EU-Patent

EU-Patent

Das geplante EU-Patent[1] (offizieller Name: "Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung") wäre ein Patent, das in der gesamten Europäischen Union oder durch den Spezialfall der Verstärkten Zusammenarbeit in Teilen hiervon einheitliche Gültigkeit hätte. Bemühungen zur Schaffung eines solchen Patents, für das vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Bezeichnung Gemeinschaftspatent vorgesehen war, gibt es seit langem, sind jedoch bisher immer gescheitert, da im Prinzip Einstimmigkeit erforderlich ist. Vor allem Spanien und Italien widersetzten sich der geplanten Sprachenregelung [2] [3]. Nachdem auch nach vielen Jahren keine Einstimmigkeit erreicht werden konnte, wird dieses Ziel mittlerweile von 25 EU-Staaten im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit weiterverfolgt.

Am 10. März 2011 hat der Rat der Europäischen Union die Verstärkte Zusammenarbeit zwischen diesen 25 Mitgliedstaaten genehmigt (alle mit Ausnahme von Italien und Spanien)[4]. Die EU-Kommission legte kurz darauf am 13. April 2011 ihren Vorschlag vor. Ziel ist ein deutlich kostengünstigeres Patent, für das der Übersetzungsaufwand reduziert werden soll. Dieser Vorschlag wurde am 27. Juni 2011 gemeinsam mit dem Vorschlag für die Übersetzungsregelung vom Rat mit Änderungen angenommen, welche zum Beispiel den Verteilungsschlüssel der Erneuerungsgebühren betreffen [5]. Die Vorschläge werden nach der Sommerpause im Rahmen der Binnenmarkt-Gesetzgebung vom Europäischen Parlament geprüft. Unklar ist inwiefern dass Europäische Patentübereinkommen geändert werden muss [6] oder ob sich ein Zusammenschluss auch anders realisieren ließe, z.B. ähnlich zum Zusammenschluss Schweiz/Liechtenstein [7].

Inhaltsverzeichnis

Patentamt und Verfahren

Für die Erteilung des EU-Patents soll weder eine neue Behörde (etwa ein Patentamt der Europäischen Union) geschaffen noch das Harmonisierungsamt der EU erweitert werden. Vielmehr soll für die Erteilung das Europäische Patentamt zuständig sein,[8] welches bereits mit der Erteilung der Europäischen Patente (EP) betraut ist. Dabei sollen jedoch die Rechercheergebnisse nationaler Patentämter stärker berücksichtigt werden[9].

Um das EU-Patent zu ermöglichen soll die Europäische Union dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) beitreten. Das Erteilungsverfahren beruht damit wiederum auf dem EPÜ[8].

Das Europäische Patentamt ist keine Behörde der EU, sondern das ausführende Organ der Europäischen Patentorganisation, einer gesonderten internationalen Organisation. Die Europäische Union könnte durch einen EPÜ-Beitritt jedoch - ähnlich wie bei der Welthandelsorganisation WTO - auch die 27 (bzw. 25) Stimmen der EU-Staaten im Verwaltungsrat des Europäischen Patentamts übernehmen[10], wodurch die EU eine Mehrheit von etwa 70% hätte und die Rolle der nationalen Ämter in diesem Gremium reduziert würde.

Dies würde den Interessenkonflikt im Verwaltungsrat reduzieren, denn nationale Ämter sind auf vielfältige Weise mit dem Europäischen Patentamt verstrickt (finanziell durch nationale Erneuerungsgebühren und Kooperationsprojekte, ferner als Konkurrenten bzw. Aspiranten um Teile der Arbeit zu übernehmen, durch Besetzung der Spitzenpositionen im EPO usw.)[11]. Die Rolle der nationalen Ämter wäre dennoch gestärkt, denn ein Teil der Erneuerungsgebühren für das EU-Patent sind laut aktuellem Vorschlag direkt an die nationalen Ämter zu zahlen, und nicht an die Staaten als solche[8].

Anstelle eines nationalen Patents oder eines Europäischen Patents, bei dem nur das Erteilungsverfahren zentralisiert ist und aus dem nach seiner Erteilung ein Bündel nationaler Patente wird, könnte der Anmelder nicht mehr einzelne Staaten der Europäischen Union benennen, sondern das Patent wäre immer für die gesamte Europäische Union beantragt. Dieser Antrag könnte dann auch innerhalb einer Europäischen Patentanmeldung durch Benennung der gesamten Europäischen Union (eventuell neben der Benennung von Staaten, die keine EU-Mitglieder sind, wie zum Beispiel der Schweiz und der Türkei) erfolgen. Nach der Erteilung würde das Patent nicht mehr in einzelne nationale Patente zerfallen, sondern als einheitliches Patent mit Wirkung für die gesamte Europäische Union bestehen bleiben.

Die zurzeit vorgeschlagene Sprachenlösung beruht auf einer Anmeldung in einer offiziellen Amtssprache der Europäischen Union, gegebenenfalls einer Übersetzung in eine der drei Amtssprachen des Europäischen Patentamts (Englisch, Deutsch oder Französisch), Veröffentlichung in dieser Verfahrenssprache und aller weiteren Amtssprachen der Europäischen Union durch maschinelle Übersetzung, Erteilung in der Verfahrenssprache, Einreichung von menschlichen Übersetzungen der Ansprüche und maschinelle Übersetzung der Beschreibung.

Patentgericht, EPLA und UPLS

Für Streitigkeiten, die das Patent betreffen, soll ein Patentgericht der Europäischen Union[1] geschaffen werden. Dieses Gericht wäre sowohl für Klagen gegen die Erteilung des Patents (Nichtigkeitsklagen) als auch für Klagen gegen die Verletzung des Patents zuständig. Im Gegensatz zum Europäischen Patent wäre somit eine Harmonisierung nach der Vergabe erreicht.

Eine ähnliche Wirkung ließe sich auch ohne die Einführung eines EU-Patents durch Abschluss eines vorgeschlagenen Europäischen Übereinkommens über Patentstreitigkeiten (EPLA) erzielen.

Am 24. März 2009 hat die Europäische Kommission dem Rat eine Empfehlung für ein Unified patent litigation system (UPLS) gegeben[12][13]. Ziel ist hierbei eine Verschmelzung von geplantem EPLA und EU-Patentgerichts. Die erste Instanz wäre dezentralisiert, aber es gäbe eine zentrale Einspruchsinstanz. Der Europäische Gerichtshof wäre zuständig zur Überwachung der Einhaltung des Rechts der Europäischen Union. Das UPLS soll durch einen Vertrag zwischen der Europäischen Union und den Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens vereinbart werden.

Mittlerweile wurde eine Anfrage an den Europäischen Gerichtshof gestellt mit der Frage, ob der Vorschlag mit dem Primärrecht der Europäischen Union vereinbar ist[14]. Die Generalanwältin Juliane Kokott vertritt anscheinend nach ihrem vorzeitig bekannt gewordenen Schlussantrag die Auffassung, dass das geplante zentrale Patentgericht mit den EU-Verträgen nicht vereinbar ist [15]. Am 8. März 2011 gab der EuGH sein Gutachten bekannt. Er kommt, den Schlussanträgen folgend, zu dem Schluss, dass die Schaffung eines Patentgerichtes in der geplanten Form nicht mit den Verträgen vereinbar ist, da es die Einheit der Unionsrechtsordnung sowie die einheitliche Auslegung von EU-Recht gefährden könnte. Hauptkritikpunkte waren in diesem Zusammenhang, dass das Patentgericht zur Auslegung von EU-Recht befugt gewesen wäre und dessen Entscheidungen nicht mehr von EuGH hätten nachgeprüft werden können.[16] [17] Die derzeitige ungarische Ratspräsidentschaft hat am selben Tag - und damit zwei Tage vor Genehmigung - unterstrichen, dass das Gutachten des EuGH keinen Einfluss auf die zwischen den Mitgliedstaaten zu errichtende verstärkte Zusammenarbeit haben werde [18].

Bundespräsident Christian Wulff regte beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Bundespatentgerichts (1. Juli 2011) an, ein Europäisches Patentgericht in München zu schaffen [19].

Vergleich des EU-Patents mit dem Europäischen Patent (EP)

Das EU-Patent wäre eine Modifikation des Europäischen Patents in Bezug auf:

  1. Territorium: Erstreckung immer auf alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, bzw. alle Staaten welche an der Verstärkten Kooperation teilnehmen (für das Europäische Patent sind die Staaten einzeln zu nennen. Eine Erstreckung auf alle EU-Mitgliedsstaaten wird vom Anmelder bisher - wohl aus Kostengründen - selten gewünscht)
  2. Zentralisierung im Bereich Nichtigkeitsklagen und Verletzung (wie geplantes EPLA) durch ein eigenes Gericht
  3. Geänderte Anforderungen an die Übersetzungen (ähnlich wie im Londoner Übereinkommen vereinbart, welches jedoch nur von einem Teil der EPÜ-Staaten unterzeichnet wurde)[20].

Die zwangsweise territoriale Erstreckung auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union wäre politisch erwünscht, denn das bisherige System widerspricht dem freien Warenverkehr der Europäischen Union. Die Zentralisierung nach der Erteilung geht in die gleiche Richtung und bietet Konsistenz und Kostenersparnis für die streitenden Parteien. Insbesondere wird verhindert, dass nationale Gerichte die Patentverletzung oder Nichtigkeit in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verschieden auslegen (zum Beispiel Epilady-Fall [21]), wodurch ein Kläger durch die Wahl eines Gerichts das Urteil beeinflussen kann (Forum-Shopping). Ein weiterer Vorteil wäre die frühzeitige elektronische Verfügbarkeit der Übersetzungen, welche bei Europäischen Patenten meist nicht gegeben ist.

Die Hauptnachteile des EU-Patents sind im Bereich der Übersetzung angesiedelt. Die maschinelle Übersetzung ist fehlerbehaftet und erfordert Programme für kommerziell nicht verfügbare Sprachpaare (zum Beispiel von Deutsch in Maltesisch), die menschliche Übersetzung der Ansprüche in manche Amtssprachen der Europäischen Union ist nicht wirtschaftlich. Derzeit wird der Einsatz von statistischer maschineller Übersetzung erwägt ähnlich wie im von der Europäischen Union geförderten EuroMatrix-Projekt[22] [23]. Ein anderes Problemfeld ist die Sprachenregelung vor Gericht.

Geschichte

Bereits am 15. Dezember 1975 wurde das Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt (Gemeinschaftspatentübereinkommen) unterzeichnet. Es hätte sich bei diesem um einen gesonderten Vertrag und nicht um Sekundärrecht der Gemeinschaft gehandelt. Aus verschiedensten Gründen scheiterte die Ratifikation, so dass das Übereinkommen nicht in Kraft treten konnte.

Im Dezember 1989 wurde ein zweites Mal versucht ein Gemeinschaftspatent[24] zu etablieren. 12 Staaten unterzeichneten das Übereinkommen; es wurde jedoch nur von 7 ratifiziert und trat damit nicht in Kraft.

Mit dem Vorschlag der Kommission vom 1. August 2000 für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent wurde ein neuer Anlauf gestartet[25]. Das Gemeinschaftspatent sollte nun nicht mehr die nationalen Patente ersetzen, sondern wie die Gemeinschaftsmarke oder das Gemeinschaftsgeschmacksmuster als Option für die Anmelder bereitstehen. Außerdem soll die Regelung durch eine Verordnung getroffen werden, so dass keine Ratifikation durch die Mitgliedsstaaten notwendig ist.

Am 3. März 2003 sah es nach einer europäischen Einigung in dieser Frage aus[26]. Die Hoffnung erlosch jedoch in den folgenden 15 Monaten, in denen die Uneinigkeit über die Sprachregelung sowie über die Fristen zur Einreichung von Übersetzungen nicht beseitigt werden konnten[27]. Im Jahr 2009 gab es mit der Einigung des Rates[1] wieder erhebliche Fortschritte.

Einzelnachweise

  1. a b c [1] Patentrecht: EU erzielt politischen Durchbruch für verbessertes Patentsystem
  2. [2] Zapatero y Berlusconi se implican en la patente comunitaria (Spanisch,El País, 9. Dez. 2010)
  3. [3] España vetará la patente comunitaria si no se admite la lengua española (Spanisch, El País, 29. Mai 2008)
  4. [4] Rat genehmigt verstärkte Zusammenarbeit
  5. [5] Vorschlag für eine Verordnung über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit
  6. [6] Entstehungsgeschichte EU-Patent laut EPO
  7. [7] Ergänzungsvereinbarung zum Patentschutzvertrag CH/LI
  8. a b c [8] EU-Rat: Vorschlag Gemeinschaftspatenttext 2009 (EN)
  9. [9] European Standard for Searches (EN)
  10. [10] Art. 207 AEUV
  11. [11] Interessenkonflikt aus Sicht der Gewerkschaft des EPA
  12. [12] UPLS Pressemitteilung 2009
  13. [13] Empfehlung Kommission zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems UPLS 2009
  14. [14] Anfrage an EuGH bezüglich EU-Recht-Konformität des UPLS
  15. [15] Bericht über Schlussantrag der Generalanwältin
  16. [16] Pressemitteilung vom 8. März 2011 (EN)
  17. [17] Gutachten des EuGH
  18. [18] Pressemitteilung vom 8. März 2011 (EN)
  19. [19] BR Online: Wulff schlägt München vor als Sitz des Patentgerichts
  20. [20] Londoner Übereinkommen, in Kraft getreten am 1. Mai 2008
  21. [21] Economic Implications of a Fragmented Patent System in Europe
  22. [22] EuroMatrixPlus
  23. [23] EPO-Google Vereinbarung zur maschinellen Übersetzung von Patenten
  24. [24] Gemeinschaftspatent 1989
  25. [25] EPA Seite Gemeinschaftspatent
  26. [26] Vermerk des Generalsekretariats des Rats
  27. [27] SCADplus: Gemeinschaftspatent

Siehe auch

Weblinks

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