Chinesische Sprache

Chinesische Sprache

Die chinesischen oder sinitischen Sprachen bilden einen der beiden Primärzweige der sinotibetischen Sprachfamilie, der andere Primärzweig sind die tibetobirmanischen Sprachen. Chinesische Sprachen werden heute von ca. 1,2 Milliarden Menschen gesprochen, von denen die meisten in der Volksrepublik China und der Republik China (Taiwan) leben. In vielen Ländern, vor allem in Südostasien, gibt es größere chinesischsprachige Minderheiten. Die chinesische Sprache mit der größten Anzahl an Sprechern ist das Hochchinesische, das oft einfach als „Chinesische Sprache“ bezeichnet wird.

Chinesische Sprachen

Gesprochen in

Volksrepublik China, Republik China, Singapur, Indonesien, Malaysia
Sprecher 1,2 Milliarden (Platz 1)
Linguistische
Klassifikation
Sprachcodes
ISO 639-1:

zh

ISO 639-2: (B) chi (T) zho
ISO 639-3:

zho

Die verschiedenen Sprachen der Osthälfte Chinas in der räumlichen Verteilung

Inhaltsverzeichnis

Mehrere chinesische Sprachen, eine chinesische Schrift

In der Regel bezeichnet der Begriff „chinesische Sprache“ die Standardsprache Hochchinesisch (Putonghua, früher auch Mandarin). Daneben gibt es sieben weitere chinesische Sprachen oder Dialektbündel, die ihrerseits in viele Einzeldialekte zerfallen. Man kann diese Sprachen grob in nordchinesische und südchinesische Dialektgruppen einteilen. Die verschiedenen Formen des Chinesischen werden gemäß der traditionellen chinesischen Terminologie als Dialekte (chin. 方言, fāngyán) bezeichnet, obwohl der Grad ihrer Abweichungen untereinander nach westlichem Maßstab eine Klassifikation als Sprache rechtfertigen würde.

In Phonetik und Grammatik unterscheiden sich die verschiedenen Dialektgruppen so weit, dass die Sprecher unterschiedlicher chinesischer Sprachen auf das von den meisten Chinesen gesprochene Hochchinesisch zurückgreifen müssen, um sich verständigen zu können. Auch die chinesische Schrift fungiert als dialektübergreifendes Verständigungsmittel, da etymologisch verwandte Morpheme trotz unterschiedlicher Aussprache im Allgemeinen in allen Dialekten mit dem gleichen chinesischen Schriftzeichen geschrieben werden. Das folgende Beispiel möge dies illustrieren. Im Altchinesischen war das gewöhnliche Wort für „essen“ *Ljɨk[1], das mit dem Zeichen 食 geschrieben wurde. Das kantonesische Wort sɪk˨˨ stammt davon ab und wird daher ebenfalls 食 geschrieben. Im Hochchinesischen wird für „essen“ gewöhnlich chī benutzt, das nicht von *Ljɨk stammt und daher mit einem eigenen Zeichen, 吃, geschrieben wird. Auch andere Varianten des Chinesischen verfügen, sofern sie geschrieben werden, für viele Wörter über eigene Zeichen, wie das Kantonesische 冇 „nicht haben“ .

Somit ist die ideographische chinesische Schrift – jedes Zeichen steht im Prinzip für ein Wort – das einigende Band, das die Sprecher der sehr unterschiedlichen chinesischen Sprachvarianten zu einer großen kulturellen Gemeinschaft mit einer Jahrtausende alten schriftlichen Tradition verbindet. Bei einer Alphabetschrift oder einer anderen Lautschrift wäre diese einigende Funktion nicht vorhanden.

Die chinesischen Sprachen und ihre geographische Verbreitung

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der chinesischen Sprache ist schwer zu rekonstruieren, da die Sprachen der Nachbarn des antiken Chinas fast unbekannt sind und somit sich nicht entscheiden lässt, ob chinesische Sprachen außerhalb derjenigen chinesischen Staaten verbreitet waren, die Schriftzeugnisse hinterlassen haben; vor allem weite Teile Südchinas scheinen noch im 1. Jahrhundert n. Chr. außerhalb des chinesischen Sprachgebiets gelegen zu haben. Bereits in der Zeit der Zhou-Dynastie (11.–3. Jahrhundert v. Chr.) finden sich Hinweise auf eine dialektale Gliederung des Chinesischen, die sich in den folgenden Jahrhunderten wesentlich verstärkte. Heute werden meist acht chinesische Sprachen oder Dialektbündel unterschieden, die jeweils aus einer Vielzahl lokaler Einzeldialekte bestehen.

Die folgende Tabelle gibt die acht chinesischen Sprachen oder Dialektbündel mit ihren Sprecherzahlen und Hauptverbreitungsgebieten an. Die Sprecherzahlen stammen aus Ethnologue und anderen aktuellen Quellen. Eine detaillierte Auflistung lokaler Dialekte bietet der Artikel Liste der chinesischen Dialekte.

Sprache Altern.
Name
Sprecher Hauptverbreitungsgebiet
Hochchinesisch Mandarin 875 Mio China, Taiwan
Wu   80 Mio China: Yangzi-Mündung, Shanghai
Yue Kantonesisch 70 Mio China: Guangxi, Wuzhou, Guangdong, Hongkong
Min   60 Mio China: Fujian, Hainan, Taiwan, Südostasien
Jinyu Jin 45 Mio China: Shanxi, Innere Mongolei; auch Hebei, Henan
Xiang Hunan 36 Mio China: Hunan
Hakka Kejia 33 Mio Süd-China, Taiwan
Gan Kan 21 Mio China: Jiangxi, Hubei; auch Hunan, Anhui, Fujian

Die folgende Gegenüberstellung etymologisch identischer Wörter aus drei chinesischen Sprachen möge die interne Diversität des Chinesischen verdeutlichen:

(Ursprüngliche)
Bedeutung
Zeichen Hochchinesisch
(Pinyin und IPA)
Yue: Kantonesisch[2] Min: Taiwanisch[3]
ich wǒ [u̯ɔ˨˩˦] [ŋɔː˨˦] [gua˥˩]
essen shí [ʂɻ˧˥] [sɪk˧] [sɪt˥]
Sonne rì [ʐɻ˥˩] [jɐt˧] [dʑɪt˥]
fünf wǔ [u˨˩˦] [ŋ˨˦] [go˧˧]
lernen xué [ɕy̆ɛ˧˥] [hɔːk˧] [hak˥]
groß dà [d̥ɑ˥˩] [tʌːi˧˧] [toa˧˧]/[tai˧˧]
Gast kè [kʰə˥˩] [hʌːk˦] [kʰeʔ˧]
Mensch rén [ʐən˧˥] [jɐn˨˩] [dʑin˨˩]
König wáng [u̯ɑŋ˧˥] [wɔːŋ˨˩] [ɔŋ˨˦]
Auge mù [mu˥˩] [mʊk˧] [bak˧]

Zur Bezeichnung

Im Chinesischen selbst ist eine Reihe unterschiedlicher Begriffe für die Chinesische Sprache gebräuchlich. Zhōngwén (中文) ist ein allgemeiner Begriff für die Chinesische Sprache, der in erster Linie für die geschriebene Sprache verwendet wird. Da die geschriebene Sprache mehr oder weniger unabhängig vom Dialekt ist, umfasst dieser Begriff auch die meisten chinesischen Dialekte. Hànyǔ (漢語 / 汉语) wird dagegen vorrangig für die gesprochene Sprache verwendet, etwa im Satz „Ich spreche Chinesisch“. Da das Wort  / , hàn für die Han-Nationalität steht, umfasst der Begriff ursprünglich alle Dialekte, die von Han-Chinesen gesprochen werden. Umgangssprachlich bezeichnet Hànyǔ allerdings das Hochchinesische, für das es einen eigenen Fachbegriff, chin. 普通話, Pǔtōnghuà, gibt.

Beziehungen zu anderen Sprachen

Dieser Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über genetische Verwandtschaft des Chinesischen mit anderen Sprachen. Ausführlich wird dieses Thema im Artikel Sinotibetische Sprachen behandelt.

Genetische Verwandtschaft

Tibeto-Birmanisch

Sinotibetisch (rot) neben den anderen Sprachfamilien der Welt

Das Chinesische wird heute allgemein als Primärzweig der sinotibetischen Sprachfamilie angesehen, die etwa 350 Sprachen mit 1,3 Mrd. Sprechern in China, dem Himalaya-Gebiet und Südostasien umfasst. Die meisten Klassifikationen des Sinotibetischen stellen das Chinesische dem Rest, der tibetobirmanischen Sprachfamilie gegenüber, einige wenige Forscher betrachten das Sinitische als eine Untereinheit des Tibetobirmanischen, gleichrangig mit den vielen anderen Untergruppen dieser Einheit.

Das Chinesische hat zahllose Lexeme seines Grundwortschatzes mit anderen sinotibetischen Sprachen gemeinsam:[4]

Bedeutung Chinesisch Klassisches
Tibetisch
Birmanisch Lahu
Zeichen Hochchinesisch Altchinesisch[1]
„ich“ *ngajʔ nga nga ngà
„drei“ sān *sum gsum sûm
„fünf“ *ngaʔ lnga ngâ ngâ
„sechs“ liù *Crjuk[5] drug khrok hɔ̀ʔ
„neun“ jiǔ *kuʔ dgu kûi qɔ̂
„Sonne / Tag“ *njit nyima ne
„Name“ míng *mjeng ming mañ
„bitter“ *khaʔ kha khâ qhâ
„kühl“ liáng *grjang grang krak gɔ̀
„sterben“ *sjijʔ shiba se ʃɨ
„vergiften“ *duk dug tauk tɔ̀ʔ

Außer dem gemeinsamen Basiswortschatz verbindet das Sinitische und Tibetobirmanische die ursprünglich gleiche Silbenstruktur (wie sie etwa im klassischen Tibetischen weitgehend erhalten ist und für das Altchinesische rekonstruiert werden kann) und eine weitverbreitete Derivationsmorphologie, die in gemeinsamen konsonantischen Präfixen und Suffixen mit bedeutungsändernder Funktion zum Ausdruck kommt. Eine relationale Morphologie (Veränderung der Nomina und Verben im Sinne einer Flexion) haben das Proto-Sinotibetische wie auch die modernen sinitischen Sprachen nicht ausgebildet, diese Form der Morphologie ist eine Innovation vieler tibetobirmanischer Sprachgruppen, die durch areale Kontakte mit Nachbarsprachen und durch Überlagerung älterer Substratsprachen entstanden ist.

Andere Sprachen

Genetische Verwandtschaft des Chinesischen mit Sprachen außerhalb des Tibetobirmanischen wird von der Linguistik nicht allgemein anerkannt, es existieren jedoch einige Versuche, das Chinesische in weit über die traditionellen Sprachfamilien hinausgehende Makrofamilien einzuordnen. Einige Forscher vertreten beispielsweise eine genetische Verwandtschaft mit den austronesischen Sprachen, den jenisseischen Sprachen oder sogar den kaukasischen oder den indogermanischen Sprachen, wofür Wortgleichungen wie chinesisch 谁 shuí < *kwjəl „wer“ = lateinisch quis „wer“[6] herangezogen werden. Keiner dieser Versuche hat jedoch bisher die Zustimmung einer Mehrheit der Sprachwissenschaftler gewinnen können.

Lehnbeziehungen

Aufgrund der jahrtausendelangen Koexistenz mit anderen, genetisch nicht verwandten Sprachen haben sich das Chinesische und verschiedene südost- und ostasiatische Sprachen gegenseitig stark beeinflusst. So finden sich in ihnen Hunderte von chinesischen Lehnwörtern, oft Bezeichnungen chinesischer Kulturgüter:  / , „Buch“ > Koreanisch čhäk, Bai tshua˧˧. Diese Einflüsse haben sich in besonders hohem Maße auf Korea, Vietnam und Japan ausgewirkt, wo zudem auch die chinesische Schrift Anwendung findet und das klassische Chinesisch über Jahrhunderte als Schriftsprache benutzt wurde.

Auch das Chinesische selbst weist eine große Anzahl fremder Einflüsse auf. So sind einige wesentliche typologische Züge des modernen Chinesisch vermutlich auf Fremdeinfluss zurückzuführen, darunter die Ausbildung eines Tonsystems, die Aufgabe ererbter morphologischer Bildungsmittel und die obligatorische Anwendung von Zählwörtern. Fremdeinfluss zeigt sich auch in der Aufnahme nicht weniger Lehnwörter. Schon in sehr früher Zeit muss das Wort , „Tiger“ (altchinesisch *xlaʔ[7]) aus den austroasiatischen Sprachen entlehnt worden sein, vgl. Mon klaʔ, Mundari kula. Das Wort , gǒu „Hund“, das während der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) das ältere , quǎn verdrängte, wurde wohl während der Zeit der Zhou-Dynastie (um 1100–249 v. Chr.) aus dem Miao-Yao entlehnt. Auch aus nördlichen Nachbarsprachen wurden in vorgeschichtlicher Zeit Wörter übernommen, so beispielsweise  / , „Kalb“, das sich in altaischen Sprachen wiederfindet: Mongolisch tuɣul, Mandschurisch tukšan. Besonders groß wurde die Zahl von Lehnwörtern im Chinesischen während der Han-Dynastie, als auch aus westlichen und nordwestlichen Nachbarsprachen Wörter übernommen wurden, beispielsweise 葡萄, pútao „Weintrauben“ aus einer iranischen Sprache, vgl. Persisch باده bāda. Schwer nachweisbar sind Entlehnungen aus der Sprache der Xiongnu; hier ist mutmaßlich 駱駝 / 骆驼, luòtuo „Kamel“ einzuordnen. Durch den starken Einfluss des Buddhismus während des 1. nachchristlichen Jahrtausends drang eine Vielzahl indischer Lehnwörter ins Chinesische ein: 旃檀, zhāntán aus Sanskrit candana, 沙門 / 沙门, shāmén „buddhistischer Mönch“ < Sanskrit śramaṇa. Nur wenige Lehnwörter hinterließ die mongolische Herrschaft der Yuan-Dynastie (1279–1368), beispielsweise 蘑菇, mógū „Pilz“ < mongolisch moku.

Im 16. Jahrhundert setzte ein starker europäischer Einfluss ein, der sich auch im chinesischen Wortschatz niederschlug. So wurden in dieser Zeit christliche Termini ins Chinesische entlehnt: 彌撒 / 弥撒, Messe „mísa“ < spätlateinisch missa. Seit dem 19. Jahrhundert wurden auch Bezeichnungen für Errungenschaften der europäischen Technik übernommen, wobei sich das Chinesische jedoch gegenüber Entlehnungen als wesentlich resistenter erwies als etwa das Japanische. Beispiele hierfür sind: 馬達 / 马达, mǎdá < englisch motor, 幽默, yōumò < englisch humour. In manchen Fällen fanden Lehnwörter über Dialekte den Weg ins Hochchinesische: 沙發 / 沙发, shāfā < Shanghaiisch safa < englisch sofa.

Eine besondere Erscheinung bildet eine Gruppe von Lehnwörtern insbesondere aus Japan, bei denen nicht die Aussprache, sondern die Schreibung entlehnt wird. Dies wird dadurch ermöglicht, dass das entlehnte Wort in der Ursprungssprache selbst mit chinesischen Schriftzeichen geschrieben wird:

  • Japanisch 革命 kakumei > hochchinesisch 革命, gémìng „Revolution“
  • Japanisch 場合 baai > hochchinesisch 場合 / 场合, chǎnghé „Sachlage, Umstände“

Verschriftlichung und soziokultureller Status

Traditionelle Schrift

Hauptartikel: Chinesische Schrift

Das Chinesische wird seit den frühesten bekannten Schriftzeugnissen aus dem 2. vorchristlichen Jahrtausend mit der chinesischen Schrift geschrieben. In der chinesischen Schrift wird – von Ausnahmen abgesehen – jedes Morphem mit einem eigenen Zeichen wiedergegeben. Da die chinesischen Morpheme einsilbig sind, lässt sich so jedem Zeichen ein einsilbiger Lautwert zuordnen.[8] Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis werden synonyme, aber nicht homophone Wörter mit unterschiedlichen Zeichen geschrieben. So bedeuten sowohl chin. , quǎn als auch chin. , gǒu „Hund“, werden aber mit völlig anderen Zeichen geschrieben.

Die chinesische Schrift ist nicht einheitlich. Seit der Schriftreform vom Jahre 1958 werden in der Volksrepublik China (und später auch in Singapur) offiziell die vereinfachten Zeichen (Kurzzeichen, chin. 简体字, jiǎntǐzì) verwendet, in Taiwan dagegen werden weiterhin die traditionellen Zeichen, (Langzeichen, chin. 正體字, zhèngtǐzì oder 繁体字, fántǐzì) benutzt. Auch auf die Verschriftlichung anderer Sprachen, die chinesische Schriftzeichen nutzen, wie des Japanischen wurde die chinesische Schriftreform nicht angewendet; in Japan wurden aber bereits 1946 unabhängig vereinfachte Zeichenformen eingeführt.

Neben der Chinesischen Schrift waren in China auch einige andere Schriften in Gebrauch. Dazu zählt insbesondere die Nüshu, eine seit dem 15. Jahrhundert in der Provinz Hunan verwendete Frauenschrift. Unter der Yuan-Dynastie (1279–1368) wurde auch die phonetisch basierte Phagspa-Schrift für das Chinesische verwendet.

Transkriptionen

Siehe auch: Liste von Transkriptionssystemen für die chinesische Sprache

Neben der chinesischen Schrift gibt es zahlreiche auf dem lateinischen Alphabet basierende Transkriptionssysteme für Hochchinesisch und die einzelnen Dialekte beziehungsweise Sprachen. In der Volksrepublik China wird Hanyu Pinyin (kurz: Pinyin) als offizielle Romanisierung für das Hochchinesische verwendet; ein weiteres, besonders vor der Einführung von Pinyin sehr weit verbreitetes Transkriptionssystem ist das Wade-Giles-System. Für die verschiedenen Dialekte bzw. Sprachen existieren keine allgemein anerkannten Transkriptionssysteme, im Folgenden werden sie daher mit dem internationalen phonetischen Alphabet umschrieben. Frühere Formen des Chinesischen werden üblicherweise wie das Hochchinesische, folglich in Pinyin transkribiert, obwohl dies die Phonologie früherer Formen des Chinesischen nicht adäquat wiedergeben kann.

Muslimische Chinesen (Vgl. Religion in der Volksrepublik China) haben ihre Sprache auch mit arabischer Schrift geschrieben. Einige, die nach Zentralasien auswanderten, sind im 20. Jahrhundert zur kyrillischen Schrift übergegangen, siehe Dunganische Sprache.

Soziokultureller und offizieller Status

Ursprünglich unterschieden sich die gesprochene und die geschriebene Sprache in China nicht wesentlich voneinander; die schriftliche Sprache folgte den Entwicklungen der gesprochenen Sprache. Seit der Qin-Dynastie (221–207 v. Chr.) wurden jedoch Texte aus der Spätzeit der Zhou-Dynastie für die geschriebene Sprache maßgeblich, sodass das klassische Chinesisch als Schriftsprache von der gesprochenen Sprache unabhängig wurde und in geschriebener Form allgemeines Verständigungsmedium über Dialektgrenzen hinaus bildete. Das klassische Chinesisch diente jedoch ausschließlich als geschriebene Sprache einer kleinen Elite, als gesprochene Sprache wurde spätestens seit der Qing-Dynastie (1644–1911) selbst von den hochgestellten Beamten der Dialekt der Hauptstadt benutzt. Beim Lesen von Texten in klassischem Chinesisch wurde der jeweilige lokale Dialekt angewendet, einige Dialekte besaßen dafür eigene phonologische Subsysteme, die sich von der gesprochenen Sprache unterschieden. Vor allem im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Buddhismus in China wurde volkstümliche Literatur zunehmend in der Volkssprache (chin. 白话, báihuà) abgefasst, die bei der schriftlichen Anwendung innerhalb Chinas bis zu einem gewissen Grad normiert war. Möglicherweise kam es auch in der gesprochenen Sprache des 1. nachchristlichen Jahrtausends zu eine Standardisierung.[9] Erst gegen Ende des chinesischen Kaiserreiches, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, schwand die Bedeutung des klassischen Chinesisch; als Amtssprache und als literarische Sprache wurde es bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vom Hochchinesischen abgelöst, das sich in Grammatik, Lexikon und insbesondere der Phonologie stark an den modernen Dialekt von Peking anlehnt. Auch für andere Dialektformen des Chinesischen wurden Verschriftlichungsversuche gemacht, jedoch verfügt nur das Kantonesische über eine etablierte Literatur in chinesischer Schrift, in einigen Dialekten wurde auch eine Verschriftlichung mittels lateinischer Schrift versucht. Auch außerhalb der geschriebenen Sprache verdrängt das Hochchinesische zunehmend lokale Idiome, da das Hochchinesische landesweit an den Schulen gelehrt wird, wenngleich es die Dialekte als Umgangssprachen wohl nur stellenweise ersetzt.

Periodisierung

Das Chinesische kann als einzige bis heute gesprochene Sprache auf eine ununterbrochene schriftliche Tradition von mehr als drei Jahrtausenden zurückblicken. Die Sprachentwicklung lässt sich unter syntaktischen und phonologischen Gesichtspunkten in mehrere Phasen unterteilen.

Die älteste durch schriftliche Überlieferung fassbare Form des Chinesischen ist die Sprache der Orakelknocheninschriften aus der Spätzeit der Shang-Dynastie (16.–11. Jahrhundert v. Chr.). Sie bilden den Vorläufer der Sprache der Zhou-Dynastie (11.–3. Jahrhundert v. Chr.), die als Altchinesisch (上古汉语, Shànggǔ Hànyǔ) bezeichnet wird und deren Spätform als Klassisches Chinesisch bis in die Neuzeit als Schriftsprache konserviert wurde. Nach der Zhou-Dynastie entfernte sich die gesprochene Sprache allmählich vom klassischen Chinesisch; erste grammatische Innovationen finden sich schon im 2. Jahrhundert v. Chr. Sie kennzeichnen das Mittelchinesische (中古汉语, Zhōnggǔ Hànyǔ), das vor allem die Sprache der volkstümlichen Literatur beeinflusste. Die Zeit seit dem 15. Jahrhundert umfasst das moderne und das zeitgenössische Chinesisch (近代汉语, Jìndài Hànyǔ, 现代汉语, Xiàndài Hànyǔ), das als Oberbegriff für die modernen chinesischen Sprachen dient.

Typologie

In typologischer Hinsicht zeigt das moderne Chinesisch relativ wenige Übereinstimmungen mit den genetisch verwandten tibeto-birmanischen Sprachen, während sich wesentlich mehr Übereinstimmungen mit den über Jahrhunderte direkt benachbarten südostasiatischen Sprachen zeigen. Insbesondere ist das moderne Chinesische sehr stark isolierend und zeigt nur wenig Flexion; die syntaktischen Zusammenhänge werden demzufolge überwiegend durch die Satzstellung und freie Partikeln ausgedrückt. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass auch das moderne Chinesisch morphologische Prozesse zur Wort- und Formenbildung kennt.

Phonologie

Segmente

Das Phoneminventar der verschiedenen chinesischen Sprachen weist eine große Diversität auf; einige Merkmale haben sich jedoch weit verbreitet; beispielsweise das Vorhandensein aspirierter Plosive und Affrikaten sowie in einem großen Teil der Dialekte der Verlust der stimmhaften Konsonanten. Die Min-Dialekte im Süden Chinas sind aus historischer Sicht sehr untypisch, da sie sehr konservativ sind, aus typologischer Sicht jedoch geben sie einen guten Querschnitt durch das Konsonanteninventar des Chinesischen, weshalb im folgenden das Konsonantensystem des Min-Dialektes von Fuzhou dargestellt ist[10]:

  bilabial alveolar palatal velar glottal
stl. sth. asp. stl. sth. asp. stl. sth. asp. stl. sth. asp. stl. sth. asp.
Plosive p t k ʔ
Frikative s h
Affrikaten ts tsʰ
Nasale m n ŋ
Approximanten und Laterale w l j

Diese Konsonanten finden sich in nahezu jeder modernen chinesischen Sprache. Viele Sprachen besitzen auch zusätzliche Konsonanten, so weist das Hochchinesische die – allerdings nicht phonemischen – Palatale [tɕʰ], [d̥ʑ] und [ɕ] auf, das Kantonesische besitzt dagegen zusätzlich Labiovelare.

Silbenbau

Traditionell wird die chinesische Silbe in einen konsonantischen Anlaut (chin. 声母, shēngmǔ) und einen Auslaut (chin. 韵母, yùnmǔ) aufgeteilt. Der Auslaut besteht aus einem Vokal, bei dem es sich auch um einen Di- oder Triphthong handeln kann, sowie einem optionalen Endkonsonanten (chin. 韵尾, yùnwěi). So lässt sich die Silbe xiang in den Anlaut x und den Auslaut iang zerlegen, dieser wiederum wird in den Diphthong ia und den Endkonsonanten ng analysiert. Der Anlaut besteht in allen modernen chinesischen Sprachen immer – abgesehen von Affrikaten – aus einem einzelnen Konsonanten (oder ∅); es wird jedoch davon ausgegangen, dass das Altchinesische auch Konsonantencluster im Anlaut besaß. Im Auslaut lassen die modernen chinesischen Sprachen nur wenige Konsonanten zu; im Hochchinesischen beispielsweise nur n und ŋ; auch hier war jedoch die Freiheit im Altchinesischen vermutlich wesentlich größer. Aufgrund dieser stark eingeschränkten Möglichkeiten zur Silbenbildung ist die Homonymie im modernen Chinesisch sehr stark ausgeprägt.

Tonalität

Das wohl offensichtliche Merkmal der chinesischen Phonologie ist, dass die chinesischen Sprachen – wie viele genetisch nicht verwandte Nachbarsprachen – Tonsprachen sind. Die Anzahl der Töne, meist handelt es sich um Konturtöne, variiert in den verschiedenen Sprachen untereinander sehr stark.[11] Um 800 n. Chr. besaß das Chinesische acht Töne, wobei jedoch nur drei Oppositionen tatsächlich phonemische Bedeutung hatten. In den verschiedenen modernen chinesischen Sprachen hat sich das antike Tonsystem stark verändert, das Hochchinesische etwa zeigt nur noch vier Töne, die aber alle phonemisch sind, wie die folgenden Beispiele zeigen (vergleiche den Artikel Töne des Hochchinesischen):

1. Ton 2. Ton 3. Ton 4. Ton
gleich bleibend hoch steigend tief fallend – steigend scharf abfallend
, „Mutter“ , „Hanf“ , „Pferd“ , „schimpfen“

Datei:4 Toene des Hochchinesischen.svg

Der kantonesische Dialekt des Yue dagegen hat das antike System besser bewahrt und besitzt neun Töne, die in bestimmte Kategorien eingeteilt werden: Datei:9 Toene des Kantonesischen.svg

Es wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass das chinesische Tonsystem hauptsächlich unter dem Einfluss von erodierten Konsonanten am Silbenende entstanden ist; das Altchinesische war demzufolge nach der Meinung der Mehrzahl der Forscher noch keine Tonsprache.

Morphologie

Wortbildung

Grundlage der chinesischen Morphologie ist das einsilbige Morphem, dem in der geschriebenen Form der Sprache ein Zeichen entspricht. Beispiele sind im Hochchinesischen die selbstständigen Lexeme 大 dà „groß sein“, 人 rén „Mensch“, 去 qù „gehen“ und Affixe wie das Pluralsuffix 们 -men. Ausnahmen sind Gruppen zweier aufeinanderfolgender Morpheme, die eine einzelne Silbe bilden. In einigen Fällen ist dies auf phonologische Veränderungen beim Zusammentreffen zweier Morpheme (sogenanntes Sandhi) zurückzuführen, wie in Hochchinesisch 那儿 nà-ér > nàr „dort“, klassisches Chinesisch 也乎 yě-hū > 與 yú, Kantonesisch 嘅呀 kɛː˧˧ aː˧˧ > 嘎 kaː˥˥. Da die Affixe der altchinesischen Wortbildungsmorphologie keine eigene Silbe bildeten, gehören auch die unten besprochenen Derivate zu diesen Ausnahmen. Ob das Altchinesische auch mehrsilbige Morpheme besaß, die nur mit einem Zeichen geschrieben wurden, lässt sich bislang nicht klären.

Im Altchinesischen entsprachen die Morphemgrenzen in der bei weitem überwiegenden Mehrzahl der Fälle den Wortgrenzen. Seit der Zeit der Han-Dynastie wurden durch Zusammensetzung einsilbiger Wörter neue, zweisilbige und bimorphemische Lexeme gebildet. Viele solcher Zusammensetzungen weisen syntaktische Strukturen auf, die sich ebenso in Phrasen und Sätzen finden, weshalb die Trennung von Syntax und Morphologie problematisch ist. So sind viele Substantive wie Nominalphrasen mit einem Attribut und folgendem Kern gebildet: 德国人 déguórén Deutschland – Mensch = „Deutscher“, 记者 jìzhě „Journalist“, wörtlich „derjenige, der aufzeichnet“. Ebenso können Verben durch eine Kombination eines Verbs mit einem Objekt gebildet werden: 吃饭 chīfàn „eine Mahlzeit einnehmen“ aus 吃 chī „essen“ und 饭 fàn „Mahlzeit“. Andere Zusammensetzungen sind schwieriger zu analysieren, beispielsweise 朋友 péngyou „Freund“ aus 朋 péng „Freund“ und dem synonymen 友 yǒu.

Ein weiteres Bildungsmittel zur Wortderivation des alten wie des modernen Chinesisch stellen Affixe dar. Das Altchinesische verfügte über eine Vielzahl an Prä-, In- und Suffixen, die jedoch vielfach nur schwer nachzuweisen sind, da sie in der Schrift keine oder nur unzureichende Spuren hinterlassen. Besonders häufig findet sich ein Suffix *-s[1], mit dem sowohl Substantive als auch Verben gebildet werden konnten (知 zhī (*trje) „wissen“ > 知/智 zhì (*trjes) „Weisheit“; 王 wáng (*wjang) „König“ > 王 wàng (*wjangs) „herrschen“). Auch verschiedene In- und Präfixe lassen sich rekonstruieren.

Auch das moderne Chinesisch verfügt über einige Suffixe zur Derivation (Beispiele aus dem Hochchinesischen):

  • Das Pluralsuffix–men vorrangig in der Bildung von Personalpronomina: 我们 wǒmen „wir“, 你们 nǐmen „ihr“, 他们 tāmen „sie“
  • Nominalsuffixe:
    • -子 -zi in 孩子 háizi „Kind“, 桌子 zhuōzi „Tisch“
    • -头 -tou in 石头 shítou „Stein“, 指头 zhǐtou „Finger“
    • 家 -jia in 科学家 kēxuéjiā „Wissenschaftler“

In verschiedenen chinesischen Idiomen finden sich auch Präfixe, wie das im Hakka vertretene Präfix ʔa˧˧- zur Bildung von Verwandtschaftsbezeichnungen: ʔa˧˧ kɔ˧˧ „älterer Bruder“ = Hochchinesische 哥哥 gēge.

Pronomina

Die Personalpronomina haben in verschiedenen Formen des Chinesischen die folgenden Formen:

Historische Sprachen Moderne Sprachen
Shang- und frühe Zhou-Zeit
(ca. 1300–700 v. Chr.) [12]
Klassisches Chinesisch
(ca. 500–300 v. Chr.)[13]
Nanbeichao-Zeit und Tang-Dynastie
(ca. 400–900 n. Chr.)
Hochchinesisch Shanghaiisch Moiyen-Hakka Kantonesisch
Singular 1. 余/予 yú, 朕 zhèn 我 wǒ, 吾 wú, 余 yú, 予 yú 我 wǒ, 吾 wú 我 wǒ ŋu˩˧ ŋai̯˩˩ 我 ŋɔː˩˧
2. 汝/女 rǔ, 乃 nǎi 爾 ěr, 汝/女 rǔ, 而 ér, 若 ruò 爾 ěr, 汝/女 rǔ, 你 nǐ 你 nǐ noŋ˩˧ ŋ˩˩ 你 nei˩˧
3. 厥 jué, 之 zhī, 其 qí (?) 之 zhī, 其 qí 其 qí, 渠 qú; 伊 yī, 之 zhī, 他 tā 他, 她, 它 tā ɦi˩˧ ki˩˩ 佢 kʰɵy˩˧
Plural 1. 我 wǒ wie Singular Singular +
等 děng, 曹 cáo, 輩 bèi
我们 wǒmen ɐʔ˧˧ lɐʔ˦˦ ŋai̯˩˩ tɛʊ˧˧ ŋin˩˩ 我哋 ŋɔː˩˧ tei˨˨
2. 爾 ěr 你们 nǐmen na˩˧ ŋ˩˩ tɛʊ˧˧ ŋin˩˩ 你哋 nei˩˧ tei˨˨
3. (nicht belegt) 他们, 她们, 它们 tāmen ɦi˩˩ lɐʔ˧˧ ki˩˩ tɛʊ˧˧ ŋin˩˩ 佢哋 kʰɵy˩˧ tei˨˨

Das frühe Altchinesisch unterschied bei den Personalpronomina die Numeri Singular und Plural sowie verschiedene syntaktische Funktionen; so diente in der 3. Person um 1000 v. Chr. 厥 jué als Attribut, 之 zhī als Objekt, und möglicherweise 其 qí als Subjekt. Im Klassischen Chinesisch wurde die Unterscheidung der Numeri aufgegeben, seit der Han-Zeit verschwand auch die syntaktische Unterscheidung. Dafür entwickelten sich seit der Tang-Dynastie neue Plurale, die nun durch Affixe wie 等 děng, 曹 cáo, 輩 bèi gebildet wurden. Dieses System ist in seinen Grundzügen bislang unverändert geblieben und findet sich in den modernen chinesischen Sprachen wieder.

Syntax

Allgemeines

Da die modernen chinesischen Sprachen in höchstem Maße analytisch-isolierend sind, werden Beziehungen der Wörter untereinander fast ausschließlich durch die Satzstellung zum Ausdruck gebracht (Beispiel aus dem Hochchinesischen):

弟弟 明天 北京
dìdi míngtiān Běijīng
er(sein) jüngerer Bruder morgen gehen(nach) Peking
Subjekt Adverbiale Prädikat
„Sein jüngerer Bruder geht morgen nach Peking.“

Dieses Beispiel zeigt gleichzeitig, dass die chinesischen Sprachen vor allem die Stellung Subjekt – Verb – Objekt (SVO) anwenden. Diese Regel kann jedoch durch Thematisierungsprozesse durchbrochen werden. Im folgenden Beispiel aus dem Hochchinesischen wird das Objekt zur Hervorhebung an den Satzanfang gestellt, wodurch die Satzstellung OSV entsteht:

中国菜 还没 吃过
中國菜 還沒 吃過
Zhōngguó cài hái méi chī guo
chinesische Speisen ich noch nicht essen-Perfektiv
Chinesische Speisen habe ich noch nie gegessen.

Im Altchinesischen findet sich in bestimmten Fällen, insbesondere bei pronominalen Objekten in verneinten Sätzen, auch eine Stellung SOV:

wèi zhī shí
nicht es essen
Adverbiale Objekt Prädikat
„(Er) aß es nicht.“

In den chinesischen Sprachen, vor allem im Altchinesischen, können außerordentlich häufig aus dem Zusammenhang erschließbare Satzglieder ungenannt bleiben, wie ebenfalls das letzte Beispiel zeigt, in dem das Subjekt nur aus dem Zusammenhang erschließbar ist. Seit dem 6. Jahrhundert kann das Objekt mit einer Partikel (, , , jiāng und andere) eingeleitet werden und vor dem Prädikat stehen.

Aspekt, Tempus, Aktionsart und Diathese

Aspekt, Tempus und Aktionsart können unmarkiert bleiben oder durch Partikeln, insbesondere Suffixe, manchmal auch durch Hilfsverben, zum Ausdruck gebracht werden. Die folgende Tabelle illustriert die Konstruktionen, die das Hochchinesische besitzt, um Aktionsarten auszudrücken:

Morphem Aktionsart Beispielsatz Transkription Übersetzung
le perfektiv-resultativ 我當了兵。 wǒ dāng le bīng „ich bin Soldat geworden (und bin es noch)“
guo „Erfahrungs“-perfektiv 我當过兵。 wǒ dāng guo bīng „ich war (schon) einmal Soldat“
zhèngzài/zài dynamisch-imperfektiv
(progressiv)
我正在掛畫。 wǒ zhèng zài guà huà „ich hänge gerade Bilder auf“
zhe statisch-imperfektiv
(durativ)
牆上掛著一幅畫。 qiáng shàng guà zhe yī fú huà „ein Bild hing an der Wand“

Wenngleich alle chinesischen Sprachen äußerlich ähnliche Systeme besitzen, weisen die benutzten Morpheme große Divergenzen auf. Das Hakka etwa benutzt die präverbalen Aspektpartikeln ∅ (Imperfektiv), ʔɛ˧˨ (Perfektiv), tɛn˧˨ (Kontinuativ), kuɔ˦˥ („Erfahrungs-Perfektiv“).

Während das Aktiv im Chinesischen unmarkiert ist, stehen zur Markierung des Passivs unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. Im Altchinesischen blieb es ursprünglich ebenfalls unmarkiert und konnte nur indirekt durch Angabe des Agens in einer Präpositionalphrase angedeutet werden. Seit dem Ende der Zeit der Zhou-Dynastie bildeten sich Konstruktionen mit verschiedenen Hilfsverben wie 見 jiàn 為 wéi, 被 bèi, 叫 jiào und 讓/让 ràng, die das unmarkierte Passiv aber nicht verdrängten.

Nominalphrasen

Attribute

Im Chinesischen steht der Kern einer Nominalphrase stets am Ende, Pronomina, Numeralia und Attribute stehen vor ihm und können von diesem durch eine Partikel getrennt werden. Diese Partikel hat in verschiedenen Dialekten unterschiedliche Formen; im Altchinesischen lautet sie beispielsweise 之 zhī, im Hochchinesischen 的 de. Bei dem Attribut kann es sich um eine eigene Nominalphrase handeln: klassisches Chinesisch 誰國 shuí zhī guó „wessen Land?“, modernes Chinesisch 这儿人 zhèr de rén „hier – Attributpartikel – Menschen“ = „die Leute hier“, Moiyen (Hakka) ŋaɪ̯˩˩-ɪ̯ɛ˥˥ su˧˧ „mein Buch“. Ist diese durch ein Attribut erweitert, können auch komplizierte Ketten von Attributen entstehen, die als für das Chinesische typisch gelten können. Häufig handelt es sich bei dem Attribut aber nicht um eine Nominalphrase, sondern um ein nominalisiertes Verb, optional auch mit Satelliten wie Subjekt, Objekt und adverbialen Bestimmungen. Derartige Attribute erfüllen ähnliche semantische Funktionen wie Relativsätze europäischer Sprachen. Im folgenden Beispiel aus dem Hochchinesischen ist der Kern der Nominalphrase gleichzeitig das Subjekt des nominalisierten Verbs:

mǎi shū de rén
kaufen Buch Attributpartikel Menschen
„Menschen, die Bücher kaufen“

Der Kern der Nominalphrase kann aber auch, ohne dass dies formal markiert wäre, mit anderen Satelliten des nominalisierten Verbs, wie seinem Objekt, identisch sein. Das folgende Beispiel hierzu stammt aus dem Hakka:

kʰiu˦˥-ŋɪ̯æn˩˩-ŋi˧˧ maɪ̯˧˧ ɪ̯ɛ˥˥ su˧˧
letztes Jahr kaufen Attributpartikel Buch
„das Buch, das (ich) letztes Jahr gekauft habe“

Das Altchinesische konnte in solchen Fällen die Morpheme 攸 yōu (präklassisch), 所 suǒ (klassisch) einsetzen: 攸馘 „was abgeschnitten wurde“[14]

Zählwörter

Ein wesentliches typologisches Merkmal, welches das moderne Chinesische mit anderen südostasiatischen Sprachen teilt, ist die Anwendung von Zählwörtern. Während im Altchinesischen Zahlen und Demonstrativpronomina direkt vor Substantiven stehen können (五人 wǔ rén „fünf Menschen“; 此人 cǐ rén „dieser Mensch“), muss in den modernen chinesischen Sprachen zwischen beiden Wörtern ein Zählwort stehen, dessen Wahl vom Substantiv abhängt: Hochchinesisch 五书 wǔ běn shū „fünf Bücher“, 这人 zhè ge rén „dieser Mensch“. In den Yue-Dialekten werden Zählwörter auch zur Determination eines Substantives sowie zur Markierung eines Attributs benutzt: Kantonesisch 佢书 kʰɵy˩˧ puːn˧˥ syː˥˥ „sein Buch“. Die Wahl des Zählwortes wird durch die Semantik bedingt: 把 bǎ steht im Hochchinesischen bei Substantiven, die ein Ding bezeichnen, das einen Griff besitzt; mit 所 suǒ werden Substantive konstruiert, die ein Gebäude bezeichnen usw. Eine Übersicht über wichtige Zählwörter des Hochchinesischen bietet der Artikel Liste chinesischer Zählwörter.

Sprachcode nach ISO 639

Die ISO-Norm ISO 639 definiert Codes für die Auszeichnung von Sprachmaterialien. Die chinesischen Sprachen werden in der Norm unter dem Sprachcode zh (ISO 639-1) und zho/chi (ISO 639-2/T und /B) subsumiert. Die Norm ISO 639-3 führt den Sprachcode zho als sog. Makrosprache ein – ein Konstrukt, welches für eine Gruppe von Sprachen angewandt wird, wenn diese als Einheit behandelt werden kann. Im Falle der chinesischen Sprachen ist dieser Faktor durch die gemeinsame geschriebene Form gegeben. Die subsumierten Einzelsprachen sind im einzelnen: gan (Gan), hak (Hakka), czh (Hui-Dialekt), cjy (Jin), cmn (Hochchinesisch), mnp (Min Bei), cdo (Min Dong), nan (Min Nan), czo (Min Zhong), cpx (Puxian), wuu (Wu), hsn (Xiang), yue (Kantonesisch).

Einzelnachweise

  1. a b c Rekonstruktion nach: William H. Baxter: A Handbook of Old Chinese Phonology. Trends in Linguistics, Studies and monographs No. 64 Mouton de Gruyter, Berlin / New York 1992. ISBN 3-11-012324-X
  2. Oi-kan Yue Hashimoto: Phonology of Cantonese. University Press, Cambridge 1972
  3. [1]
  4. nach Norman 1987 und James Alan Matisoff: Handbook of Proto-Tibeto-Burman: System and Philosophy of Sino-Tibetan Reconstruction. University of California Press, ISBN 0-520-09843-9
  5. C steht hier für einen unbekannten Konsonanten
  6. Wortgleichung und Rekonstruktion *kwjəl nach Edwin G. Pulleyblank: The historical and prehistorical relationships of Chinese. In: W. S.-Y. Wang (Hrsg.): The Ancestry of the Chinese Language. 1995. S. 145–194
  7. Rekonstruktion in Anlehnung an Baxter 1992, der jedoch die Existenz des *-l- ablehnt
  8. Karlgren, Bernhard: Schrift und Sprache der Chinesen. 2. Aufl., Berlin u.a.: Springer, 2001, S. 32-56.
  9. 梅祖麟: 唐代、宋代共同语的语法和现代方言的语法. In: Paul Jen-kuei Li, Chu-Ren Huang, Chih-Chen Jane Tang (Hrsg.): Chinese Languages and Linguistics II: Historical Linguistics. (Symposium Series of the Institute of History and Philology, Academia Sinica, Number 2). Taipei 1994, Seite 61-97.
  10. nach Norman 1987, S. 236
  11. Karlgren, Bernhard: Schrift und Sprache der Chinesen. 2. Aufl., Berlin u.a.: Springer, 2001, S. 20 ff
  12. Laurent Sagart: The Roots of Old Chinese. (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science, Servies IV, Volume 184) John Benjamins, Amsterdam/Philadelphia 1999. ISBN 90-272-3690-9, S. 142–147; W. A. C. H. Dobson: Early Archaic Chinese. A Descriptive Grammar. University of Toronto Press, Toronto 1962, S. 112–114
  13. Die angegebenen Formen stellen nur eine Auswahl dar.
  14. Shijing 241

Literatur

Allgemeines

  • George van Driem: Languages of the Himalayas. Brill, Leiden 2001, ISBN 90-04-10390-2, ISBN 90-04-12062-9, ISBN 90-04-12063-7
  • Bernhard Karlgren: Schrift und Sprache der Chinesen. 2. Aufl., Springer, 2001, ISBN 3-540-42138-6.
  • Wang Li: 漢語史稿 (Skizze der Geschichte des Chinesischen). Peking 1957.
  • Jerry Norman: Chinese. Cambridge University Press, 1988, ISBN 0-521-22809-3, ISBN 0-521-29653-6.
  • S. Robert Ramsey: The Languages of China. 2. Auflage. Princeton University Press, Princeton 1987. ISBN 0-691-06694-9, ISBN 0-691-01468-X

Grammatik

  • Edwin G. Pulleyblank: Outline of a Classical Chinese Grammar (Vancouver, University of British Columbia Press 1995); ISBN 0-7748-0505-6 / ISBN 0-7748-0541-2.
  • И. С. ГУРЕВИЧ. И. Т. ЗОГРАФ: ХРЕСТОМАТИЯ ПО ИСТОРИИ КИТАЙСКОГО ЯЗЫКА III-XV вв. (Chrestomatie für die Geschichte der chinesischen Sprache vom 3. bis 15. Jahrhundert), Moskau 1984
  • Yuen Ren Chao: A grammar of spoken Chinese. University of California Press, Berkeley 1968

Lexikon

  • Robert Henry Mathews: Mathews’ Chinese-English dictionary. China Inland Mission, Shanghai 1931; Nachdrucke: Harvard University Press, Cambridge 1943 etc.).
  • Instituts Ricci (Hg.): Le Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise. Desclée de Brouwer, Paris 2001. ISBN 2-220-04667-2.
  • Werner Rüdenberg, Hans Otto Heinrich Stange: Chinesisch-deutsches Wörterbuch. Cram, de Gruyter & Co., Hamburg 1963.

Weblinks

Allgemeines

Wörterbücher


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