Byzantinische Medizin

Byzantinische Medizin

Die Byzantinische Medizin, das heißt die Medizin der Spätantike und des Byzantinischen Reiches, ist eine Epoche der Medizingeschichte, die auf die Antike folgt. Die Medizin während des byzantinischen Reiches gründete vor allem auf der antiken Tradition. Die wichtigsten medizinischen Werke waren bis etwa 642 kompilatorischer Art. Erst danach kam es zu einer gewissen Erweiterung durch klinische Erfahrungen. Diese Werke waren häufig mit detaillierten medizinischen Darstellungen ausgestattet und beschrieben eingehend bestimmte Leiden.

Inhaltsverzeichnis

Erste Phase der byzantinischen Medizin (395–642 n. Chr.)

Die erste Phase der byzantinischen Medizin erstreckt sich innerhalb des Zeitraums der Teilung des Römischen Reiches im Jahre 395 bis zur Eroberung Alexandrias im Jahre 642.

Charakterisiert wird sie durch die Kompilation, also die Sammlung, das Zusammentragen, das Abschreiben antiken Wissens. Eine Folge dieser Kompilationen war die Vereinfachung und Verbreitung des medizinischen Wissens von Hippokrates, Galen und anderen Autoren dieser Zeit.

Hauptvertreter der Kompilatoren waren Oreibasios von Pergamon, Alexandros von Tralleis, Paulos von Aigina und andere. Das Hauptwerk des Oreibasios besteht aus einer Kompilation der Schriften Galens und umfasst 70 Bücher. Doch Oreibasios zitiert nicht nur Galen, sondern fügt auch andere wichtige Erkenntnisse guter Ärzte hinzu. Als der wahrscheinlich bedeutendste byzantinische Sammler medizinischen Wissens schuf er zahlreiche Neuausgaben, in denen ältere falsche Methoden ausgeschieden wurden. Mehrere seiner Arbeiten, zusammen mit denen zahlreicher anderer byzantinischer Mediziner, wurden in Latein und schließlich im Zeitalter der Aufklärung und des Rationalismus, ins Englische und Französische übersetzt.

Um das Jahr 512 entstand in Konstantinopel mit dem Wiener Dioskurides das erste fest datierbare Bilderherbar der Spätantike. Das Werk war ein Geschenk der Bürgerschaft von Honoratae (Pera) an die kaiserliche Prinzessin Juliana Anicia. Den größten Teil bildet das illustrierte Dioskurides-Herbaruim. Es beruht auf Dioskurides Standardwerk De materia medica aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Das Herbar stand bis zum Beginn der Neuzeit in Gebrauch, das zeigen Umschriften in arabische, lateinische und hebräische Schrift.[1]

Paulos von Aigina beschrieb im 6. Buch der Pragmateia (Handbuch der praktischen Medizin) gynäkologische Operationen mit dem Speculum. Ende des 7. Jahrhunderts verfasst galt dieses Werk 800 Jahre lang als offizielles Lehrbuch.

Ein Ereignis, das das Ende der ersten Phase der byzantinischen Medizin nachhaltig prägte, war die Justinianische Pest (541-542 n. Chr.).

Zweite Phase der byzantinischen Medizin (642–1453 n. Chr.)

Die zweite Phase der byzantinischen Medizin reicht von 642 bis zum Fall Konstantinopels und Byzantinischen Reichs im Jahr 1453.

Auch während dieser Zeit beschäftigten sich Wissenschaftler wie Michael Psellos und Nikolaos Myrepsos mit der Kompilation antiken Wissens, begannen nun jedoch damit, eigene klinische Erfahrungen mit in die Kompilation einzubeziehen.

In der Spätantike erwähnen viele Quellen Krankenhäuser, deren spezifische Geschichte in die militärische Richtung zurück ins römische Reich und darüber hinaus reicht. Konstantinopel bildete im Mittelalter das Zentrum dieser Tätigkeiten aufgrund seiner geographischen Position, Größe und des angesammelten Wissen.

Eine byzantinische Abhandlung des 13. Jahrhunderts des Nikolaos Myrepsos erreichte in der Pariser Medizinischen Fakultät den Status als pharmazeutischer Leittext bis 1651. Die byzantinische Abhandlung des Demetrios Pepagomenos (13. Jahrhundert) über Gicht sollte der Humanist Marcus Musurus ins Lateinische übersetzt und 1517 in Venedig veröffentlichen. Vorstellungen, Byzanz sei nur mehr „Transmissionsriemen“ des antiken medizinischen Wissens bis hin zur Renaissance haben sich als veraltet erwiesen. So ist heute bekannt, dass der lateinische Mediziner Roger von Salerno Ende des 12. Jahrhunderts durch die Abhandlungen der byzantinischen Ärzte Aetius, Alexander von Tralles oder Paulos von Aigina beeinflusst wurde.

Des Weiteren kam es zu einer Öffnung der Wissenschaft gegenüber dem Heilwissen anderer Länder und Völker wie Persien, Arabien und Indien.

Hospitäler

Ärztebild aus dem Wiener Dioskurides fol. 3v (vor 512)

Ein wichtiger Beitrag der byzantinischen Medizin war die Etablierung medizinischer Einrichtungen – die durch Kirchen oder den Staat gefördert, in mancher Hinsicht den modernen Krankenhäusern entsprachen. Ähnliche Einrichtungen des antiken Griechenland und Roms dienten normalerweise als Lazarett oder Sterbehospize. Medizinische Einrichtungen dieser Art befanden sich in Städten wie Konstantinopel und später Thessaloniki.

Das erste Krankenhaus war eine Einrichtung des Basilius von Caesarea Ende des 4. Jahrhunderts, wobei diese Anstalten lediglich während des 8. und 9. Jahrhunderts in den städtischen Regionen in allgemeinere Erscheinung traten. Die byzantinische Medizin wurde im Wesentlichen in Klinken ausgeübt bzw. ambulant in speziellen Teilen eines Krankenhauskomplexes, wo eine geradezu byzantinisch ausgebaute Hierarchie einschließlich der Chefarztes (archiatroi), Oberschwestern (hypourgoi) und Krankenpfleger (hyperetai) herrschte.

Christentum

Das Christentum spielte in den meisten Gebieten des Imperiums eine Schlüsselrolle beim Bau und der Erhaltung von Hospitälern. Bischöfe errichteten und unterhielten in ihren Bistümern zahlreiche Hospitäler. Krankenhäuser wurden häufig in der Nähe von Kirchen errichtet, da großer Wert auf den Gedanken einer Heilung durch Erlösung gelegt wurde. Die Anwendung der medizinischen Kunst war verbunden mit dem Gebet, das man an bestimmte Heilige wie Cosmas und Damian richtete, die 303 von Diocletian getötet, und Schutzpatrone der Medizin und der Ärzte wurden.

Übergang von der byzantinischen Medizin zum persisch-arabischem Heilwissen

Die Weitergabe des antiken Wissens von den Krankheiten, den Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten und erster Medikamente in den persisch-arabischen Kultur- und Sprachraum vollzog sich zumeist in den Grenzregionen des großen byzantinischen Reichs.

Häufig war der Wissenstransfer mit Eroberungen größerer Städte verknüpft. Andere Gründe für das Aufeinandertreffen der Kulturen war die Emigration christlicher Nestorianer, die aufgrund innenpolitischer und theologischer Unstimmigkeiten nach Persien übersiedelten.

Aus der Symbiose der byzantinischen und persisch-arabischen Medizin entwickelten sich mehrere Strömungen, die unter anderem zur Gründung medizinischer Ausbildungszentren führten.

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin. 5. korr. und aktualisierte Auflage. Springer, Heidelberg 2005, ISBN 3-540-21287-6.
  • Karl-Heinz Leven: Antike Medizin. Ein Lexikon. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52891-0.
  • Owsei Temkin, „Byzantine Medicine: Tradition and Empiricism“, Dumbarton Oaks Papers 16:97-115 (1962) at JSTOR

Belege

  1. Pedanius Dioscurides - Der Wiener Dioskurides; Codex medicus Graecus 1 der Österreichischen Nationalbibliothek. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt (Glanzlichter der Buchkunst, Band 8.) Kommentar von Otto Mazal S. 3 f.

Weblinks


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