AKK-Konflikt

AKK-Konflikt

Als AKK-Konflikt bezeichnet man einen langjährigen Streit zwischen den beiden Landeshauptstädten Mainz und Wiesbaden um die rechtsrheinisch gelegenen ehemaligen Mainzer Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim (nach deren Anfangsbuchstaben AKK). Diese rechtsrheinischen Stadtteile von Mainz lagen nach dem Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Besatzungszone während Mainz in der französischen Besatzungszone lag, da der Rhein von den alliierten Siegermächten als natürliche Grenze genutzt wurde. Als Folge dieser Umstände wurden die AKK-Stadtteile 1945 verwaltungstechnisch der Stadt Wiesbaden zugeschlagen, was viele Bürger und Kommunalpolitiker nicht akzeptieren wollten. Als Folge der Zuordnung gehören die AKK-Stadtteile seit der Gründung der Bundesländer im Jahr 1946 zu Hessen, während Mainz zu Rheinland-Pfalz gehört. Die drei Stadtteile spielen bis heute eine Sonderrolle, was sich unter anderem darin zeigt, dass ihre Ortsschilder die paradox erscheinende Aufschrift „Landeshauptstadt Wiesbaden – Stadtteil Mainz-Kastel“ (bzw. „-Amöneburg“ und „-Kostheim“) tragen.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Der konkrete kommunalpolitische Konflikt um die Zugehörigkeit dieser drei Stadtteile wird überlagert von allgemeinen örtlichen Rivalitäten und Animositäten. Diese tragen – wie in vielen anderen, mehr oder weniger nah beieinander liegenden Städten auch, wie beispielsweise zwischen Frankfurt und Offenbach oder Köln und Düsseldorf - eher irrationale Züge und sind dem Bereich der Stereotype über beispielsweise „diese Wiesbadener“, „diese Mainzer“ und so weiter zuzuordnen.

Aufgrund der historischen Gegebenheiten hat der ebenfalls 1945 erfolgte Verlust dreier weiterer rechtsrheinischer Stadtteile, Bischofsheim, Ginsheim und Gustavsburg, die allerdings nicht Wiesbaden zugeschlagen wurden, sondern dem Landkreis Groß-Gerau, keine vergleichbaren Reaktionen hervorgerufen.[1] Anders als bei AKK handelt es sich bei diesen Gemeinden jedoch um Gebiete, die bis zum napoleonischen Zeitalter der überwiegend evangelischen Landgrafschaft Hessen-Darmstadt angehörten und nicht dem römisch-katholischen Kurfürstentum Mainz.

Ein Grund dafür ist sicher die sehr unterschiedlich verlaufene Stadtgeschichte – Mainz als 2000 Jahre alte Römergründung und bedeutendes kirchliches Zentrum seit dem Frühmittelalter, Fastnachtshochburg, Universitäts- und Arbeiterstadt. Dagegen Wiesbaden als elegant-mondäne Kurstadt, Dienstleistungszentrum und Millionärsresidenz, die als einstiger Emporkömmling des 19. Jahrhunderts Mainz mittlerweile nach Zahl der Einwohner überflügelt hat.

Bereits im Sommer 1945 waren die rechtsrheinischen Mainzer Vororte, darunter eben auch Amöneburg, Kastel und Kostheim (AKK-Stadtteile), von Mainz abgetrennt worden. Durch den Erlass eines amerikanischen Offiziers[2] wurden die drei AKK-Stadtteile der treuhänderischen Verwaltung durch die Stadt Wiesbaden unterstellt. Die endgültige Einteilung der Besatzungszonen (Mainz lag in der französischen Zone, Wiesbaden und AKK in der amerikanischen Zone) verfestigte die Abtrennung, bis schließlich die Proklamation Nr. 2 der amerikanischen Militärregierung vom 19. September 1945, die das Land Groß-Hessen (heutiges Land Hessen) schuf, den Status quo zementierte.[3] Mainz verlor damit seine „Brückenvorstadt“.

Besonders Amöneburg wies eine industrielle Struktur mit entsprechend hohem Steueraufkommen auf, so dass es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu parlamentarischen Anfragen, verfassungsrechtlichen Gutachten und intensiven politischen Diskussionen auf lokal- und landespolitischer Ebene kam.[4][5] Durch die Erschließung des Gewerbegebietes Petersweg in Kastel seit Ende der 1980er ist auch dort das Gewerbesteueraufkommen signifikant gestiegen, was im Kontext der Diskussion um den Grundbesitz und die notwendigen Umlegungen wiederholt für politischen Streit sorgte.

Ausprägung

Die geschichtliche Entwicklung führte zum Paradoxon, dass die heutigen Wiesbadener Stadtbezirke noch immer die Vorsilbe „Mainz-“ in ihrem Stadtteilnamen führen. Noch heute wird im Haushalt der Stadt Wiesbaden der Haushalt der Stadtbezirke Amöneburg, Kastel und Kostheim gesondert geführt.[6] Am auffälligsten ist die Situation im Bereich des Grundbesitzes, da Wiesbaden seinerzeit zwar deren Verwaltung übernahm, öffentliche Straßen, Plätze und Grundstücke in den Gemarkungen jedoch im Besitz der Stadt Mainz verblieben. Auch wenn mittlerweile in vielen Bereichen diesbezüglich eine Bereinigung stattgefunden hat, birgt diese Situation auch heute noch erhebliches Konfliktpotenzial.

Wasser beziehen Kastel und Kostheim von den Stadtwerken Mainz,[7] während Amöneburg durch die Wiesbadener ESWE Versorgung bedient wird, in den Bereichen Strom und Gas war dies bis zur Aufhebung der Gebietsmonopole und der Liberalisierung des Marktes ebenso.

Vergleichbar ist die Situation bei der Post und der Telekom: Amöneburg wird mit der Postleitzahl 65203 über das – in Kastel ansässige – Wiesbadener Briefzentrum 65 versorgt, während Kastel (55252) und Kostheim (55246) von Mainz (Briefzentrum 55 in Mainz-Hechtsheim) bedient werden. Kastel und Kostheim benutzen die Telefon-Vorwahl 06134 (wie auch Gustavsburg), Amöneburg die Wiesbadener Vorwahl 0611.

Alle drei Stadtteile werden im Busverkehr von der Mainzer Verkehrsgesellschaft bedient, sowohl durch Gemeinschaftslinien mit der ESWE Verkehrsgesellschaft (siehe auch Linie 6, 9, 28 und 33 in Nahverkehr in Wiesbaden) als auch durch die Linien 54, 55, 56, 57 und 68 der MVG, wobei letztgenannte eine Gemeinschaftslinie mit der Omnibusverkehr Rhein-Nahe GmbH ist.

Die Chemische Fabrik Kalle befindet sich auf Biebricher Gebiet, nur durch eine Werkstraße getrennt wurden die Chemischen Werke Albert in Amöneburg angesiedelt. Bei Kalle galt stets die hessische Feiertagsordnung, bei Albert dagegen die von Rheinland-Pfalz, obwohl beide im Industriepark Kalle-Albert (vorm. Hoechst AG Werk Kalle-Albert) zusammengeschlossen sind.

Bürgerbefragungen

1986 fand eine offizielle Befragung der Bürger statt, deren Auswertung zwischen den Oberbürgermeistern der Städte Mainz und Wiesbaden abgestimmt worden war. Damals votierten 37,7 Prozent der Befragten für eine Rückgliederung nach Mainz, während sich 23,6 Prozent für einen Verbleib bei Wiesbaden aussprachen. Da die nichtabgegebenen Stimmen (immerhin 34,7 Prozent der Befragten), wie zuvor festgelegt, als Stimmen für den Verbleib bei Wiesbaden gewertet wurden, ergab sich eine Mehrheit von 58,3 Prozent für den Verbleib bei Wiesbaden.

Im Jahr 2006 wurde mit 501 Befragten eine – nach Angaben der Verfasser repräsentative – Umfrage durchgeführt, die eine Mehrheit für die Rückgliederung nach Mainz ergab. Allerdings wurde auch hier deutlich, dass die Amöneburger wie bereits 1986 mehrheitlich gegen eine Änderung des Status quo sind und bei Wiesbaden verbleiben wollen. Der Auftraggeber der Umfrage ist unbekannt, sie wurde vom Mainzer Marktforschungsinstitut „forum!“ durchgeführt.

Aktuelle Entwicklung

Im März 2007 kam es erstmals zu der Situation, dass Schülern aus den AKK-Vororten die Aufnahme in weiterführende Mainzer Schulen verweigert wurde, da deren Kapazitäten erschöpft waren und das Land Rheinland-Pfalz eine entsprechende Entscheidung gefällt hatte. Aktuell verschärft sich der Konflikt, da im März 2008 erstmals alle Anmeldungen von Schülern aus AKK an staatlichen Mainzer Gymnasien abgelehnt wurden, was zu teilweise erheblichem Unmut bei den betroffenen Eltern und deren Umfeld führte.[8] Anlässlich einer Informationsveranstaltung für Eltern im Februar 2009, an der auch der Mainzer Schuldezernent teilnahm, wurde von diesem betont, dass die Eltern nicht mehr mit der Aufnahme von Kindern aus AKK in Mainz rechnen könnten.[9] Dennoch wurden im Jahr 2009 vereinzelt Kinder aus AKK im Rahmen freier Kapazitäten wieder an Mainzer Gymnasien aufgenommen, der Großteil der Anmeldungen allerdings weiterhin abgelehnt. Um diese Kinder zu den Schulen in Wiesbaden zu transportieren, wurden besondere Busverbindungen eingerichtet.[10]

Anekdoten

  • Als der Mainzer Fußball-Bundesligaclub 1. FSV Mainz 05 jüngst mit dem Gedanken spielte, ein neues Fußballstadion auf der rechten Rheinseite in Mainz-Kastel zu errichten, löste dies zunächst Proteste aus, bevor man sich wenig später damit beruhigte, dass Kastel ja eigentlich doch zu Mainz gehöre.
  • Der 1. FSV Mainz 05 hat mehrere Fanclubs auf der rechten Rheinseite – diese nennen sich beispielsweise „Falsche Rheinseite“ oder „Hessliche 05er“.
  • Es gibt einen Verein, der sich „Vereintes Mainz e.V.“ nennt und für die „Wiedervereinigung“ der Stadt Mainz kämpft.
  • Ernst Neger besang in Heile, heile Gänsje die Situation folgendermaßen:

„Wenn ich mir so mei Meenz betracht, dann denk ich in mei’m Sinn: Mer hat’s mit Meenz genau gemacht wie mit der Stadt Berlin. Man hat’s zerstört, hat’s zweigeteilt. Und trotzdem hab ich Mut, zu glaawe, des des alles heilt. Aach des werd widder gut. Meenz und Berlin, Ihr seid so schön. Ihr könnt, Ihr derft net unnergeh‘n … Heile, Heile, Gänsje …“

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kurzer Blick in die Geschichte der Gemeinde. Heimat- und Verkehrsverein Ginsheim-Gustavsburg 2004 Heimat- und Verkehrsverein Ginsheim-Gustavsburg: Kurzer Blick in die Geschichte der Gemeinde
  2. Wolfgang Damberg: ... damit du aus allen Wolken fällst. Ein Bericht über den Versuch, Mainz und Wiesbaden zu vereinigen 2000 Paperback mit Goldschnitt
  3. Jahres- uns Gedenktage im September. Amt für Lehrerbildung, Frankfurt 2006Bildungsserver Hessen
  4. Michael Erfurth: Beutel will Volksabstimmung zu AKK. Verlagsgruppe Rhein Main, Allgemeine Zeitung 9. März 2006 Beutel will Volksabstimmung zu AKK – OB: Große Koalition bietet Chance zur Rückführung/Mainzer Abgeordnete sollen helfen in der Rhein-Main-Presse vom 9. März 2006
  5. kim stre: Die „letzte geteilte Stadt Deutschlands“. Hessischer Rundfunk, hr online 28. Oktober 2004 Wiesbaden – Mainz Die „letzte geteilte Stadt Deutschlands“
  6. Haushaltssatzung Wiesbaden. Stadt Wiesbaden 2006 http://www.wiesbaden.de/die_stadt/stadtinformation/stadtrechte/2_-_1.0_Haushaltssatzung_2006_2007.pdf
  7. Netzgebiet AKK. Stadtwerke Mainz 2006 http://www.stadtwerke-mainz.de/sitemap/suche.php?url=/geschaeftsfelder/strukturmerkmale.php&nav0=2&nav1=1&nav2=28
  8. Erich Michael Lang: Schwachpunkte in der Schulpolitik, in Allgemeine Zeitung Mainz, 7. März 2009
  9. Wolfgang Wenzel: Verfahren erinnert an "Lotterie", in Wiesbadener Kurier, 3. März 2009
  10. Fahrplan 2010 von ESWE Verkehr

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