Gut Glüsig

Gut Glüsig
Das barocke Haupthaus von der Hofseite

Das Gut Glüsig in der Magdeburger Börde war ein Vorwerk des ehemaligen Zisterzienserinnen-Klosters in Althaldensleben. Nach verschiedenen Besitzerwechseln wird der landwirtschaftliche Betrieb seit 1992 vom Caritasverband des Bistums Magdeburg geführt, der die ökologische Bewirtschaftung des Hofes mit sozialen Beschäftigungsprojekten verbindet. In Glüsig erzeugte Produkte werden nach Bioland-Richtlinien verarbeitet und vermarktet.

Die Ortschaft Glüsig gehört heute zum Ortsteil Ackendorf der Gemeinde Hohe Börde im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Siedlung Glüsingen entstand in der ursprünglich von Sueven bewohnten Gegend. In den Jahren 1270 bis 1300 schenkte Konrad von Wudenswegen [1] dem Althaldensleber Kloster ersten Landbesitz bei Glüsingen. 1310 erwarb das Kloster dort zusätzliche Landflächen. Die damalige Äbtissin Jutta I. gliederte neben Wedringen und Vahldorf auch Glüsingen in das Klostergebiet ein. Nach einer Pestepidemie um 1450 war Glüsingen verödet. Um 1460 wurde dann östlich des alten Dorfes vom Kloster das Vorwerk Glüsig errichtet.

Während des Dreißigjährigen Krieges wurden das Vorwerk und die dazugehörende St. Anna-Kapelle zerstört. Ab 1648 erfolgte der Wiederaufbau des Gutes wie der nahe gelegenen Kapelle.

Um 1700 gehört der gesamte Besitz des ehemaligen Dorfes Glüsingen dem Kloster in Althaldensleben. Im Jahr 1757 ließ die damalige Äbtissin Gräber das noch heute erhaltene Hauptgebäude des Wirtschaftshofes bauen. 1806 wurden das Vorwerk und die Kapelle im Rahmen des Vierten Koalitionskrieges von französischen Truppen geplündert.

Johann Gottlob Nathusius

Im Jahr 1810 kaufte der Magdeburger Kaufmann und Tabakproduzent Johann Gottlob Nathusius von der westfälische Regierung das unter Napoleon aufgehobene Kloster samt dem Vorwerk in Glüsig[2].

Unter Nathusius trat die vormals agrarwirtschaftliche Nutzung des Gutes zurück, denn schon bald nach dem Erwerb wurden als Teil der Handelsgärtnerei zu Althaldensleben[3] auf Glüsig Baumschulen angelegt[4]. Im Wesentlichen wurde Handelsware (Malvenstauden zur Farbenherstellung) angebaut, außerdem erfolgte hier die Aufzucht von Obstbäumen[5]. Neben der betriebswirtschaftlich effektiveren Nutzung des Landes kam die Umwidmung zu einer Baumschule auch den ästhetischen Vorstellungen von Nathusius entgegen. Die vormals kahlen Berge des Vorwerks wurden, mit Obstbäumen und Sträuchern bepflanzt, zu parkähnlichen Landstrichen. In einem Tal wurde sogar ein Teich mit Schwänen besetzt[6].

Nach dem Tod des Vaters übernahm 1835 zunächst Philipp von Nathusius die Güter in Althaldensleben und Glüsig. 1849 verkaufte er an seinen jüngeren Bruder Heinrich von Nathusius den Althaldensleber Besitz, das Vorwerk Glüsig blieb zunächst im Eigentum von Philipp, es wurde lediglich von seinem Bruder mitbewirtschaftet. Um 1866 unterhielt Heinrich von Nathusius in Glüsig ein Privatlazarett für Verwundete des Deutschen Krieges. Auch während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 wurde dort erneut ein Lazarett eingerichtet.

1883 oder 1884[6] wurde das Vorwerk an die Zuckerfabrik von Jenrich, Druckenbrodt u. Co zu Ackendorf verkauft.

1934 erfolgte für Glüsig, bis dahin zu Althaldensleben gehörend, die Eingemeindung nach Ackendorf. Im Jahr 1938 entstand in Glüsig eine neue Bauernsiedlung. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das ehemalige Vorwerk enteignet und zum volkseigenen Gut mit dem Schwerpunkt Tierproduktion, die in Kooperation mit dem ebenfalls enteigneten Betrieb auf dem Schloss Hundisburg betrieben wurde[7]. In dieser Form bestand es bis 1990.

Caritas

Der Caritasverband übernahm das Gut mit 32 Hektar Ackerfläche im Jahr 1992 von der Treuhandanstalt und begann dort mit der Einrichtung eines sozialen Arbeits- und Beschäftigungsprojektes „St. Franziskus“. Neben der Umstellung auf eine ökologische Landbewirtschaftung wurde 1998 auf der Anlage ein Schlacht- und Verarbeitungshaus errichtet und die Gut Glüsig GmbH als sozialer Erwerbsbetrieb gegründet.

Architektur

Haupthaus und Hofeinfahrt von außen

Das Gutshaus in Glüsig ist ein zweigeschossiger barocker Bruchsteinbau von 13 Achsen und entstand etwa 1750. Auf dem asymmetrisch angeordneten Portal befinden sich ein Segmentgiebel sowie eine Inschrift. Weitere Gebäude des Hofes stammen aus dem 18. Jahrhundert. Der gesamte Hofkomplex ist denkmalgeschützt.[8].

Wallfahrtskapelle St. Anna

Die nahegelegene und ursprünglich zum Gut gehörende Wallfahrtskapelle St. Anna ist ein kleiner, einschiffiger, romanischer Bruchsteinbau aus dem 13. Jahrhundert. Erzbischof Wilbrand von Magdeburg übereignete die Kapelle 1236 dem Zisterzienserinnenkloster in Althaldensleben.

Die im 30jährigen Krieg teilzerstörte Kapelle wurde 1658 erneuert. Das Portal, die Fenster sowie ein in Fachwerk ausgeführter Chorgiebel und ein sechseckiger Dachreiter sind Zeugen des damals erfolgten Umbaues. Das Chorhaus des romanischen Baus, von dessen altem Mauerwerk nur noch wenig erhalten ist, öffnet sich in einem Rundbogen zum Barockaltar mit einer Statue der Heiligen Anna. In der Kapelle befindet sich die einzige Glocke der Region, die ein Chronostichon trägt. Es ergibt die Jahreszahl 1711.

Hier wurde 1812 die letzte Äbtissin des 1810 säkularisierten Klosters in Althaldensleben, „Domina und Mater“ Ludovica Dederich bestattet. Ihr Grabstein steht an der Außenwand der Kapelle. 1934 wurde das Gebäude restauriert. Die Kapelle ist noch immer Ziel der alljährlichen St-Annen-Wallfahrt[8].

St. Annen-Wallfahrt

Eine Annen-Verehrung an diesem Ort ist seit dem 13. Jahrhundert nachgewiesen. Nach verheerenden mittelalterlichen Pestepidemien stiftete das Kloster Althaldensleben im 16. Jahrhundert eine jährliche Prozession nach Glüsig. Sie wird noch heute einmal jährlich als Fußwallfahrt durchgeführt. Jeweils am ersten Sonntag im August formieren sich die Pilger in den Gemeinden St. Johannes Baptist in Althaldensleben und St. Peter und Paul in Groß Ammensleben und ziehen nach Glüsig. Auf dem Kapellenberg findet ein gemeinsamer Gottesdienst statt[9]. Die heute bei der Prozession gezeigte Figur der Kapellenpatronin stammt aus Beständen des Diözesanmuseums in Paderborn.

Heutige Nutzung

Förderverein

Unter der Schirmherrschaft des Magdeburger Bischofs Gerhard Feige wurde am 3. August 2000 der Förderverein Gut Glüsig e.V. gegründet. Ziele des Vereins sind die Erhaltung des Vorwerks als Denkmal der Bau- und Kunstgeschichte sowie Zeugnis der Geschichte, die Nutzung der Anlage für Gottesdienste und andere kulturelle Veranstaltungen sowie die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen der katholischen Kirche. Es ist geplant, neben dem bereits etablierten landwirtschaftlichen Betrieb das ehemalige Gutsgebäude zu einem Gäste- und Bildungshaus umzugestalten. Dazu bedarf es einer weiteren Außen– und Innensanierung.

Landwirtschaftlicher Betrieb des Caritasverband Magdeburg e. V.

In landwirtschaftlichen Betrieb werden derzeit 136 Hektar (90 Hektar Ackerfläche und 46 Hektar Dauergrünland) bewirtschaftet. Es werden Gemüse und Futterpflanzen angebaut sowie Streuobsthänge betrieben. Hauptgeschäftsfeld ist die Schweineaufzucht und -schlachtung. Hier werden 500 bis 600 Tiere pro Jahr gemästet. Außerdem werden etwa 50 Kühe und Rinder (Deutsche Angus) gehalten. Daneben gibt es eine kleine Schafherde und Pferdehaltung (eigene sowie Einstellung). Gut Glüsig ist Mitglied im Netzwerk der Demonstrationsbetriebe Ökologischer Landbau.

Gut Glüsig GmbH

Zum Zweckverband Gut Glüsig gehört auch die Gut Glüsig GmbH, eine weitere Tochtergesellschaft der Caritas[10]. Sie verarbeitet die Schlachtprodukte des Gutes, vermarktet die ökologischen Wurst- und Fleischwaren und kümmert sich um den Verkauf des selbst erzeugten Obstes und Gemüses. Elf Mitarbeiter und drei Lehrlinge gehören zum Betrieb, der als sozialer Erwerbsbetrieb ausgelegt ist: Mindestens zehn Personen, vor allem älteren Langzeitarbeitslosen, soll ein Dauerarbeitsplatz gesichert werden. Dafür erhält die Gesellschaft finanzielle Zuwendungen von der Caritas, dem Arbeitsamt, dem Land Sachsen-Anhalt und der Europäischen Union[11].

Gut Glüsig ist der größte Bioschlachtbetrieb in Sachsen-Anhalt[12].

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. oder auch Konrad von Gutenswegen, nach dem Ort Gutenswegen
  2. gem. Autorenkollektiv, Brockhaus´ Konversationslexikon, 1902-1910, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896, 12. Band, Seite 192
  3. die wiederum zu den Nathusius Gewerbeanstalten Althaldensleben gehörten
  4. gem. Christina Heil (?), Johann Gottlob Nathusius - ein Wegbereiter der Haldensleber Industrie, in einer unbekannten Publikation vom August 1992
  5. gem. Otto Dieskau, Das Kloster-Vorwerk Glüsig, in: Aus Althaldenslebens Vergangenheit, III. Teil, Nr 14, Verlag von Simmerlein, Neuhaldensleben/Althaldensleben 1924, S. 10-28
  6. a b gem. Marlise Harksen, Die Kunstdenkmale des Kreises Haldensleben, in: Die Kunstdenkmale im Bezirk Magdeburg, E. A. Seemann, 1961, S. 276
  7. gem. Infotafel auf dem Gutshof im Sommer 2010
  8. a b gem. Webseite des Fördervereins Historisches Museum der Rittergüter im Jerichower Land Schloß Parchen e.V.
  9. gem. Artikel Traditionelle Fußwallfahrt zur St. Annenkapelle auf Gut Glüsig auf der Webseite des Caritasverbandes des Bistums Magdeburg vom 29. Juli 2010
  10. Caritasverband für das Dekanat Magdeburg
  11. gem. Julia Kuttner, in dem Artikel So viele Möglichkeiten in der Zeitschrift Tag des Herrn, Ausgabe 5/2002
  12. gem. Artikel Traktor-Spende für Gut Glüsig auf der Webseite des Bistums Magdeburg vom 4. August 2010

Weblinks

 Commons: Gut Glüsig – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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