Boberhaus

Boberhaus

Das Boberhaus war ein Volksbildungshaus und „Grenzvolkshochschulheim“ in Löwenberg (Schlesien).

Etwa zehn Jahre diente diese Bildungsstätte als ein Haus, in dem die "Jugend aller Parteien, Klassen und Bekenntnisse (...) für kürzere oder längere Freizeiten" zusammenleben sollte (Artur v. Machui, 1928). Das Boberhaus wurde im Jahr 1925 auf Initiative von Eugen Rosenstock-Huessy, dem erst 18-jährigen Helmuth James Graf von Moltke und Artur von Machui begründet, Ostern 1926 eröffnet und durch die „Schlesische Jungmannschaft“ der Deutschen Freischar organisiert. Finanzielle Unterstützung fand die Einrichtung mit Hilfe von Heinrich Brüning, dem damaligen Reichstagsabgeordneten des Waldenburger Wahlkreises. Dem Beirat gehörten unter anderem Gerhart Hauptmann, Gerhard von Schulze-Gaevernitz und Paul Löbe an. Die Eröffnung der in einem Gebäude des Architekten Hans Poelzig aus dem Jahr 1910 untergebrachten Einrichtung erfolgte im Frühjahr 1926. Leiter war bis 1932 Hans Raupach. Ziel der Einrichtung war die Erwachsenenweiterbildung, die Musikerziehung sowie der Austausch mit dem Ausland, insbesondere mit Südosteuropa.

Im April 1927 fand hier das erste Bundesarbeitslager der Deutschen Freischar statt. Im Oktober 1927 fand eine Tagung unter der Leitung von Rosenstock-Huessy statt, die die „Notstände des Landeshuter, Waldenburger und Neuroder Reviers“ zum Gegenstand hatte. Man wollte die selbsttragenden Kräfte der Region mobilisieren. Ein Ergebnis war die Gründung der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft, die die Aufgabe erhielt „Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten“ zu veranstalten. Das erste Lager wurde im März 1928 durchgeführt. Diese pädagogisch motivierten, freiwilligen Arbeitslager dienten dem konfessionell und weltanschaulich übergreifenden Erziehungsziel der Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses in der Volksgemeinschaft. Teilnehmer waren mit je einem Drittel über 100 junge Männer aus den Bereichen Industriearbeiter, Landwirtschaft und Hochschule. In diesem „Löwenberger Arbeitslager“ wurde nach Frühstück und einer Ansprache durch Rosenstock-Huessy am Vormittag zunächst vier Stunden in verschiedenen Projekten körperliche Arbeit geleistet. Am Nachmittag fanden dann Vorträge verschiedener Referenten statt. Dieser Art organisierte Arbeitslager wurden noch zweimal in den Jahren 1929 und 1930 durchgeführt. 1930 waren erstmals auch Frauen unter den Teilnehmern. Einer der Referenten war in den Jahren 1928 und 1929 Adolf Reichwein, der hier einige Mitglieder des Kreisauer Kreises kennenlernte. Sein Thema 1928 lautete: „Weltwirtschaftliche Zusammenhänge der Probleme in Deutschland und Schlesien“.

Nach dem Vorbild des Boberhauses entstanden in der Folge mehrere gleichartige Initiativen, die 1931 in den „Freiwilligen Arbeitsdienst“ (FAD) überführt wurden. Die Deutsche Freischar gründete das „Bundeswerk Boberhaus“ und erhielt aus diesem Programm Fördermittel zur Durchführung ihrer Veranstaltungen.

1937 wurde das Boberhaus durch die Nationalsozialisten enteignet.

In der Nachkriegszeit bestand noch bis 1994 ein Boberhauskreis, der seine Mitglieder mit Rundbriefen über seine Aktivitäten informierte und sich entwicklungspolitisch engagierte. Eine Ausstellung im „Pferdestall“ der Begegnungsstätte Kreisau erinnert heute an die Aktivitäten des Boberhauskreises. Darüber hinaus besteht ein Boberhaus-Archiv in Kaiserslautern.

Literatur

  • Eugen Rosenstock-Huessy: Hochschule und Arbeitslager. In: Schlesische Hochschulblätter 2, 1927, S. 17-19; „Das Arbeitslager für Jungarbeiter, Jungbauern und Jungakademiker in Löwenberg vom 14.–31. März 1928“. Freie Volksbildung (Neue Folge des Archivs für Erwachsenenbildung) 3, 1928: S. 217–224
  • Artur von Machui: Aus unserer Gründungszeit. In: Die Volksgruppe. Beiträge zum schlesischen Volksbildungswerk, Frühjahr 1928, S. 2-4
  • Adolf Reichwein: Ein Arbeitslager. In: Volkshochschulblätter für Thüringen, 10, 1928–29, H. 1, S. 14–19;
    • wieder in: Ullrich Amlung, Nicole Hoffmann, Bettina Irina Reimers: Adolf Reichwein und Fritz Klatt. Ein Studien- und Quellenband zu Erwachsenenbildung und Reformpädagogik in der Weimarer Republik. Juventa, Weinheim 2008, S. 79–86
  • Eugen Rosenstock und Carl Dietrich von Trotha Hgg.: Das Arbeitslager. Berichte aus Schlesien von Arbeitern, Bauern, Studenten. Eugen Diederichs, Jena 1931, S. 87–116;
    • wieder in: Klaus Bergmann & Günther Frank: Bildungsarbeit mit Erwachsenen. Handbuch für selbstbestimmtes Lernen. Rowohlt, Reinbek 1977, S. 44–60 („Das Dritte Lager“ und „Stimmen“)
  • Georg Keil: Gelebte Koexistenz im Boberhaus. In: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung 10, 1978, S. 117–129
  • Walter Greiff: Das Boberhaus in Löwenburg/Schlesien 1933–1937. Selbstbehauptung einer nonfonformen Gruppe. Thorbecke, Sigmaringen 1985
  • Peter Dudek: Erziehung durch Arbeit. Arbeitslagerbewegung und freiwilliger Arbeitsdienst 1920–1935. Leske & Budrich, Opladen 1988 [kritisch]
  • Johann Georg Keil & Hans Dehmel u. a.: Vormarsch der Arbeitslagerbewegung. Geschichte und Erfahrung der "Arbeitslagerbewegung für Arbeiter, Bauern, Studenten 1925-1932". Hg. Deutsches Studentenwerk. Reihe: Studentenwerk-Schriften Bd. 6; de Gruyter, Berlin 1932
  • Walter Greiff, Rudolf Jentsch & Hans Richter Hgg.: Gespräch und Aktion in Gruppe und Gesellschaft 1919-1969. Für Hans Dehmel im Auftrage des Boberhauskreises. Reihe: Quellen und Beiträge zur Geschichte der Jugendbewegung, Band 14. Dipa, Frankfurt 1970
  • Peter Nasarski Hg.: Deutsche Jugendbewegung in Europa. Versuch einer Bilanz. Textbeiträge von Gerhard Albrich, Hans Christian Brandenburg, Hans Christ, Hans Dehmel, Karl Epting, Rolf Gardiner, Rüdiger Goldmann, Sepp Großschmidt, Bernhard Heister, Willi Horak, Augustinus K. Huber, Wilhelm Jesser, Toni Kaser, Rudolf Kneip, Helmut Neumann, Kurt Oberdorffer, Erich Scholz, Elimar Schubbe, Friedrich Spieser-Hünenburg, Arved von Taube, Karl Thums, Erhard Wittek. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1967

Weblinks


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