Carla del Ponte

Carla del Ponte
Carla Del Ponte
während eines Vortrags an der Université de Lausanne im April 2005

Carla Del Ponte (* 9. Februar 1947 in Bignasco, Tessin) ist eine Schweizer Juristin und Botschafterin. Sie war vorher Bundesanwältin (1994–1998) und Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (1999–2007).

Carla Del Ponte spricht Italienisch, Deutsch, Französisch und Englisch.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Carla Del Ponte studierte internationales Recht in Bern, an der Universität Genf und in Großbritannien. Ab 1972 arbeitete Del Ponte in einer Rechtsanwaltspraxis in Lugano, 1975 gründete sie ihre eigene Kanzlei.

1981 wurde sie Staatsanwältin des Kantons Tessin. Ihr kompromissloses Vorgehen gegen Geldwäsche, organisierte Kriminalität, Waffenschmuggel und grenzüberschreitende Wirtschaftskriminalität trug ihr den Spitznamen Carlita la pesta (Carlita, die Pest) ein. Sie arbeitete eng mit dem später ermordeten italienischen Richter Giovanni Falcone gegen die Mafia zusammen und entging 1989 im Ferienhaus Falcones bei Palermo nur knapp einem Sprengstoffanschlag.

1994 wurde sie zur Bundesanwältin der Schweiz berufen. Sie ermittelte u.a. wegen Geldwäsche und Korruption im engeren Umkreis des früheren russischen Präsidenten Boris Jelzin und gegen den Bruder des mexikanischen Ex-Präsidenten Salinas. Ihre Arbeit als oberste Anklägerin der Schweizer Bundesbehörden wurde indes sehr unterschiedlich bewertet: Insbesondere von linker Seite wurde ihr – auch im Parlament – vorgeworfen, (zu) viel Publizität zu ihren Fällen zu entwickeln, von denen dann die meisten im Sand verlaufen seien. Ein Hauptbelastungszeuge in der Korruptionsaffäre um Boris Jelzin ("Russia-Gate"), der Jelzin-Berater Felipe Turover, verklagte Del Ponte im März 2001 wegen fahrlässiger Gefährdung seines Lebens. Der Schweizer Bundesanwalt Valentin Roschacher wies die Klage gegen seine Amtsvorgängerin ab. Turover verklagte daraufhin Roschacher wegen Begünstigung Del Pontes. Im Mai 2002 wurde ein Sonderermittler in dieser Sache eingesetzt.[1] Del Pontes Wahl an den Internationalen Strafgerichtshof wurde in den Medien auch als "Hinwegbeförderung" qualifiziert.

In September 1999 wurde sie als Nachfolgerin von Louise Arbour Chefanklägerin sowohl des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, zuständig für die Verfolgung schwerer Verbrechen während der Jugoslawienkriege, als auch des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda, zuständig für die Verfolgung des Völkermords in Ruanda.[2] Im Rahmen einer Umstrukturierung im Jahr 2003 musste sie das Chefanklägeramt für das Ruanda-Tribunal abgeben.

Als Chefanklägerin trat sie nach achtjähriger Amtszeit auf den 31. Dezember 2007 zurück.[3] In dieser Zeit wurden 91 Personen von insgesamt 161 Personen, gegen die das UN-Tribunal seit 1993 Anklage erhoben hatte, verhaftet oder stellten sich freiwillig und 63 Personen wurden verurteilt.[4] Als ihre größten Misserfolge gelten, dass Ratko Mladić trotz internationalem Haftbefehl nicht gefasst und auch Radovan Karadžić erst im Juli 2008 inhaftiert werden konnte. Ebenso, dass gegen Slobodan Milošević nach vierjähriger Prozessdauer wegen seines Todes während des laufenden Prozesses kein Gerichtsurteil erging.

Nach ihrem Rücktritt als Chefanklägerin lehnte sie eine Rückkehr zur Schweizerischen Bundesanwaltschaft ab.[5] Sie wurde vom Bundesrat per 1. Januar 2008 zur Botschafterin der Schweiz in Argentinien ernannt.[6]

Im August 2008 erhob Del Pontes Sprecherin Florence Hartmann in einem Gespräch mit der Belgrader Zeitung Blic schwere Vorwürfe gegen Clinton und Chirac: beide hätten wiederholt eine Verhaftung Karadzics verhindert.[7]

Organschmuggel-Kontroverse

2008 veröffentlichte Carla Del Ponte ihre Selbstbiographie «Die Jagd – Ich und die Kriegsverbrecher» (engl.: «The Hunt»), in der sie umfangreiches Material über angebliche Organschmuggel-Aktivitäten von Kosovo-Albanern präsentiert. Das Buch sorgte international für viel Wirbel. So äußerte Del Ponte den Verdacht, die Kosovo-Befreiungsarmee UÇK habe im Sommer 1999 rund 300 Serben verschleppt und ihnen Organe für den Weiterverkauf entnommen. Es hätten genügend Beweise für eine Untersuchung vor dem Internationalen Gerichtshof vorgelegen, diese sei jedoch «im Keim erstickt worden». Stattdessen habe man sich auf die Verfolgung serbischer Kriegsverbrechen konzentriert.[8]

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schloss sich der Argumentation Del Pontes an und forderte am 4./5. Mai 2008 den kosovarischen Premierminister Hashim Thaci und den albanischen Premier Sali Berisha zur Aufklärung auf.[9] Beide haben die Vorwürfe öffentlich als unbegründet zurückgewiesen.

Die heftigsten Reaktionen auf Del Pontes Buch kamen aus dem Kosovo und aus Kroatien. Aber auch Schweizer Politiker kritisieren ihr Buch und fordern gar ihren Rücktritt, wie auch der grüne Aargauer Nationalrat Geri Müller, Präsident der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats: „In der Sendung «Rendez-vous» von Radio DRS verwies er unter anderem darauf, dass Del Ponte als Botschafterin der Schweiz auch das Prinzip der Unparteilichkeit mitzutragen habe – und das tue sie mit der Veröffentlichung ihres Buches nicht. Müller stellte sich deshalb auf den Standpunkt, dass Del Ponte nach dem jüngsten Wirbel um ihr Buch auch als diplomatische Vertreterin der Schweiz in Argentinien nicht länger tragbar sei und deshalb zurücktreten sollte. In einem Interview der Gratiszeitung «News» warf er ihr zudem vor, einseitige Positionen gegen Serbien zu vertreten. «Wenn das EDA nun Del Ponte nicht absetzt, haben wir wirklich ein Problem», sagte Müller“.[10] Das eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten hat Del Ponte die Teilnahme an der Präsentation ihres Buchs per Dekret verboten.[11]

Auf Antrag von 17 Abgeordneten wird die Menschenrechtskommission des Europarates unter Leitung des Schweizer Abgeordneten Dick Marty einen Report über die Anschuldigungen «unmenschliche Behandlung und Organschmuggel im Kosovo» erstellen.[12]

Ehrungen

  • Westfälischer Friedenspreis 2002 für „couragierte Arbeit“
  • Wartburgpreis 2006
  • Soroptimist International 2007
  • Augsburger Universitätspreis für Versöhnung und Völkerverständigung 2007
  • SwissAward 2007 in der Kategorie Politik „für ihre unermüdlichen und hartnäckigen Bemühungen, die Menschenrechte durchzusetzen, für Gerechtigkeit einzustehen und damit ein Zeichen für den Weltfrieden zu setzen“.

Literatur

  • Irma Hildebrandt: Mutige Schweizerinnen. Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 2006, ISBN 978-3-7205-2830-6
  • Carla Del Ponte, Chuck Sudetic: La caccia. Io e i criminali di guerra. Feltrinelli, Milano 2008. ISBN 9788807171444.[13] Deutsche Ausgabe: Im Namen der Anklage. Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit. S. Fischer, Frankfurt am Main 2009. ISBN 978-3-10-013911-5

Film

  • La liste de Carla, von Marcel Schüpbach, 2006, Schweiz (96`)

Quellen

  1. Del Ponte und die Mafia, Telepolis, Jürgen Elsässer 15.09.2003
  2. Ernennung zur Chefanklägerin des UNO-Tribunals, Schweizer Fernsehen, Tagesschau vom 12.8.1999 (Video, 2 min)
  3. «Es ist absolut wichtig, dass die Wahrheit ans Licht kommt», Interview in der NZZ, 1.12.2007
  4. Adios Carla – Rückblick auf 8 Jahre Arbeit im UN-Tribunal sueddeutsche.de 13.12.07
  5. NZZ Online vom 29. Juli 2007
  6. NZZ am Sonntag vom 15. Juli 2007
  7. http://news.search.ch/ausland/2008-08-11/schwere-vorwuerfe-gegen-ex-praesidenten
  8. RIA Novosti - World: Russia ups pressure on ex-war crimes prosecutor Del Ponte, 14.4.2008
  9. Human Rights Watch: „Kosovo/Albanien: Entführungen und Verschleppungen nach Albanien sollen untersucht werden“ vom 5. Mai 2008
  10. "Carla Del Ponte zum Rücktritt aufgefordert" 20minuten, 08.04.08
  11. "Wegen ihrer Memoiren: Maulkorb für Del Ponte" 20minuten, 07.04.2008
  12. PACE to investigate allegations of organ-trafficking in Kosovo, Europarat, 25.6.2008
  13. Wirbel um Carla Del Pontes Buch, Swissinfo, 9. April 2008

Weblinks



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