Berthold Kihn

Berthold Kihn

Berthold Kihn (* 10. März 1895 in Schöllkrippen; † 19. Januar 1964 in Erlangen) war deutscher Psychiater und Neurologe, zur Zeit des Nationalsozialismus T4-Gutachter sowie Professor an der Universität Jena.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kihn, Sohn eines Oberregierungsrates, schloss seine Schullaufbahn an einem Gymnasium in Schweinfurt mit dem Abitur ab. Ab 1914 studierte er an der Universität Würzburg Medizin und erhielt dort 1921 sein Approbation zum Arzt. Danach war er kurzzeitig im Pathologischen Institut Würzburg und der Heil- und Pflegeanstalt Lohr als Assistent tätig. Weitere Kurzaufenthalte folgten am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Dort wechselte er an die Psychiatrische Klinik bis er 1923 schließlich seinen Dienst bei der Psychiatrischen Klinik in Erlangen antrat.[1] Ebenfalls 1923 wurde er Mitglied im Bund Oberland[2] und noch vor 1933 der DNVP.[3] Seine Habilitation erfolgte 1927 und er war zeitweise auch bei Julius Wagner-Jauregg an der Niederösterreichischen Landesheil- und Pflegeanstalt für „Nerven- und Geisteskranke“ in Wien tätig.[1]

Noch vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten publizierte er 1932 in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie einen Beitrag mit dem Titel: Die Ausschaltung der Minderwertigen aus der Gesellschaft: „Im Kampf gegen die Minderwertigkeit ist jede Maßnahme erlaubt“.[4]

Zeit des Nationalsozialismus

Kihn gehörte ab 1933 der SA an, wo er den Rang eines Obertruppführers erreichte. Kihn, seitens der Gauleitung bezüglich seiner nationalsozialistischen Einstellung als positiv bezeichnet, wurde 1934 außerordentlicher Professor an der Universität Erlangen.[2] Von November 1936 bis Ende September 1938 war Kihn kommissarischer Leiter der Landesheilanstalt Stadtroda. Seine Tätigkeit dort war gekennzeichnet durch Einsparungen bei der Versorgung „unheilbar“ psychisch Kranker, was dort zu vorzeitigen Todesfällen führte.[3] Von Oktober 1938 bis 1945 leitete er als Direktor die Universitätsklinik in Jena. Kihn wurde zeitgleich an der Universität Jena zum ordentlichen Professor als Nachfolger von Hans Berger ernannt und wurde dort 1944 Dekan. Zudem war er Richter am Erbgesundheitsobergericht in Jena.[2]

Kihn wurde im Frühsommer 1940 auf einer Geheimkonferenz in Berlin als externer Gutachter für die Aktion T4 angeworben und war ab dem 5. Juni 1940 in dieser Funktion tätig. Dabei bearbeitete Kihn Meldebögen von Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten und war 1941 Mitglied einer Selektionskommission in der Anstalt Bethel.[5] So war Kihn an den Euthanasieverbrechen unmittelbar beteiligt. Kihn arbeitete zudem an einem Euthanasiegesetz („Gesetz über Sterbehilfe bei unheilbar Kranken“) mit. Dieses Gesetz wurde im Oktober 1940 verabschiedet, erlangte aber keine Rechtsgültigkeit.[6]

Nach Kriegsende

Kihn floh nach Kriegsende aus Jena, nachdem er dort kurzzeitig seine Wohnung nicht verlassen durfte. Im September 1945 wurde Kihn durch den Landesdirektor schriftlich mitgeteilt, dass er aufgrund seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und seinem Einsatz für die Ziele der Partei umgehend aus dem Universitätsbetrieb in Jena ausgeschlossen werde. Kihn arbeitete danach als niedergelassener Psychiater in Erlangen und leitete ab 1951 ein durch ihn gegründetes Privatsanatorium.[1] Zudem war er ab 1952 als Honorarprofessor an der Universität Erlangen und hielt Vorlesungen im Bereich Psychiatrie, Neurologie und medizinische Psychotherapie ab.[5]

Nach einem Artikel in der Zeitschrift Der Spiegel, in der auch Kihns Name auftauchte, wurde ein Ermittlungsverfahren gegen Kihn eingeleitet. Ehemalige Kollegen bestätigten seine Tätigkeit als T4-Gutachter und die Teilnahme an Gutachtertagungen. Nachdem er anfänglich die Vorwürfe abstritt, gab er schließlich Mitte Juni 1962 zu, auf bis zu 20 Meldebögen ein Pluszeichen eingetragen zu haben. Er habe geglaubt, dass es nur um eine Trennung der Patienten in arbeitsfähig oder nicht arbeitsfähig gegangen sei. Erst nachdem er Kenntnis davon erhalten habe, dass die als Euthanasiefall gekennzeichneten Patienten getötet würden, habe er auf den Meldebögen keine Pluszeichen mehr verzeichnet. Das durch die Staatsanwaltschaft am Landgericht Nürnberg-Erlangen gegen Kihn wegen Beihilfe zum Mord eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde am 22. Januar 1963 eingestellt, da Kihn im Rahmen der Euthanasieverbrechen keine Haupttat nachgewiesen werden konnte. [1]

Literatur

  • Jennifer Hill: Zum Schicksal männlicher Patienten der Jenaer Psychiatrischen- und Nervenklinik 1933 bis 1945 nach ihren Verlegungen in die Landesheilanstalten Stadtroda und Blankenhain, Dissertation Universität Jena 2008 (pdf)
  • Hanns Hippius: Universitätskolloquien zur Schizophrenie, Steinkopff-Verlag, Darmstadt 2003, Band 1, ISBN 3-7985-1333-3.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-596-16048-0.
  • Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“; Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1983; ISBN 3-10-039303-1
  • Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord . 12 Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-24364-5
  • Heinz Schott und Rainer Tölle: Geschichte der Psychiatrie. Krankheitslehren, Irrwege, Behandlungsformen. Beck, München 2006, ISBN 978-3-406-53555-0

Einzelnachweise

  1. a b c d Hanns Hippius: Universitätskolloquien zur Schizophrenie, Darmstadt 2003, S. 52f.
  2. a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945., Frankfurt am Main 2007, S. 308
  3. a b Jennifer Hill: Zum Schicksal männlicher Patienten der Jenaer Psychiatrischen- und Nervenklinik 1933 bis 1945 nach ihren Verlegungen in die Landesheilanstalten Stadtroda und Blankenhain, Dissertation Universität Jena 2008, S. 7f.
  4. Zitiert bei: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945., Frankfurt am Main 2007, S. 308
  5. a b Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord , Frankfurt am Main 2004, S. 168f.
  6. Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“; Frankfurt am Main, 1983, S. 227f., 241f.
    Heinz Schott und Rainer Tölle: Geschichte der Psychiatrie. Krankheitslehren, Irrwege, Behandlungsformen, München 2006, S. 543

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