Stromness (Wetterauer)

Stromness (Wetterauer)

Stromness ist ein psychologischer Roman von Herbert Wetterauer, dessen Handlung überwiegend in Stromness, einer Hafenstadt auf der Orkney-Insel Mainland, spielt. Der Roman unterläuft die traditionelle Erzählhaltung, indem er der Erwartung des Lesers im Hinblick auf eine stringente Auflösung des entwickelten Konflikts nicht entspricht und ihn dazu veranlasst, sich für eine der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten zu entscheiden.[1]

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Nicole, eine Schülerin aus Hamburg, verbringt in den Sommerferien vor dem Abitur einen Urlaub auf Mainland, um alleine zu sein und mit ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen. Vor kurzem ist ihr Vater, von dem sie als Kind sexuell missbraucht wurde, gestorben und hat sie damit der Möglichkeit beraubt, ihn mit seinem Vergehen zu konfrontieren.

Sie begegnet in Stromness Marc, einem mittlerweile erfolglosen Schriftsteller Ende vierzig, der von seiner Freundin gerade verlassen wurde und in der Abgeschiedenheit von Stromness versucht mit seinem neuen Buch weiter zu kommen. Er will darin die Erinnerung an einen Mord verarbeiten, von dem er glaubt, ihn in einer Tiefgarage in Berlin beobachtet zu haben.

In einer Kneipe in Stromness lernt Marc einen alten Fischer namens Abraham kennen, mit dem er sich anfreundet. Aber auch Abraham hat eine Erinnerung, die ihn nicht mehr loslässt: Er gibt sich die Schuld am Tod seiner einzigen Tochter.

Als Marc, Nicole und Abraham sich in Stromness begegnen, beginnen sich die Ereignisse, die sie hinter sich lassen wollten, auf rätselhafte Weise zu wiederholen. Nicole wird erneut sexuell missbraucht, Marc muss sich wieder mit einem Mord in Verbindung bringen, der in einem Hochmoor bei Stromness begangen wurde, und Abraham glaubt dort dem Gespenst seiner Tochter zu begegnen. Als die Leiche einer jungen Frau im Moor gefunden wird, die Nicole sein könnte, nimmt Inspektor O’Brien die Ermittlungen auf, die ihn mit seinen eigenen Abgründen konfrontieren.

Thematik

Der Roman thematisiert weniger einen Kriminalfall als vielmehr die Frage nach der Verbindlichkeit menschlicher Beziehungen, deren Scheitern er schildert. Darüber hinaus stellt er die Frage nach der Zuverlässigkeit von Wahrnehmungen und Erinnerungen. Die Erkenntnis der Wahrheit bleibt deshalb nicht nur für die Romanfiguren, sondern auch für den Leser selbst bruchstückhaft. Indem der Roman mehrere Lösungen als gleichberechtigt und gleich wahrscheinlich nebeneinander bestehen lässt, wirft er auch die Frage nach der Existenz einer objektiven Wahrheit auf bzw. nach der Fähigkeit des Menschen, diese zu erkennen. Institutionelle Ordnungssysteme, die mit der Suche nach der Wahrheit beauftragt sind, wie die Kirche im metaphysischen und die Polizei im weltlichen Raum, scheitern in der Erzählung an dieser Fragestellung. Der Leser selbst wird wie die Figuren des Romans dazu veranlasst, die Erzähl-Wirklichkeit nicht objektiv, sondern entsprechend seinen eigenen Vorstellungen und Erwartungen zu erfahren bzw. zu interpretieren. Darüber hinaus enthält die Erzählstruktur eine Metaebene: Während Marc scheinbar vergeblich an seinem Roman arbeitet, ahnt der Leser gerade bei diesen Textstellen, dass der Roman, den er selbst gerade liest, möglicherweise der Roman ist, den Marc am Ende doch noch geschrieben hat.

Gewalt, als Tötung, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und Folter in teilweise drastischen Szenen geschildert, erscheint in ‘‘Stromness‘‘ als das äußerste und letzte Mittel um persönliche Nähe zu erzwingen, das Streben nach Macht als der extremste Ausdruck einer gescheiterten Sehnsucht nach Erfüllung. Die Landschaft und das Leben der Menschen in Stromness, in anschaulichen, atmosphärisch dichten Bildern beschrieben, wird zum Hintergrund einer zunehmend unheimlichen Geschichte um Liebe und Verrat.

Gliederung

Der Roman ist überwiegend in personaler Perspektive geschrieben, wobei die Sichtweise häufig entsprechend den handelnden Personen wechselt.[2][3]
Er besteht aus drei Teilen, die jeweils wiederum in einzelne Kapitel unterteilt sind:

  • Im ersten Teil („Erinnerungen“) werden die Hauptfiguren in ihrer gegenwärtigen Ausgangssituation gezeigt. Rückblicke und Erinnerungen der Personen verdeutlichen das Trauma, das sie in der Vergangenheit erlitten haben.
  • Der zweite Teil („Begegnungen“) beschreibt, wie sich die Hauptfiguren in Stromness kennenlernen und ihre Beziehungen untereinander entstehen und sich entwickeln.
  • Im dritten Teil („Auflösung“) wird zum einen die polizeiliche Ermittlungsarbeit geschildert, die zur Auflösung des Mordfalles führen soll, aber auch die allmähliche Auflösung der menschlichen Beziehungen zwischen den handelnden Personen dargestellt.

Rezeption

In der Thematik des Romans wird entweder die Darstellung menschlicher Abgründe hinter intakter bürgerlicher Fassade gesehen [4] oder die Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern und das Scheitern der Beziehungen zwischen ihnen betont [5]. Zum einen wird eine frauenfeindliche Tendenz hineingedeutet (die Frau als selbstverschuldetes Opfer) oder aber das genaue Gegenteil, nämlich eine kritische Sicht auf das männliche Frauenbild. Andere sehen darin eine grundsätzlich pessimistische Darstellung der menschlichen Existenz, wenn auch der Schluss des Romans einen möglichen Sinn des Daseins nicht als erkennbar, aber als erahnbar ins Blickfeld rückt.[6] Daneben wird die Geschichte jedoch nicht nur als eine Studie des Scheiterns bezeichnet [7] , sondern es wird auch auf einen durchaus sarkastischen oder „ironisch-humoristischen“ Erzählton hingewiesen.[8] Andere betrachten den Roman aber auch einfach nur als eine Kriminalgeschichte oder einen Thriller, für dessen Beurteilung moralische, ästhetische oder sonstwie wertende Maßstäbe keine Rolle spielen.[9][10]

Ausgabe

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Mit offenem Ausgang, Michael Hübl in Badische Neueste Nachrichten, 26. Juni 2010
  2. Beachtliche atmosphärische Dichte: Stromness, Dr. Peter Kohl in Der Kurier, 29. April 2010
  3. Klappe auf, Ausgabe Mai 2010 (mit Abb.)
  4. Gefesselt von den Abgründen der Psyche, Monika Bögelspacher in Die Rheinpfalz, 6. Januar 2010 (mit Abb.)
  5. Gedankenspionage, Stefanie Braun in Pfalz-Echo, 21. Dezember 2009 (mit Abb.)
  6. Sylvia Mutter in RaumK, Nr. 89, März 2010 (mit Abb.)
  7. Flucht vor dem Ich, Harald Schwiers in Der Kurier, 25. Juni 2010
  8. Tanja Rastätter in Boulevard Baden, 18. Juli 2010 (mit Abb.)
  9. Ein Autor aus Wörth, Amtsblatt Wörth am Rhein, 19. November 2009 (mit Abb.)
  10. Roger Waltz in INKA Stadtmagazin, Nr. 54, 2010 (mit Abb.)

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