Heinrich Wilhelm Kranz

Heinrich Wilhelm Kranz

Heinrich Wilhelm Kranz (* 30. Juni 1897 in Göttingen; † 5. Mai 1945 in Staßfurt) war ein deutscher Augenarzt, Hochschullehrer und Rassehygieniker zur Zeit des Nationalsozialismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Kranz, Sohn eines Postmeisters,[1] besuchte in Hofgeismar, Kassel und Holzminden das Gymnasium und schloss seine Schullaufbahn 1914 mit dem Notabitur 1914 ab. Am Ersten Weltkrieg nahm Kranz von 1914 bis 1918 als Kriegsfreiwilliger teil. Als Leutnant der Reserve wurde Kranz 1918 aus der Armee entlassen und absolvierte ein Medizinstudium an der Universität Marburg und Gießen,[2] wo er Mitglied der Turnerschaft Philippina Marburg wurde.[3] Ebenso wie Otmar Freiherr von Verschuer nahm Kranz als Angehöriger des Studentenkorps Marburg an den Kämpfen mit Spartakisten in Thüringen teil, bei dem unbewaffnete Arbeiter erschossen wurden.[4][1] Kranz schloss 1921 sein Studium mit dem Staatsexamen ab und promovierte noch im selben Jahr. Danach wurde Kranz Oberarzt an der Universitätsaugenklinik Gießen, wo er sich 1926 habilitierte. Zudem wurde er Privatdozent für Augenheilkunde.[2] Nach Auseinandersetzungen mit seinem Vorgesetzten arbeitete Kranz spätestens ab 1928 als niedergelassener Augenarzt in Gießen.[1]

Zeit des Nationalsozialismus

Kranz trat Anfang der 1930er Jahre der NSDAP und SA bei.[5] In der SA erreichte Kranz später den Rang eines SA-Sturmbannführers. Ab 1933 war Kranz Beauftragter des „Aufklärungsamtes für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege“. Nachdem 1934 dieses sich im Aufbau befindliche Amt zum „Rassenpolitischen Amt“ umbenannt wurde, war Kranz dort Gauamtsleiter für Hessen-Nassau.[2] Kranz war zudem Beisitzer des Erbgesundheitsobergerichts Darmstadt, Angehöriger des hessischen Ehrengerichts und leitete die Abteilung für „Erbgesundheit und Rassenpflege“ der Hessischen Ärztekammer bei der Bezirksstelle Gießen.[6]

Ab 1934 lehrte Kranz Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik an der Universität Gießen. Kranz wurde von dem Medizinprofessor Philalethes Kuhn und dem Gauleiter Jakob Sprenger gefördert. Am 27. Januar 1936 war Kranz an der Einweihung des Giessener „Instituts für Erbgesundheit und Rassenpflege“ beteiligt, dessen Leiter er wurde. Kranz wurde am 1. Januar 1937 zum außerordentlichen Professor und am 9. Mai 1940 zum ordentlichen Professor für „Erb- und Rassenpflege“ an der Universität Gießen ernannt. Am 30. Juni 1938 wurde das Institut für Erbgesundheit und Rassenpflege der Universität Gießen unterstellt.[7] Kranz war von Oktober 1939 bis November 1942 Rektor der Universität Gießen.[8]

Der Aufgabenbereich des „Instituts für Erb- und Rassenpflege“ der Universität Gießen wurde durch Kranz folgendermaßen umrissen:[9]

  1. Rassenpolitisches Amt (Schulung und Propaganda)
  2. Praktische Rassenhygiene
  3. Einbürgerungen
  4. Erbklinische Untersuchungen (Zusammenhänge zwischen Rasse, Konstitution und Krankheit)
  5. Zwillingsforschung
  6. Kriminal-biologische Untersuchungen
  7. Bastarduntersuchungen
  8. Hilfsschüler-Untersuchungen
  9. Erbbiologische Bestandsaufnahme (erbliche Belastung, Krankheitshäufung, Erbgänge)
  10. Eheberatung
  11. Experimentelle vererbungswissenschaftliche Arbeiten
  12. Vorlesung

Durch Kranz wurden unter anderem pseudowissenschaftliche kriminalbiologische Untersuchungen – auch im Rahmen der so genannten Zigeunerforschung – initiiert, die einen Nachweis für einen Zusammenhang von „Rasse und Verbrechen“ erbringen sollten. In Zusammenarbeit mit dem Statistiker Siegfried Koller verfasste Kranz zudem ein dreibändiges Werk zum „Asozialenproblem“, in dem eine so genannte Gruppe von „Gemeinschaftsunfähigen“ definiert wurde. Zudem wurden über 600.000 Personen erbbiologisch erfasst.[10] Auch diese Forschungen zur nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik bereiteten den Weg für Zwangssterilisationen und die Ermordung tausender als „gemeinschaftsunfähig“ klassifizierter Menschen.

Kranz schrieb für die Zeitschrift Nationalsozialistischer Volksdienst 1942 einen Beitrag in dem es wortwörtlich hieß: „Die von uns geforderte Sonderbehandlung dieser aus asozialer Sippe stammenden chronischen Gemeinschaftsunfähigen ist in jeder Weise auch wissenschaftlich begründet.“[11]

Als Nachfolger von Verschuer wechselte Kranz zum 1. Dezember 1942 als Professor für „Erbbiologie und Rassenhygiene“ an die Universität Frankfurt und leitete dort ebenfalls das „Institut für Erbgesundheit und Rassenpflege“.[2] Vom 9. Januar 1945 bis zum Frühjahr 1945 war Kranz Rektor der Universität Frankfurt.[5]

Kranz beging am 5. Mai 1945 Suizid.[5] Nach Sandner und Oehler-Klein starb Kranz am 11. Mai 1945.[2][12]

Literatur

  • Udo Benzenhöfer (Hrsg.): Mengele, Hirt, Holfelder, Berner, von Verschuer, Kranz: Frankfurter Universitätsmediziner in der NS-Zeit, Verlag Klemm & Oelschläger, Münster 2010 ISBN 978-3-932577-97-0
  • Hans-Christian Harten, Uwe Neirich, Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch Akademie Verlag, Edition Bildung und Wissenschaft Band 10, Berlin 2006 ISBN 9783050040943 ISBN 3050040947
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-596-16048-0.
  • Peter Sander: Verwaltung des Krankenmordes - Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus, Psychosozial-Verlag, Gießen 2003, ISBN 978-3-89806-320-3 (pdf)
  • Matthias Willing: Das Bewahrungsgesetz (1918-1967). Eine rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge. Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 3-16-148204-2
  • Volker Roelcke: Gerhard Pfahler und Heinrich Wilhelm Kranz: Zwei Rektoren im Nationalsozialismus, in: Horst Carl, Eva-Maria Felschow, Jürgen Reulecke, Volker Roelcke, Corina Sargk (Hg.): Panorama 400 Jahre Universität Gießen. Akteure - Schauplätze - Erinnerungskultur. Frankfurt/Main: Societätsverlag 2007, S. 125-130.
  • Sheila Faith Weiss: Humangenetik und Politik als wechselseitige Ressourcen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik im „Dritten Reich“. Reihe: Forschungsprogramm, Band 17. Max-Planck-Gesellschaft, Berlin 2004, ISSN 1616-380X (pdf)
  • Sigrid Oehler-Klein: Das Institut für Erb- und Rassenpflege der Universität Gießen: Aufbau des Instituts und Eingliederung in die Universität, in: Giessener Universitätsblätter, Gießen 2005, S. 25-43, (pdf)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c Hans-Christian Harten, Uwe Neirich, Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch, Berlin 2006, S. 297
  2. a b c d e Peter Sander: Verwaltung des Krankenmordes - Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus, Gießen 2003, S. 734
  3. Max Mechow, Namhafte CCer, Historia Academica, Band 8/9, S. 134
  4. Matthias Willing: Das Bewahrungsgesetz (1918-1967). Eine rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge., Tübingen 2003, S. 188
  5. a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 335
  6. Sigrid Oehler-Klein: Das Institut für Erb- und Rassenpflege der Universität Gießen: Aufbau des Instituts und Eingliederung in die Universität, in: Giessener Universitätsblätter, Gießen 2005, S. 37f.
  7. Sigrid Oehler-Klein: Das Institut für Erb- und Rassenpflege der Universität Gießen: Aufbau des Instituts und Eingliederung in die Universität, in: Giessener Universitätsblätter, Gießen 2005, S. 26f.
  8. Sigrid Oehler-Klein: Das Institut für Erb- und Rassenpflege der Universität Gießen: Aufbau des Instituts und Eingliederung in die Universität, in: Giessener Universitätsblätter, Gießen 2005, S. 36.
  9. Zitiert nach: Sigrid Oehler-Klein: Das Institut für Erb- und Rassenpflege der Universität Gießen: Aufbau des Instituts und Eingliederung in die Universität, in: Giessener Universitätsblätter, Gießen 2005, S. 29.
  10. Sigrid Oehler-Klein: Das Institut für Erb- und Rassenpflege der Universität Gießen: Aufbau des Instituts und Eingliederung in die Universität, in: Giessener Universitätsblätter, Gießen 2005, S. 30f.
  11. Zitiert bei: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 335.
  12. Sigrid Oehler-Klein: Das Institut für Erb- und Rassenpflege der Universität Gießen: Aufbau des Instituts und Eingliederung in die Universität, in: Giessener Universitätsblätter, Gießen 2005, S. 41.

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