Carl Sonnenschein

Carl Sonnenschein
Carl Sonnenschein um 1928 auf einer Fotografie von Nicola Perscheid.

Carl Sonnenschein (* 15. Juli 1876 in Düsseldorf; † 20. Februar 1929 in Berlin) war ein durch sein Auftreten im Arbeitermilieu bekannter katholischer Priester; der „Zigeuner der Wohltätigkeit“ (Kurt Tucholsky).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit

Sonnenschein wurde als Sohn eines Klempners in Düsseldorf geboren. Sein Großvater betreute neben der Klempnerei eine Pilgerherberge im Wallfahrtsort Hardenberg, sein Onkel war Priester und hatte ein Krankenhaus in Borbeck gebaut und eine Kinderspeisung eingerichtet. Als Carl acht Jahre alt war, starb sein Vater. Die Mutter heiratete den Klavierstimmer und Musiklehrer Noll, der Carl bei seiner Ausbildung nach Kräften unterstützte.

Studium

Nach der Reifeprüfung am Düsseldorfer Hohenzollern-Gymnasium, dem heutigen Görres-Gymnasium, studierte er in Bonn und am Collegium Germanicum in Rom, das von Jesuiten geführt wurde. Neben dem Studium erteilte er den armen Kindern der Umgebung Religionsunterricht und wurde bald als „Ragazzibändiger“ bekannt. Er führte auch Besucher durch die Katakomben. 1897 erwarb er den Doktorgrad der Philosophie und 1900 den Doktorgrad der Theologie. Am 28. Oktober 1900 wurde er zum Priester geweiht. Prägend für seine römische Zeit war seine Begegnung mit dem italienischen sozialen politischen Katholizismus. Er wurde später Ehrenmitglied des katholischen Studentenvereins K.St.V. Suevia (Köln) und des K.St.V. Askania-Burgundia (Berlin) im KV.

Arbeit im Rheinland

Dr. Carl Sonnenschein in Berlin, etwa 1925

1901 kehrte Sonnenschein nach Düsseldorf zurück. 1902 wurde er Kaplan in Aachen, 1903 in Köln-Nippes, wo er sich besonders in der Jugendarbeit engagierte. Er gründete eine Berufsberatung und Stellenvermittlung. 1904 wurde er nach Elberfeld versetzt. Sein Engagement galt hier der Mädchenbildung (er befürwortete das Frauenstudium) und der Seelsorge an den Heimarbeiterinnen. Zu seinen Aufgaben gehörte die Betreuung der italienischen Bergarbeiter, denen er eine eigene Zeitung Der Italiener in Deutschland gründete. Er sorgte auch für die Anstellung des ersten Vertreters der Italiener bei der Landesregierung. Als die deutschen Arbeiter streikten, überzeugte Sonnenschein die Italiener, sich nicht als Streikbrecher missbrauchen zu lassen.

Bald war er berüchtigt für seine Neigung, potentielle Spender zu jeder Tages- und Nachtzeit aufzuspüren und für seine Vergesslichkeit. 1906 wurde er wegen seiner unbequemen politischen Tätigkeit beurlaubt. Er widmete sich nun der literarischen Arbeit und fand schließlich eine Anstellung im Volksverein für das katholische Deutschland in Mönchengladbach, einer Denkfabrik des sozialen Katholizismus. Er unterstützte die christlichen Gewerkschaften, die für ihn ein Stück angewandtes Christentum waren. Wesentliche Anregungen verdankte er seiner Freundschaft mit Elisabeth Gnauck-Kühne.

1908 gründete er das „Sekretariat Sozialer Studentenarbeit“ in Mönchengladbach. Dessen Zeitschrift waren die Sozialen Studentenblätter. In seinem Haus richtete er eine Studentenburse ein und errichtete auch in anderen Städten sozialstudentische Zentralen, die er meist in Gewerkschaftsbüros und Gesellenhäusern unterbrachte. Dabei ließ er sich von den englischen Settlements inspirieren. Er richtete gemeinsame Fortbildungskurse für Studenten und andere Bevölkerungsschichten ein, die zum Vorläufer der katholischen Volkshochschulen wurden.

Während des Ersten Weltkrieges organisierte er Schriften- und Briefaktionen und setzte sich für die flämischen Kriegsgefangenen ein. Den Krieg begrüßte er als Möglichkeit die Klassengesellschaft zu überwinden. Seine Schriften aus dieser Zeit zeigen ein sonst im katholischen Bereich kaum erreichtes nationalistisches Pathos und lassen jedes Gespür für die Leiden der Soldaten in einem industriell geführten Krieg vermissen. Nach dem Krieg gründete er in Mönchengladbach ein Akademisches Arbeitsamt für Katholiken.

Arbeit in Berlin

Spätexpressionistischer Christus für das Grab Sonnenschein von Hans Perathoner 1935, Alter Domfriedhof der St.-Hedwigsgemeinde, Berlin, Liesenstraße

Bei Kriegsende ging Sonnenschein 1918 in den Tagen der Novemberrevolution wahrscheinlich aus Angst vor den anrückenden Belgiern aus Mönchengladbach nach Berlin. Im Sozialen Archiv des Volksvereins eröffnete er sein Büro, mit dem er mehrmals umzog, bis er sich schließlich in der Georgenstraße 44 niederließ.

Berühmt war seine Kartei, in der nicht nur die Hilfsbedürftigen, sondern auch die potentiellen Helfer gründlichst erfasst wurden, ein Zettelkasten der Sozialarbeit. Seine besondere Fürsorge galt der Nachkriegsnot des akademischen Proletariats, ihn bewegte die Berufsentfremdung und das vergeudete Wissenspotential. Auch um die christliche Beisetzung von Selbstmördern kümmerte er sich.

Bis 1925 wurde seine Arbeit vom Volksverein finanziell unterstützt, danach war er auf sich selbst gestellt. Vor allem durch Vorträge und Broschüren verdiente er etwas. 1924 gründete er ein Kirchenblatt für Akademiker, dazu übernahm er das bestehende Katholische Kirchenblatt, dessen publizistisches Gewicht und Auflage er gewaltig steigern konnte.

1923 begann er mit dem Aufbau einer katholischen Volkshochschule, 1926 eröffnete er mit Spendengeldern eine katholische Lesehalle, die er mit Rezensionsexemplaren füllte. Angeregt von seinen Wanderungen rund um Berlin gründete er den „Geschichtsverein katholische Mark“ und gab den Märkischen Kalender heraus. Durch seine Initiative entstanden die Josephs-Siedlung in Tegel und die Siedlung Marienfelde-Mariengarten. Und wie früher unterrichtete er italienische Kinder. Am 15. April 1928 kam der Theologe Johannes Pinsk als sein Nachfolger nach Berlin.

Der Diözesangeschichtsverein in Berlin geht auf eine gemeinsame Gründung von Carl Sonnenschein, dem Historiker Karlheinrich Schäfer und Josef Deitmer im Jahr 1928 zurück. Der Verein hat zum Ziel, das Interesse für die lokale Kirchengeschichte zu wecken und zur wissenschaftlichen Erforschung beizutragen.

Die letzten zehn Jahre seines Lebens litt er an Herzmuskelschwäche. Nach seinem Tod wurde er nicht nur von den Katholiken, sondern auch von der jüdischen Gemeinde, den Sozialdemokraten und vielen anderen betrauert.

Sonnenschein wurde auf dem Berliner St.-Hedwigs-Friedhof bestattet. Für seine Grabstätte schuf der mit ihm befreundete Bildhauer Hans Perathoner 1935 ein an den Schnitzstil der Spätgotik angelehntes, expressionistisches Bronzekruzifix.

Zitate

Briefmarke (1952) der Serie Helfer der Menschheit
Briefmarke (1976) zum 100. Geburtstag Sonnenscheins
  • Nicht nörgeln! Nicht abseits stehen! Nicht beleidigt sein! Zufassen! Unser Land aus Wirrnis und Not herausführen! Die christliche Kultur des Landes schützen, pflanzen entfalten! Der Demut solcher Arbeit gehört der Segen Gottes. (Notizen, 29. August 1926)
  • Kommunisten muß man überflüssig machen. (Maria Grote: Dr. C. Sonnenschein in Berlin, Seite 46)

Werke

  • Notizen (Weltstadtbetrachtungen). Berlin 1926 bis 1928.
  • Sonntagsevangelien (Erklärungen). Berlin 1928.

Carl-Sonnenschein-Preis

Der Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine hat aus Anlass des 100ten Geburtstags seines Mitgliedes Carl Sonnenschein 1976 den „Carl-Sonnenschein-Preis“ gestiftet, mit dem in Verfolgung des Verbandsprinzips „Wissenschaft“ jährlich ausgewählte wissenschaftliche Leistungen prämiert werden.

Sonstiges

Nach Carl Sonnenschein wurde im Aachener Stadtteil Forst die Sonnenscheinstraße und in Marl eine Grundschule benannt.

In der Gemeinde Hövelhof wurde die Dr.-Sonnenschein-Straße nach ihm benannt.[1]

Literatur

  • Maria Grote: Dr. C. Sonnenschein in Berlin. Morus, Berlin 1957.
  • Werner Krebber (Hrsg.): Den Menschen Recht verschaffen. Carl Sonnenschein – Person und Werk. Mit Nachw. von Michael Sievernich SJ. Würzburg 1996.
  • Alfred Kumpf: Ein Leben für die Großstadt. Leipzig 1980.
  • Peter Panter: Carl Sonnenschein. In: Die Weltbühne, 6. Januar 1931. Nr. 1, S. 17 (Rezension von Thrasolts Biographie Dr. Carl Sonnenschein).
  • Angelica Schütz: Sonnenschein, Carl – Begründer der sozialstudentischen Arbeit. In: Hugo Maier (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Freiburg i. Br. 1998, ISBN 3-7841-1036-3, S. 557–559.
  • Ernst Thrasolt: Dr. Carl Sonnenschein. Erinnerungen und Geschichtsversuche. 1929.
  • Ernst Thrasolt: Carl Sonnenschein. Der Mensch und sein Werk. 1930.

Einzelnachweise

  1. Straßennamen der Gemeinde Hövelhof und ihre Bedeutung: Dr.-Sonnenschein-Straße (PDF)

Weblinks

 Commons: Carl Sonnenschein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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