Püstrich

Püstrich
Der Sondershäuser Püstrich

Bei dem Püstrich, auch: Püsterich (von „Pusten“ abgeleitet), handelt es sich um eine aus Bronze gegossene Figur in menschlicher, skurriler und unförmiger Gestalt aus der Familie der Püsteriche, die sich seit mehr als 400 Jahren in der Stadt Sondershausen in Thüringen befindet und deren Nachbildungen unter anderem in Halle (Saale) zu finden sind.

Ursprung, Entstehungszeit und einstige Bedeutung des Püstrichs sind nicht bekannt, weswegen er seit Jahrhunderten Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Spekulationen ist.

Der Püstrich lockte bereits in früherer Zeit viele Neugierige nach Sondershausen, darunter hochrangige Persönlichkeiten. Heute noch ist er ein Wahrzeichen der Stadt.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Der Püstrich, Abb. aus den 1930er-Jahren

Oberflächlich betrachtet ist die Figur sehr schlecht und primitiv gearbeitet, was viele Historiker vermuten ließ, dass der Püstrich nicht aus neuerer Zeit stammt, sondern einen vorchristlichen Ursprung hat.

Die Figur ist aus Bronze, die nach dem Chemiker Martin Heinrich Klaproth aus 916 Teilen Kupfer, 75 Zinn und 9 Blei besteht. Sie ist 57 cm groß, wiegt etwa 35 kg, ist innen hohl, sodass sie beinah 8 Liter fasst, und besitzt zwei Öffnungen am Kopf.[1]

Der Püstrich hat die Gestalt eines knienden Jünglings mit pausbäckigem Gesicht, platter Nase und dicken Lippen. Die mittellangen Haare sind glatt heruntergekämmt und locken sich im Nacken. Der Bauch ist unförmig dick, die Arme und Beine im Verhältnis zum Rumpf lächerlich dürr. Der Rumpf der Figur ist vollständig nackt, nur in der Lendengegend finden sich schemenhafte Andeutungen einer recht mangelhaften Bekleidung.

Das Fehlen des linken Unterarmes geht auf die zerstörungswütige Neugier des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel (1572–1632) zurück, der den Püstrich nach Kassel holte und seine Metallart untersuchen ließ.

Entdeckung

Die Figur wurde in den 1540er-Jahren in den Ruinen der Rothenburg auf dem Kyffhäuser zwischen Schutt und Steinen in der einstigen Kapelle gefunden. Zu jener Zeit war sie noch im Besitz der Burgherren, den Herren von Tütcherode.[Anmerkung 1]

Die erste Erwähnung des Püstrichs erfolgte zwischen 1561 und 1565 durch Georg Fabricius, der ihn als „Pustericius“ und „Götzenbildnis“ bezeichnete.

Ein Einblattdruck mit einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung der Figur und dem Titel „Warhaftige Abbildung des Götzen Büsterich, welchen die Thüringer vor ihrer Bekehrung bei dem Städtlein Kelbra auf dem Berge Rotenburg als ein Gott geehret und angebetet haben“ erschien im 17. Jahrhundert.[2]

Name

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Püstrich recht verschieden genannt. Es fanden sich die Bezeichnungen Beister, Büster, Piester, Püster, Puster, Bansterich, Bustrich, Pisterich, Beustard und schließlich Püstrich.

Der Name wurde wahrscheinlich vom niederdeutschen Wort: „Pusten“ abgeleitet, was so viel wie „Blasen“ bedeutet. Da der dargestellte Knabe die Backen aufgebläht und den Mund zum Pusten gespitzt hat, wurde er kurzerhand der Püstrich genannt.

Deutungsversuche

Skizze des Püstrichs, um 1850

Bis ins 18. Jahrhundert stellten bereits 50 Autoren Überlegungen zur Deutung des Püstrichs an. Die wichtigsten und bekanntesten sind:

Der Püstrich als Götze

Bereits kurz nach dem Fund im 16. Jahrhundert glaubte man, dass es sich bei dem Püstrich um ein Götzenbild handele, das man mit Wasser gefüllt ans Feuer setzte, damit der Inhalt über die Umstehenden mit Getöse hinweg blase und sie einschüchtere. Dabei soll die Fundstelle auf dem Kyffhäuser als unterirdisches Heiligtum der alten Germanen gedient haben. Um ihren Gott milde zu stimmen, habe man ihm reichlich geopfert.

1830 schrieb man über den Püstrich, er sei einer der merkwürdigsten Götzen der alten Thüringer, und 1842 wurde berichtet, er sei ein thüringischer Abgott gewesen, der auch von den Sachsen, Sorben, Slaven und Wenden verehrt worden sei.

Der Püstrich als ältester Dampfapparat

Bereits im 16. Jahrhundert erkannte man die Figur als Dampfapparat. Siegfried Friedrich Saccus (1527–1596), Domprediger zu Magdeburg, schrieb, dass man das Erzbild mit Wasser gefüllt und die Öffnungen verkorkt habe. Dann habe man die Plastik über Feuer gesetzt, um das Wasser zum Sieden zu bringen. Durch den wachsenden Druck seien schließlich die Korken herausgeschossen und große Dampfwolken hätten sich aus der Öffnung gedrängt.

Danach handelt es sich wohl um einen der ältesten erhaltenen Dampfapparate der Welt. Seit Mitte des 3. Jahrhunderts verwendete man die Dampfkraft kleiner Apparate in primitiver Form, um Räucherbecken anzufachen oder kleine Pfeifen zum Tönen zu bringen. Im 13. Jahrhundert beschreibt das deutsche Universalgenie Albertus Magnus ein Gefäß aus Erz, das er „Sufflator“ nennt: „Man pflegt es nach der Gestalt eines blasenden Mannes zu formen“. Um so ein blasendes Männchen könnte es sich auch bei dem Sondershäuser Püstrich handeln.

Der Püstrich als Dampfgeschütz des Kaisers Barbarossa

Im 17. Jahrhundert schrieb Moncaeius (eigentlich: Praetorius) über den „Puester, idolum und deastrum“, dass er von den Mönchen im Papsttum gebraucht worden sei, und macht aus ihm ein Werkzeug zum Schutz Kaiser Friedrichs. Dieser hatte auf der Burg Kyffhausen (die Rothenburg) sein Hoflager und der Püstrich soll sein Schutzmann gewesen sein. Er habe auf dem Berg gestanden und Feuer um sich gespien und mit seinem glühenden Regen und Auswürfen die Feinde Barbarossas abgehalten, sich diesem zu nähern.[3]

Der Püstrich als Schreckbild christlicher Missionare

Anfänglich glaubte man auch, er sei früheres Werkzeug schändlichen Betrugs katholischer Geistlicher gewesen. Grund für diese Annahme war die zu Zeiten der Entdeckung aufstrebende Lehre Martin Luthers. Deren Anhänger bemühten sich sehr, den Dienern der alten Christenlehre alles nur möglich Schlechte und diverse Missstände anzuhängen.

Saccus machte den Püstrich zum Gegenstand einer Predigt:

„Es ist aber der Peustrich ein Brustbilde gewesen, […] am Harz […] in einer Kirche gestanden, zu deme Jehrlich eine grosse Walfart gewesen. […] Ein Münch hat geprediget […], das Gott der Herr sehr erzürnet sey, und damit sie solches augenscheinlich sehen möchten, würde der Peustreich donnern unnd Hellisch Fewer außspein. […] Der Münch vermanet, dz der Peustrich nicht anders könnte versünet werden, als wann man ihm mildiglich opfferte [und die Menschen] von ihrer Sünden loß würden.[4]

Der Püstrich als Branntweinbrenner

Nach der Meinung des Schreibers Rosenthal soll die Figur eine Branntweinblase gewesen sein. Er glaubte, dass die Stummelbeine und eine Öse am Hinterteil, ein vermeintlicher Überrest eines Stellfußes, zusammen einen Dreifuß bildeten. Man fand jedoch später heraus, dass die Öse vermutlich aus neuerer Zeit stammt.

Püstrich als Taufbeckenträger

Der Püstrich als Taufbeckenträger

Die modernste Annahme zum Zweck des Püstrichs ist, dass er einst einer der Träger eines mittelalterlichen Taufbeckens war, das im 10. oder 11. Jahrhundert entstanden sein könnte. Dann wäre seine Haltung nur Ausdruck körperlicher Anstrengung, die mit dem Tragen des Taufbeckens in Verbindung steht. Es gibt sogar Anzeichen, dass die Öffnung des Mundes erst später gebohrt sein könnte, um eine Erklärung und einen Beweis zum Dampfausstoß zu finden. Das würde diese Vermutung noch mehr stärken.

Aber auch an dieser Deutung gibt es Zweifel, beispielsweise weil von den anderen Püstrichen keine Spur vorhanden und die Rückseite der Figur genauso gut ausgearbeitet ist wie die Vorderseite. Das wäre eher nicht der Fall, wenn der Betrachter sowieso nur die Front gesehen hätte. [Anmerkung 2]

Der Püsterich als Objekt der Begierde

Neben der technischen und kulturgeschichtlichen Deutung des Püstrichs ist auch deren gesellschaftliche Resonanz zu beachten: Der Püstrich erschien zu einem Zeitpunkt, als die deutschen und europäischen Herrschaftshäuser durch die in großer Zahl, meist aus der Neuen Welt eingeführten Kuriositäten zu einer Sammelleidenschaft verleitet wurden, die derartige Objekte zu enormen Wert verhalfen. Um den Erwerb des Püstrich bemühten sich in der Zeit von 1590 bis 1592 neben den Landgrafen Wilhelm IV. und Moritz von Hessen auch Herzog Wilhelm V. von Bayern. [Anmerkung 3]


Bei einem Besuch in Sondershausen begutachtete Johann Wolfgang von Goethe den Püstrich. Er widmete dem Kunstwerk die folgenden Zeilen:

Püsterich ein Götzenbild
gräßlich anzuschauen!
Pustet über klar Gefild
Wust, Gestank und Grauen.[5]
Werbung für das Rüdigsdorfer Pustefest (1926)

Der Püstrich heute

Pustefest

In Rüdigsdorf, jetzt ein Stadtteil von Nordhausen, wird seit 1866 das Pustefest begangen und damit der Püstrich verehrt.[6]

Die außergewöhnliche Figur ist Teil des noch heute im Schloss Sondershausen befindlichen Naturalien- und Kuriositätenkabinetts und kann im Schlossmuseum besichtigt werden.

Durch seine Einzigartigkeit ist der Püstrich auch heute noch in der Fachwelt recht bekannt und wird zeitweilig deutschlandweit zu Sonderausstellungen gezeigt.

Literatur

  • W. L. Hildburgh: Aeolipiles as Fire-blowers. in: Archaeologica or Miscellaneous Tracts relating to Antiquity 94. Oxford 1951, S. 27 ff.
  • Ines Jucker: Der Feueranbläser von Aventicum. in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, Band 21 (1961), Heft 2, S. 49 ff.
  • Wa. Ostward: PROMETHEUS – Illustrierte Wochenschrift über Fortschritte in Gewerbe, Industrie und Wissenschaft, Nr. 1253; Leipzig, 1913
  • Eugen von Philippovich: Kuriositäten/Antiquitäten. Klinkhardt & Biermann, Braunschweig 1966
  • Martin Friedrich Rabe: Der Püstrich zu Sondershausen; Berlin 1852
  • Albert Schröder: Der Püsterich von Sondershausen. in: Das Thüringer Fähnlein. Monatshefte für die mitteldeutsche Heimat. 3. Jg. Heft 7. 1934, Bildbeilage, S.454-455.
  • H. Toepfer: Der Püstrich in Sondershausen. in: Abdruck aus den Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Halle a. S.; Jahrg. 1903.
  • Ludwig Friedrich Hesse: Geschichte des Schlosses Rothenburg. Anhang „Von dem Püstrich“. In: Thür.Sächs. Verein für die Erforschung der Vaterländischen Alterthümer (Hrsg.): Mittheilungen aus dem Gebiet historisch antiquarischer Forschungen. Drittes Heft, Naumburg 1823, S. 53-64. als Digitalisat bei Google

Einzelnachweise

  1. Schweigger: Journal für Chemie und Physik, Nürnberg 1811
  2. Walter Heinemeyer: Die Geschichte Hessens und Thüringens im 16. Jahrhundert…. In: Historische Kommission für Hessen (Hrsg.): Hessen und Thüringen - von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen. Katalog, Wiesbaden 1992, ISSN 3-89258-018-9, Die Verstümmelung des Götzen Busterrich, S. 332–333.
  3. Martin Friedrich Rabe: Der Püstrich zu Sondershausen S. 69 ff; Berlin 1852
  4. Martin Friedrich Rabe: Der Püstrich zu Sondershausen S. 57 ff; Berlin 1852
  5. Fritz Kirchner: Einige neue Erkenntnisse zur Geschichte der flämischen Siedlungen in der oberen Goldenen Aue. In: Meyenburg Museum (Hrsg.): Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen. Heft 13, Nordhausen 1988, Anmerkung 5, S. 43.
  6. Jörg Michael Junker: Das Pustefest in Rüdigsdorf. In: Meyenburg Museum (Hrsg.): Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen. 13, Nordhausen 1988, S. 1-8.

Anmerkungen

  1. Das Adelsgeschlecht Tütcherode starb bereits 1576 aus und deren Besitztümer fielen somit als offenes Mannlehen an die Grafen von Schwarzburg. Dabei muss die Figur nach Sondershausen gelangt sein.
  2. Nach telefonischer Rückfrage beim Schlossmuseum Sondershausen wurde die Figur dort eingehend untersucht, es fanden sich aber keine Spuren einer irgendwie gearteten Befestigung eines Taufbeckens am Hinterkopf, Schultern ect. - somit ist diese Theorie inzwischen gegenstandslos geworden.
  3. Als Besitzer galten die um 1590 noch minderjährigen Prinzen von Schwarzburg-Sondershausen, somit konnte man formal juristische Gründe vorschieben um die Interessenten durch langwieriges Feilschen zu immer höheren Angeboten anzutreiben. Schließlich erhielt Landgraf Moritz das Objekt „geliehen“.

Weblinks


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