Chinesisches Orakel

Chinesisches Orakel
Orakelknochen aus der Shang-Dynastie

In China haben Orakel eine jahrtausendealte Tradition.

Inhaltsverzeichnis

Formen

Tierknochen-Orakel (auch Skapulamantie)

Am ältesten ist das Orakel mit im Feuer erhitzten Tierknochen. Belege hierfür finden sich bereits im Neolithikum (ca. 5000 v. Chr.), der Höhepunkt war aber während der in die Bronzezeit fallenden Shang-Dynastie zu verzeichnen.

Ursprünglich stammten die Knochen von Opfertieren, häufig handelte sich um die Schulterblätter von Schweinen, Schafen oder Rindern. Später verwendete man zunehmend auch die Bauchplatten von Schildkröten. Die Orakelbefragung selbst lag traditionell in der Hand der Herrscher, die sich hieraus Aufschluss etwa über den Erfolg bevorstehender Feldzüge, die Entwicklung des Wetters und der Ernte oder auch den Fortgang der Dynastie erhofften. Andererseits holten sie sich vom Orakel aber auch Ratschläge beispielsweise für die Ernennung von Amtsträgern, den Bau von Städten sowie politische Entscheidungen aller Art. Üblich waren schließlich auch Anfragen an die Ahnen.

Die Knochen wurden vor Verwendung speziell präpariert; so wurden etwa runde oder ovale Hohlräume gebohrt, die wiederum mit Bronzedrähten versehen wurden. Durch die Hitze bildeten sich dann in den Knochen Risse und Sprünge, die etwa an ein "T" oder auch das chinesische Schriftzeichen (不) erinnerten. Aus dem genauen Verlauf der Linien zogen dann speziell ausgebildete Wahrsager ihre Schlüsse und hielten diese textlich auf den jeweiligen Knochen fest. Teilweise wurden die Inschriften auch bereits vorher aufgebracht, und zwar so, dass sie einen Sachverhalt in bejahender und verneinender Form darstellen, getrennt durch einen unbeschrifteten Zwischenraum. Der Verlauf der Risse gab dann Aufschluss, welche Variante eintreten wird.

Die Orakelinschriften haben einen erheblichen Beitrag zur Erforschung der frühen Formen der chinesischen Schrift geleistet, vgl. hierzu insbesondere Orakelknochen.

Schafgarbenorakel

Gegen 1000 v. Chr. setzte sich daneben das sog. Schafgarbenorakel durch. Hierbei wurden aus einem Bündel von getrockneten Stängeln der Schafgarbe (heute auch dünne Stäbchen aus Holz, Metall oder Elfenbein) in einem komplizierten Verfahren fünfzig herausgezogen und nach einem bestimmten System so ausgelegt, dass Tri- bzw. Hexagramme aus durchgezogenen bzw. unterbrochenen Linien entstanden. Dem Schafgarbenorakel liegt eine komplizierte Numerologie zugrunde.

Aus dem Schafgarbenorakel hat sich die Weissagungstechnik des I Ging (Buch der Wandlungen) entwickelt. Es gelten folgende Regeln:

  • Nach einer rituellen Reinigung des Raumes werden die 50 Stäbchen in die linke Hand genommen und eines weggelegt, danach werden die 49 verbliebenen in zwei Haufen geteilt, und unter Wegnahme von jeweils vier Stäbchen durchgezählt. Je nach Rest -vier oder weniger- ermittelt man die Zahlen »2« oder »3«.

So bleiben bei der ersten Zählung fünf oder sieben Stäbchen über; bei den darauf folgenden letzten zwei Zählungen vier oder acht Stäbchen. Fünf bzw. vier Stäbchen bedeuten die Zahl »3«. Neun bzw. acht Stäbchen bedeuten die Zahl »2«.

  • Dieser Vorgang wird dreimal vollzogen und die ermittelten Zahlen addiert: Es ergeben sich acht mögliche Kombinationen mit den Summen 6, 7, 8 und 9. Die »6« und »8« entsprechen einem Yin (TXJ 2.svg). Die »7« und »9« entsprechen Yang (TXJ 1.svg).
  • Dieser Vorgang wird sechs Mal wiederholt. Daraus ergeben sich von unten nach oben die sechs Striche des Hexagrammes.
  • Die mit den Ziffern »6« und »9« ermittelten Linien oder Striche eines Zeichens sind die wandelnde Linien, durch die ihr jeweiliges Gegenteil ihren Platz einnimmt und dadurch in eines der 63 anderen Zeichen auflösen.

Jedes so entstandene Hexagramm steht für eine bestimmte Kombination von Yin- und Yang-Einflüssen und damit für eine bestimmte zukünftige Entwicklung.

Stäbchenorakel

Gebündelte Orakelstäbchen

Unter dem Einfluss des Buddhismus hat sich schließlich das Stäbchenorakel entwickelt. Es ist einfacher durchzuführen und zu deuten als die vorgenannten Formen, was zu seiner größeren Volkstümlichkeit beigetragen hat.

Üblicherweise wurde hierbei in einem Tempel der Göttin Guanyin eine konkrete Frage zu einem Thema der persönlichen Zukunft wie etwa Geschäften, Gesundheit, Heirats- und Nachwuchsaussichten und dergleichen gestellt. Daraufhin schüttelte man in einem Becher eine bestimmte Anzahl mit Schriftzeichen versehener Holzstäbchen (chin.: 签 qiān) und zog eines davon heraus. Die darauf enthaltene Weissagung gab dann Antwort auf die gestellte Frage.

Das Münzorakel

Später entwickelte sich deshalb eine Methode, um einfachere Fragestellungen schneller zu beantworten, in Form eines Münzorakels. Diese Art des Orakels wurde in China wahrscheinlich seit der Epoche der streitenden Reiche (403–221 v. Chr.) angewandt. Der Legende nach wurde das Münzorakel des I Ging durch den daoistischen Eremiten und Philosophen Gui Guo Zi entwickelt. Die Münzmethode fand in der chinesischen Gesellschaft bald eine weite Verbreitung. Die Anzahl der jeweils verwendeten Münzen war jedoch unterschiedlich. In Verbindung mit dem I Ging setzte sich schließlich die Methode der drei Münzen weitestgehend durch. Die Befragung und insbesondere die Deutung des Orakels sollte unmittelbar nach oder während einer Meditation erfolgen - dies gilt für jede der hier angeführten Methoden.

Der Vorderseite einer Münze ist die Zahl »3« zugeordnet, der Rückseite die Zahl »2«. Danach folgt die Methode analog zum Schafgarbenorakel.

16 Murmeln

Diese 16 Murmeln sind wie folgt verteilt in einer Urne: Eine Murmel trägt die Nummer »6«, drei Murmeln tragen die Nummer »9«, fünf Murmeln tragen die Nummer »7« und sieben Murmeln tragen die Nummer »8«. Die vier verschiedenen Nummern stehen für vier verschiedene Linienqualitäten, die später erläutert werden.

Nun sollen sechs Murmeln aus der Urne gezogen werden, wobei jede gezogene Murmel wieder zurückgelegt wird bevor erneut gezogen wird. Auf diese Art und Weise erhält man sechs Nummern, die dann als übereinander gemalte Linien das Orakel bilden, da jede Nummer eine andere Linienart bedeutet.

Das hat die gleiche Wahrscheinlichkeit wie die Schafgarbenmethode: random(array(8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 7, 7, 7, 7, 7, 9, 9, 9, 6));

Das seltenste Zeichen ist demnach das Hexagramm mit den Strichen 6,6,6,6,6,6.

Dazu das I Ging (Hexagramm mit der Nr.2): „Alle Linien: Ihr Charakter ist gefestigt und im Gleichgewicht. Sie können jetzt nachhaltig und vorteilhaft auf die Welt einwirken.“

Weitere Orakelformen

Daneben gibt es Anhaltspunkte für weitere Orakelformen: So berichtet die Legende etwa davon, dass die beiden Geschwistergötter Fuxi und Nüwa erst durch ein Orakel von zwei sich in der Luft vereinigenden Rauchsäulen dazu gebracht wurden, ihre Bedenken gegen eine inzestuöse Verbindung zurückzustellen und einander zu heiraten.

Das um die Zeitenwende entstandene Buch Shen Shu enthält ein Münzorakel.

Siehe auch

Literatur

  • Jacques Gernet: Die chinesische Welt. Die Geschichte Chinas von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-38005-2, S. 51–53 (Suhrkamp-Taschenbuch 1505).

Weblinks

»Das Münzorakel«, nach Ausführungen von Richard Wilhelm, eingesehen am 16. April 2011


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