Die Fremde (2010)

Die Fremde (2010)
Filmdaten
Deutscher Titel Die Fremde
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch, Türkisch
Erscheinungsjahr 2010
Länge 119 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
Stab
Regie Feo Aladağ
Drehbuch Feo Aladağ
Produktion Feo Aladağ
Züli Aladağ
Musik Max Richter
Stéphane Moucha
Kamera Judith Kaufmann
Schnitt Andrea Mertens
Besetzung
  • Sibel Kekilli: Umay
  • Nizam Schiller: Cem, ihr Sohn
  • Settar Tanrıöğen: Kader, ihr Vater
  • Derya Alabora: Halime, ihre Mutter
  • Serhad Can: Acar, ihr jüngerer Bruder
  • Almıla Bağrıaçık: Rana, ihre Schwester
  • Tamer Yigit: Mehmet, ihr älterer Bruder
  • Alwara Höfels: Atife, ihre beste Freundin
  • Florian Lukas: Stipe, ihr Kollege
  • Nursel Köse: Gül, ihre Chefin
  • Ufuk Bayraktar: Kemal, ihr Ehemann
  • Marlon Pulat: Duran (Ranas Verlobter)
  • Blanca Apilanez Fernandez: Carmen
  • Mustafa Jouni: Mete

Die Fremde ist ein für das Kino produzierter Spielfilm von Feo Aladağ mit Sibel Kekilli in der Titelrolle. Der Film, der das Prädikat „besonders wertvoll“ der FBW erhielt, feierte am 13. Februar 2010 seine Welturaufführung im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin und wurde hiernach international ausgezeichnet.

Der Film startete im März 2010 im Majestic Filmverleih. Die Fremde war der deutsche Kandidat im Rennen um eine Oscarnominierung als bester fremdsprachiger Film, gelangte aber nicht in die engere Auswahl. „Der Film behandelt auf höchst dramatische und subtile Weise den Kampf einer jungen deutsch-türkischen Mutter um ihre Selbstbestimmung in zwei Wertesystemen“, urteilte die Jury.[1] Dabei nimmt er eine innerliche, intime Perspektive ein.[2]

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Die in Berlin geborene fünfundzwanzigjährige Umay verlässt in Istanbul ihren Mann, um mit ihrem kleinen Sohn Cem wieder ein gewaltfreies Leben in Deutschland zu führen. Sie geht davon aus, dass ihre dort lebende Familie sie unterstützen wird. Doch die Familie, tradierten Konventionen verhaftet, betrachtet ihre Flucht nach Deutschland als Schande. Umay widersetzt sich der Forderung, zu ihrem Ehemann zurückzukehren, und nimmt eine Stelle in einem Gastrobetrieb an. Durch Zufall erfährt sie vom Plan der Familie, Cem ohne sie nach Istanbul zu schicken.

Die Wohnungstüre ist verschlossen. Umay verständigt die Polizei und kommt mit Cem in einem Frauenhaus unter. So schafft sich Umay unabhängig von der Familie ein eigenständiges Leben für sich und ihr Kind. Sie verliebt sich in ihren Kollegen Stipe und bezieht eine eigene Wohnung. Nebenbei versucht sie ihren Schulabschluss nachzuholen. Die Familie gerät durch sie in eine schwierige Lage. Die Brüder müssen sich von anderen jungen Türken abfällige Bemerkungen anhören. Ihre jüngere Schwester wollte heiraten, doch die Familie des Mannes löst die Verlobung, weil über Umays Familie in der türkischen Gemeinde geredet wird. Die Schwester ist entsetzt, denn sie ist schwanger. Die Familie rettet die Heirat, indem sie den Brautpreis erhöht. Aus dem Verlangen heraus, bei dem wichtigen Familienereignis dabei zu sein, kreuzt Umay an der Hochzeit auf und wird rausgeworfen. Später unternimmt die Sippe einen Entführungsversuch, den Umay im letzten Augenblick vereiteln kann. Schließlich sieht der Vater als letzten Ausweg, die Ehre der Familie durch die Ermordung Umays wieder herzustellen, und redet mit seinen Söhnen. Doch innerlich ob seiner Lage zerrissen, erleidet er einen Herzinfarkt. Am Spitalbett versöhnt er sich mit Umay. Als diese das Spital wieder verlässt und mit Cem eine Straße entlanggeht, taucht ihr jüngerer Bruder bei ihr auf und richtet eine Pistole auf sie. Sie sehen sich ins Gesicht, er lässt die Waffe fallen und rennt davon. Da kommt der ältere Bruder mit einem Messer und sticht zu. Weil Umay sich in diesem Augenblick wendet, trifft das Messer Cem, der umkommt.

Über das Werk

Am Set von „Die Fremde“

Die Filmförderung des Bundes wählte das Filmprojekt Die Fremde 2007 für die höchste zu vergebende Fördersumme von 250.000 Euro aus.[3] Aladağ kam auf das Thema bei ihren Recherchen für eine Amnesty-International-Kampagne gegen Gewalt an Frauen.[4] Züli Aladağ (gleichfalls als Produzent verantwortlich) sieht in dem Film seiner Ehefrau einen „Film über ein sehr universelles Thema, nämlich das Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung“[5]. Umay lässt sich nicht davon abbringen, zugleich selbstständig und Teil der Familie zu sein. „Jede Demütigung scheint sie nur herauszufordern, nach jeder Niederlage steigt sie erneut in den Ring und bis zur völligen Erschöpfung aller Beteiligter währt ein Kampf, der keine Sieger kennt.“[6] Dass Umay, statt sich von ihrer Familie fernzuhalten, an der Hochzeit ihrer Schwester auftaucht, bezeichnete die Regisseurin als „total unvernünftig“. Beim Dreh dieser Szene in einem Saal in Neuköllln sei es sehr heiß gewesen, und die 300 Statisten wollten nach Hause. Kekilis Rede habe sie dann so berührt, dass sie ihr spontan Taschentücher hingehalten hätten.[7] Die Dreharbeiten wurden im Oktober 2008 abgeschlossen.

Kritik

Die deutschsprachige Kritik begegnete der schauspielerischen Leistung von Sibel Kekilli mit Zustimmung. Der „großartig gespielte“[8] Film bringe die Wiederkehr einer als Schauspielerin gereiften Kekilli.[4] Sie habe nach Gegen die Wand im deutschen Film kaum, und wenn, dann nur unwürdige Rollen erhalten. In der zweiten großen Rolle ihres Lebens spiele „diese große Fremde des deutschen Films wie keine zweite“,[2] „überzeugend und mitreissend“,[9] oder „überwältigend“.[10] Das Werk sei ein „wuchtiges Melodrama“,[10] „spannend und aufreibend“, [9] seine Erzählweise „direkt und energisch“.[6]

Teils hielten es die Kritiker für offen, ob der Film einen Beitrag zur Debatte um Ehrenmorde in türkischen Familien in Deutschland sein könne,[6][4] doch das Potenzial dazu habe er.[4] Angesichts dieser Debatte sei ein Spielfilm „überfällig“ gewesen.[9] Er zeige eine Welt „integrierter“ Türken ohne Islamisten oder Schleier,[2] vorurteilsfrei und ohne Klischees.[8] Entgegen der Gefahr von Klischees und erstickender politischer Korrektheit zeige der Film die Zerrissenheit der Männer,[8][9] insbesondere des Vaters,[2] nur der ältere Bruder sei „eindimensional“ geraten.[9] „Bei aller gesellschaftlichen Brisanz ist ihr aber vor allem ein aufwühlendes, erstaunlich differenziertes, genau erzähltes Drama gelungen, das einfache Schuldzuweisungen vermeidet“, meinte der Welt-Kritiker Thomas Abeltshauser. Der Schluss des Films sei geeignet, „auch den letzten Ewiggestrigen“ zu überzeugen.[4] Spiegel-Kritiker Christian Buß sah in Die Fremde eine Neuauflage von Effi Briest, denn die gezeigte Familie zerbreche am Druck von außen. Die Figuren, einschließlich der Täter, seien Zwangsläufigkeiten unterworfen. Die „perfide Paradoxie des Prinzips Ehrenmord“ habe Aladag klug herausgearbeitet.[2] Matthias Dell von epd Film anerkannte zwar, dass die Regisseurin den Klischees, mit denen das Thema Ehrenmord in den deutschen Medien behandelt werde, entgehen wolle, bemängelte aber, dass sie dem Bild der unterdrückten Türkin ein anderes Klischee entgegenstelle: ein „vage[s] Glücksgefühl, wie man es aus der Werbung kennt.“ So scheitere sie daran, dass die Szenen mit dem deutschen Mann banal wirkten, während dem älteren, harten Bruder das Gefühl fehle und man ihm keine Zerrissenheit anmerke.[11] Die Neue Zürcher Zeitung stellte eine kleine Schwäche des Films darin fest, dass „im Bemühen um politische Korrektheit die Nachvollziehbarkeit des Unfassbaren […] bisweilen etwas leidet“.[10] Für Alexandra Seitz von Ray ist das Drama thematisch überfrachtet und der Stoff „kolportagehaft arrangiert“.[6]

Auszeichnungen

  • Beim Preis der deutschen Filmkritik 2010 gewann Die Fremde in den Kategorien Bester Film, Bestes Speilfilmdebüt und Bestes Drehbuch (jeweils Feo Aladağ), Beste Darstellerin (Sibel Kekilli), Beste Kamera (Judith Kaufmann), Bester Schnitt (Andrea Mertens) und Beste Musik (Max Richter und Stéphane Moucha).
  • Der Film war der deutsche Beitrag im Rennen um den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film 2011.

Literatur

Gespräche

  • Mit Feo Aladağ in der taz vom 15. Februar 2010, S. 26: „Ich wollte nicht stigmatisieren“
  • Mit Sibel Kekilli in Ray, Nr. 3/2010, S. 90–94: Ich bin eine deutsche Schauspielerin mit türkischem Hintergrund

Kritikenspiegel

Positiv

Eher positiv

Gemischt

  • Ray, Nr. 3/2010, S. 54, von Alexandra Seitz: Die Fremde

Eher negativ

  • epd Film Nr. 3/2010, S. 47, von Matthias Dell: Die Fremde

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die Fremde geht ins Oscar-Rennen auf news.de
  2. a b c d e Christian Buß: Schrecken, ganz ohne Schleier. In: Spiegel Online, 10. März 2010
  3. http://www.tagesspiegel.de/kultur/Filmfoerderung-Bund;art117,1856605
  4. a b c d e Thomas Abeltshauser: Sibel Kekillis Comeback. In: Die Welt, 15. Februar 2010, S. 25
  5. http://www.bmw-stiftung.de/index.php?action=show_pages&siteID=124
  6. a b c d Alexandra Seitz: Die Fremde. In: Ray, Nr. 3/2010, S. 54
  7. Feo Aladağ im Gespräch mit der taz vom 15. Februar 2010, S. 26: „Ich wollte nicht stigmatisieren“
  8. a b c Heiko Rosner: Die Fremde. In: Cinema Nr. 3/2010, S. 54
  9. a b c d e Julia Teichmann: Die Fremde. In: film-dienst Nr. 5/2010, S. 24
  10. a b c G. Krebs: Die Fremde. In: Neue Zürcher Zeitung, 8. Juli 2010, S. 53
  11. Matthias Dell: Die Fremde. In: epd Film Nr. 3/2010, S. 47

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