Horacker

Horacker

Horacker ist ein Roman Wilhelm Raabe, geschrieben im Jahr 1876, dessen Erfolg beim Publikum weit hinter den Erwartungen seines Autors zurückgeblieben ist. Da Raabe seinen Lebensunterhalt ausschließlich als freier Schriftsteller verdiente, war er zu hoher Produktivität gezwungen. [1]

Inhaltsverzeichnis

Historischer Kontext

Der Roman „Horacker“ spielt im Jahre 1867 in dem fiktiven Dorf Gansewinckel. Zu dieser Zeit wurde der Norddeutsche Bund, der erste deutsche Bundesstaat Deutschlands, gegründet. Auch fand die Weltausstellung in Paris statt, Österreich-Ungarn wurde gegründet, Preußen und Hessen schlossen ein Schutz- und Trutzbündnis, die Dezemberverfassung wurde sanktioniert, der Postdienst aufgehoben, König Otto von Griechenland und Maximilian von Österreich starben und Abdülaziz, Sultan der Osmanen, besuchte König Wilhelm zu Koblenz. Doch die Personen in dem Buch interessiert dies alles nicht: „Nun hätte man denken sollen, daß alles dieses und noch vieles andere nicht Aufgezählte vollkommen hingereicht hätte, die eben von uns vom hohen Berg aus überschaute Gegend hinreichend zu beschäftigen; aber – im Gegenteil![…]die Gegend kümmerte sich nur – um Horacker.“ (S.3)

Erzählstil

Der Erzählstil im „Horacker“ ist der eines addressatenbezogenen Erzählers. Der Leser wird mehrere Male vom Autor direkt angesprochen und so direkt ins Geschehen mit einbezogen. Raabe wendet sich an den realen Leser, wenn er über die Schwierigkeiten einer sachgerechten Darstellung redet. Diese Einschübe und Kommentare unterstreichen den prozessualen, offenen Charakter des Werkes. Meist stehen solche Bemerkungen zu Beginn eines Kapitels: „Nun wird uns aber unsere Geschichte selber fast zu bunt und sozusagen zu einer auf uns einstürzenden Wand! Die vielfarbigen Mauerstücke poltern über uns her, und fast vergebend arbeiten wir keuchend und lehnen uns mir Buckel und Ellenbogen an, um nicht unter dem flimmernden Schutt begraben zu werden.“ (S.37)

Inhalt

Der Roman beschreibt nur einen Tag, den Nachmittag und Abend, mit einer Zeitspanne von weniger als zehn Stunden. Die Geschichte beginnt damit, dass der Autor auf die weltgeschichtlichen Ereignisse dieser Zeit hinweist, um sich ganz davon zu distanzieren und die Ereignisse in Gansewinckel zu erzählen. Der Konrektor Eckerbusch und sein Kollege Windwebel brechen zu einem Spaziergang nach Gansewinckel auf. In einem Wald begegnen sie der Witwe Horacker, die für ihren Sohn, den angeblichen Mörder Cord Horacker, um Essen bittet. Es stellt sich heraus, dass der vermeintliche Straftäter in Wirklichkeit nur einen Topf Schmalz gestohlen hat und dessen schlimmer Ruf erst durch die Gerüchte der Bevölkerung entstanden ist. So wurde Cord Horacker nach seinem Diebstahl in eine Fürsorgeanstalt gebracht, aus der er aufgrund des Gerüchts, dass seine Geliebte Lottchen Achterhang ihn nicht mehr liebe und womöglich einen anderen habe, entflieht. Seitdem streift er ängstlich und hungrig durch die Wälder. Die beiden Lehrer beschließen Horacker mit nach Gansewinckel zu nehmen. Doch aus Angst vor einer Strafe flüchtet Cord weiter in den Wald und Windwebel folgt ihm. Als er ihn schließlich einholt, überredet er ihn mitzukommen. Währenddessen trifft Lottchen, die wegen Horacker zu Fuß aus Berlin hergelaufen ist, im Pfarrhaus ein und wird dort aufgenommen und versorgt. Auch die beiden Frauen der Lehrer brechen mit dem Oberlehrer Neubauer in einer Kutsche nach Gansewinckel auf, da sie das Gerücht gehört haben, dass ihre Männer von Horacker ermordet wurden. Wegen desselben Gerüchts brechen auch Staatsanwalt Wedekind und sein Assistent nach Gansewinckel auf. Schließlich treffen alle am Abend in dem Haus des Pfarrerehepaars Winckler zusammen, wo Konrektor Eckerbusch durch eine Rede, in der er die Untaten der Bürger von Gansewinckel aufzählt, Horacker und seine Geliebte Lottchen verteidigt. Zuletzt verpflichten sich alle, die beiden jungen Leute wieder zurück in eine geordnete Existenz zu verhelfen.

Gesellschaftskritik

Raabe kritisiert in seinem Werk auf indirekte Weise die Wirkung von Gerüchten auf das Verhalten der Dorfbewohner. Zunächst zeigt er eine "heile" dörfliche Welt, deren größtes Problem ein angeblicher Schwerverbrecher ist, während andere Themen sie nicht interessiert. Ein Unschuldiger wird durch ein Gerücht zum Mörder, zum Dieb und skrupellosen Menschen gemacht, die beiden Lehrer und deren Frauen werden ebenfalls durch Gerüchte zu ihren Handlungen bewegt.

Die Verdorbenheit der Gesellschaft wird durch das Verhalten der Bürger von Gansewinckel deutlich, die sich gegenseitig berauben, Horacker an allem die Schuld geben und die die Verhaltensnormen der Kirche ignorieren. Bewohner kontrollieren sich gegenseitig und hindern so die Witwe Horacker, ihrem Sohn zu helfen. Auf die Vergehen und die Untaten der Dorfbevölkerung, auf ihre Herzlosigkeit und ihre Sensationslust, die Raabe an eindrucksvollen Szenen zeigt, geht auch Eckerbusch in seiner Verteidigungsrede für Horacker ein.

Eingliederung in den Realismus

Das Thematisieren von sozialen Verhältnissen und speziell auch von Konflikten zwischen Individuum und Gesellschaft stand im Zentrum dieser Epoche. So steht in Raabes „Horacker“ nicht die Masse der Gesellschaft im Vordergrund, sondern eine einzelne Persönlichkeit. An ihr zeigt Raabe die sozialen Umstände des Dorfes Gansewinckel, wo sich eine Gemeinschaft gegen ein Individuum wendet. Dies Masse ist für Raabe stets roh und gefühllos. Gesellschaftskritik, ein zentraler Aspekt des Realismus, übt Raabe, indem er eine konkrete Gesellschaft und ihr Beziehungsgeflecht in einem konkreten Ort beschreibt und durch Überzeichnungen und Überspitzung menschlichen Verhaltens deren Mängel und Versagen sichtbar werden läßt.

Ein Stilmittel des Realismus ist der Humor. Ziel war es, damit der Unzulänglichkeit sowie mit Tristesse der Existenz fertig zu werden oder ihr entgegenzuwirken. In Raabes „Horacker“ entsteht häufig Situationskomik, wenn z.B. die unglaublichsten Geschichten über Horacker erzählt werden, oder wenn der Autor seine Personen charakterisiert: („Daß der Konrektor Eckerbusch mit dem Talent begabt war, allerlei menschliche und tierische Kreaturen nachzuahmen und sie in Leid und Freude zur Darstellung zu bringen, ist uns gleicherweise bekannt: einem krähendem Hahn hatte er noch nie so sehr geglichen als jetzt in diesem spannungsvollen Moment." S. 65 )

Einzelnachweise

  1. „für´s Erste noch schreibe ich meine Horacker etc. für´s tägliche Brod“, aus: Wilhelm Raabe, Sämtliche Werke, BAE 2, S.188.

Ausgaben

Literatur

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Tullian — Unter dem Pseudonym Lips Tullian, seltener auch in der Schreibweise Lips Tulian, erlangte der am 8. März 1715 in Dresden hingerichtete Anführer einer sächsischen Räuberbande im frühen 18. Jahrhundert überregionale Bekanntheit. Inhaltsverzeichnis… …   Deutsch Wikipedia

  • Frau Salome — ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die im Sommer 1874 entstand[1] und 1879 in Braunschweig erschien. Der zu den „Krähenfelder Geschichten“[2] gehörige Text war bereits im Februar 1875 in Westermanns Monatsheften abgedruckt worden.[3][4][5] Der …   Deutsch Wikipedia

  • Vom alten Proteus — Vom alten Proteus. Eine Hochsommergeschichte ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die Anfang 1875 entstand[1] und 1879 in Braunschweig erschien. Der zu den „Krähenfelder Geschichten“[2] gehörige Text war bereits im Winter 1875/1876 in… …   Deutsch Wikipedia

  • Jacob Corvinus — Portrait von Wilhelm Raabe (Gemälde von Wilhelm Immenkamp 1911) Wilhelm Raabe, (Pseudonym: Jakob Corvinus; * 8. September 1831 in Eschershausen; † 15. November 1910 in Braunschweig), war ein deutscher Schriftsteller (Erzähler) und einer der wic …   Deutsch Wikipedia

  • Jakob Corvinus — Portrait von Wilhelm Raabe (Gemälde von Wilhelm Immenkamp 1911) Wilhelm Raabe, (Pseudonym: Jakob Corvinus; * 8. September 1831 in Eschershausen; † 15. November 1910 in Braunschweig), war ein deutscher Schriftsteller (Erzähler) und einer der wic …   Deutsch Wikipedia

  • Lips Tullian — († 8. März 1715 in Dresden), seltener in der Schreibweise Lips Tulian, ist das Pseudonym des Anführers einer sächsischen Räuberbande im frühen 18. Jahrhundert. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1.1 Leben vor seiner Bekanntheit 1.2 Auftauc …   Deutsch Wikipedia

  • W. Raabe — Portrait von Wilhelm Raabe (Gemälde von Wilhelm Immenkamp 1911) Wilhelm Raabe, (Pseudonym: Jakob Corvinus; * 8. September 1831 in Eschershausen; † 15. November 1910 in Braunschweig), war ein deutscher Schriftsteller (Erzähler) und einer der wi …   Deutsch Wikipedia

  • Wilhelm Raabe — Porträt von Wilhelm Raabe (Gemälde von Wilhelm Immenkamp 1911) Aufnahme aus seine …   Deutsch Wikipedia

  • Raabe — Raabe, 1) Wilhelm, namhafter Romanschriftsteller, der zuerst unter dem Namen Jakob Corvinus auftrat, geb. 8. Sept. 1831 zu Eschershausen im Herzogtum Braunschweig, studierte in Berlin seit 1855 Philosophie und widmete sich unmittelbar nach seinen …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Der Dräumling — ist ein Roman von Wilhelm Raabe, der vom April 1870 bis zum Mai 1871 entstand[1] und 1872[2] bei Otto Janke in Berlin erschien.[3] Raabe erlebte 1893 und 1905 Nachauflagen. Die vierte Auflage erschien in Raabes Todesjahr. Hermann Klemm, ebenfalls …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”