Oberflächenstruktur (Linguistik)

Oberflächenstruktur (Linguistik)

Als Oberflächenstruktur (engl. surface structure, abgekürzt OS bzw. SS, später S-Struktur) bezeichnete man bis in die Mitte der 1990er Jahre im generativen Zweig der allgemeinen Sprachwissenschaft das Ergebnis der syntaktischen Derivation eines sprachlichen Ausdrucks. Der Begriff wurde von Noam Chomsky im Rahmen der Generativen Transformationsgrammatik in den späten 1950er Jahren eingeführt.[1] Er bezeichnet die Konstituenten-Strukturen eines wohlgeformten Satzes, der aus einer Tiefenstruktur (engl.: deep structure), d. h. von abstrakten syntaktischen Basiskomponenten und darauf operierenden semantischen Regeln, heraus ableitbar ist. [2]

Inhaltsverzeichnis

Von der Tiefen- zur Oberflächenstruktur

Ein Kerngedanke der generativen Transformationsgrammatik ist, dass Repräsentationen von Sätzen in die Konstituenten (Satzteile, Wortgruppen, Wörter, Silben) zerlegt und anhand allgemeiner Regeln generiert werden. Die Anwendung dieser so genannten Konstituentenanalyse und Phrasenstrukturregeln ergibt eine hierarische Struktur: die 'Tiefenstruktur. Das Erzeugen der ersten Ebene bezeichnet man als Basisgenerierung.

Auf der Tiefenstruktur können, je nach Sprache und theoretischen Umfeld, weitere Meta-Regeln, so genannte Transformationen, applizieren. Dabei werden meist die hierarchische bzw. lineare Abfolge der Konstituenten verändert, einzelne Elemente entfernt und neue hinzugefügt (z.B. Konjunktionen, Flexionen). Das Endprodukt dieser Regelanwendungen nennt man Oberflächenstruktur, den Weg von der Tiefen- zur Oberflächenstruktur Derivation.

Es ist wichtig anzumerken, dass es sich bei der Erzeugung der Oberflächenstruktur im Sinne der Generativen Grammatik nicht um die Abbildung eines pragmatischen, alltäglichen Sprachproduktionsprozesses handelt, sondern um die idealisierte Abbildung der hierarischen Ordnung der abstrakten Bestandteile eines Satzes. Chomskys Modell wurde in den Linguistics Wars kontrovers diskutiert und mehrmals variiert (s.Interpretative Semantik)

Beispiel

Die traditionelle deutsche Grammatik unterscheidet zwischen unabhängigen Hauptsätzen (Hannah erzählt Jörg,...) mit einer Subjekt-Verb-Objekt-Stellung (SVO) und abhängigen Nebensätzen (...,dass Lisa sie eingeladen hat) mit einer SOV-Reihenfolge. Generative Analysen geben diese Bewertung in Über- bzw. Unterordnung auf, indem sie eine gemeinsame Tiefenstruktur annehmen und aufzeigen, dass man die verschiedenen Erscheinungsbilder durch Umstellungen wechselseitig transformieren kann und dass viele Aussagesätze einer Ergänzung bedürfen: Es [Stellvertreter-Partikel: Hinweis auf den Subjektsatz] erfreut [V] Hannah [O], dass Lisa sie eingeladen hat [Subjektsatz, umformbar in : Lisas Einladung] (s. Generative Satzbildung mit Baumgraphenbeispielen).

Beispiel eine Operation:

Zu Erzeugen sei die Oberflächenstruktur des Satzes

Peter sieht den Mann,

wobei Peter und der Mann zwei Nominalphrasen (NP) sind, sieht ein Verb (V) ist und der Peter sieht den Mann als Ganzes ein Satz (S).

Für das Deutsche seien (u.a.) folgende Phrasenstrukturregeln angenommen:

S → NP VP
VP → NP V.

Die dabei basisgenerierte Tiefenstruktur wäre

[S NP [VP NP V]],

wobei die eckigen Klammern die hierarische Ordnung der Elemente untereinander widerspiegeln.

Diese Struktur bildet den notwendigen Kontext für eine Bewegungs-Transformation, welche das Verb strukturell anhebt, also aus der VP herauslöst und in die übergeordnete Schicht integriert. Eine radikal vereinfachte Darstellung der entstehenden Oberflächenstruktur wäre:

[S NP Vi [VP NP ti]],

wobei t als Spur bezeichnet wird und die Position kennzeichnet, aus der das Verb V herausbewegt wurde. Der gemeinsame Index i soll die Koreferenz zwischen Spur und bewegtem Element darstellen.

Einzelnachweise

  1. Chomsky, Noam: Syntactic Structures. Mouton The Hague/Paris 1957
  2. Chomsky, Noam: Aspekte der Syntaxtheorie (Übersetzung von: Aspects of the Theory of Syntax, 1965). Frankfurt 1969.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Oberflächenstruktur – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft, 3. Aufl. 2002, ISBN 3-520-45203-0: Eintrag Oberflächenstruktur.
  • P. H. Matthews: Concise Dictionary of Linguistics. Oxford University Press.
  • D. M. Perlmutter, S. Soames: Syntactic Argumentation and the Structure of English. University of California Press, Berkeley, Los Angeles, London, 1979.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Oberflächenstruktur — bezeichnet: in der Werkstoffkunde die Beschaffenheit einer Materialoberfläche, siehe Oberflächengüte Oberflächenstruktur (Linguistik), die Darstellung der Syntax eines Satzes Siehe auch:  Wiktionary: Oberflächenstruktur –… …   Deutsch Wikipedia

  • Generative Linguistik — Die generative Linguistik ist ein Teilgebiet der Linguistik, das sich des Konzeptes der generativen Grammatik bedient. Der Ausdruck „generative Grammatik“ wird in verschiedenen Bedeutungen gebraucht, und so hat die Bezeichnung „generative… …   Deutsch Wikipedia

  • Transformation (Linguistik) — Eine Transformation im linguistischen Sinne bedeutet die Umwandlung eines Satzes einer bestimmten Form in einen bedeutungsgleichen Satz(teil) einer anderen Form. Beispiele: „Das Bild ist schön.“ → „das schöne Bild“ „Der Junge wirft den Ball.“ →… …   Deutsch Wikipedia

  • Kohäsion (Linguistik) — Die Kohäsion oder Textkohäsion ist der syntaktische Zusammenhang von Texten in Rede bzw. Schrift. Die Kohäsion bezieht sich auf die äußere Gestalt des Textes, auf z. B. Tempusformen, Pronomen oder Deiktika und damit tendenziell auf die… …   Deutsch Wikipedia

  • Kohärenz (Linguistik) — Die Kohärenz gibt an, in welcher Weise der Text in Rede bzw. Schrift inhaltlich zusammenhängt oder als zusammenhängend betrachtet wird – im Gegensatz zur Kohäsion aber auf logischer und nicht auf sprachlicher Ebene. Eine Folge der Kohärenz ist… …   Deutsch Wikipedia

  • Interpretative Semantik — Die Interpretative Semantik ist Kern der semantischen Theorie, die 1963 von dem Linguisten Jerrold Katz und dem Kognitionswissenschaftler Jerry Fodor publiziert wurde, um zu erklären, mit welchem Regelapparat ein Sprecher korrekte Sätze bildet… …   Deutsch Wikipedia

  • Generative Transformationsgrammatik — Die generative Transformationsgrammatik (TG), auch Erzeugungsgrammatik, ist eine Generative Grammatik mit Transformationsregeln. Das Modell wurde in den 1950er Jahren von Noam Chomsky konzipiert und 1965 um die Interpretative Semantik erweitert.… …   Deutsch Wikipedia

  • Textkohärenz — Die Kohärenz gibt an, in welcher Weise der Text in Rede bzw. Schrift inhaltlich zusammenhängt oder als zusammenhängend betrachtet wird – im Gegensatz zur Kohäsion aber auf logischer und nicht auf sprachlicher Ebene. Eine Folge der Kohärenz ist… …   Deutsch Wikipedia

  • Semantik — (griechisch σημαίνειν sēmainein ‚bezeichnen‘), auch Bedeutungslehre, nennt man die Theorie oder Wissenschaft von der Bedeutung der Zeichen. Zeichen können in diesem Fall Wörter, Phrasen oder Symbole sein. Die Semantik beschäftigt sich… …   Deutsch Wikipedia

  • Erzeugungsgrammatik — Generative Grammatik ist ein Oberbegriff für solche Grammatik Modelle, mit deren Regelsystem sich alle grammatischen Sätze einer Sprache generieren lassen (gebildet aus lat. generare = erzeugen und griech. τέχνη γραμματική). Häufig wird der… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”