Hurwitzsche Zeta-Funktion

Hurwitzsche Zeta-Funktion

Die Hurwitzsche Zeta-Funktion (nach Adolf Hurwitz) ist eine der vielen bekannten Zeta-Funktionen, die in der analytischen Zahlentheorie, einem Teilgebiet der Mathematik, eine wichtige Rolle spielt.

Die formale Definition für komplexe s,q lautet

\zeta(s,q) = \sum_{n=0}^\infty \frac1{(q+n)^{s}} \qquad\quad \mathrm{Re}(s)>1 \text{ und Re}(q)>0

Die Reihe konvergiert absolut und kann zu einer meromorphen Funktion erweitert werden für alle s\not=1.

Die Riemannsche Zeta-Funktion ist dann ζ(s,1).

Inhaltsverzeichnis

Analytische Fortsetzung

Die Hurwitzsche Zeta-Funktion kann zu einer meromorphen Funktion fortgesetzt werden, sodass sie für alle komplexen s\not=1 definiert ist. Bei s = 1 liegt ein einfacher Pol mit Residuum 1 vor.

Es gilt dann

\lim_{s\to 1} \left[ \zeta (s,q) - \frac{1}{s-1}\right] = \frac{-\Gamma'(q)}{\Gamma(q)} = -\psi(q)

unter Verwendung der Gammafunktion Γ und der Digammafunktion ψ.

Reihendarstellungen

Helmut Hasse fand 1930[1] diese Reihendarstellung:

\zeta(s,q)=\frac{1}{s-1} \sum_{n=0}^\infty \frac{1}{n+1} \sum_{k=0}^n (-1)^k {n \choose k} (q+k)^{1-s} \qquad\qquad q>-1 \text{ und } s\in\C\diagdown \{1\}.

Laurent-Entwicklung

Die Laurent-Entwicklung um s = 1 lautet:


    \zeta(s,q) = \frac1{s-1}+\sum_{n=0}^{\infty}\frac{(-1)^n\gamma_n(q)}{n!}(s-1)^n\qquad\qquad 0<q\le1

wobei γn(q) die Verallgemeinerten Stieltjes-Konstanten sind:


    \gamma_n(q) := \lim_{N\to \infty} \left(\sum_{k=1}^N\frac{\log^n(k+q)}{k+q} - \frac{\log^{n+1} (N+q)}{n+1}\right)\qquad \quad n=0,1,2,\dots

Fourier-Reihe

\zeta(s,a)=2(2\pi)^{s-1}\Gamma(1-s)\left(\sin\left(\frac{\pi s}2\right)\sum_{k=1}^\infty\frac{\cos(2\pi ak)}{k^{1-s}}+\cos\left(\frac{\pi s}2\right)\sum_{k=1}^\infty\frac{\sin(2\pi ak)}{k^{1-s}}\right)\qquad\qquad\mathrm{Re}(s)<1\text{ und }0<a\le1[2]

Integraldarstellung

\zeta(s,q)=\frac1{\Gamma(s)} \int\limits_0^\infty \frac{t^{s-1}e^{-qt}}{1-e^{-t}}\mathrm dt \qquad\qquad \mathrm{Re}(s)>1 \text{ und } \mathrm{Re}(q)>0

Hurwitz-Formel

Die Formel von Hurwitz ist eine Darstellung der Funktion für 0\le x\le 1 und s > 1. Sie lautet:[3]

\zeta(1-s,x)=\frac{1}{2s}\left[e^{-\mathrm i\pi s/2}\beta(x;s) + e^{\mathrm i\pi s/2} \beta(1-x;s) \right]

wobei

\beta(x;s) = 2\Gamma(s+1)\sum_{n=1}^\infty \frac {\exp(2\pi \mathrm inx)} {(2\pi n)^s} = \frac{2\Gamma(s+1)}{(2\pi)^s} \mbox{Li}_s (e^{2\pi \mathrm ix})

Dabei bezeichnet Lis(z) den Polylogarithmus.

Funktionalgleichung

Für alle s und 1\leq m \leq n gilt

\zeta \left(1-s,\frac{m}{n} \right) = \frac{2\Gamma(s)}{ (2\pi n)^s} \sum_{k=1}^n \cos \left( \frac {\pi s} {2} - \frac {2\pi k m} {n} \right)\; \zeta \left( s,\frac kn \right).

Werte

Nullstellen

Da sich für q = 1 und q=\tfrac12 die Riemannsche Zeta-Funktion bzw. diese multipliziert mit einer einfachen Funktion von s ergibt, führt dies zu der komplizierten Nullstellenberechnung der Riemannschen Zeta-Funktion mit der Riemannschen Vermutung.

Für diese q hat die Hurwitzsche Zeta-Funktion keine Nullstellen mit einem Realteil größergleich 1.

Für 0 < q < 1 und q\not=\tfrac12 gibt es dagegen Nullstellen für jeden Steifen 1<\mathrm{Re}(s)<1+\epsilon mit einem positiv-reellen \epsilon. Dies wurde für rationale und nicht-algebraische-irrationale q von Davenport und Heilbronn[4] bewiesen; für algebraische irrationale q von Cassels.[5]

Rationale Argumente

Die Hurwitzsche Zeta-Funktion tritt etwa im Zusammenhang mit den Euler-Polynomen En(x) auf:[6]

E_{2n-1}\left(\frac{p}{q}\right) = (-1)^n \frac{4(2n-1)!}{(2\pi q)^{2n}} \sum_{k=1}^q \zeta\left(2n,\frac{2k-1}{2q}\right) \cos \frac{(2k-1)\pi p}{q}

und

E_{2n}\left(\frac{p}{q}\right) = (-1)^n \frac{4(2n)!}{(2\pi q)^{2n+1}} \sum_{k=1}^q \zeta\left(2n+1,\frac{2k-1}{2q}\right) \sin \frac{(2k-1)\pi p}{q}.

Ferner gilt

\zeta\left(s,\frac{2p-1}{2q}\right) = 2(2q)^{s-1} \sum_{k=1}^q \left[ C_s\left(\frac{k}{q}\right) \cos \left(\frac{(2p-1)\pi k}{q}\right) + S_s\left(\frac{k}{q}\right) \sin \left(\frac{(2p-1)\pi k}{q}\right) \right]

mit 1\le p \le q. Dabei werden Cν(x) und Sν(x) wie folgt mit der legendreschen Chi-Funktion χν definiert:

C_\nu(x) = \operatorname{Re}\, \chi_\nu (e^{\mathrm ix}) \qquad\qquad \text{bzw.} \qquad\qquad S_\nu(x) = \operatorname{Im}\, \chi_\nu (e^{\mathrm ix}).

Weitere

Es gilt (Auswahl):[7]

\zeta(s,-1)=\zeta(s)+1\,
\zeta(s,2)=\zeta(s)-1\,
\zeta(s,0)=\zeta(s,1)\,
\zeta\left(s,\frac mn\right)=\frac1n\sum_{k=1}^nn^s\cdot\mathrm{Li}_s\left(e^{\frac{2\pi\mathrm ik}n}\right)e^{-\frac{2\pi\mathrm i km}n}\qquad\qquad m,n\in\N^+\text{ und }m\le n
\zeta(0,a)=\frac12-a
\zeta(2,\tfrac14)=\pi^2+8G
\zeta(2,\tfrac12+\tfrac x\pi)+\zeta(2,\tfrac12-\tfrac x\pi)=\frac{\pi^2}{\cos^2 x}

(Riemannsche Zeta-Funktion, Catalansche Konstante)

Ableitungen

Es gilt

\frac{\partial^n\zeta(s,a)}{\partial s^n}=\frac{(-1)^n}{2^n}\sum_{k=0}^\infty\frac{\log^n\left((a+k)^2\right)}{\left((a+k)^2\right)^{s/2}}\qquad\qquad -a \notin \N\text{ und }\mathrm{Re}(s)>1\text{ und }n\in\N[8]

bzw.

\frac{\partial^n\zeta(s,a)}{\partial a^n}=(1-n-s)_n\sum_{k=0}^\infty\frac1{(a+k)^n\left((a+k)^2\right)^{s/2}}\qquad\qquad a\notin\N\text{ und }n\in\N[9]

mit dem Pochhammer-Symbol.

Beziehungen zu anderen Funktionen

Bernoulli-Polynome

Die im Abschnitt Hurwitz-Formel definierte Funktion β verallgemeinert die Bernoulli-Polynome Bn(x):

B_n(x) = -\mathrm{Re} \left[ (-\mathrm i)^n \beta(x;n) \right]

Alternativ kann man sagen, dass

\zeta(-n,x)=-\frac{B_{n+1}(x)}{n+1}.

Für n = 0 ergibt das

\zeta(0,x)= \frac{1}{2} -x.

Jacobische Theta-Funktion

Mit \vartheta (z,\tau), der Jacobischen Theta-Funktion gilt

\int\limits_0^\infty \left[\vartheta (z,\mathrm it) -1 \right] t^{s/2} \frac{\mathrm dt}{t}= 
\pi^{-(1-s)/2} \Gamma \left(\frac {1-s}2 \right) \left[ \zeta(1-s,z) + \zeta(1-s,1-z) \right] \qquad\qquad \mathrm{Re}(s)>0\text{ und } z\in\C\,\diagdown\,\Z

Ist z = n ganz, vereinfacht sich dies zu

\int\limits_0^\infty \left[\vartheta (n,\mathrm it) -1 \right] t^{s/2} \frac{\mathrm dt}{t}= 2\  \pi^{-(1-s)/2} \ \Gamma \left( \frac {1-s}{2} \right) \zeta(1-s) =2\  \pi^{-s/2} \ \Gamma \left( \frac {s}{2} \right) \zeta(s).

(ζ mit einem Argument steht für die Riemannsche Zeta-Funktion!)

Auftreten

Die Hurwitzschen Zeta-Funktionen finden an verschiedenen Stellen Anwendung, nicht nur in der Zahlentheorie. Sie tritt bei Fraktalen und dynamischen Systemen ebenso wie im zipfschen Gesetz auf.

In der Teilchenphysik kommt sie in einer Formel von Julian Schwinger[10] vor, die ein genaues Resultat für die Paarbildungs-Rate von in der Dirac-Gleichung beschriebenen Elektronen in Feldern gibt.

Spezialfälle und Verallgemeinerungen

Die Hurwitzsche Zeta-Funktion verallgemeinert die Polygammafunktion auf nicht-ganze Ordnungen s:

\psi_s(z)=\frac1{\Gamma(-s)}\left(\frac{\partial}{\partial s}+\psi(-s)+\gamma\right)\zeta(s+1,z)

mit der Euler-Mascheroni-Konstanten γ.[11]

Eine Verallgemeinerung der Hurwitzschen Zeta-Funktion bietet

\Phi(z, s, q) = \sum_{k=0}^\infty \frac { z^k} {(k+q)^s},

so dass

ζ(s,q) = Φ(1,s,q).

Diese Funktion wird als Lerchsche Zeta-Funktion bezeichnet.

Die Hurwitzsche Zeta-Funktion lässt sich durch die Hypergeometrische Funktion ausdrücken:[12]

\zeta(s,a)=a^{-s}\cdot{}_{s+1}F_s(1,a_1,a_2,\ldots a_s;a_1+1,a_2+1,\ldots a_s+1;1)\qquad\qquad a_1=a_2=\ldots=a_s=a\text{ und }a\notin\N\text{ und }s\in\N^+.

Außerdem gilt mit der Meijerschen G-Funktion:[13]

\zeta(s,a)=G\,_{s+1,\,s+1}^{\,1,\,s+1}\left(-1 \; \left| \; \begin{matrix}0,1-a,\ldots,1-a\\0,-a,\ldots,-a\end{matrix}\right)\right.\qquad\qquad s\in\N^+.

Literatur und Weblinks

Einzelnachweise

  1. Helmut Hasse: Ein Summierungsverfahren fur die Riemannsche ζ-Reihe In: Mathematische Zeitschrift. Band 32, 1930, S. 458–464.
  2. http://functions.wolfram.com/ZetaFunctionsandPolylogarithms/Zeta2/06/03/01/01/0001/
  3. Eric W. Weisstein: Hurwitz's Formula. In: MathWorld. (englisch)
  4. H. Davenport und H. Heilbronn: On the zeros of certain Dirichlet series. In: Journal of the London Mathematical Society. Band 11, 1936, S. 181–185
  5. J. W. S. Cassels: Footnote to a note of Davenport and Heilbronn. In: Journal of the London Mathematical Society. Band 36, 1961, S. 177–184
  6. Djurdje Cvijović und Jacek Klinowski: Values of the Legendre chi and Hurwitz zeta functions at rational arguments. In: Mathematics of Computation. Band 68, 1999, S. 1623–1630.
  7. http://functions.wolfram.com/ZetaFunctionsandPolylogarithms/Zeta2/03/ShowAll.html
  8. http://functions.wolfram.com/ZetaFunctionsandPolylogarithms/Zeta2/20/02/01/01/0001/
  9. http://functions.wolfram.com/ZetaFunctionsandPolylogarithms/Zeta2/20/02/02/01/0001/
  10. J. Schwinger: On gauge invariance and vacuum polarization. In: Physical Review. Band 82, 1951, S. 664–679.
  11. Oliver Espinosa and Victor H. Moll: A Generalized Polygamma Function auf arXiv.org e-Print archive 2003.
  12. http://functions.wolfram.com/ZetaFunctionsandPolylogarithms/Zeta2/26/01/02/01/
  13. http://functions.wolfram.com/ZetaFunctionsandPolylogarithms/Zeta2/26/02/01/01/

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