Carl Clauberg

Carl Clauberg

Carl Clauberg (* 28. September 1898 in Wupperhof (heute zu Solingen); † 9. August 1957 in Kiel) war ein deutscher Gynäkologe, der als SS-Arzt an hunderten weiblichen KZ-Häftlingen Zwangssterilisationen vornahm.

Inhaltsverzeichnis

Jugend und Werdegang

Carl Clauberg wurde in dem Dorf Wupperhof im Bergischen Land als Sohn einer Handwerkerfamilie geboren. Die Familie verzog 1903 nach Kiel.[1] Ab 1916 nahm Clauberg als Infanterist am Ersten Weltkrieg teil. Clauberg war an der Westfront eingesetzt und geriet 1917 in britische Kriegsgefangenschaft.[2]

Medizinstudium und Arzttätigkeit

Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft begann Clauberg ab 1920 ein Medizinstudium an der Universität Kiel und setzte das Studium an der Universität Hamburg und der Universität Graz fort.[3] Das Studium beendete er im Juni 1924. Nach der Approbation im April 1925 promovierte er im Mai 1925 an der Universität Kiel zum Thema „Zur Frage der Todesursache bei Luftembolie. Von November 1925 bis Juli 1932 arbeitete Clauberg als Assistent an der Universitäts-Frauenklinik in Kiel und absolvierte dort eine Facharztausbildung als Gynäkologe. In dieser Zeit erforschte er, unterstützt von Chemikern der Firma Schering, die Wirkungsweise weiblicher Sexualhormone.[4] Ab dem 1. August 1932 war Clauberg als Assistenzarzt an der Universitätsklinik Königsberg beschäftigt und wechselte im November 1934 als Oberarzt an die Universitäts-Frauenklinik in Königsberg.[2] Seine Habilitation erfolgte 1933 an der Universität Königsberg. Im August 1937 folgte er einem Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Königsberg. Clauberg veröffentlichte in den 1930er Jahren wissenschaftliche Fachliteratur auf dem Gebiet der Gynäkologie.[3] Bekanntheit erlangte Clauberg v.a. durch ein von ihm entwickeltes Verfahren, bei infolge Eileiterverschlusses unfruchtbaren Frauen ein von den Schering-Werken hergestelltes synthetisches Hormon (Progynon A) zu injizieren, um ein Wachstum der Eileiter und damit auch eine Schwangerschaft zu ermöglichen.[4] Bei seinen späteren Versuchen zur Unfruchtbarmachung verfolgte er denselben Ansatz in umgekehrter Weise (Verkleben der Eileiter).

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war Clauberg während des Polenfeldzuges als Chirurg in einem Lazarett tätig. Ab 1940 war Clauberg Chefarzt einer Frauenklinik in Königshütte.[5]

Politische Tätigkeit

Clauberg trat am 1. April 1933 der NSDAP[1] (Mitgliedsnr. 2.733.970) und SA bei.[2] In der SA bekleidete Clauberg den Rang eines Sanitätsobersturmführers.[5] Zudem gehörte er dem NS-Dozentenbund und dem NS-Ärztebund an.[2] Clauberg wurde 1940 ehrenhalber SS-Gruppenführer der Reserve.[6]

Menschenversuche

Dr. Carl Clauberg „The beast“, Gemälde des expressionistischen Künstlers Stefan Krikl aus dessen Serie Doctors of Death, 1985 (dt. Dr. Carl Clauberg „Die Bestie“ aus Ärzte des Todes)

Am 22. März 1940 erkundigte sich Reichsführer SS Heinrich Himmler bei Clauberg über eine sichere Sterilisationsmethode für gebärfähige Frauen. Hintergrund dieser Anfrage war die Absicht eine „negative Demographie“ bei den „Ostvölkern“ herbeizuführen.[7] Clauberg, der als Fachmann auf dem Gebiet der Sterilisationsforschung galt, warb noch 1940 für ein Forschungsinstitut für Fortpflanzungsbiologie. Er führte Tierversuche durch, bei denen er den Versuchstieren formalinhaltige Substanzen in die Eileiter injizierte, welche Schleimhautverklebungen zur Folge hatten. Im Mai 1942 bat Clauberg Himmler schriftlich um die Möglichkeit, in größerem Umfang diese Sterilisationsversuche auch an Frauen durchführen zu können.[3]

Spätestens im Dezember 1942 kam Clauberg nach Auschwitz-Birkenau und begann dort - ebenso wie Horst Schumann - im Block 30 des Frauenlagers mit den Sterilisationsversuchen. Im März 1943 wies man ihm den Block 10 des Stammlagers des KZ Auschwitz für seine Experimente zu.[8] In den zwei Sälen im Obergeschoss dieses Blocks waren einige hundert Jüdinnen aus verschiedenen Ländern untergebracht. Mit der von Clauberg erarbeiteten Methode einer operationslosen Massensterilisierung wurde ein für diese Zwecke speziell präpariertes chemisches Mittel in die Eileiter injiziert, das deren starke Entzündung zur Folge hatte. Nach einigen Wochen waren die Eierstöcke zusammengewachsen und damit verstopft. Ein Teil der Jüdinnen verstarb infolge der Experimente, andere wurden getötet, um Sektionen der Leichen durchzuführen. Von 1942 bis 1944 wurden Clauberg in Auschwitz 498 Häftlinge "für Versuchszwecke" zur Verfügung gestellt, wobei er pro Frau und Woche eine Summe von 1 RM an die Lagerleitung zu entrichten hatte.[4] "Claubergs brutales Vorgehen ist bald lagerbekannt - einmal kommen SS-Aufseherinnen hinzu, weil sie sehen wollen, was er denn eigentlich mit den Frauen treibe, deren Geschrei durch das Lager hallt".[4] Aufgrund des Vorrückens der Roten Armee setzte er seine Versuche im Konzentrationslager Ravensbrück an mindestens 35 weiteren Frauen fort.[4] Insgesamt führte Clauberg zwischen ca. 550 und 700 Zwangssterilisationen durch. Ein Opfer der Zwangssterilisationen war Ilse Arndt.

Im Juni 1943 schrieb Clauberg an Himmler:

„Die von mir erdachte Methode, ohne Operation eine Sterilisierung des weiblichen Organismus zu erzielen, ist so gut wie fertig ausgearbeitet. […] Was die Frage anbelangt, die Sie, Reichsführer, mir stellten, nämlich in welcher Zeit es etwa möglich sein würde 1000 Frauen auf diese Weise zu sterilisieren, so kann ich diese heute voraussehend beantworten. Nämlich: Wenn die von mir durchgeführten Untersuchungen so weiter ausgehen wie bisher - und es besteht kein Grund anzunehmen, dass sie es nicht tun - so ist der Augenblick nicht mehr sehr fern, wo ich sagen kann, von einem entsprechend eingeübten Arzt an einer entsprechend eingerichteten Stelle mit vielleicht 10 Mann Hilfspersonal höchstwahrscheinlich mehrere hundert, wenn nicht gar 1000 - an einem Tage.“[9]

Verurteilung, Haft und Tod

Am 8. Juni 1945 wurde Clauberg in Eckernförde (Schleswig-Holstein) festgenommen. Er wurde im Juli 1948 in der Sowjetunion zu 25 Jahren Haft verurteilt. Am 11. Oktober 1955 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft im Rahmen der „Heimkehr der Zehntausend“ entlassen.[5] Zunächst war er wieder als Gynäkologe an seiner alten Klinik tätig. Er wurde dort als „Spätheimkehrer“ und Märtyrer gefeiert.[10] Der Zentralrat der Juden in Deutschland erstattete dann Strafanzeige wegen „fortgesetzter schwerer Körperverletzung. Am 22. November 1955 wurde er in Kiel verhaftet und zu einer Untersuchung in die psychiatrische Klinik von Neustadt in Holstein eingewiesen. Anfang Februar 1956 stellten die Gutachter seine Zurechnungsfähigkeit fest. Ralph Giordano schrieb über die Anklageschrift:

„Obwohl ich vielen NS-Prozessen vor bundesdeutschen Schwurgerichten beigewohnt habe, gehört die Anklageschrift gegen Clauberg zur unerträglichsten Lektüre, der ich mich je beim Studium von Naziverbrechen unterzogen habe.“[11]

Aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe wurde Clauberg 1956 die Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie versagt und ihm im März 1957 Berufsverbot erteilt.[12] Bevor es zu einem Prozess kam, starb Clauberg allerdings im August 1957. Eine Obduktion, die das gerichtsmedizinische Institut Kiel durchführte, weil Zweifel an seinem natürlichen Tod geäußert wurden, ergab „beginnende Gehirnerweichung“ (Enzephalomalazie).

Literatur

  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-596-16048-0.
  • Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. 3. Auflage. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1997, ISBN 3-596-14906-1.
  • Alexander Mitscherlich, Fred Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Fischer Vlg. für Medizin, Heidelberg 1960. ISBN 3-596-22003-3, 16. Auflage 2008
  • Jürgen Peter: Der Nürnberger Ärzteprozeß im Spiegel seiner Aufarbeitung anhand der drei Dokumentensammlungen von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke. Münster 1994. 2. Auflage 1998
  • Till Bastian: Furchtbare Ärzte. Medizinische Verbrechen im Dritten Reich. Originalausgabe, 3. Auflage, Beck, München 2001, Becksche Reihe 1113, ISBN 3-406-44800-3
  • Till Bastian: Auschwitz und die ‚Auschwitz-Lüge‘. Massenmord und Geschichtsfälschung., C.H. Beck, München 1997, ISBN 3-406-43155-0
  • Hans-Joachim Lang: Die Frauen von Block 10: Medizinische Versuche in Auschwitz. Hoffmann und Campe, 2011, ISBN 978-3455502220
  • Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich, Klett-Cotta, Stuttgart 1988 (Originalausgabe: R. J. Lifton, The Nazi Doctors. Medical Killing and the Psychology of Genocide. New York 1986), ISBN 3-608-93121-x
  • Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Ullstein, Frankfurt 1980, ISBN 3-548-33014-2
  • Bruno Baum: Widerstand in Auschwitz. (Neuausgabe) 2. Aufl 1962. Kongress, Berlin (Dokumente über und von C.: S. 35 bis 45, mit mehreren Dokumenten, u.a. aus den Nürnberger Prozessen)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Till Bastian: Auschwitz und die ‚Auschwitz-Lüge‘. Massenmord und Geschichtsfälschung., C.H. Beck, München 1997, S. 55f
  2. a b c d Carl Clauberg – Lebenslauf
  3. a b c Jürgen Peter: Der Nürnberger Ärzteprozeß im Spiegel seiner Aufarbeitung anhand der drei Dokumentensammlungen von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke. Münster 1994., S. 238f
  4. a b c d e Till Bastian: Furchtbare Ärzte. Medizinische Verbrechen im Dritten Reich. Nürnberg 1995, S 86.
  5. a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 94.
  6. Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich, Klett-Cotta, Stuttgart 1988, S. 312
  7. Carola Sachse (Hrsg.): Die Verbindung nach Auschwitz. Biowissenschaften und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten. Dokumentation eines Symposiums. Wallstein-Verlag, Göttingen 2003 (=Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Band 6), ISBN 3-89244-699-7, S. 137f
  8. Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer., Frankfurt am Main 1997, S. 438f.
  9. Experimente: Prof. Dr.Carl Clauberg, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau; zusammen mit weiteren Dokumenten auch in Bruno Baum: Widerstand in Auschwitz, erw. Ausgabe Kongress, Berlin 1957, 1962, S. 41
  10. Hermann Langbein im Brief an Maria Stromberger v. 8. November 1955 [1] und Anm. 262
  11. Ralph Giordano: Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg, Hamburg 1989, S. 173
  12. Jürgen Peter: Der Nürnberger Ärzteprozeß im Spiegel seiner Aufarbeitung anhand der drei Dokumentensammlungen von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke. Münster 1994., S. 243

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