Erma Bossi

Erma Bossi

Erma Bossi (* 1882 oder 1885 in Pula; † 1952 in Mailand) war eine expressionistische Malerin.

Obwohl nahezu unbekannt, wird sie heute zu den Künstlerinnen gezählt, die den Aufbruch in die Moderne mitgetragen haben. Ihr Werk wurde durch zwei Weltkriege und die Kulturpolitik der Nazis in hohem Maße dezimiert. Kaum zwei Dutzend Arbeiten sind von Bossi bekannt, so dass ihr Stellenwert in der Gesamtentwicklung der modernen Kunst lange Zeit unterbewertet wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Künstlerische Anfänge

Nachrichten über Bossis Biographie sind überaus spärlich. Man ist sich nicht einmal sicher, ob sie 1882 oder 1885 im kroatischen Pula bei dem heute norditalienischen Triest, dem damals österreichischen Mittelmeerhafen, geboren wurde. Über ihre Schulzeit gibt es keine Nachrichten. Über ihre künstlerischen Anfänge wurde lapidar 1912 berichtet: „Die Künstlerin hat ein reiches und bewegliches Talent unter manchen Schwierigkeiten entwickelt.“[1]

Studium in München

Um 1905 soll Bossi ihr Studium in München aufgenommen haben. Als Studieneinrichtungen werden die Damenakademie des Künstlerinnenvereins vermutet, aber auch die Phalanx-Schule von Wassily Kandinsky.[2] Über ihre wechselnden Wohn- und Aufenthaltsorte informieren zum Teil die Kataloge der Ausstellungen, an denen sie beteiligt war.

Mitglied der Neuen Künstlervereinigung München

Kontakte zu den Malern, die 1909 die Neue Künstlervereinigung München (N.K.V.M.) gründeten, dürften über Kandinsky und Gabriele Münter schon in den Jahren zuvor bestanden haben. Noch 1909 trat sie in die N.K.V.M. ein.

1909, Beteiligung an der 1. Ausstellung der N.K.V.M.

An der ersten Ausstellung nahm Bossi mit sechs Gemälden teil.[3] Das damals gezeigte Gemälde „Zirkus“[4] hat sich erhalten und wird heute als Dauerleihgabe in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München ausgestellt. Dabei handelt es sich um ein für die Entwicklung der damaligen Münchner Kunstszene aufschlussreiches Gemälde. Es zählt zu ihren frühesten bekannten Bildern. Dieses Bild und einige weitere bestätigen, dass es nicht die Fauves waren - gar Henri Matisse selbst - die Einfluss auf die plötzliche Entwicklung der expressionistischen- und abstrakten Malerei in München seit 1908/09 genommen haben. Denn es verweist auf die Quellen, aus denen auch die Fauves schöpften, nämlich den Malereien von Vincent van Gogh, Paul Gauguin und seinen Nachfolgern, außerdem Henri de Toulouse-Lautrec. Aber auch der in Frankreich geschulte Edvard Munch[5] hatte entscheidenden Anteil an der Selbstfindung der meisten Maler, die in Schwabing Karriere machten. - Bossi muss aus heutiger Sicht zu ihnen gezählt werden. Laut Ausstellungskatalog der N.K.V.M. war Bossi 1909 in München wohnhaft.[6]

1910, Beteiligung an der 2. Ausstellung der N.K.V.M.

An der zweiten Ausstellung der N.K.V.M. 1910 beteiligte sich Bossi wiederum mit sechs Arbeiten. Erhalten haben sich davon ein „Stilleben“[7] und ein Gemälde mit dem Titel „Mondnacht“.[8] In letzterem Bild praktizierte sie die „Ton-in-Ton-Malerei“, einer Erfindung von Louis Anquetin[9], mit der er einst den Cloisonismus bereicherte. Zu Zeiten der N.K.V.M. war Anquetins Art, die Welt durch ein einfarbiges Glas zu betrachten, um den so gewonnenen Eindruck auf die Leinwand zu übertragen, sehr beliebt. Anquetins Art der Malerei stand auch bei Marianne von Werefkin, Alexej Jawlensky und insbesondere Münter hoch im Kurs.

Zwei Postkarten an Münter und Kandinsky belegen für 1910 eine Italienreise im September und ihre Anwesenheit im Dezember in München. Darüber hinaus wurde sie von Münter in drei Bleistiftzeichnungen in einer Situation dargestellt, die sie im Russenhaus in Murnau am Staffelsee an einem Tisch mit Kandinsky im Gespräch zeigt.[10] Diese Skizzen dieses Interieurs setzte Münter in drei unterschiedlich zu datierenden Gemälden um. Das größte, 1912 entstandene Bild befindet sich in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München[11], das zweite im Schloßmuseum Murnau[12] und das dritte in Privatbesitz. Bossi schuf um 1910 ein „Bildnis Marianne Werefkin“, das einer Hommage an die Dargestellte gleich kommt. Es befindet sich in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München.[13] Laut Ausstellungskatalog der N.K.V.M. war Bossi 1910 in München wohnhaft.[14]

1911, Beteiligung an der 3. Ausstellung der N.K.V.M.

1911 war sie auf der dritten Ausstellung der N.K.V.M. mit vier Bildern vertreten, wovon nur der Titel „Unter Palmen“ .[15] auch bildlich bekannt ist. Im Katalog ist sie mit dem Doppelnamen „Barrera-Bossi, Erma, Paris“[16], verzeichnet. Folglich hatte sie zwischenzeitlich geheiratet und hatte sich - laut Ausstellungskatalog der N.K.V.M.[17] - in der französischen Hauptstadt niedergelassen.[18]

Umsiedlung von Frankreich nach Italien

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zog sie 1914 mit ihrem Ehemann nach Mailand. Danach wird ihre Teilnahme an verschiedenen Ausstellungen in Frankreich, Deutschland und Italien belegt. Ihr Sterbedatum in Mailand scheint mit 1952 gesichert zu sein. [19]

Literatur

  • Otto Fischer: Das neue Bild, Veröffentlichung der Neuen Künstlervereinigung München. München 1912, S. 29, Tafel VI, VII, VIII, IX
  • Rosel Gollek: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München, Katalog der Sammlung in der Städtischen Galerie. München 1982, S. 24-25, S. 309, Nr. 14-16
  • Barbara U. Schmidt: Erma Bossi, Zwischen Paris und Murnau. in Ausst. Kat.: Garten der Frauen, Wegbereiterinnen der Moderne in Deutschland, 1900-1914, Sprengel Museum, Hannover 1996, S. 241 ff
  • Bernd Fäthke, Erma Bossi, Eine Expressionistin der ersten Stunde. WELTKUNST, 1. Oktober 1999, S. 1891 ff
  • Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1999

Einzelnachweise

  1. „Fischer: Das neue Bild, Veröffentlichung der Neuen Künstlervereinigung München. 1912, S. 29.“
  2. Franziska Uhlig, Biographien, in Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum Blauen Reiter, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1999, S. 369
  3. „Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<. 1999, S. 356.“
  4. „Gollek: Der Blaue Reiter und die Neue Künstlervereinigung München 1982, S. 24
  5. Bernd Fäthke, Munch, München und anderswo, Bildzitate, Weltkunst, Nr. 19, 1. Oktober 1997, S. 1986 ff
  6. „Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<. 1999, S. 356.“
  7. „Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<. 1999, Kat. 52; schon bei „Fischer: Das neue Bild, Veröffentlichung der Neuen Künstlervereinigung München. 1912, Tafel VI.“
  8. „Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<. 1999, Kat. 51; schon bei „Fischer: Das neue Bild, Veröffentlichung der Neuen Künstlervereinigung München. 1912, Tafel VIII.“
  9. Bernd Fäthke, Louis Anquetin und die Ton-in-Ton-Malerei, Weltkunst, Nr. 22, 15. November 1996, S. 2977 ff
  10. Reinhold Heller, Innenräume: Erlebnis, Erinnerung und Synthese in der Kunst Gabriele Münters, in Ausst. Kat.: Gabriele Münter 1877-1962, Retrospektive, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1992, S. 52 f, Abb. 8, 9 und 10
  11. „Gollek: Der Blaue Reiter und die Neue Künstlervereinigung München 1982, Nr. 397, S. 379“
  12. Brigitte Salmen und Annegret Hoberg, Um 1908 – Kandinsky, Münter, Jawlensky und Werefkin in Murnau, in Ausst.Kat.: 1908-2008, Vor 100 Jahren, Kandinsky, Münter, Jawlensky, Werefkin in Murnau, Murnau 2008, S. 32, Abb. 23
  13. „Gollek: Der Blaue Reiter und die Neue Künstlervereinigung München 1982, Nr. 16 S. 24.“
  14. „Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<. 1999, S. 358.“
  15. „Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<. 1999, S. 363; schon bei „Fischer: Das neue Bild, Veröffentlichung der Neuen Künstlervereinigung München. 1912, Tafel .“
  16. Rosel Gollek, Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München, München 1974, S. 272
  17. „Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum >Blauen Reiter<. 1999, S. 362.“
  18. „Schmidt: Erma Bossi, Zwischen Paris und Murnau . 1996, S. 242.“
  19. Franziska Uhlig, Biographien, in Ausst. Kat.: Der Blaue Reiter und das Neue Bild, Von der >Neuen Künstlervereinigung München< zum Blauen Reiter, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1999, S. 369

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