Thomaesche Funktion

Thomaesche Funktion
Graph der thomaeschen Funktion auf (0,1)

Die thomaesche Funktion, benannt nach dem deutschen Mathematiker Carl Johannes Thomae (1840–1921), ist eine mathematische Funktion, die auf den rationalen Zahlen unstetig und auf den irrationalen stetig ist. Sie ist verwandt mit der Dirichlet-Funktion und hat wie diese keine praktische Bedeutung, sondern dient als Beispiel für Stetigkeit und weitere mathematische Themen.

Weitere Bezeichnungen in Anlehnung an den Graph sind Lineal-Funktion,[1] Regentropfen-Funktion, Popcorn-Funktion (nach Popcorn in der Pfanne) oder nach John Horton Conway Sterne über Babylon.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Die thomaesche Funktion wird als reellwertige Funktion f: [0,1] \rightarrow \mathbb{R} definiert durch

f(x)=\left\{\begin{array}{ll}
\frac{1}{q}\ ,&\textrm{wenn}\ x > 0 \ \mathrm{und}\ x=\frac{p}{q}\ \mathrm{rational\ und\ in\ vollst\ddot{a}ndig\ gek\ddot{u}rzter\ Form\ dargestellt\ ist},\\
0\ ,&\textrm{wenn}\ x\ \textrm{irrational\ ist},\\
1\ ,&\textrm{wenn}\ x=0.\\\end{array}\right.

Die thomaesche Funktion ist ein einfaches Beispiel einer Funktion, deren Menge der Unstetigkeitsstellen kompliziert ist. Genauer gilt: f ist stetig auf allen irrationalen Zahlen von [0,1] und unstetig auf allen rationalen Zahlen dieses Intervalls.

Das kann, grob gesagt, folgendermaßen gezeigt werden: Falls x irrational und y nahe bei x liegt, so ist entweder y irrational oder y eine rationale Zahl mit großem Nenner. In beiden Fällen liegt f(y) nahe bei f(x) = 0. Ist andererseits x rational und (y_n)_{n\in\mathbb{N}} eine Folge von irrationalen Zahlen in (0,1), die gegen x konvergiert, so ist f(y_n) \equiv 0, welches nicht gegen f(x) \neq 0 konvergiert.

Verwandte Fragestellung

Umgekehrt gibt es jedoch keine Funktion, die stetig auf den rationalen Zahlen und unstetig auf den irrationalen Zahlen ist, denn die Menge der Unstetigkeitsstellen ist stets eine Fσ-Menge (Satz von Young), während aus dem baireschen Kategoriensatz folgt, dass die Menge der irrationalen Zahlen keine Fσ-Menge ist.

Unstetigkeitsstellenmengen

Mithilfe einer Variante der thomaeschen Funktion kann man zeigen, dass jede beliebige Fσ-Teilmenge A des \mathbb{R}^d auch tatsächlich als Unstetigkeitsstellenmenge einer Funktion f_A: \mathbb{R}^d \rightarrow \mathbb{R} vorkommt. Ist nämlich \textstyle A=\bigcup_{n=1}^{\infty}F_n eine abzählbare Vereinigung abgeschlossener Mengen Fn, so setze man

f_A(x):=\left\{\begin{array}{ll}\frac{1}{n}\ ,&\textrm{falls}\ x \in A\cap\mathbb{Q}^d\ \textrm{und}\ n\ \textrm{minimal,\ so\ dass}\ x\in F_n\ ,\\-\frac{1}{n}\ ,&\textrm{falls}\ x\in A\setminus\mathbb{Q}^d\ \textrm{und}\ n\ \textrm{minimal,\ so\ dass}\ x\in F_n\ ,\\
0\ ,&\textrm{falls}\ x\notin A\ .\\\end{array}\right.

Durch ein ähnliches Argument wie bei der thomaeschen Funktion sieht man, dass A die Menge der Unstetigkeitsstellen von fA ist.

Einzelnachweise

  1. „...the so-called "ruler function", a simple but provocative example that appeared in a work of Johannes Karl Thomae ... The graph suggests the vertical markings on a ruler – hence the name.“ Zitiert nach William Dunham: The Calculus Gallery: Masterpieces from Newton to Lebesgue. Princeton University Press, 2004, ISBN 978-0691095653, Chapter 10.

Literatur

  • Robert G. Bartle, Donald R. Sherbert: Introduction to Real Analysis, 3. Auflage, Wiley, 1999, ISBN 978-0471321484, Example 5.1.6 (h).
  • Stephen Abbot: Understanding Analysis. Springer-Verlag, Berlin 2001, ISBN 0-387-95060-5.

Weblinks


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