Arbeiterstudium

Arbeiterstudium
Semesterbeginn am 1. Oktober 1949 an der Arbeiter-und Bauern-Fakultät der Humboldt-Universität Berlin

Als Arbeiterstudium werden institutionalisierte Maßnahmen bezeichnet, welche in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise DDR der Heranbildung einer Akademikerschicht aus der Arbeiterschaft dienten. Zu diesen Maßnahmen zählte die Einrichtung von Vorstudienanstalten bzw. -abteilungen, aus denen die Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten hervorgingen.

In der Sowjetunion existierten seit den 1920er Jahren die sogenannten RabFaks (russisch: Рабфак - abgekürzt von Рабочий факультет, zu deutsch: Arbeiterfakultät).

In anderen Ländern des Ostblocks, z. B. in der Tschechoslowakei, bestanden vergleichbare Arbeiterstudienmodelle.[1].

Das Arbeiterstudium diente auch der ideologischen Umerziehung und parteipolitischen Auswahl der Akademiker.[2] Aufgrund dieser Maßnahmen verfügten im August 1947 in der Sowjetischen Besatzungszone 21 % der Immatrikulierten nicht über das Abitur.[3]

Inhaltsverzeichnis

Vorstudienanstalten

Zu Beginn des Jahres 1946 erließen die Ortsverbände der Blockparteien KPD, SPD, CDU und LDP sowie des FDGB in Leipzig einen Aufruf (Arbeiter auf die Universität), in dem eine Änderung der sozialen Zusammensetzung der deutschen Studentenschaft gefordert wurde. Der Aufruf sprach sich dafür aus, möglichst viele Arbeiter ohne höhere Schulbildung an ein Hochschulstudium heranzuführen. Zwei Wege gab es entsprechend diesem Aufruf, um einen Hochschulzugang zu ermöglichen: die Begabtenprüfung und die Arbeiterfakultät.

Während der Arbeiterfakultät die Vorstellung von einer zeitlich eng begrenzten Vorbereitung der Arbeiter auf das Hochschulstudium zugrunde lag, sollte in der Begabtenprüfung die allgemeine geistige Reife zum Besuch der Vorlesung festgestellt und damit ein direkter Übergang zur Universität erschlossen werden.

Im Laufe des Jahres 1946 richteten alle Länder der Sowjetischen Besatzungszone Lehrgänge zur Hochschulvorbereitung von Arbeitern ein. Diese Veranstaltungen erhielten später einheitlich die Bezeichnung Vorstudienanstalt. Sie stellten die Anfänge des so genannten Arbeiterstudiums dar.

Der erste Lehrgang zur Hochschulvorbereitung von Arbeitern begann im März 1946. Er war auf sieben Monate (1. März bis 30. September 1946) begrenzt.

Während der Vorbereitungszeit wurde die Berufstätigkeit der Lehrgangsteilnehmer auf maximal 30 Stunden in der Woche festgesetzt. Die Finanzierung des Studiums erfolgte durch eine Vergabe von Stipendien seitens staatlicher Institutionen, der Parteien und anderer Massenorganisationen.

Vorstudienabteilungen

Im Dezember 1947 beschlossen die Volksbildungsminister der Länder der Sowjetischen Besatzungszone, die Vorstudienanstalten in Vorstudienabteilungen umzuwandeln und sie den Hochschulen anzugliedern. Aus dem Umstand, dass die Vorstudienanstalten zu Vorstudienabteilungen, d. h. zu Einrichtungen der Hochschulen erklärt wurden – man gestand ihnen allerdings noch nicht den Status einer Fakultät zu –, folgerte, dass den Hörern der Vorstudienabteilungen die gleichen Rechte und Pflichten wie den immatrikulierten Studenten zugestanden beziehungsweise auferlegt wurden.

Mit der Immatrikulationsrichtlinie der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung vom 12. April 1948 wurde festgelegt, dass Absolventen der Vorstudienanstalten sowie Kinder von Arbeitern, Kleinbauern und Verfolgten des Nationalsozialismus bevorzugt zum Studium an Hochschulen der Sowjetischen Besatzungszone zugelassen werden sollten. Gegen diese Richtlinie protestierten an den Hochschulen Vertreter der Studentenräte. Durch die Verhaftung führender Studentenvertreter wurde der Protest gebrochen. Zu den Verhafteten gehörte auch der Vorsitzende des Studentenrates der Leipziger Universität, Wolfgang Natonek.[4]

Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF)

Die Vorläufige Arbeitsordnung der Universitäten und Hochschulen der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands vom 23. Mai 1949 erhob die Vorstudienabteilungen letztendlich in den Rang von Fakultäten. Das heißt, die Hörer dieser als Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten bezeichneten Einrichtungen wurden formalrechtlich den ordentlich immatrikulierten Studierenden der Hochschulen gleichgestellt. Zu ordentlichen Studierenden wurden damit diejenigen erklärt, welche durch einen Abschluss an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät zunächst das Recht hatten erwerben sollen, eine Ausbildung an einer Hochschule beziehungsweise Universität beginnen zu können.

Auch die Dozenten der Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten wurden rechtlich den Dozenten der Hochschulen und Universitäten gleichgestellt. Weiterhin erhielt der Direktor der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät – gleich den Dekanen der Fakultäten – Sitz und Stimme im Universitätssenat. Dem Leiter der Vorstudienabteilung war dieses Recht nur in Fragen des Arbeiterstudiums eingeräumt worden.

Im Wintersemester 1949/50 richteten die Universitäten in Berlin, Greifswald, Halle-Wittenberg, Jena, Leipzig und Rostock sowie die Technische Hochschule Dresden, die Bergakademie Freiberg und die Brandenburgischen Landeshochschule Potsdam Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten ein.

Die Studiendauer an diesen Fakultäten, d. h. die Vorbereitungszeit auf das eigentliche Studium, betrug zwei bis drei Jahre.

Absolventen

Der Schriftsteller Hermann Kant und der Schauspieler Peter Sodann wurden an einer Arbeiter-und-Bauern-Fakultät ausgebildet. Hermann Kants Roman Die Aula thematisiert das Schicksal mehrerer Absolventen der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Greifswald.

Bildungspolitik der SBZ/DDR

Das Arbeiterstudium diente als Teil der Bildungspolitik in der SBZ/DDR der parteipolitischen Auswahl der Studenten, der Sicherstellung der Diktatur der SED durch die Heranbildung einer neuen loyalen Akademikerschicht, der ideologischen Umerziehung und der Gleichschaltung der Hochschulen.[2] Im September 1947 erklärte der SED-Funktionär Anton Ackermann:

„Wir wollen eine anderes Arbeiterstudium. Wir wollen nicht nur die soziale Zusammensetzung der Hörerschaft der Hochschulen ändern, wichtiger noch ist, dass diese neuherangebildete Intelligenz auch im Geiste einer neuen Ideologie, im Geiste des Wissenschaftlichen Sozialismus erzogen und geschult wird.“[2]

Da die Bewerberzahl die Anzahl der Studienplätze in den ersten Jahren nach dem Krieg deutlich überstieg (in Sachsen wurden z.B. 1946/47 80,4 % der Bewerber abgelehnt), stellte die Auswahl der Studenten ein wichtiges politisches Thema dar. Die Einführung einer Quote für Arbeiter sowie die obligatorische Angabe der Parteimitgliedschaft trug zu einer parteipolitischen Auswahl der Studenten bei. Diese parteilichen Auswahlprinzipien wurden schon früh kritisiert, z.B. in einem Schreiben der Vorsitzenden der demokratischen Parteien Berlins vom 8. Oktober 1946 an Paul Wandel.[5]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Rudolf Urban: Die Organisation der Wissenschaft in der Tschechoslowakei. Herder-Institut, Marburg/Lahn 1957, S. 218 ff.
  2. a b c Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945–1961. Christoph Links Verlag, Berlin 2003, S. 265, ISBN 3-86153-296-4.
  3. Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945–1961. Christoph Links Verlag, Berlin 2003, S. 263, ISBN 3-86153-296-4.
  4. Konrad Krause: Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Universität Leipzig von 1409 bis zur Gegenwart. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2003, S. 594, ISBN 3-936522-65-0.
  5. Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945–1961. Christoph Links Verlag, Berlin 2003, S. 264, ISBN 3-86153-296-4.

Literatur

  • Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945–1961. Christoph Links Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-86153-296-4. (Onlineversion)
  • Konrad Krause: Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Universität Leipzig von 1409 bis zur Gegenwart. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2003, ISBN 3-936522-65-0. (Onlineversion)
  • Reiner Pommerin: Geschichte der TU Dresden 1828–2003. Böhlau, Köln 2003, ISBN 3-412-02303-5.
  • Herbert Stallmann: Hochschulzugang in der SBZ/DDR 1945–1959. Richarz, Sankt Augustin 1980, ISBN 3-88345-600-4.
  • Gottfried Uhlig: Der Beginn der antifaschistisch-demokratischen Schulreform im Osten Deutschlands 1945–1946. Leipzig 1963.
  • Rudolf Urban: Die Organisation der Wissenschaft in der Tschechoslowakei. Herder-Institut, Marburg/Lahn 1957.
  • Hans Georg Gadamer: Arbeiter-Studium und Universität. In: Kultur und Kritik, Heft 6, Leipzig 1994, S. 112–122.

Weblinks


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