Bonner Philologenkrieg

Bonner Philologenkrieg
Friedrich Gottlieb Welcker
Otto Jahn
Friedrich Wilhelm Ritschl

Der Bonner Philologenstreit (auch: Bonner Philologenkrieg) eskalierte zwischen den klassischen Philologen Friedrich Wilhelm Ritschl und Otto Jahn im Jahr 1865. Der Konflikt zwischen den beiden bestand seit Jahns Berufung an die Bonner Universität 1854 und bedeutete das Ende der berühmten Bonner Schule der Klassischen Philologie.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Im Jahr 1854 bemühte sich der Bonner Philologieprofessor Friedrich Wilhelm Ritschl beim Kultusministerium (damals unter Karl Otto von Raumer) um die Berufung Otto Jahns nach Bonn, um einen weiteren Professor für Philologie und Archäologie neben den 70-jährigen Friedrich Gottlieb Welcker zu stellen. Diese Berufung betrieb Ritschl hinter Welckers Rücken, während dieser sich im Ausland aufhielt – wovon Jahn nichts wusste. Ende 1854 stimmte Jahn der Berufung zu und nahm im Sommer 1855 seine Lehrtätigkeit an der Bonner Universität auf.

Hier geriet er in ein gespanntes Verhältnis mit Welcker, der Jahns neue Professur gegen seine Person gerichtet sah. Der alte Professor brach die Verbindung zum jüngeren Ritschl nach diesem Affront völlig ab, und Jahn, der sich mit Welcker gutstellen wollte, achtete seinerseits auf Abstand zu Ritschl. Er bemühte sich um ein Achtungsverhältnis zwischen sich und Welcker, den er als Wissenschaftler sehr verehrte. Welcker wusste, dass hinter der Berufung eine Intrige Ritschls steckte. Gleichwohl blieb sein Verhältnis zu Jahn durch die Affäre belastet. Ritschl fühlte sich von Jahns distanzierter Haltung ihm gegenüber zurückgesetzt, und so kam es innerhalb weniger Monate zur Entfremdung zwischen den beiden. Welcker zog sich mit seiner einsetzenden Erblindung im Herbst 1862 aus dem Lehrbetrieb zurück.

Der Philologenstreit 1865

Der Streit zwischen Jahn und Ritschl eskalierte nach mehreren Jahren aus folgendem Anlass: Wegen des Mangels griechischer Lehrveranstaltungen an der Universität Bonn (die Professoren für Klassische Philologie waren vornehmlich Latinisten) bemühte sich Jahn um die Berufung seines Freundes Hermann Sauppe aus Göttingen nach Bonn. Weil er eine ablehnende Reaktion fürchtete, betrieb er diese Berufung hinter dem Rücken seines Kollegen beim Minister Heinrich von Mühler in Berlin. Im Frühjahr 1865 erklärte Jahn in Wien, er werde im Falle der Berufung Sauppes auf seinem Lehrstuhl in Bonn beharren, und das Ministerium ging auf diese Forderung ein und berief Sauppe. Dieser lehnte jedoch entgegen seiner vorherigen Zusicherung ab, und Ritschl erfuhr von dem Vorgang. Er startete daraufhin eine Verleumdungskampagne gegen Jahn, die das Philologische Seminar in zwei Lager spaltete: Die Mitarbeiter standen auf der Seite ihres damaligen Dekans Ritschl, während die Studentenschaft fast ausnahmslos für Jahn Partei ergriff.

Die Affäre spitzte sich dadurch zu, dass das Ministerium dem Dekan Ritschl einen scharfen Verweis für seine Verleumdung Jahns erteilte und diesen auch noch in der Presse veröffentlichte. Wegen dieser Taktlosigkeit attackierten die Liberalen im preußischen Landtag die Regierung Bismarcks. Die Situation war geradezu paradox: Jahn, der Liberale, wurde in die Nähe der Reaktionären gerechnet, während die Liberalen die Sache seines Rivalen Ritschl ergriffen. Von außerhalb ergriff Theodor Mommsen für Jahn Partei; die beiden waren seit ihrer Leipziger Zeit 1847 bis 1848 eng befreundet. Im Mai 1865 forderte Ritschl seine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst und bezog die (sächsische) Universität Leipzig.

Folgen

Der Bonner Philologenkrieg hinterließ in beiden Parteien nur Verlierer. Jahn war sich bewusst, mit seiner heimlichen Bemühung um Sauppes Berufung Ritschls Weggang und damit den Wegfall eines fähigen Philologen verursacht zu haben. Ritschl dagegen stellte sich in der Öffentlichkeit als Opfer kollegialen und staatlichen Undanks dar und proklamierte seine moralische Überlegenheit in dem Konflikt. Dadurch wuchs Jahns schlechtes Gewissen[1].

Zu Ritschls Nachfolger wurde 1866 Hermann Usener berufen. Im gleichen Jahr kehrte Jacob Bernays aus Breslau zurück. Zu dritt bildeten sie einen Gipfel ihres Faches in der akademischen Landschaft, aber Jahns Gesundheit war untergraben: Er starb 1869 an einem Lungenleiden. Ritschl lehrte bis zu seinem Tod 1876 in Leipzig.

Mit Jahns Tod ging die Blütezeit der Bonner Schule der Philologie zu Ende. Seine Kollegen Bernays und Usener sowie sein Nachfolger Franz Bücheler hielten die Lehre an der Universität auf einem hohen Niveau, aber durch den wachsenden Einfluss Mommsens und des Jahn-Schülers Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff konnten sich andere Universitäten gegen sie behaupten. Im 20. Jahrhundert verfiel die Klassische Philologie in Bonn im Vergleich zur Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der Georg-August-Universität Göttingen und der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Carl Werner Müller: Otto Jahn. Stuttgart/Leipzig 1991. S. 34 f.

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