Dechsel (Archäologie)

Dechsel (Archäologie)

Dechsel prähistorischer Kulturen, auch Querbeil, Flachbeil oder Flachhacke genannt, waren während der Steinzeit weit verbreitete Werkzeuge aus Stein, deren Funktionsweise modernen Dechseln aus Stahl entspricht.

Baumfällversuch mit der Rekonstruktion eines bandkeramischen Dechsels im experimentalarchäologischen Feldversuch

Inhaltsverzeichnis

Dechsel der Steinzeit

Mesolithikum

Dechsel aus Stein gibt es seit der Mittelsteinzeit (Mesolithikum), wo sie als Grundtypen entweder Scheibenbeil oder Kernbeil genannt werden. Viele mesolithische Dechsel im nördlichen Mitteleuropa waren aus Feuerstein gefertigt.

Linienbandkeramik

Hauptartikel: Schuhleistenkeil

Der schmalhohe Dechel der Bandkeramik wird traditionell als Schuhleistenkeil bezeichnet, nach den Leisten des Schuhmachers. Ähnlichkeiten mit dem hölzernen Leisten sind mit der flachen Unterseite und der aufgewölbten Oberseite vorhanden, so dass oft ein D-förmiger Querschnitt vorliegt. Neutraler werden sie heute als „schmal-hoher Dechseltyp“ bezeichnet. Eine Klassifikation der Schuhleistenkeile nach Formentypen ist nur bedingt möglich, da durch den Gebrauch und die Nachschärfung der Klinge eine Formveränderung stattfinden kann.[1] Dechselklingen der Linienbandkeramik haben oft eine gewölbte Dorsalseite (Oberseite) und eine meistens flach gezogene Ventralseite (Unterseite). Neben den dorsal hoch aufgewölbten gibt es bereits in der Bandkeramik auch flache und breite Dechselklingen, die als „Flachbeil“ oder – nach der irrtümlich angenommenen Verwendung – als „Flachhacke“ bezeichnet werden.[2]

Mittelneolithikum

In den mittelneolithischen Folgekulturen der Linienbandkeramik, besonders in der Stichbandkeramik, der Hinkelstein-Kultur, Großgartacher Kultur , Rössener Kultur und Lengyel-Kultur, gab es durchlochte Schuhleistenkeile.[3] Diese durchlochten Dechsel repräsentieren ausschließlich den schmalhohen Typ und werden als Typ Schuhleistenkeil von den mittelneolithischen Flachbeilen unterschieden. Da die Lochdurchmesser meist recht klein sind, ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass diese zur Aufnahme des hölzernen Schaftes gedient haben und als Äxte eingesetzt wurden. Sofern sie lediglich zur Fixierung der Dechsel mittels Schnüren bzw. Riemen gedient haben, können die Durchlochungen waagerecht gelegen haben, so dass dann ebenfalls eine Dechselschäftung mit quer liegender Schneide vorliegt. Alternativ dazu werden diese durchlochten und meist sehr schweren Schuhleistenkeile als Setzkeile interpretiert.[4]

Material

Rohmaterialien für geschliffene Dechsel können sowohl Metamorphite, Vulkanite als auch Sedimentite sein. Bei Vulkaniten und Sedimentiten mit amorpher Gesteinsstruktur ist ein materialbedingtes Brechen seltener gegeben als bei Metamorphiten, die oft natürliche kristalline Spaltflächen aufweisen.

Als Rohmaterial bandkeramischer Schuhleistenkeile wurden bevorzugt Amphibolite verwendet, worunter metamorphe Gesteinsarten der Aktinolith-Hornblende-Schiefer-Gruppe (Kürzel: AHS-Gruppe) zusammengefasst werden. Ein weiteres häufiges Material ist Grünschiefer, seltener sind dagegen Phtanit (Herkunftsgebiete im Elsass und in Belgien), wie auch Basalt oder der so genannte „Wetzschiefer“. Als Herkunftsgebiet des weit verbreiteten Amphibolits in bandkeramischen Fundplätzen Deutschlands wurde lange das Fichtelgebirge oder der Böhmerwald angenommen, ohne dass konkrete Abbaustollen bekannt waren.[5] Weitere Vorkommen gibt es im sächsischen Erzgebirge und im Schwarzwald. Erst 2001 wurden bei Jistebsko, Kataster Jablonec nad Nisou im böhmischen Isergebirge Spuren des jungsteinzeitlichen Abbaus von Amphibolit (Aktinolith-Hornblende-Schiefer) entdeckt.[6][7] Geochemische Untersuchungen belegen, dass ein erheblicher Teil der bandkeramischen Dechselklingen aus Gestein von dieser Lokalität gefertigt wurde.[8][9][10]

Die Funde, vor allem Halbfabrikate, aus Hienheim „am Weinberg“ geben Aufschluss über die Herstellung von Dechseln und Beilen. Die Artefakte ließen Schleifen, Picken, Durchbohrungen, Sägen und die am meisten angewandte Schlagtechnik als Bearbeitungsmethoden erkennen. Die Längsachse der Klingen verläuft bei metamorphen Gesteinen parallel zur Gesteinsstruktur.[11] Dies zeigt, dass prähistorische Steinhauer gezielt Rohformen für die Verarbeitung zu Dechseln hergestellt haben.

Neben Dechseln aus Gestein gab es in der Bandkeramischen Kultur auch modifizierte Metapodien, deren Formgebung auf Verwendung als Dechselklingen hinweist.[12]

Schäftung

Anhand der Polituren auf Dechselklingen können Rückschlüsse auf die Schäftung gewonnen werden. Typisch ist die „Knieholmschäftung“ (spitzwinklige Astansätze von Eschen, Buchen oder Eichen). Selten wurden stumpfwinklige Schäftungen gefunden, wie im bandkeramischen Brunnen Altscherbitz.[13] Leicht trapezförmige, hohe und flache rechteckige Klingen wurden direkt nach Fertigstellung bis zur breitesten und höchsten Stelle geschäftet. Diese liegt im Idealfall bei der Hälfte der Länge. Durch Nachschärfung verändert sich dieses Verhältnis und die Klinge kann bis zu 50% der Länge verlieren.

Eine Diskussion von Dechselklingen als Beitel bzw. Meißel beruht bislang eher auf theoretischen Möglichkeiten als auf Bodenfunden.[14][15] Allerdings legen die Spuren an Brunnenbohlen der Bandkeramik im Bereich der Verkämmung den Einsatz von Beiteln nahe.[13]

Bei alt- und mittelneolithischen Dechseln des Typs „Flachbeil“ ist auch die Verwendung von „Zwischenfuttern“ aus Rothirschgeweih denkbar, jedoch bislang nicht als Bodenfund belegt. Stattdessen sind ausschließlich Dechselklingen erhalten, auf deren Unterseite einseitige Spuren von der Auflage auf dem Holm zu erkennen sind. Flachbeile mit Zwischenfutter werden in Feuchtbodensiedlungen des Jung- bis Endneolithikums häufig gefunden, dort aber eher in Verbindung mit so genannten „Flügelholmschäftungen“ und einer senkrecht stehenden Beilklinge.

Verwendungszweck

Behauen eines Baumstammes mit einer langstieligen Flachdechsel

Dechsel wurden ausschließlich zur Holzgewinnung und Verarbeitung gebraucht. Das Gewicht, die Schäftungstiefe, die Länge des ungeschäfteten Teils der Klinge sind ausschlaggebend für die Verwendung als Querbeil im Bezug auf Einschlagskraft, -tiefe und -winkel. Breit-flache Dechseklingen existieren in unterschiedlichen Größen. Besonders breite Exemplare eigneten sich wohl für das Fällen von Bäumen. Wahrscheinlich sind schmal-hohe Klingen bedingt durch ihre Stabilität und Masse für grobe Arbeiten gebraucht worden. Diese Klingen in filigraner Ausführung wurden mutmaßlich zum Herstellen tiefer Löcher oder Nute im Holz verwendet. Die ungeschäftete Klinge kann man als Meißel oder Keil zum Spalten von Holz benutzen. Die Dechselklinge als Hobel ist ebenfalls denkbar. Die Funktion lässt sich durch das Verändern des Verhältnisses zwischen Klinge und Schäftung, Hinzufügen eines Griffs oder Abschleifen der Schneide verändern. Die Zweitverarbeitung einer Dechselklinge ist ebenso möglich. Tatsächlich wurden schon leicht beschädigte Dechselklingen weggeworfen, da man sie auch für feine Arbeiten benutzte.

Parallelentwicklungen

Vergleichbare Werkzeugfunde sind u.a. von den polynesischen Inseln bekannt.[16][17] Die aus Basalt, auf einigen Inseln auch aus der Schale der Tridacna gigas gefertigten Klingen haben entweder einen trapezförmigen oder plan-konvexen Querschnitt und sind zum Teil sehr sorgfältig geschliffen. Die Klingen wurden in Dechseln geschäftet und noch bis in das 20. Jahrhundert etwa beim Bootsbau verwendet.

Literatur

  • C.C. Bakels: On the Adzes of the Northwestern Linearbandkeramik. In: Analecta Praehistorica Leidensia. Nr. 20, Leiden 1987, S. 53-86 (englisch).
  • Jan Prostřednik, Britta Ramminger & Petr Šida: Dechselklingen aus Jistebsko In: Archäologie in Deutschland 4/2011 S. 54

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Margarete Dohrn-Ihmig: Das bandkeramische Gräberfeld von Aldenhoven-Niedermerz, Kreis Düren. In: Archäologie in den Rheinischen Lößbörden. Rheinland-Verlag, Köln 1983, ISBN 3-7927-0692-X, S. 47-190.
  2. Werner Buttler: Der Donauländische und der westliche Kulturkreis der jüngeren Steinzeit. In: Ernst Sprockhoff (Hrsg.): Handbuch der Urgeschichte Deutschlands. 2, de Gruyter, Berlin/Leipzig 1938.
  3. A. Grisse: Neue Methode der Metrischen und Typologischen Klassifikation von Steinernen Äxten und Pickeln des Neolithikums. In: Acta archaeologica Academiae Scientiarum Hungaricae. Akadémiai Kiadó, Budapest 2009, ISSN 0001-5210, S. 357-373.
  4. Clemens Eibner: Zur Nomenklatur und ergologischen Interpretation des neolithischen Setzkeiles. In: Archaeologia Austriaca. Nr. 50, 1971, 50 ISSN 1816-2959 50, S. 1-20.
  5. C. Arps: Petrography and possible origin of adzes and other artefacts from prehistoric sites near Hienheim (Bavaria, Germany) and Elsloo, Sittard and Stein (Southern Limburg, The Netherlands). In: C.C. Bakels: Four Linearbandkeramik settlements and their environment: a palaeoecological study of Sittard, Stein, Elsloo and Hienheim. Analecta Praehist. Leidensia. 11, 1978, S. 202-228 (englisch)
  6. Šrein, u.a.: Neolitický těžební areál na katastru obce Jistebsko (Ein neolithisches Abbaugebiet im Kataster Jistebsko). In: Archeologie ve středních Čechách. Nr. 6, 2002, S. 91-99.
  7. B. Sreinová,. u.a.: Petrology and Mineralogy of the Neolithic and Aeneolithic Artefact in Bohemia. In: Acta Montana IRSM AS CR, Series AB No. 12 (132). 2003, S. 111-119 (englisch).
  8. A.-M. Christensen, P.M. Holm, U. Schuessler, J. Petrasch: Indications of a major Neolithic trade route? An archaeometric geochemical and Sr, Pb isotope study on amphibolitic raw material from present day Europe. In: Applied Geochemistry. 2006, S. 1635-1655, doi:10.1016/j.apgeochem.2006.07.009 (englisch).
  9. Britta Ramminger: Wirtschaftsarchäologische Untersuchungen zu alt- und mittelneolithischen Felsgesteingeräten in Mittel- und Nordhessen. Leidorf, Rahden/Westf. 2007, ISBN 978-3-89646-374-6.
  10. Nicole Kegler-Graiewski: Beile-Äxte-Mahlsteine, Zur Rohmaterialversorgung im Jung- und Spätneolithikum Nordhessens. Köln 2007 (Dissertation).
  11. C.C. Bakels: On the Adzes of the Northwestern Linearbandkeramik. In: Analecta Praehistorica Leidensia. Nr. 20, Leiden 1987, S. 55 (englisch).
  12. Jürgen Weiner: Zur Technologie bandkeramischer Dechselklingen aus Felsgestein und Knochen - Ein Beitrag zur Forschungsgeschichte. In: Archaeologia Austriaca. Nr. 80, 1996, ISSN 1816-2959, S. 115-156.
  13. a b Rengert Elburg: Eine Dechselklinge mit Schäftungsresten aus dem bandkeramischen Brunnen von Altscherbitz. In: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege, Band 50, 2008, S. 9–15
  14. M. Dohrn: Überlegungen zur Verwendung bandkeramischer Dechsel aufgrund der Gebrauchsspuren. Fundber. Hessen 19/20, 1981, S. 69–78
  15. J. Gechter-Jones/D. Tomalak: Cleverer als man dachte: die Dechselklinge, ein „Universalgerät“. Arch. Rheinland 2001, S. 176–178
  16. Erhard Schlesier: Eine ethnographische Sammlung aus Südost-Neuguinea. Edition Herodot, Göttingen 1986, ISBN 3-88694-160-4.
  17. Elsdon Best: The Stone Implements of the Maori. Dominion Museum Bulletin, No. 4. Wellington, N.Z.

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