

An der Feldherrnhalle wurde eine Tafel angebracht, vor der ständig ein Doppelposten Ehrenwache hielt und die von den Passanten mit dem Hitlergruß zu ehren war (siehe auch: Drückebergergasse). 1945 wurde diese Tafel entfernt; seit 1993 erinnert eine andere Tafel an die vier getöteten Polizisten.

Im Rahmen der Gedenkfeiern kam es zu zwei Attentaten auf Hitler. Am 9. November 1938 durch den Schweizer Maurice Bavaud beim Gedenkmarsch zur Münchner Feldherrnhalle und am 8. November 1939 durch den Handwerker Georg Elser im Münchener Bürgerbräukeller.

Literatur

Quellen
  • Karl Dietrich Bracher (Hrsg.): Das Krisenjahr 1923: Militär und Innenpolitik 1922–1924. Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. bearbeitet von Heinz Hürten, Düsseldorf 1980, ISBN 3-7700-5110-6.
Sekundärliteratur
  • Ernst Deuerlein: Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8./9. November 1923. Eingeleitet u. hrsg. von Ernst Deuerlein. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1962 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Band 9).
  • John Dornberg: Der Hitlerputsch – 9. November 1923. 2. durchgesehene Ausgabe, Langen Müller, Münchden 1998, ISBN 3-7844-2713-8.
  • Joachim C. Fest: Hitler. Eine Biographie. Ullstein, Frankfurt a. M. 1973, ISBN 3-548-26514-6, S. 276-299.
  • Harold J. Gordon jr.: Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923–1924. Bernhard & Graefe, München 1978, ISBN 3-7637-5108-4.
  • Otto Gritschneder: Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf Hitler. Der Hitler-Putsch und die bayerische Justiz. C.H. Beck, München 1990, ISBN 3-406-34511-5.
  • Hanns Hubert Hofmann: Der Hitlerputsch. Krisenjahre deutscher Geschichte 1920–1924. Nymphenburger, München 1961.
  • Hans Mommsen: Adolf Hitler und der 9. November 1923, in: Johannes Willms (Hrsg.): Der 9. November. Fünf Essays zur deutschen Geschichte. 2. Aufl., C.H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-37447-6, S. 33–48.
  • Ernst Nolte: Die Weimarer Republik. Demokratie zwischen Lenin und Hitler. Herbig, München 2006, ISBN 3-7766-2491-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zitiert nach: Ernst Deuerlein: Der Aufstieg der NSDAP in Augenzeugenberichten, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1980, Seite 187
  2. Die Londoner Times vom 6. Dezember 1923
  3. Plakat auf vulture-bookz.de
  4. Darunter der spätere Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (1953 bis 1960) Theodor Oberländer
  5. Fest, Joachim: Hitler – Eine Biographie; Spiegel-Edition 2006/2007, S.311, ISBN 978-3-87763-031-0
  6. Anna Sigmund: Als Hitler auf der Flucht war. Süddeutsche Zeitung, Nr. 260, 8./9. November 2008; S. 21
  7. Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags von 1924 bis 1928 zum Hitler-Ludendorff-Prozess; auf Historisches Lexikon Bayerns
  8. Adolf Hitler in der Rede vom 9. November 1939 im Bürgerbräukeller; aus Philipp Bouhler: Der großdeutsche Freiheitskampf – Reden Adolf Hitlers vom 1. September 1939 bis 10. März 1940, Zentral-Verlag der NSDAP, München 1940


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