Bertha Lou

Bertha Lou
Bertha Lou
Johnny Faire
Veröffentlichung 9. Dezember 1957
Länge 2:27
Genre(s) Rockabilly
Autor(en) Johnny Burnette,
John Marascalco
Verlag(e) Robin Hood Music
Erfolgreiche Coverversion
1957 Clint Miller

Bertha Lou ist ein Rockabilly-Song, der 1957 erstmals in der Aufnahme von Johnny Faire veröffentlicht wurde. Eine zuerst eingespielte Version von Dorsey Burnette musste aus vertragsrechtlichen Gründen zurückgehalten werden. Die Autorenschaft des Stücks beanspruchen gleichermaßen Johnny Burnette und der Songwriter und Verleger John Marascalco für sich. Der inhaltlich sowohl anzügliche als auch parodistische Song basiert auf einem schnell und hart gespielten Blues und ist aufgrund seines markanten Gitarren-Riffs leicht wiederzuerkennen. Nach einigen zeitnahen Coverversionen, von denen jene Clint Millers 1958 die amerikanischen Billboard-Charts erreichte, sowie Umarbeitungen zu Twinkie Lee, Snacky Poo und schließlich Bob Dylans Adaption Rita May wurde der Titel ab etwa 1980 ein viel gespielter Standard der Neo-Rockabilly- und Psychobilly-Szene.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Zur Entstehung von Bertha Lou gibt es widersprüchliche Angaben. In einem Interview mit Gary E. Myers für dessen Artikel im Magazin Goldmine erklärte der im Umfeld des kalifornischen Independent-Labels Specialty Records aktive Songwriter John Marascalco, er habe für seine Komposition einen Interpreten gesucht. Er habe den Song den ihm aus Memphis bekannten Brüdern Johnny und Dorsey Burnette angeboten, die nach der Auflösung ihrer Band „The Rock ’n’ Roll Trio“ Mitte des Jahres 1957 nach Kalifornien gezogen waren, wo sie neben Solo-Arbeiten auch als „Burnette Brothers“ aktiv wurden.[1] Nach Aussagen Rocky Burnettes war sein Vater Johnny der Autor des Stückes, das er für 50 Dollar an Marascalco verkauft habe.[2] Solche Cut Ins waren zu dieser Zeit eine übliche Geschäftspraxis in der Musikbranche.[2] In jedem Fall sicherte sich Marascalco am 27. Oktober 1957 das volle Copyright am Song durch den Eintrag in der Library of Congress.[3]

John Marascalco arrangierte im November 1957 eine Aufnahmesession im Studio Master Recorders für das kleine Label Surf Records von Kenny Babcock,[2] dessen Sohn Keith sich allerdings an die Goldstar Recording Studios als Aufnahmeort erinnert.[4] Als Band wurden Odell Huff an der Gitarre, Danny Flores am Klavier und H. B. Barnum am Schlagzeug engagiert. Den Bass übernahm wahrscheinlich Dorsey Burnette selbst.[2] Johnny Burnette unterstützte die Percussions durch Handclaps.[5] Der Song wurde unter Marascalcos und Babcocks Leitung in mehreren Takes aufgenommen. Nach der Erinnerung Keith Babcocks stimmte sein Vater während der Aufnahme die Gitarre um, so dass sich deren Tonumfang vergrößerte und Odell Huff seinen Part auf einer einzigen Basssaite spielen konnte.[4] Bereits bei der Vorbereitung der Session war aufgefallen, dass Johnny Burnette noch bei Coral Records unter Vertrag stand und somit keine Aufnahmen als Hauptinterpret für eine andere Plattenfirma einsingen durfte. Von einer ersten Demoaufnahme wurde seine Stimme daher wieder entfernt und Dorsey Burnette sang den Titel erneut ein. Johnny Burnettes Vokalbeitrag blieb aber dennoch erhalten: Zum einen ist seine Gesangsspur noch leise im Hintergrund zu hören, besonders eingangs der zweiten Strophe, als Dorsey Burnette aus dem Takt gerät, zum anderen feuert er Odell Huff lautstark mit den Rufen „Rock! Rock! Rock!“ zum Gitarrensolo an.[2] Zusammen mit dem von Marascalco geschriebenen Rockabilly-Titel Til the Law Says Stop als B-Seite wurde Dorsey Burnettes Version für die Veröffentlichung auf Surf Records unter der Plattennummer SR5019-45 gemastert und in einer ersten Auflage in der hauseigenen Pressmaschine gefertigt.[1]

Kurz darauf räumte Dorsey Burnette zu Marascalcos Unmut ein, dass auch er einen laufenden Vertrag bei Coral hätte, der ihm Aufnahmen für andere Plattenlabels verbiete.[6] Da eine Veröffentlichung der Platte somit hinfällig war,[4] entschieden sich Marascalco und Babcock dafür, den Song erneut von einem anderen Interpreten übersingen zu lassen. Die Wahl fiel auf den jungen Johnny Faircloth, der die Songs für die am nächsten Tag angesetzte Session über Nacht erlernen musste.[2] Faircloth orientierte sich stark an Dorsey Burnettes Gesang und konnte die Neueinspielung von Bertha Lou unter Anwesenheit der Burnettes nach wenigen Takes abschließen.[6] Für Til The Law Says Stop lagen keine getrennten Tonspuren für die Instrumental- und Vokalarbeit vor, weshalb Faircloth so exakt wie möglich über Dorsey Burnettes Stimme singen musste, was die Session langwierig und mühsam machte. Insbesondere Dorsey Burnettes Südstaaten-Akzent und dessen metrische Freiheit machten dem Mann von der Westküste zu schaffen.[6] Die doppelte Melodiestimme ist daher auf der Aufnahme deutlich zu hören.[7]

Titelblatt der Notenausgabe

Veröffentlichungen

Für die Veröffentlichung der neu eingespielten Version am 9. Dezember 1957 wählte Kenny Babcock Faircloths prägnanteren Künstlernamen „Johnny Faire“ und die gleiche KPlattennummer SR5019-45.[2] Am selben Tag wurde die Platte im Billboard Magazin besprochen.[8] Eine Besonderheit war die zugehörige Papierhülle, auf der die Platte durch die Angabe weiterer Kompositionen John Marascalcos beworben wurde.[2] Die erste Auflage von Surf SR5019-45 von Dorsey Burnette wurde hingegen zurückgehalten und vernichtet. Ledigliche eine Kiste soll übriggeblieben sein, so dass vereinzelt Exemplare den Weg in Plattensammlungen fanden.[1] Johnny Faires Surf SR5019-45 erzielte immerhin soviel Aufmerksamkeit, dass sie 1958 als Quality K-1696 für den kanadischen und als London HLU 8569 für den britischen Markt neu aufgelegt werden konnte. Auch das Johnny-Faire-Original auf Surf erschien Jahre später neu in der ursprünglichen Aufmachung und mit einer um zwei Sekunden verkürzten Längenangabe. Die Notenausgabe von Bertha Lou erschien bei John Marascalcos eigenem Musikverlag Robin Hood Music in Zusammenarbeit mit Rio Grande Music aus Texas. Den Verkauf der Noten übernahm als alleiniger Handelsvertreter der Verlag Hill & Range.

Mitte der 1960er Jahre entschied sich Marascalco in Absprache mit Dorsey Burnette, dessen ursprünglich zurückgehaltene Version auf seinem eigenen kleinen Label Cee-Jam Records zu veröffentlichen. Dazu nahm Dorsey den Blues-Klassiker Keep A-Knockin’ auf, der als B-Seite von Cee-Jam #6 unter dem Bandnamen „The Brothers“ erschien. Um 1970 wurde mit Cee-Jam #16 die originale Zusammenstellung von Bertha Lou mit Til the Law Says Stop auf Vorschlag Ronny Weisers, des Betreibers des Rockabilly-Labels Rollin’ Rock Records, in einer kleinen Auflage von 2.000 Stück wiederveröffentlicht.[1] Der Titel erschien nie auf einem der offiziellen Alben Dorsey Burnettes. Erst durch die Aufbereitung des Gesamtwerks der Burnette Brothers mittels Werkausgaben in CD- und CD-Box-Format ab den 1990er Jahren konnte der Titel wieder einer breiteren Käuferschaft zur Verfügung gestellt werden.[9]

ABC-Paramount bewirbt Clint Millers Platte am 16. Dezember 1957 im Billboard.

Coverversionen

Noch vor der offiziellen Veröffentlichung wurde die Plattenfirma ABC-Paramount auf den Song aufmerksam und machte Babcock ein Angebot für die Masterbänder. Da dieser ablehnte, spielte deren junge Neuverpflichtung Clint Miller am 20. November 1957 unter der Leitung von Don Costa eine erste Coverversion für ABC ein,[10] für deren Einstudierung er auf eine Demoversion zurückgegriffen haben muss. Dadurch ergaben sich einige Abweichungen im Text.[1] Millers Coverversion wurde in der selben Billboard-Ausgabe wie das Original vorgestellt.[8] Zeitnah wurde Bertha Lou außerdem von der Rockabilly-Band The Fendermen auf deren LP Mule Skinner Blues, von Alan Knight und von Bob Harris and the Kings Four aus Michigan gecovert.[9] Mit Los Salvajes aus Mexiko und Los Zodiac aus Peru griffen auch Bands aus dem lateinamerikanischen Raum den Song auf und legten spanischsprachige Versionen mit einem Text von Manuel Callegos vor. Der britische Rock-’n’-Roll-Musiker Marty Wilde legte 1970 ein retrospektives Album über die Zeit seiner größten Erfolge auf und spielte dazu Bertha Lou ebenfalls ein.[11]

  • 1957 – Clint Miller auf ABC-Paramount 45-9878, in Schweden auf Karusell KFF 223
  • 1960 – The Fendermen auf dem Album Mule Skinner Blues, Soma MG-1240, in Kanada 1961 auf Point Records P-213
  • 1960 – Alan Knight auf Tide Records T-0011
  • 1961 – Los Salvajes auf Columbia 5043
  • 1962 – Bob Harris and the Kings Four auf EAI PS-101
  • 1963 – Los Zodiac auf Odeon del Peru 8825
  • 1970 – Marty Wilde auf dem Album Born to Rock ’n’ Roll, Philips 6308 010

1979 nahm sich Johnny Burnettes Sohn Rocky erstmals des Titels seines Vaters und seines Onkels an und startete eine Reihe von Coverversionen im Stile der stärker werdende Neo-Rockabilly- und Psychobilly-Szene, die so auf den Song mit dem treibenden Riff aufmerksam wurde. Seitdem wurde der Titel über 25 Mal interpretiert, darunter 2004 von der Rockabilly-Band Los Gatos aus Mexiko und 2009 von Las Ondas Marteles erneut in spanischen Versionen.

  • 1979 – Rocky Burnette auf dem Album Son of Rock ’n’ Roll, EMI Records EMC3323
  • 1979 – The Customs auf dem Album Long Gone
  • 1981 – The Urbations auf einer EP von Wild Child Records
  • 1983 – Tav Falco’s Panther Burns auf der EP Blow Your Top, Rough Trade RT-114T
  • 1983 – The Memphis Rockabilly Band mit Jeff Spencer auf dem Album Bertha Lou
  • 1992 – Johnny and the Headhunters auf dem Album Real Rock N Roll
  • 1993 – Colin Winski auf dem Album Helldorado, Fury FCD-3027
  • 1995 – Los Marauders auf dem Album Every Song We Fuckin’ Know, Teenbeat 122
  • 1997 – Robert Gordon auf dem Album Robert Gordon, Llist Records
  • 1997 – The Astro Zombies auf dem Album The Astro Zombies Are Coming, Banana Juice Records
  • 1999 – The Meteors auf dem Live-Album From Beyond, Raucous RAUCLP 124
  • 1999 – The Bottletones auf dem Album Corn Rampin’, Relay Records
  • 199? – Hot Stuff auf dem Album Only For Hep Cats, Tail T-10-1
  • 2001 – The Rockin’ 8 Balls auf dem Album Eight Balls O’Fire, Goofin’ 6108
  • 2001 – Rudy LaCrioux & The Allstars auf dem Album Let’s Have a Ball, Nervous
  • 2001 – Rocky Burnette, Darrel Higham & The Enforcers auf dem Album Hip Shakin’ Baby, Rockstar Records RSRCD-021
  • 2003 – Bell Hops auf dem Album Wild, Wet and Juicy, ROCKCD-9416
  • 2003 – Ratso & Switchblade auf dem Album Playing with Rats, Sphincter 312
  • 2004 – Los Plantronics auf dem Album La Orchestra Diabolica, Kong Tiki Records
  • 2004 – The Hicksville Bombers auf dem Album The Devil Made Us Do It, Raucous CD RAU 153
  • 2004 – Alan Leatherwood auf dem Album Rock, Bop, Folk and Pop Vol. 1 Featuring Remember the Alamo, Ohio Moon
  • 2004 – Los Gatos auf dem Album Lo Que Mata, No Es el Auto, Grabaciones Alicia GACD-018
  • 2005 – Robert Gordon & Chris Spedding auf der Live-DVD Rockin’ the Paradiso, Last Call
  • 2007 – R. J. and the Phantoms auf dem Album What’s the Rumor, Red Shoot Records CD RS 100
  • 2007 – Hellcats auf dem Album I’ve Got a Devil Inside, Tedly Serious TED CD-102
  • 2007 – Blue Rockin’ auf dem Album Rockin Boogie Trash, Part CD 660002
  • 2008 – Mike Mok and the Em-Tones auf der Compilation Worldwide Rockabilly Vol. 1 – Let’s Kill Someone, Louisiana Records LR 5001
  • 2009 – Las Ondas Marteles auf dem Album On Da Rocks, Because
  • 2011 – Bird Doggin’ Daddies auf dem Album Hopped Up, Rhythm Bomb
  • 2011 – Carlos Mejuto auf dem Album Carlos Mejuto, Wild

Adaptionen

Twinkie Lee

Im Jahr 1960 war der kalifornische Sänger Julian „Larry“ Bright mit Mojo Workout in den Charts und benötigte für eine Fernsehshow bei Gastgeber Dick Clark einen neuen Anzug und einen Song. Da ihm sein Label Tide Records kurzfristig weder eine Geldzusage noch einen Liedvorschlag machen konnte, unterschrieb Bright einen zweiten Vertrag bei Rendezvous Records. Dorsey Burnette zeigte Bright den Song seines Bruders und arbeitete ihn zu Twinkie Lee um, als er in der folgenden Aufnahmesession im Studio am sechsaitigen Bass der Marke Danelectro aushalf. Verschiedentlich auch Twinkee Lee oder mit Bindestrich Twinkie-Lee geschrieben, war der Songtitel dem Namen einer Katze nachempfunden, die der Tochter des örtlichen DJs Cluck Blore gehörte, damit dieser dem Lied mehr Airplay gebe.[12] Die Veröffentlichung von Twinkie Lee auf Rendezvous R-124 mit Bright als Interpret und angeblich alleinigem Autor verursachte zweifachen Ärger: Zum einen klagte Marascalco seine Autorenrechte am Stück ein, zum anderen ließ sich das Label Tide Records, das auf seinen Vertrag mit Bright pochte, die Masterbänder aushändigen. Während Tide die Aufnahme an Highland Records weiterreichte, veröffentlichte Rendezvous den Song in einer zweiten Auflage, bei der als Interpret anstelle von Larry Bright dessen Pseudonym „Pete Roberts“ angegeben wurde.[12] Zwar wurde auf der Neuausgabe der mit Rendezvous assoziierte Musikverlag Mardon Music durch Marascalcos Robin Hood Music ersetzt, die Autorencredits verblieben auf den Tonträgern aber weiterhin bei Bright, ebenso bei späteren Coverversionen von den Fairviews, von Wayne Stevenson sowie von Alan Clark.[2] 1966 spielte der Schlagzeuger Gary Walker auf dem Höhepunkt der Karriere seiner Band The Walker Brothers zwei Singles als Solo-Künstler ein und wählte dafür unter anderem Twinkie-Lee.[13] Erneut wurde als Autor Larry Bright genannt, der von sich behauptet, er habe den Song den Walker Brothers persönlich vorgestellt.[12] Im Folgejahr wurde Twinkie-Lee auch bei einer Reunion-Tour der Walker Brothers durch Japan für das zugehörige Live-Album berücksichtigt, als die Band Anfang Januar in der Osaka Festival Hall gastierte.[14] Spätere Einspielungen erfolgten durch Gary Walkers japanische Begleitband The Carnabeats und 2004 durch die Band The Young sowie durch die japanische Sängerin Miko, deren Aufnahme nur auf Tonband herauskam. Eine Notenausgabe der Gary-Walker-Version von Twinkie Lee erschien beim Londoner Musikverlag Campbell Connelly & Co. Ltd.

  • 1960 – Larry Bright, in der zweiten Auflage als „Pete Roberts“ auf Rendezvous R-124, erneut 1964 auf Highland 1052
  • 1963 – Alan Clark & The Starfires (unveröffentlicht), erstmals auf CD CAR 003
  • 1964 – The Fairviews auf Spin It 120
  • 1966 – Gary Walker auf CBS 202081
  • 1968 – Wayne Stevenson auf Tide 2700
  • 1968 – The Walker Brothers auf dem Live-Album The Walker Brothers in Japan, Phonogram SFL 9046/7, 1987 neu aufgelegt von Bam-Caruso Records
  • 1968 – The Carnabeats auf der Compilation Group Sounds World Top Hits
  • 19?? – Miko auf dem Tonband Ah! Soul… Introducing Miko on Stage, Superscope A010-N
  • 2004 – The Young auf dem Album The New World of Youngsoul, P-Vine Records 25008

Snacky Poo

Auch John Marascalco versuchte, das Potential des Songs voll auszuschöpfen, indem er das Lied neu arrangierte und mit anderem Text am 16. Januar 1962 als Snacky Poo registrieren ließ.[15] Chester Pipkin, sein Cousin Gary „Hart“ Pipkin, Billy Mann und Warren Joyner sangen seit 1961 zusammen in der Doo-Wop-Gruppe The Electras, die für die Veröffentlichung von Snacky Poo auf Infinity Records in „The Ring A Dings“ umbenannt wurden.[16] Als Co-Autoren werden Gary Pipkin und Chesters ehemaliger Gesangspartner John Carson von den Valiants genannt.[15] Als Instrumentalspur verwendete Marascalco die Originalaufnahme aus dem Studio Master Recorders von 1957.[2] Das erweiterte Gesangsarrangement führte aber zu einer Aufteilung des Titels auf beide Seiten der Single, so dass die Rückseite als Snacky Poo Part Two getitelt wurde. Marascalco, der A&R-Manager von Infinity war, lizenzierte die Aufnahme zwei Jahre später an Mercury Records weiter, welche die Interpreten erneut umbenannten zu „The Del-Mars“.[16] Mercury 72244 erschien mit schwarzem und in einer zweiten Auflage mit rotem Aufkleber.

Rita May

Während der Aufnahmen zum Album Desire im Jahr 1975 spielte Bob Dylan den Song Rita May ein, der stark an Bertha Lou angelehnt ist. Die Bob Dylan und dem Co-Autoren Jacques Levy zugeschriebene Hommage an die Feministin Rita Mae Brown kam als B-Seite einer Live-Version von Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again auf Columbia Records heraus. Als Komponist wird ausschließlich Dylan geführt, ein Hinweis auf die prominente Vorlage ist nicht zu finden.[17] Der Rockabilly-Kenner Dylan bestätigte auf Nachfrage des Plattensammlers und seines damaligen Bassisten Rob Stoner, dass er Bertha Lou und deren Urheberschaft kenne, kommentierte die deutliche melodiöse Übereinstimmung mit seiner Rita May aber nicht.[18] Jerry Lee Lewis coverte Rita Mae drei Jahre nach Entstehung. Der deutsche Universalkünstler Michel Montecrossa spielte im Zuge seiner umfassenden, über mehrere Jahre andauernden Dylan-Neuinterpretation 2003 auch Rita May ein.

Double Whammy

Als Jack Bedient und Bill Britt 1965 für eine Aufnahmesession ihrer Mersey-Band Jack Bedient and the Chessmen den Song Double Whammy schrieben, suchten sie nach einem passenden energiereichen Gitarrenintro. Der Gitarrist Kevin Woods schlug das markanten Bertha-Lou-Riff vor, das somit bereits wenige Jahre nach der originalen Veröffentlichung als Musikzitat Verwendung fand. Double Whammy wurde mit einem 19. Platz der Charts von KCBN 1230 AM in Reno, Nevada ein regionaler Erfolg.[19]

Musikalischer Aufbau

Während die Notenausgabe von 1957 als Grundtonart G-Dur vorschlägt,[20] bauten die Musiker der Originalversion Bertha Lou auf einem 12-taktigen Blues im 4/4-Takt in E-Dur auf: Auf vier Takte Tonika folgen zwei Takte Subdominante und wieder zwei Takte Tonika. Über einen Takt Dominante und einen Takt Subdominate führen zwei Takte Tonika das Bluesschema zu Ende. Die achttaktige Bridge variiert ebenfalls nur diese drei funktionalen Harmonien: Auf zwei Takte Sudominante folgen zwei Takte Tonika, sodann wieder zwei Takte Subdominante und schließlich zwei Takte Dominante. Jeder Strophe ist ein 2/4-Takt auf der Tonika vorgeschoben, der den erweiterten Auftakt „Bertha Lou, Bertha Lou“ beziehungsweise „Hey! Hey! Bertha Lou!“ aufnimmt. Das Gitarrensolo besteht wie die Strophen aus einem 12-Takt-Schema, kommt aber ohne diesen Zwischentakt aus. Intro und Outro eröffnen und beenden den Song auf der Tonika. Der gesamte Ablauf des Songs mit A-A-B-Struktur sieht in den beiden originalen Versionen von Dorsey Burnette und Johnny Faire wie folgt aus:

  • Intro (4 Takte)
  • 1. Strophe (2/4 Takt + 12 Takte)
  • 2. Strophe (2/4 Takt + 12 Takte)
  • Bridge (8 Takte)
  • 3. Strophe (2/4 Takt + 12 Takte)
  • Gitarrensolo (12 Takte)
  • Bridge (8 Takte)
  • 3. Strophe (2/4 Takt + 1/2 Takte)
  • Outro (8 Takte) und Fade-Out
Das Moll-Gitarrenriff über E-Dur

Auf allen drei akkordischen Stufen der Strophe wird ein markantes Riff auf den Basssaiten der Gitarre gespielt, welches in aufsteigenden Achteln jeweils doppelt den Grundton, darüber die Moll-Terz und die Quarte anschlägt und schließlich in einzelnen Achteln über die verminderte Quinte auf der Quinte ankommt. Im überschaubaren Tonvorrat der gesungenen Melodie dominieren ebenfalls der Grundton E und die zugehörige kleine Terz G. Durch die Verwendung dieser den Blue Notes nachempfundenen Terzen erhält der Song seinen bluesigen Mollcharakter, insbesondere da die dem Song zugrundeliegende Dur-Tonart nur als Septakkorde vom Piano sehr versteckt im Hintergrund gespielt wird. Auf dem jeweils zehnten Takt einer Strophe – der Subdominante – schweigt die Rhythmusgruppe und die elektrische Gitarre spielt ein absteigendes Fill-In.

Einige Coverversionen und Adaptionen ändern Stimmung und Aufbau in Details: So arrangierte Don Costa den Song für Clint Miller ohne den 2/4-Takt, den er nur vor der dritten Strophe einsetzte. In Bertha Lou der Fendermen und in Twinkie Lee wurde das erste Intervall des Gitarrenriffs zur großen Terz E–Gis, was einer Dur-Stimmung entspricht. In verschiedenen Aufnahmen wird das Gitarrenriff auch vom elektrischen Bass übernommen.

Inhalt

Bertha Lou reiht sich in eine Folge von bekannten Songs aus dem Rock ’n’ Roll und Rockabilly ein, deren Titel einem Frauennamen entspricht oder einen solchen enthält.[21] Dabei hat angeblich Dorsey Burnettes Frau Alberta als Namenspatronin der besungenen Bertha Lou herhalten müssen.[2] Viele dieser „Songs about Girls’ Names“[21] haben eine deutliche sexuelle Konnotation. In der dritten Strophe von Bertha Lou heißt es:

Hey-Hey, Bertha Lou
I wanna conjugate[2] with you
You know my blood is running wild
And I know you are no child
When you do what you do
Bertha Lou[20]
Hey, hey, Bertha Lou
Ich möchte mich mit dir paaren
Du weißt, mein Blut gerät in Wallung
Und ich weiß, dass du kein Kind bist
Wenn du machst, was du machst
Bertha Lou

Das ungewöhnlich biologistische Verb to conjugate (deutsch: sich paaren) in der Erstversion des Liedes veranlasste den Promoter Dick Clark zu einem weitgehenden Boykott des Titels in von ihm organisierten Rundfunkprogrammen und Live-Shows.[22] John Marascalco wählte für den Druck der Notenausgabe den weniger anzüglichen Begriff to congregate (deutsch: zusammenkommen).[20]

Richard Aquila erkennt bezugnehmend auf Clint Millers Chartversion das humoristische Potenzial im überspitzten Text des erzählenden Rockabilly-Protagonisten: „Man wusste bereits bei der Veröffentlichung nicht, ob es sich um eine Parodie auf einen Frauennamen-Rockabilly-Song handelt oder ob er als ernstgemeinter Beitrag zum Repertoire des Genres gedacht ist.“[23] So lautet der Text der Bridge:

You wear your hair in a poodle cut
You’re walkin’ down the street a-like a semi-truck
And everybody knows that you’re so sweet
You tickle me from head to my athlete-a feet[20]
Du trägst dein Haar in einem Pudelschnitt
Du gehst wie ein Sattelschlepper die Straße hinunter
Und jeder weiß, dass du so süß bist
Es kribbelt von meinem Kopf bis zu meinem Fußpilz

Bedeutung, Erfolg und Kritik

Bertha Lou ist einer der meistgecoverten Songs aus dem gemeinsamen Werk und Soloschaffen der Burnette Brothers. Nach Angaben Rocky Burnettes einigten sich die Familien von Johnny und Dorsey Burnette Jahre nach dem Tod der beiden Brüder mit dem Verleger Marascalco über eine Überschreibung von Teilen der Autorenrechte. Zwar schlug sich diese Änderung nicht in der Datenbank der amerikanischen Verwertungsgesellschaft BMI nieder, bei der deutschen GEMA wird aber seitdem Johnny Burnette als Co-Autor angeführt.[26] Auf den Tonträgern wurde Johnny Burnette allerdings nie als Autor genannt. Die „Bertha-Lou-Kontroverse“[4] wird immer wieder in Musiklexika und -zeitschriften aufgegriffen und über Entstehung und Aufnahme des Songs in Blogs und Foren diskutiert.[2] Für Lee Cotten stellt „die Saga von Bertha Lou“ „eine der verworrensten Geschichten des frühen Rock-’n’-Roll“[27] dar.

Durch die vielen Coverversionen und Adaptionen kann der Song als „Standard“[28] des Rockabilly-Genres gelten.[29] In nationale Charts gelangte der Titel allerdings nur zweimal: Die Version von Clint Miller erreichte 1958 den 79. Platz der amerikanischen Billboard-Charts und den 49. Platz der amerikanischen Chessbox-Charts,[2] Gary Walkers Cover von Twinkie Lee konnte 1966 in den britischen Charts bis auf Platz 26 vordringen.[25] Auch in der Hochphase des Rockabilly zwischen 1956 und 1959 waren in diesem Genre Chartplatzierungen abgesehen von Hits Elvis Presleys, Jerry Lee Lewis’ und Carl Perkins’ selten.[30]

Klaus Kettner vom Münchner Re-Issue-Label Hydra Records stellte zwischen 2007 und 2010 viele der frühen Coverversionen und Adaptionen in der dreiteiligen CD-Reihe Like What We Wrote. The Songs of Johnny and Dorsey Burnette zusammen und hält Bertha Lou im zugehörigen Booklet „immer noch für einen großartigen, rockenden Song“.[2] Billy Poore macht in ihm „explosiven Rockabilly“ aus, alles in allem „Dorseys beste Rockabilly-Platte“,[31] insbesondere dessen „reiche, tiefe Stimme“ in der Enzyklopedia of Rock gelobt wird.[32] Bereits die mit Veröffentlichung des Liedes 1957 erschienenen Besprechungen der Versionen von Johnny Faire und Clint Miller im Billboard-Magazin bescheinigten dem Song ein großes Potenzial. Der „atemlose, hysterische Sound“ mit dem „heruntergehämmerten, starken Rhythmus“ der Begleitband von Faires „aufregender“ Performance passe sehr gut zum Geschmack der Teenager.[8] Clint Miller zeige in seiner soliden Coverversion einen „Rockablues“ im „Presley-Sound“, mit dem er auch im Country-&-Western-Markt punkten könne.[8] Zur zeitgenössischen Rezeption des Titels gehört auch Don Covays Song Believe It or Not von 1959 über eine DJ-Convention, dessen Text aus den Titeln von bekannten Rock-’n’-Roll-Nummern aufgebaut ist. In diesen Reigen ist auch Bertha Lou aufgenommen.[33]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e Gary E. Myers: Surf Records. In: Goldmine Magazine. 31. August 1992 (http://www.surfrecords.biz/big-story.html, abgerufen am 1. Juni 2011).
  2. a b c d e f g h i j k l m n o Klaus Kettner, Tony Wilkinson: The Story of 'BERTHA LOU', 'TWINKIE LEE' & 'SNACKY POO'. Hydra Records, München 2007–2010 (Fortsetzungsartikel in den Booklets der CD-Reihe Like What We Wrote Vol. 1–3. The Songs of Johnny and Dorsey Burnette. Hydra Records BCK 27134/27136/27138, http://www.rockabilly.nl/references/messages/bertha_lou.htm, abgerufen am 1. Juni 2011).
  3. Public Catalog. Library of Congress, abgerufen am 2. August 2011.
  4. a b c d Keith Babcock: The Bertha Lou Controversy. In: Surf Records. 2008, abgerufen am 4. Juli 2011 (englisch).
  5. Marc Alesina, Gilles Vignal: 1957. In: The Johnny & Dorsey Burnette Discography. Abgerufen am 26. Mai 2011 (englisch/französisch).
  6. a b c Cub Koda; Dominion Entertainment, Inc. (Hrsg.): Best of Dorsey Burnette. The Era Years. 1994 (Liner Notes der CD Era 5021-2).
  7. Gary E. Myers: Donnie Brooks. In: Record Exchanger. Nr. 29, 1981.
  8. a b c d The Record Industry's Most Complete Guide to Future Best Selling Pop Singles. In: The Billboard. 9. Dezember 1957, S. 50.
  9. a b Terry E. Gordon: Title Search Results for BERTHA LOU. In: Rockin’ Country Style. 2011, abgerufen am 26. Mai 2011 (englisch).
  10. Klaus Kettner, Tony Wilkinson: Clint Miller. Hydra Records, München 2008 (Liner Notes der CD Like What We Wrote Vol. 2. The Songs of Johnny and Dorsey Burnette. Hydra Records BCK 27136, http://www.rockabilly.nl/references/messages/clint_miller.htm, abgerufen am 31. Juli 2011).
  11. Gérard Lambert: Marty Wilde. In: Rocky 52. 16. Oktober 2009, abgerufen am 20. Juni 2011 (englisch).
  12. a b c Gary E. Myers: Larry Bright – Mojo Workout. In: Goldmine Magazine. Nr. 322, 27. November 1992.
  13. Gary Walker: Biography. In: Gary Walker. Official Site. Januar 2007, abgerufen am 27. Juni 2011 (englisch).
  14. Walker Brothers, The – The Walker Brothers in Japan. In: Discogs. Abgerufen am 28. Juni 2011 (englisch).
  15. a b Public Catalog. Library of Congress, abgerufen am 2. August 2011.
  16. a b Marv Goldberg: The Valiants. In: Marv Goldberg′s R&B Notebook. 2002, abgerufen am 30. September 2008 (englisch).
  17. Theodore Gracyk: Rhythm and Noise. An Aesthetics of Rock. Duke University Press, Durham, London 1996, ISBN 0-8223-1734-6, S. 92.
  18. Bob Spitz: Dylan: a Biography. McGraw-Hill Publishing Company, Kew York, St. Louis, San Francisco, Hamburg, Mexico, Toronto 1989, ISBN 0-07-060330-8, Man About Town, S. 477f.
  19. Chas Kit: Jack Bedient and the Chessmen. In: Garagehangover. 23. September 2007, abgerufen am 2. Juni 2011 (englisch).
  20. a b c d John Marascalco: Bertha Lou. Rio Grande Music, Robin Hood Music, Hill and Range Songs, New York 1957 (Notenausgabe).
  21. a b Richard Aquila: That Old-Time Rock & Roll. A Chronicle of an Era, 1954–1963. University of Illinois Press, Urbana, Chicago 2000, ISBN 0-252-06919-6, S. 84ff.
  22. Lee Cotten: The Donnie Brooks Interview. In: Rock & Blues News. Feb.-Mar. '00, High Sierra Books, Sacramento 2000, ISSN 1521-6675, S. 5–8.
  23. Richard Aquila: That Old-Time Rock & Roll. A Chronicle of an Era, 1954–1963. University of Illinois Press, Urbana, Chicago 2000, ISBN 0-252-06919-6, S. 276.
  24. Joel Whitburn: Top pop records, 1955–1970. Gale Research Co., 1972.
  25. a b Guinness (Hrsg.): British Hit Singles & Albums. 18. Auflage. Guinness World Records Limited, 2005, ISBN 978-1-904994-00-8.
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  27. Lee Cotten: Twist & Shout. The Golden Age of American Rock ’n Roll, Band 3. High Sierra Books, Sacramento 2002, ISBN 0964658844, S. 156f.
  28. Dennis DeWitt: Rocky Burnette Interview. In: Blue Suede News. Nr. 39, Duvall 1997, ISSN 1057-6647, S. 7–9.
  29. Colin Larkin: The encyclopedia of popular music. 6, Oxford University Press, Oxford 2006, ISBN 0-19-531373-9, S. 858.
  30. Craig Morrison: Go cat go!: rockabilly music and its makers. University of Illinois Press, Champaign 1998, ISBN 0-252-06538-7, S. 44.
  31. Billy Poore: Rockabilly: a Forty-Year Journey. Hal Leonard, Milwaukee 1998, ISBN 0-7935-9142-2, S. 46.
  32. Phil Hardy, Dave Laing, Stephen Barnard, Don Perretta: Encyclopedia of Rock. Schirmer Books, 1988, ISBN 0-02-919562-4, S. 81.
  33. John Minton: 78 blues: folksongs and phonographs in the American South. University Press of Mississippi, Jackson 2008, ISBN 978-1-934110-19-5, I Ought to Be Recording Right Now, S. 140.
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