Abschiebungshaft

Abschiebungshaft

Abschiebehaft, Abschiebungshaft oder Schubhaft (Österreich) ist ein Begriff aus dem Ausländerrecht. Es handelt sich um Freiheitsentzug, der in festgelegten Situationen in Zusammenhang mit einer Abschiebung vorübergehend über eine nicht aufenthaltsberechtige Person verhängt werden kann. Übergeordneter Zweck der Abschiebehaft ist es zu verhindern, dass sich die betroffene Person durch Untertauchen an einem für die Behörden (Exekutive) unbekannten Ort einer Abschiebung entzieht.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

Protest vor einer Abschiebehaftanstalt gegen das Einsperren von Flüchtlingen

In Deutschland wird normativ der Begriff Abschiebungshaft (vgl. § 62 AufenthG) verwendet.

Zum berechtigten langfristigen Aufenthalt in Deutschland muss man entweder Deutscher oder freizügigkeitsberechtigter EU-Bürger sein oder ein Aufenthaltsrecht in Form eines sogenannten Aufenthaltstitels besitzen. Davon zu unterscheiden sind kurzfristige Aufenthalte bis zu 3 Monaten Dauer. Diese sind für die Bürger der EU-Länder visumsfrei, für die Bürger anderer Länder grundsätzlich visumspflichtig. Es gibt jedoch eine Reihe von Ländern, für die die Visumspflicht für Kurzaufenthalte auf EU-Ebene im Schengen-Raum aufgehoben wurde (Liste in Anhang II der EU-VisumsVO).

Ausländer, die kein explizites Recht zum Aufenthalt haben, sind auch ohne besondere Aufforderung verpflichtet, das Land zu verlassen. Eine Duldung stellt insofern kein Aufenthaltsrecht dar, sondern sichert einem Ausländer nur eine befristete Aussetzung der Abschiebung zu. Häufig erlässt die zuständige Ausländerbehörde zunächst eine Ausweisungsverfügung mit Abschiebungsandrohung, mit der dem Betroffenen eine letzte Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wird. Wer innerhalb der ihm im Rahmen der Ausweisung gesetzten Frist das Land nicht verlässt, kann abgeschoben werden, das heißt zwangsweise und mit Zwangsmitteln außer Landes gebracht werden. Seit 1998 wurden von der Bundespolizei nach eigenen Angaben durchschnittlich 30.000 Menschen pro Jahr abgeschoben. Neben Österreich verhängt Deutschland als einzig weiteres Land in Europa Abschiebehaft gegen Kinder und Jugendliche. Allein in Hamburg befanden sich 2003 etwa 125 Minderjährige länger als drei Monate in Abschiebungshaft.

Umsetzung

Die Abschiebehaft gibt es in zwei Formen:

Vorbereitungshaft 
Diese wird angewandt, wenn der betroffene Ausländer zur Vorbereitung der Ausweisung auf richterliche Anordnung in Haft genommen wird. Dies geschieht dann, wenn über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde.
Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Wenn über die Ausweisung zum Nachteil des Betroffenen entschieden wurde, kann die Haft ohne neue richterliche Anordnung bis zum Ende der angeordneten Haftdauer fortgesetzt werden.
Sicherungshaft 
Diese wird angewandt, wenn
  1. der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist,
  2. die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
  3. er aus von ihm zu vertretenden Gründen zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde,
  4. er sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat oder
  5. der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will.
Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden.

Die verschiedenen zeitlichen Grenzen, die das Gesetz vorgibt, werden aber oft unterlaufen, denn zur Sicherung der Abschiebung kann der betroffene Ausländer bis zur Vollziehung der Abschiebung in Haft genommen werden, d. h. insbesondere, wenn die Behörde befürchtet, dass sich der Ausländer seiner Abschiebung entziehen will.

Durchgeführt wird Abschiebehaft teilweise in Gefängnissen für den Strafvollzug, in Untersuchungshaft oder in Polizeigewahrsam. In einigen Bundesländern existieren eigene Abschiebehaftanstalten.

Das größte europäische Abschiebegefängnis ist die JVA Büren in der Nähe von Paderborn. Hier befinden sich bis zu 530 männliche Abschiebegefangene. Weibliche Abschiebegefangene werden in der zweiten Abschiebehaftanstalt NRWs in Neuss (80 Plätze) eingesperrt. Weitere Abschiebehaftanstalten sind in Berlin-Köpenick (214 Plätze), Eisenhüttenstadt (Brandenburg, 108 Plätze)), Offenbach am Main (Hessen, 44 Plätze), Langenhagen (Niedersachsen, 164 Plätze für Männer, 38 für Frauen) und Rendsburg (Schleswig-Holstein, 54 Plätze), Baden-Württemberg: Mannheim (102 Plätze für Männer), Rottenburg am Neckar (34 Plätze für Männer).

Abschiebehaft wird von den Ausländerbehörden bei den Amtsgerichten beantragt. Es gelten die Regeln des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG).

Wird Abschiebehaft in Justizvollzugsanstalten vollzogen, so gilt bei der Unterbringung das Strafvollzugsgesetz als Regelung für die Unterbringung. Viele Bundesländer haben zusätzliche Regelungen in Form von Gesetzen und Erlassen erstellt.

Die Abschiebehaft gilt rechtlich nicht als Strafe. Wird zu Unrecht vom Mittel der Abschiebehaft Gebrauch gemacht, erhält der Betroffene daher auch keine Haftentschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen. Allerdings ist es unter Umständen möglich, auf zivilrechtlichem Wege Schadensersatz im Rahmen der Amtshaftung oder nach Art. 5 EMRK zu erlangen.

Geschichte

Eine erste Abschiebehaft-Regelung wurde in Bayern 1919 während den Nachkriegswirren verabschiedet. Am 25. Mai 1919 verabschiedeten die Ministerien für Inneres und militärische Angelegenheiten die „Bekanntmachungen über Aufenthalts- und Zuzugsbeschränkungen“, die das geltende Fremdenrecht unter der Maßgabe einer Revolutionsprävention (unmittelbar nach Ende der Münchner Räterepublik) verschärften. Mit diesen Änderungen wurde der Grundstein für die heutige Abschiebehaftpraxis und das heutige Ausländerrecht gelegt.

In der 1938 verabschiedeten „Ausländerpolizeiverordnung“ fand die bayrische Regelung im § 7 Eingang: „Der Ausländer ist (...) durch Anwendung unmittelbaren Zwanges aus dem Reichsgebiet abzuschieben, wenn er das Reichsgebiet nicht freiwillig verlässt oder wenn die Anwendung unmittelbaren Zwanges aus anderen Gründen geboten erscheint. Zur Sicherung der Abschiebung kann der Ausländer in Abschiebehaft genommen werden.“ Diese Regelung der Ausländerpolizeiverordnung galt in Westdeutschland unverändert bis 1965.

Von 1965 bis 2004 regelten die beiden Ausländergesetze die Abschiebehaft: Das Gesetz von 1965 in § 16 und das Gesetz von 1990 in § 57. Seit 2005 gilt in der Bundesrepublik Deutschland das Aufenthaltsgesetz. Darin regelt § 62 die Abschiebehaft.

Österreich

Die Inhaftierung von ausländischen Staatsbürgern unterliegt dem Verwaltungsrecht und wird seit 1. Jänner 2006 im „Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG)" - vor allem §§ 76 bis 81 geregelt.

Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen. Bei Minderjährigen ist das so genannte "gelindere Mittel" etwa Meldepflichten vorzuziehen.

Die Haft wird von einem Beamten der lokal zuständigen fremdenpolizeilichen Behörde mittels Bescheid angeordnet. Diese Behörde ist dem Bundesministerium für Inneres unterstellt. Die maximale Dauer der Schubhaft beträgt 10 Monate.

In der Regel wird die Schubhaft in einem Polizeianhaltezentrum vollzogen, welches den Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes bzw. der Anhalteordnung unterliegt. Als zuständige Oberbehörde tritt das Bundesministerium für Inneres auf. In nur wenigen Fällen wird auf Justizanstalten zurückgegriffen. Die einzelnen Gefangenenhäuser haben eine stark unterschiedliche Kapazität zwischen 7 und ca. 300 Häftlinge.

Die österreichische Schubhaftpraxis wird heftig kritisiert. Das "Committee for the Prevention of Torture" des Europarates (CPT) bezeichnete diese im letzten Jahresbericht (2005) wörtlich als "inakzeptabel".[1]

Schweiz

Im Schweizer Recht wird zwischen Vorbereitungshaft und Ausschaffungshaft unterschieden, beide gelten als Administrativhaft. Die Inhaftierung von ausländischen Staatsbürgern ist im „Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer“ (ANAG 1994) geregelt.

Die Vorbereitungshaft kann gegen Personen ohne Aufenthaltsberechtigung verhängt werden, um die Durchführung eines Wegweisungsverfahrens sicherzustellen. Mögliche Gründe für eine Vorbereitungshaft werden im Gesetz unter § 13a ANAG angeführt. Anschließend kann der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung mit Hilfe der Ausschaffungshaft gesichert werden (§ 13b ANAG). Weiterhin ist die Haft für Asylwerber auch in den Flughäfen Zürich und Genf möglich (Flughafenverfahren), und zwar bis zur Entscheidung über Möglichkeit der Einreise bzw. für max. 22 Tage.

Üblicherweise entscheidet die kantonale Fremdenpolizei über die Verhängung der Haft. Die Vorbereitungshaft darf für maximal 3 Monate verhängt werden. Die Dauer der Ausschaffungshaft ist zunächst auf 3 Monate beschränkt, kann aber um 6 Monate verlängert werden. Somit ergibt sich eine maximale Haftdauer von 12 Monaten.

Die Haft wird im allgemeinen in den Gebäuden der Untersuchungs- und Strafhaft vollzogen. Die Betroffenen werden in der Regel von Strafgefangenen getrennt. Eigene Abschiebe-Einrichtungen gibt es in den Kantonen Aargau und Bern. Außerdem gibt es ein Flughafengefängnis in Zürich-Kloten.

Europäische Union

In der Rückführungsrichtlinie, die vom europäischen Parlament am 17. Juni 2008 verabschiedet wurde, ist eine Abschiebehaft von sechs Monaten, in Ausnahmefällen von bis zu 18 Monaten vorgesehen. [2] Eine Wiedereinreise ist dagegen erst nach fünf Jahren möglich. Zuvor hatten die Mitgliedsstaaten eigenständig über die Abschiebehaft entschieden (in Estland, Großbritannien, den Niederlanden und sechs weiteren EU-Staaten gilt eine unbegrenzte Haftdauer). Von Menschenrechtsorganisationen wurde die Regelung als „Richtlinie der Schande“ kritisiert.[3]

Literatur

  • Steffi Holz: Alltägliche Ungewissheit. Erfahrungen von Frauen in Abschiebehaft. Münster, 2007. ISBN 978-3-89771-468-7
  • Heike Herzog, Eva Wälde: Sie suchten das Leben ... Suizide als Folge deutscher Flüchtlingspolitik. Münster, Hamburg. ISBN 3-89771-810-3
  • Gerda Heck: ›Illegale Einwanderung‹. Eine umkämpfte Konstruktion in Deutschland und den USA. Edition DISS Band 17. Münster 2008. ISBN 978-3-89771-746-6 (Interview heiseonline 10. November 2008)
  • Hubert Heinhold: Recht für Flüchtlinge. Ein Leitfaden durch das Asyl- und Ausländerrecht für die Praxis. Loeper Literaturverlag, 2007.

Einzelnachweis

  1. Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) an die österreichische Regierung über seinen Besuch in Österreich [1] Seite 57
  2. FAZ:EU verabschiedet umstrittene Abschiebe-Regeln
  3. vgl. Europaparlament beschließt gemeinsame Abschieberegeln bei tagesschau.de, 18. Juni 2008 (aufgerufen am 18. Juni 2008)

Siehe auch

Weblinks

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