Daschdordschiin Natsagdordsch

Daschdordschiin Natsagdordsch
Denkmal für Daschdordschiin Natsagdordsch in Ulaanbaatar

Daschdordschiin Natsagdordsch (mongolisch Дашдоржийн Нацагдорж; * 17. November 1906; † 13. Juli 1937) war ein mongolischer Schriftsteller und gilt als der Begründer der modernen mongolischen Literatur.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Natsagdordsch wurde als Sohn eines armen, aber gebildeten adligen Beamten geboren. Bereits mit elf Jahren trat er als Hilfsschreiber in den Staatsdienst der autonomen Äußeren Mongolei ein. Durch Privatlehrer erhielt er frühzeitig eine gute Ausbildung und gehörte somit nach der Revolution von 1921 zu der sehr kleinen Schicht mongolischer Intellektueller, die verantwortliche Funktionen in der 1924 gegründeten Volksrepublik übernehmen konnten. Er machte in der Armee Karriere und gehörte zu den Gründern des kommunistischen Jugendverbands. Er war sogar trotz seiner Jugend Kandidat für das Zentralkomitee der Partei und der zentralen Kontrollkommission. Nach einem einjährigen Studium an der Militärakademie Leningrad 1925/26 gehörte er zu den etwa fünfzig jungen Mongolen, die zwischen 1925/26 und 1929/30 überwiegend als Schüler und Praktikanten eine Ausbildung in Deutschland – einige auch in Frankreich – erhielten. Tatsächlich war Natsagdordsch nicht Mitglied der organisierten Gruppe von Mongolen, die teils in Wickersdorf oder Letzlingen in Internate ginden oder in Berlin in Regelschulen bzw. die in verschiedenen Betrieben eine Lehre absolvierten. Er konnte stattdessen mit seiner Frau und unabhängig von dieser Gruppen seinen Aufenthalt gestalten. Dieses "pädagogische Experiment" war nur möglich durch die nationaldemokratische, weltoffene Orientierung der damaligen mongolischen Führung, die bereits 1928 abgesetzt wurde. So blieben diese jungen Mongolen, von denen später viele Repressalien ausgesetzt waren, die einzigen, die bis zur demokratischen Wende 1990 im kapitalistischen Ausland ausgebildet wurden.

Nach einigen Monaten in Berlin ging Natsagdordsch nach Leipzig, wo er nicht – wie früher behauptet – Journalistik studierte, da er wie die anderen seiner jungen Landsleute keinen dem deutschen Abitur vergleichbaren Abschluss nachweisen konnte. So war es für ihn ein Glücksfall, dass er bei den Leipziger Professoren Erich Haenisch und Friedrich Weller assistieren konnte, die damals Mongolistikstudien betrieben.

1929 kehrte er mit den meisten anderen Mongolen in die Heimat zurück, wo er anfangs keine feste Anstellung bekam und als Dolmetscher und Mitarbeiter der Jugendzeitung tätig war. Ab 1931 studierte er am Wissenschaftskomitee, wurde dort 1934 erster Dolmetscher und im Jahr darauf Leiter der Historischen Abteilung dieses Komitees. Unter der linksradikalen Führung wurde Natsagdordsch 1932 erstmals unter absurden Beschuldigungen verhaftet und zu einjähriger Aufenthaltsbeschränkung verurteilt, 1936 folgten eine zweite Verhaftung und fünfmonatige Zwangsarbeit.

Das kurze, spannungsreiche und tragische Leben des mongolischen Nationaldichters endete im Alter von dreißig Jahren, wenige Wochen vor Beginn des "Großen Terrors" in der Mongolei, dem über 30.000 Menschen zum Opfer fielen.

Werk

Natsagdordsch, tief verwurzelt in der mongolischen Literaturtradition und besonders der Volksdichtung, war der erste, der den Fundus der Weltliteratur aufnahm und so zum Vorreiter der modernen mongolischen Lyrik und Kurzprosa und auch zum ersten international bekannten mongolischen Dichter wurde. Das literarische Niveau seiner besten Werke wurde von einer neue Schriftstellergeneration erst in den 1950er und 1960er Jahren wieder erreicht.

Einige von Natsagdordschs frühen literarischen Arbeiten entstanden bereits in Deutschland, so das Gedicht "In ein fernes Land, um zu lernen" (1927, dt. 1967) und die Skizze "Ich erlebte den 1. Mai in einem kapitalistischen Land" (1928, dt. 2006). An die reiche Volksliedtradition anknüpfend, schuf er Liebes- und Naturgedichte, die zu den schönsten der mongolischen Lyrik gehören. Das Poem "Meine Heimat" (1933) gilt bis heute als Nationalgedicht der Mongolen. Auch "Der Stern" (1931, dt. 2009) und der Gedichtzyklus "Die vier Jahreszeiten" (1934, dt. 1967) gehören zum bleibenden Bestand der mongolischen Dichtung.

In seinen meist kurzen Erzählungen beschritt Natsagdordsch für die mongolische Prosa völlig neue Wege einer realistischen und poetischen Erzählkunst. Während Prosaskizzen wie "Der Vogelgraue" (1930) und "Die Steppenschönheit" (1931) als "lyrische Miniaturen" bezeichnet werden, deutet der Dichter mit Erzählungen wie "Der Sohn der alten Welt" (1930, dt. 1968) und "Weißer Mond und Schwarze Tränen" (1932, dt. 1968) an, wie sich junge Mongolen aus Elend und Unwissenheit befreien und einen selbstbestimmten Weg gehen können. In der in viele Sprachen übersetzten Erzählung "Die Tränen des Lamas" (1930, dt. 1976) stellt Natsagdordsch sein Talent als humorvoll-ironischer Autor unter Beweis. Autobiographische Züge trägt die Erzählung "Düstere Felsen" (1930). Auch als Übersetzer (Puschkin, Poe, Maupassant) sowie als Dramatiker hat Natsagdordsch Bedeutung erlangt. Auf einen Märchentyp, der bei den Mongolen wie auch bei anderen zentralasiatischen Völkern verbreitet ist, geht sein Stück "Die drei traurigen Hügel" (1934) zurück, das in der Bearbeitung als Oper (1942) zum am meisten gespielten Werk des mongolischen Theaters wurde.

Übersetzungen

  • in: Wessen Welt...Poetisches Dokument, (Ost-) Berlin 1967
  • in: "Sonntag", Nr. 1/68, (Ost-) Berlin
  • in: Erkundungen. 20 mongolische Erzählungen, (Ost-) Berlin 1976
  • in: Mongolische Notizen, Heft 15/2006 und Heft 18/2009

Literatur

  • Klaus Oehmichen, Daschdordschiin Natsagdordsch – Dichter des mongolischen Volkes, in: neue deutsche literatur, Heft 6/1987
  • Walther Heissig, D. Nacagdorz (Natsagdordsch), Die drei traurigen Hügel, in: Kindlers neues Literatur-Lexikon (Studienausgabe), Bd. 12, München 1996
  • Erika Taube, Schwierige Spurensuche. Die Leipziger Studienjahre des Dichters Daschdordschiin Natsagdordsch, in: Mongolische Notizen, Heft 6/1997
  • Klaus Oehmichen, Gebrochene Biographien, in: ebd., Heft 15/2006

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