Christen und Kirche in der DDR

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Inhaltsverzeichnis

Verhältnis von Staat und Kirche

Das Verhältnis der DDR gegenüber der Religion sowie den Kirchen war von Anfang an schwierig und voller Spannungen. Der atheistische Marxismus-Leninismus, die Staatsideologie der DDR, postulierte ein Verschwinden von Religion auf dem Weg zum Kommunismus, auf dem sich die DDR sah. Die Kirchen waren für den Staat schon aus diesem Grund ideologische Gegner. Weitere Gründe waren das Verhalten der Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus (Kollaboration) und die dem Kommunismus/Sozialismus gegenüber ablehnende Haltung der Kirchen.

Außerdem waren für den Staat die zwar im Laufe der Zeit schwächer werdende, aber gleichwohl stets hohe Verbundenheit mit den westdeutschen Kirchen ein großes Problem. Bis 1969 waren die Evangelischen Kirchen immer noch gesamtdeutsch in der Evangelischen Kirche in Deutschland organisiert. Insbesondere in der formalen Zustimmung der ostdeutschen Kirchen zum Militärseelsorgevertrag der Bundeswehr sahen die staatlichen Stellen einen Affront. Wegen des erheblichen politischen Drucks, zunehmender organisatorischer Probleme (DDR-Vertreter konnten wegen Visaverweigerungen nicht an den EKD-Treffen teilnehmen), aber auch wegen zunehmender Unterschiede in der alltäglich kirchlichen Arbeit in beiden Ländern gründete sich 1969 der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR.

In den 1970er Jahren prägten Vertreter des evangelischen Kirchenbundes die Formel der Kirche im Sozialismus. Bischof Albrecht Schönherr formulierte auf der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR 1971: Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus sein. Die Formel postulierte ein deutliches Sich-Einlassen auf den Sozialismus in der DDR - im Unterschied zu der verbreiteten Meinung innerhalb der Kirche in den 1950er und 1960er Jahren, als man noch von einem „Überwintern“ bis zum schnellen Verschwinden der DDR ausging, als Bekenntnis zum Sozialismus war die Formel von den meisten, die sie verwendeten, jedoch nicht gemeint. Aber die Erklärung der evangelischen Bischöfe im Kloster Lehnin vom 15. Februar 1968 hat für eine positive Haltung zum Sozialismus Anstöße gegeben:

Als Staatsbürger eines sozialistischen Landes sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, den Sozialismus als eine Gestalt gerechteren Zusammenlebens zu verwirklichen.

Diese Neuorientierung führte in der Folge zu einigen Verbesserungen in der kirchlichen Arbeit, die von der SED im sozialen Bereich durchaus geschätzt wurde und hochwillkommen war, da die DDR im Bereich der Behindertenintegration rückständig[1] war. Insbesondere in den 1980er Jahren bot die Kirche unterschiedlichsten Gruppen einen sonst nicht vorhandenen Freiraum. In den Kirchen oder unter ihrem Dach entstanden Friedens- und Ökologiearbeitskreise, Frauengruppen und Gruppen, die sich für eine Demokratisierung der Gesellschaft einsetzten. Selbst so kirchenferne Gruppen wie Punks wurden in einzelnen Kirchengemeinden aufgenommen und spielten ihre Konzerte in Kirchen, da sie sonst keine Räume dafür fanden.

Situation der Christen

Religionsfreiheit war in der DDR in der Verfassung festgeschrieben und wurde formal auch gewährt. Es gab eine sehr strikte Trennung von Kirche und Staat. Der Religionsunterricht an den Schulen wurde abgeschafft. Auch eine Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat gab es nicht. Von staatlicher Seite war das Staatssekretariat für Kirchenfragen beim Ministerrat der DDR zuständig. Staatssekretäre waren in zeitlicher Folge Werner Eggerath, Hans Seigewasser, Klaus Gysi und zuletzt Kurt Löffler. In der Wendezeit wurde das Staatssekretariat aufgewertet, von November 1989 bis April 1990 war Lothar de Maizière Minister für Kirchenfragen.

Die Kirchen konnten ihre eigenen Verhältnisse weitgehend eigenständig regeln. Es gab kirchliche Verlage und Zeitungen und großes kirchliches Engagement auf sozialem Gebiet. Dennoch versuchte die DDR, den Einfluss der Kirchen zurückzudrängen und vor allem junge Menschen kirchlichem Einfluss zu entziehen. Dem dienten vor allem in den 1950er und 1960er Jahren unterschiedliche repressive Maßnahmen, zum Beispiel:

  • Vor allem in der Anfangszeit der DDR kam es zu direkter staatlicher Verfolgung von Christen. So wurden 1953 viele junge Christen von den Oberschulen relegiert, die Junge Gemeinde und die Studentengemeinde öffentlich als staatsfeindliche Organisationen bezeichnet und junge Menschen in Einzelfällen auch inhaftiert.
  • Der Konfirmation und Firmung wurde mit großem Aufwand die Jugendweihe entgegengesetzt. Viele evangelische Jugendliche nahmen in späteren Jahren an Jugendweihe und Konfirmation teil, meist mit einer zeitlichen Trennung von einem Jahr, was die evangelischen Kirchen tolerierten, um den teilweise repressiven Druck von den Jugendlichen zu nehmen.
  • Kinder und Jugendliche wurden in den Schulen atheistisch erzogen. Ihnen wurden die Grundlehren des Marxismus-Leninismus beigebracht. Religion wurde in den Schulen häufig lächerlich gemacht, christliche Kinder nicht selten von Lehrern zu Außenseitern gemacht. Ein weltweit wahrgenommenes Fanal setzte der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich aus Protest gegen die Militarisierung der Jugend in den Schulen und den fehlenden Widerstand seiner Kirche am 18. August 1976 in Zeitz öffentlich verbrannte.
  • Einzelne stadtbildprägende beziehungsweise bekannte meist schwer kriegsbeschädigte Kirchen wurden in den 1950er und 1960er Jahren abgetragen oder gesprengt, unter anderem 1960 die St. Marienkirche in Wismar, 1962/63 die Sophienkirche in Dresden sowie 1968 die Universitätskirche in Leipzig und die Garnisonkirche in Potsdam.

In den späteren Jahrzehnten wurden die Mittel subtiler und differenzierter. Auch im Innern etablierte sich auf manchen Gebieten eine „friedliche Koexistenz“. Dennoch gab es Versuche, Christen weiter in der Minderheit zu halten:

  • Bestimmte berufliche Karrieren vorwiegend im Staatsdienst oder in leitenden Funktionen waren Christen bzw. Mitgliedern einer Kirche weitgehend verschlossen. In anderen Bereichen wie der Post oder der Deutschen Reichsbahn waren sie erheblichem Druck ausgesetzt.
  • Jugendlichen wurde von Schulen und Ausbildungsstätten mit Nichtzulassung zur Erweiterten Oberschule oder zum Studium gedroht, wenn sie den Kontakt zur Kirche nicht aufgäben.
  • Kirchlich aktive Personen und kirchliche Mitarbeiter wurden häufig von der Stasi überwacht und zum Teil durch gezielte, auch informelle Maßnahmen unter Druck gesetzt - besonders beliebt war es, missliebige Geistliche in der Kirche zu diskreditieren und durch die Kirche disziplinieren zu lassen. Auch gelang es der Stasi, in den Kirchen selbst informelle Mitarbeiter anzuwerben beziehungsweise dort zu platzieren, unter ihnen einflussreiche Mitglieder von Gemeindekirchenräten und Synoden. In einigen Fällen entwickelten die Kirchen Abwehrstrategien gegen dieses Anwerben. So riet unter anderem Heinrich Rathke, Landesbischof von Mecklenburg, seinen Synodalen, bei einem Anwerbungsversuch sofort zu erklären, dass man dem Bischof Mitteilung machen werde und bei fortgesetzten Anwerbungsversuchen einen „Gruß vom Bischof“ auszurichten, und erschien sogar einige Male selbst an solchen konspirativen Treffen, was den Anwerbeversuchen jeweils ein Ende setzte.
  • Wie alle anderen Zeitungen unterlagen auch die Kirchenzeitungen der Zensur.
  • Die Kirchen wurden gedrängt, sich ausschließlich religiösen Themen zuzuwenden.
  • Christlich konnotierte Begriffe und Formulierungen wurden im Sprachgebrauch von Verwaltung, Schulen und Universitäten ersetzt. Beispiele hierfür sind „vor unserer Zeitrechnung“ statt „vor Christus“.

In der Entwicklung der DDR, deren Bevölkerung ursprünglich mehrheitlich protestantisch geprägt war, nahm die Zahl religiös gebundener Menschen, also auch der Mitglieder der Kirchen, erheblich und dauerhaft ab. Der prozentuale Anteil von Mitgliedern der evangelischen Kirchen an der Gesamtbevölkerung ging von 85 % im Jahr 1950 auf etwa 25 % 1989 zurück. Der Anteil der Katholiken sank im gleichen Zeitraum von 10 % auf 5 %. Christen waren gegen Ende der DDR eindeutig in einer Minderheitenposition. An der staatlichen Jugendweihe nahm zumindest in den Städten fast jeder Jugendliche teil. Es gab nur wenige Gebiete wie beispielsweise das Eichsfeld, die auch zum Ende der DDR-Zeit stark christlich geprägt waren.

Die DDR-Kirchenpolitik war bis zu einem bestimmten Grade also erfolgreich und hat auch nach 1990 dazu geführt, dass die Mehrheit der Ostdeutschen nicht religiös ist. Sie konnte aber nicht verhindern, dass die christlichen Kirchen ein eigenständiger gesellschaftlicher Faktor blieben. Die Geschichte der Wende zeigte dann, dass sich gerade in den evangelischen Kirchen ein großer Teil der Menschen fand, teilweise ohne selber religiös zu sein, die zu den Trägern der Wende wurden.

Bekannte Theologen

Literatur

  • Henkys, Reinhard (Hg.), Die evangelischen Kirchen in der DDR. Beiträge zu einer Bestandsaufnahme. München: Kaiser, 1982. ISBN 3-459-01436-9
  • Höllen, Martin (Hg.), Loyale Distanz? Katholizismus und Kirchenpolitik in SBZ und DDR - Ein historischer Überblick in Dokumenten. Berlin: Selbstverlag, 1994ff.
  • Rendtorff, Trutz (Hg.), Protestantische Revolution? Kirche und Theologie in der DDR: Ekklesiologische Voraussetzungen, politischer Kontext, theologische und historische Kriterien. Vorträge und Diskussionen eines Kolloquiums in München. 26.-28. März 1992 (AKIZ B, 20), Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1993. ISBN 3-525-55720-5
  • Dähn, Horst; Joachim Heise (Hg.): Staat und Kirchen in der DDR. Zum Stand der zeithistorischen und sozialwissenschaftlichen Forschung in: Johannes Wirsching (Hg.), Kontexte. Neue Beiträge zur Historischen und Systematischen Theologie, Bd. 34, Frankfurt am Main: Peter Lang, 2003. ISBN 3-631-39088-2
  • Frank, Rahel: "Realer, exakter, präziser"?: Die DDR-Kirchenpolitik gegenüber der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs von 1971 bis 1989. Schwerin: 2004. ISBN 3-933255-18-x
  • Höppner, Reinhard: Bleiben, wohin uns Gott gestellt hat. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2004. ISBN 3-374-02207-3
  • Mau, Rudolf: Der Protestantismus im Osten Deutschlands (1945-1990). (Reihe Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen IV/3) Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2005. ISBN 3-374-02319-3
  • Sonja Ackermann: Christliche Frauen in der DDR. Alltagsdokumente einer Diktatur in Interviews. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2005. ISBN 3-374-02325-8
  • Peter Franz (Hg.): Hinter der Mauer und doch frei. Ein NachLeseBuch von DDR-Christen. Schkeuditz: 1997. ISBN 3-929994-96-8

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Sabine Gries: Kindesmisshandlung in der DDR: Kinder unter dem Einfluss traditionell-autoritärer und totalitärer Erziehungsleitbilder, Berlin, Hamburg, Münster, 2002, ISBN 3825859746, S. 205ff

Weblinks


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