Traditionelle Japanische Medizin

Traditionelle Japanische Medizin

Traditionelle japanische Medizin (TJM) ist die Medizin in Japan, die sich im Dialog mit chinesischer, koreanischer und seit der frühen Neuzeit auch der westlichen Medizin entwickelte. Hierbei war es durchweg die japanische Seite, welche die Initiative ergriff, aus den medizinischen Schulrichtungen der Nachbarländer und des Westens auswählte, assimilierte und weiter entwickelte. Die Resultate zeugen von großer Eigenständigkeit, und in vielen Bereichen steuerte Japan therapeutische Inventionen und theoretische Konzepte bei, die der japanischen Medizin im Rahmen der traditionellen Medizin Ostasiens ihren eigenständigen Platz sichern.

Inhaltsverzeichnis

Relikte schamanistischer Praktiken

Vergleichende Studien zur Volksmedizin, zum Shintoismus wie auch Spuren alter Heilpraktiken in der Volksmedizin deuten darauf hin, dass die Menschen im Archipel vor der Nara-Zeit schamanistische Praktiken und Reinigungszeremonien betrieben. Manche unter den wenigen Kräutern, die sie verwendeten, dienten lediglich symbolischen Zwecken.

Organisation der Grundlagen in der Nara- und Heian-Zeit

Am Anfang der medizinischen Beziehungen zum asiatischen Festland stehen Konsultationsreisen koreanischer Ärzte aus den Reichen Silla , Paekche und Koguryō . Einige davon ließen sich in Japan nieder. Mitte des 6. Jahrhunderts setzten der Überlieferung zufolge mit der Ankunft des Mönches Zhì Cōng (智聡), der 164 medizinische Werke mitgebracht haben soll, auch direkte Kontakte zum chinesischen Kaiserreich ein. In der Folge kam es zu dreizehn offiziellen japanischen Gesandtschaften (遣唐使, kentōshi) . Bei der Schaffung staatlicher Strukturen im 7. und 8. Jahrhundert orientierte sich Japan dann auch in der Medizin und der Organisation des Medizinalwesens an China. Die Scheidung medizinischer Disziplinen und der damit befassten Institutionen spiegelte chinesische Vorbilder wider. Es kam zur Gründung eines kaiserlichen Gesundheitsamtes (典薬寮, Ten'yakuryō), das allerdings nur für den Hof und den Adel zuständig war. Im Jahre 787 wurde die vom chinesischen Kaiserhaus geförderte ‚Neue Materia Medica’ (新修本草, Xīnxiū Běncaǒ, 659) auch im japanischen Gesundheitsamt zum obligatorischen Text, doch viele der dort beschriebenen 844 Mittel waren in Japan nicht erhältlich.[1]

Bei der Vermittlung des medizinischen Wissens spielten Mönche des ebenfalls aus China übernommenen Buddhismus eine gewichtige Rolle. Die von dem berühmten chinesischen Priester Jiànzhēn (鑑真, japanische Lesung Ganjin, 688–763) und seinen Nachfolgern mitgeführten und dem Großen Buddha in Nara dargebotenen Heilmittel werden noch heute im alten Schatzhaus (Shōsōin) des Tōdai-Tempels (Tōdai-ji) gehütet.

Seit dem 9. Jahrhundert jedoch verlor der Kontakt zu China an Intensität. Nach 894, als der letzte offizielle japanische Gesandte zurückkehrte, gab es nur noch gelegentlich Mönche und andere Gelehrte, welche die, wegen der wenig seetüchtigen japanischen Schiffe, gefahrvolle Überfahrt auf sich nahmen.

Das älteste schriftliche Zeugnis der Beschäftigung mit chinesischer Heilkunst ist die von dem Arzt Tamba no Yasuyori (丹波 康頼, 912–995) zwischen den Jahren 982 und 994 verfasste Schrift Ishimpō (医心方, auch Ishinpō), die mehr als hundert chinesische Werke nutzt und heute auch geschätzt wird, weil sie Teile chinesischer Texte enthält, die in China verloren gegangen sind.[2]

Erste Abkehr von der chinesischen Medizin

Währen der Kamakura-Zeit (1192–1333) mit ihrer vom chinesischen Beamtenstaat so abweichenden Struktur wuchs auch in der Medizin der Abstand zu China. Die Kontakte blieben bestehen, doch dominierten nun buddhistische Mönche im Transfer medizinischen Wissens. Nennswert ist hier u.a. der Zen Priester Myōan Eisai (明菴栄西, 1114–1215), der das Teetrinken und die ‚kleinen Mahlzeiten’ nach Japan brachte und sich mit der Schrift Kissa yōjōki (喫茶養生記, ‚Lebenspflege durch Teetrinken’) einen Namen machte. Der Mönch Ninshō (1217–1303) gründete bei Nara ein Krankenhaus, das auch ein Leprasorium umfasste. Unter den Schriften ragen die von Kajiwara Shōzen (梶原性全, 1266–1337) verfassten Werke ‚Kurzer Abriss der Medizin’ (頓医抄, Ton ishō) und ‚Sichere Rezepte’ (万安方, Man'anpō) heraus. Ersteres ist zur Förderung der Verbreitung in Kana-Silbenschrift verfasst. Über das Man'anpō gelangten u.a. die anatomischen Lehren des Cunxin huan zhong tu (‚Illustration der inneren Organe und Gefäße’, 存真環中図, 1113) nach Japan. Zugleich führte Kajiwara in seiner Behandlung der Lepra eine japanische Terminologie ein. Bemerkenswert auch seine Beobachtungen zum Diabetes mellitus.[3]

Neue Impulse im 15. Jahrhundert

Den nächsten stärkeren Impuls gab Tashiro Sanki (田代三喜, 1465–1537) nach einem zwölfjährigen Aufenthalt in China (1486–1498), wo er die Medizin der Jin-Dynastie (auch Jurchen-Dynastie, 1125–1234) und der Yuan-Dynastie kennengelernt hatte, in denen die Lehren der beiden Mediziner Li Gao (alias Li Dongyuan 李東垣, 李杲, 1180–1251) and Zhu Danxi (朱丹溪, 1281–1358) dominierten. Erster ist bekannt für seine Abhandlung über Milz und Magen (Pí weì lùn, 1249). Beide Richtungen vertraten tonifizierende Therapien und schenkten in ihrer theoretischen Fundamentierung wie auch der Beziehung zwischen Körper und Umwelt, d.h. der Lebensweise, besondere Aufmerksamkeit. Wir finden hier zugleich eine enge Verbindung zu dem von Zhū Xī (朱熹, 1120–1200) vertretenen Neo-Konfuzianismus, der über Korea nach Japan gelangte.

Die von Tashiro begründete Schule des späteren Zeitalters (Goseiha 後世派), so genannt, weil sie jünger war als die bis dato dominierenden songzeitlichen Lehren, wurde durch seine Schüler weit verbreitet. Besonders Manase Dōsan (曲直瀬道, 1507–1594) leistete in seiner Unterrichtsstätte in Kyōto einen herausragenden Beitrag. Seine achtbändige ‚Sammlung zur Medizinischen Praxis’ (啓迪集, Keitekishū, 1574), indem er die Lehren an japanische Verhältnisse anpasste. Sein besonderer Verdienst liegt in der Systematisierung der Diagnose (Hautfarbe, Haarkonsistenz, Stuhl, Urin, Geruch, Husten, Reaktion auf Betastung, Appetit usw.). Auch sein Adoptivsohn Gensaku (曲直瀬玄朔) trug zu Dōsans Konzepten bei. In ihren Rezepturen spielte neben denen von Li gao und Zhu Danxi die von dem chinesischen Hofarzt Chen Shiwen kompilierten Werk Taiping Huimin Hejiju Fang (1110) eine wichtige Rolle. Unter den Medikamenten gibt es viele animalische Mittel wie Moschus, Bärengalle, Bezoar (gōō ) die aus Südostasien, Indien und dem Nahen Osten importiert werden mussten. Jedem Mittel wurden Temperamente (kalt, kühl, nomal, warm, heiß) und Geschmacksrichtungen (sauer, bitter, süß, scharf, salzig) zugeschrieben. Bei der Anwendung berücksichtigte der Arzt zudem die soziale Stellung des Patienten.

Neben Manase Dōsan übte Nagata Tokuhon (永田徳本, 1513–1630) einen nachhaltigen Einfluss aus. Auch er löste sich von den chinesischen Lehren. Seine Therapien zielten auf die Unterstützung der Naturkräfte, wobei das Einverständnis und die Unterstützung des Patienten eine entscheidende Rolle spielen.

Erste Kontakte zu Europa (‚Chirurgie im Stile der Südbarbaren’)

Mitte August 1549 begann mit der Anlandung des baskischen Jesuiten-Missionars Francisco Xavier in Südkyūshū der direkte und anhaltende euro-japanische Kulturaustausch. Eigentlich hatten die Jesuiten an ärztlichen, besonders an chirurgischen Aktivitäten keinerlei Interesse, denn seit dem Konzil von Tours im Jahre 1163 scheute die Kirche das Blut („Ecclesia abhorret a sanguine”). Luís de Almeida (1518–1584), ein lizenzierter Chirurg und im Handel erfolgreicher Kaufmann, jedoch trat 1555 in Japan der Gesellschaft Jesu bei, und konnte als gewöhnlicher Bruder ohne priesterliche Befugnisse unter Einsatz seines Vermögens in Funai (heute Ōita) ein Krankenhaus mit hundert Betten zu gründen, wo man, wie es in einem Brief heißt, „den Körper mit Medikamenten und die Seele mit Gebeten“ versorgte. Dies gilt als Beginn der westlichen Medizin in Japan, doch handelt es sich eher um eine pragmatische Institution, in der östliche und westliche Medizin koexistierten. Die ‚innere Medizin’ (hondō, Hauptweg) lag in den Händen konvertierter buddhistischer Mönchsärzte, von denen einige namentlich gepriesen werden. Auch in der Pharmazeutik verfuhr man pragmatisch. Der überwiegende Teil der Heilmittel stammte aus den umliegenden Bergen, aus Makao, Malakka und Cochinchina. In den Briefen und Wörterbüchern der Mission finden wir überdies zahlreiche Indizien, dass sie sich mit Akupunktur und Moxibustion beschäftigten. Zudem waren die westlichen Neuerungen nicht so revolutionär, wie es scheinen mag. In einem Traktat aus dem Jahre 1585 über kulturelle Unterschiede zwischen Japan und Europa bedauerte der Jesuitenpater Luis Frois, dass die Japaner die Urindiagnose, den Aderlass, Klistiere und das glühende Wundbrenneisen nicht akzeptierten. Einige Autoren verweisen auf die Behandlung der Wunden, welche die von den Europäern eingeführten Harkebusen verursachten, auf das zuvor unbekannte Auswaschen mit Arrak-Schnaps und auf die Verwendung von Rinderfett und Olivenöl. Doch hatte man auch im Westen mit Feuerwaffen noch wenig Erfahrung. Bis ins 17. Jahrhundert stritten europäische Ärzte über das Wesen und die angemessene Therapie von Schusswunden.[4]

Beginn der nachhaltigen Auseinandersetzung mit dem Westen (‚Chirurgie im Stile der Rotschöpfe’)

Bei der Hinwendung zur Heilkunst der Europäer spielte das Bestreben der Entscheidungsträger in Edo, die Lage im Lande zu stabilisieren und zu verbessern, eine gewisse Rolle. Doch stehen hinter dem aufkommenden Interesse einige wichtige Ereignisse. Als die von 1609 bis 1640 in Hirado agierenden Kaufleute der niederländischen Verenigden Oostindischen Compagnie (VOC) 1640 ihre Niederlassung nach Nagasaki verlegen musste, hielt es das Generalgouvernement in Batavia für geboten, eine permanente Chirurgenposition einzurichten. Nach nahezu einem Jahrhundert euro-japanischer Kontakte waren damit erstmals die Bedingungen für kontinuierliche Begegnungen japanischen und europäischer Mediziner geschaffen. Überdies stand die Kompanie in der reichsunmittelbaren Domäne Nagasaki nun unter der direkten Kontrolle der Zentralregierung. Das vertiefte die Kenntnisse am Hof um westliche Wissenschaft und Technik erheblich.

1649 wurde der Chirurg Caspar Schamberger nach Nagasaki geschickt. Im Tross des Sondergesandten Andries Friese zog er Ende jenes Jahres nach Edo). Dort erregten seine Fähigkeiten die Aufmerksamkeit hochgestellter Persönlichkeiten des Hofes. Auf deren Wunsch blieb er nach Abreise der Gesandtschaft weitere sechs Monate. Auch im folgenden Jahre verbrachte er mehrere Monate in Edo. Die durch Schambergers Dolmetscher Inomata Dembei (auch Dembyōe, 猪股伝兵衛) aufgezeichneten Therapien und das Interesse der hochrangigen Patienten stimulierten eine nachhaltige Beschäftigung einheimischer Ärzte mit westlicher Chirurgie. Die ‚Chirurgie im Stile Caspars’ (カスパル流外科, Kasuparu-ryū geka) war die erste chirurgische Tradition mitteleuropäischer Prägung in Japan. Fortan erfreuten sich die Chirurgen und Ärzte der Handelsniederlassung Deshima des starken Interesses japanischer Kollegen, die sich instruieren ließen, Bücher, Medikamente und Instrumente erwarben und nach und nach auch die nötigen Sprachkenntnisse, um schließlich eigenständig westliche Fachwerke zu lesen. Diese Aktivitäten führten zur ‚Hollandkunde’ (rangaku), die im 18. Jahrhundert einen großen Aufschwung erlebte, dann auch andere wissenschaftliche Disziplinen einschloss und die rasche Modernisierung Japans nach der Öffnung des Landes im Jahre 1868 ermöglichte. Mit der Anwendung neuer Heilmittel wuchs zugleich das Interesse an der Ersetzung der teuren niederländischen Importe durch japanische Produkte, was bereits in den ersten zwei Dekaden nach Schambergers zu einer Erkundung der einheimischen Flora und mit der Publikation des Werks Yamato Honzō (大和本草, ‚Japanische Materia Medica’) durch Kaibara Ekiken (alias Ekken) im Jahre 1709 zu einem ersten Höhepunkt in der Entwicklung einer eigenständigen japanischen Pflanzenkunde führte.[5]

Aufblühen der Holland-Studien

Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert entstehenden Bewegungen verstärkten sich unter dem achten Shōgun Tokugawa Yoshimune, der die einheimische Produktion an Heilpflanzen verstärkte und 1720 die Importrestriktionen für ausländische Bücher lockerte. In der Folge gelangten westliche Fachtexte auch in die Hände interessierter Personen außerhalb der herrschenden Kreise. Bislang blieb der Erwerb der niederländischen Sprache fast ausschließlich auf die Dolmetscher der Handelsniederlassung Dejima beschränkt, doch dank der aktiven Förderung durch Yoshimune verbreiteten sich Holländischkenntnisse nun bis in die Regionen. Ebenso wie die Vertreter der traditionellen japanischen Chirurgie beschränkten sich die Anhänger der westlichen Chirurgie (蘭方医, rampō-i) auf die Behandlung von Wunden, Geschwulsten, Brüchen, Dislokationen usw. Hierzu waren keine Kenntnisse der westlichen Pathologie vonnöten. Japanische Texte zur westlichen Anatomie findet man bereits im 17. Jahrhundert, sie spielten jedoch in der Praxis keine Rolle. Im 18. Jahrhundert jedoch erkennt man ein wachsendes Interesse an Anatomie und innerer Medizin. Zudem erscheint eine Gruppe von Gelehrten, die aus eigener Kraft und unabhängig von Dolmetschern auf Dejima holländische Schriften übersetzen können.

Japanische Geburtshilfe

Bahnbrechend war auf diesem Gebiet der Arzt Kagawa Gen'etsu (賀川玄悦, 1700–1777), der, durch europäische Schriften stimuliert, intensive eigene Beobachtungen anstellte und 1765 ein ‚Traktat über die Geburtshilfe’ (Sanron) publizierte, das durch seinen Adoptivsohn Kagawa Genteki erweitert und 1775 als Sanron yoku (産論翼, ‚Erklärungen zum Traktat über die Geburtshilfe’) erschien. Dank reicher Erfahrungen war Kagawa früher als die europäischen Ärzte mit der Lage des Foetus während der Schwangerschaft und vielerlei Komplikationen vertraut. Bis zum Ende der Edo-Zeit sind rund 2000 Ärzte dieser Schule nachgewiesen.

Die japanischen Ärzte für Geburtshilfe, entwickelten eine Reihe originärer Instrumente, mit denen man Extraktionen bei Fußlagen durchführen konnte, außerdem Wendungen auf den Fuß. Bei Extraktionen wurde anfangs eine Fischbeinschlinge benutzt. Da es zu Kopfverletzungen kommen konnte, ersetzte Kagawa Randai diese Schlinge durch ein seidenes Tuch (tentōken), das mit zwei Fischbeinstäbchen um den Kopf des Kindes gelegt und mit einem Spatel festgezogen wurde. Kagawa Rankō wiederum nutzte statt des Tuches ein seidenes Band und Tatsuno Ryūtei ein seidenes Netz (hōtōki).[6]

Osteophathische Manipulation

Im 17. Jahrhundert kam eine Seikotsu-Jutsu (整骨術, Osteopathie) genannte Therapie-Richtung auf, die sich ausschließlich mit Verrenkungen, Prellungen, Luxationen und Knochenbrüchen befasste. Bemerkenswert sind hier vor allem die Werke Seikotsu han (整骨範) von Ninomiya Genka (二宮彦可, 1754-1827) , Seikotsu Shinsho (整骨新書, ‚Neues Buch der Osteophathie’[7]) von Kagami Bunken und Seikotsu Yōketsu (正骨要訣, ‚Kompendium der Osteophathie’) von Yoshiwara Gentō (吉原元棟).

Auch bei den Ärzten dieser Richtung spielten eigene Forschungen eine große Rolle. Berühmt wurde das Holzskelett von Hoshino Ryōetsu (星野良悦, 1754–1802), der in zahlreichen Sektionen die menschliche Knochenstruktur untersuchte und 1798 ein Holzskelett anfertigte.[8]

Auch Kagami Bunken (各務文献, 1765–1829) begann mit der Sektion der Leiche einer hingerichteten Frau, deren Ergebenisse er im Jahre 1800 einer ‚Einfachen Abbildung der Inneren Landschaft einer Frau’ (Fujin naikei no ryakuzu) festhielt. Zudem sammelten er menschliche Knochen und ließ sich 1819 ein Holzmodell des Knochengerüstes anfertigen. Dazu kamen mehrere Publikationen, in denen der seine Behandlungsmethoden bei Gelenkschäden und anderen Krankheiten verbreitete.[9]

Nach der Meiji-Reform entwickelte sich aus dieser Tradition die sogenannte Judo-Therapie, und auch die Orthopäden der westlichen Medizin sehen hier eine ihrer Wurzeln.

Neuerungen durch Ärzte der ‘Alten Schule’

Nach der Etablierung der Herrschaft der Tokugawa erlebte der durch Zhu Xi (朱熹) entwickelte Neo-Konfuzianismus in einer durch koreanische Einflüsse verschärften Form einen erheblichen Aufschwung. Allerdings gab es bei der Anwendung der Mensch und Natur umfassenden komplexen Konzepte allerlei Schwierigkeiten, was schon bald zu Gegenreaktionen führte. Zwar hatte man in der sogenannten ‚Schule des späteren Zeitalters’ (Goseiha, 後世派) die chinesischen Lehren an japanische Verhältnisse angepasst, doch erwies sich die Therapie als zu theoriebeladen und schematisch starr. Der Blick der Kritiker, darunter Nagoya Gen’i (古屋玄医) und Goto Gonzan (後藤艮山) richtete sich daher auf Schriften aus älteren Zeiten, wie das von Zhang Zhong-qing verfasste Jin gui yao lue 金匱要略 und ganz besonders auf das damals schon über 1500 Jahre alte Werk Shānghán lùn (‚Abhandlung über die Kälte-Krankheiten’, 傷寒論) zurück, eine Abhandlung, die durch Kälte verursachte fiebrige Erkrankungen unter klinische Beobachtung gestellt hatte. Diese Erneuerung durch Rückgriff auf Altes führte zur Ausprägung einer eigenständigen ‚Alten Schule’ (古医方派, ko-ihōha, auch kohōha). Deren Rezepte bestanden meist aus vier bis acht Zutaten, die überwiegend pflanzlicher Natur und vergleichsweise leicht erhältlich waren.

Seit etwa dem 16. Jahrhundert zeigten japanische Mediziner eine immer deutlicher werdende Selbstständigkeit, verwarfen oder veränderten chinesische Konzepte und entwickelten eigene Therapien. Bis zum heutigen Tage gehalten hat sich die sogenannte „Hammernadelung“ oder „Klopfnadelung“ (打鍼, On-Lesung: dashin, Kun-Lesung: uchibari), eine von dem japanischen Mönch Mubun entwickelte, und von Misono Isai weiter verbreitete Therapie, welche die Leitbahnen ignoriert, dafür die Bauchregion als ‚Karte’ des Körpers interpretiert.[10]

Bei der „Röhrennadelung“ (管鍼, On-Lesung: kanshin, Kun-Lesung: kudabari), eine Erfindung des sehbehinderten Akupunkteurs Sugiyama Wai’chi (杉山和一; 1610–1694), dient ein Führungsröhren zur Sicherung der Punkturstelle und der Tiefe des Stichs. Einst aus Bambus oder Metall gefertigt, finden heute Einwegsets mit Plastikröhrchen weltweit Verwendung.

Beachtlich waren zugleich die Reaktionen auf Impulse durch die westliche Medizin. So wurden z.B. die erste Leichensektion, die eigentlich mit der traditionellen Haltung zum menschlichen Körper kollidierte, nicht von einem Anhänger der Hollandkunde, sondern von einem Arzt aus der sino-japanischen Tradition, Yamawaki Tōyō (山脇東洋), eingeleitet. Yamawaki war beim Studium der klassischen Schriften auf Diskrepanzen hinsichtlich der Organe im Körper gestoßen und wollte „Neun-Organe-Konzept“ des chinesischen Klassikers Zhou-Li überprüfen. Die Ergebnisse der mit behördlicher Genehmigung an einem hingerichteten Verbrecher vorgenommene eintägige Dissektion wurde 1759 unter dem Titel Zōshi (蔵志, ‚Organe’) publiziert. Inhaltlich wurde Yamawaki bald von Nachahmern überflügelt, doch übte seine Pioniertat und die Möglichkeit einer behördlich geduldeten Publikation einen großen Einfluss auf die Ärzte der holländischen Richtung aus. Es kam zu Sektionen in vielen Teilen des Landes.[11]

Yamawaki stand lediglich neben dem Leichnam und gab Anweisungen, wie vorzugehen sei. Der erste Arzt, der seine Scheu überwand und die Sektion eigenhändig vornahm, war Kawaguchi Shinnin (河口信任, 1736–1811). Er und sein Mentor Ogino Gengai (荻野元凱, 1737–1806), ein eklektischer Hofarzt des Tenno in Kyoto, suchten nicht mehr nach Bestätigung älterer Konzepte.[12] Sie vermaßen Organe, überprüften und registrierten den Inhalt der Därme, gingen der Verbindung zwischen Auge und Hirn nach. Allerdings befürchtete Ogino, dass eine Publikation ihrer Befunde Verwirrungen im Ärztestand und Unruhe unter der Bevölkerung auslösen würden, weshalb Kawaguchi 1774 das Werk Kaishihen (解屍編, dt. „Leichensektion“) alleine herausgab.[13]

Ungeachtet seiner Verankerung in der traditionellen Medizin nahm Ogino auch Kontakt zu Angehörigen der niederländischen Ostindien-Kompanie auf, die jährlich auf ihrer Reise nach Edo in Kyōto Station machten. Einer davon war der schwedische Arzt Carl Peter Thunberg. Dem Faktoreileiter Isaac Titsingh überreichte Ogino u.a. seine Schrift über das Blutlassen (Shiraku hen), in der er den westlichen Aderlass mit der sino-japanischen Tradition des Blutpunktierens (刺絡, shiraku) verband, sowie eine weitere Schrift seines Schülers Kimura Taichū. Titsingh erhielt überdies eine Akupunkturpuppe, die als Tsoe bosi zusammen mit einer französischen Übersetzung des Buches von Kimura durch Jean-Baptiste Sarlandière in Europa bekannt wurde.[14]

Zu neuen Ufern brach auch Ishizaka Sōtetsu (1770–1841) auf, ein hochrangiger Akupunkturarzt am Hof des Shōgun in Edo. Er strebte nach einer Integration der traditionellen Medizin mit westlicher Anatomie.[15] Nach ersten Sondierungen bei dem Faktoreiarzt der Ostindien-Kompanie Nikolaas Tullingh übergab er 1824 dessen Nachfolger, dem Arzt und Pionier der Japanforschung Philipp Franz von Siebold mehrere seiner Schriften zur Akupunktur und Moxibustion. Siebold nahm später einige Auszüge in sein Werk NIPPON auf.

Eine internationale Pionierleistung vollbrachte Hanaoka Seishū (華岡 青洲, 1760–1835), der nach einer Ausbildung im Hause eines der führenden Vertreter der Alten Schule und Studien in westlicher Chirurgie durch die von Nagatomi Dokushōan (永富独嘯庵) verfasste Schrift Manyū zakki (漫遊雑記) auf das Problem des Brustkrebses aufmerksam wurde. Vier Jahrzehnte vor den ersten westlichen Versuchen mit Äther durch Crawford Williamson Long führte Hanaoka im Jahre 1804 eine Mastektomie durch, bei der er ein aus chinesischen Mitteln weiterentwickeltes Anaesthetikum einsetzte. Weitere Mastektomien folgten, die eine große Schar von Schülern anlockten.

Einführung der modernen westlichen Ausbildung

Lange waren die Grenzlinien zwischen den verschiedenen medizinischen Richtungen der Edo-Zeit weniger deutlich als die heute ihnen verliehenen Etiketten das vermuten lassen. Die Gebildeten aller Stände hatten in ihrer Kindheit und Jugend eine klassische Ausbildung in chinesischer Sprache, dem Konfuzianismus usw. erlebt, so dass auch Anhänger der Hollandkunde (rangaku) die Lehren aus dem Westen durch die chinesische Brille sahen. Auf der anderen Seite reagierten man auch in den sino-japanischen Richtungen durchaus auf westliche Impulse, und jegliche Ausbildung gleich welcher Richtung fand nach wie vor in den herkömmlichen Formen der Meister-Schüler Beziehung statt.

Den wohl größten Aufschwung erlebte das Interesse an westlicher Medizin durch die Einführung der von Edward Anthony Jenner (1749–1823) entwickelte Vakzination. Erstmals wurde auch die Bevölkerung auf die Medizin der Europäer aufmerksam. Mitte des 19. Jahrhundert traten die Unterschiede noch deutlicher hervor, als der niederländische VOC-Arzt Johannes Lijdius Catharinus Pompe van Meerdervort 1857 in Nagasaki eine medizinische Ausbildungsstätte einrichtete, in der die Medizin auf der Grundlage der Naturwissenschaften und anhand eines streng westlichen Curriculums vermittelt wurde. Dies gilt als Beginn der modernen Medizin in Japan.

Medizin nach deutschen Vorbild

Mit der Öffnung Japans seit Mitte des 19. Jahrhunderts griffen staatliche Instanzen mehr und mehr in die bis dahin freie Welt der medizinischen Ausbildung und Praxis ein. 1870 entschied sich die neue Regierung für die Einführung des westlichen Ausbildungs- und Medizinalwesen, wobei die deutsche Medizin zum Vorbild genommen wurde. Anfangs konnten traditionelle Praktiker noch aufgrund von Sonderregelungen ihre Tätigkeit fortführen, doch ab 1883 wurde eine Zusatzausbildung in einer der Medizinischen Schulen (igakkō, 医学校) und Prüfungen in Chemie, Anatomie, Physiologie, Pathologie, Pharmazeutik, innerer Medizin und Chirurgie obligatorisch. Versuche, gegen diese Politik in organisierter Form Widerstand zu leisten, scheiterten infolge interner Uneinigkeit und dem Ableben führender Köpfe der traditionellen Medizin. Auch der im Jahre 1895 vorgetragene Vorstoß, eine separates Aprobationssystem für traditionelle Medizin einzuführen, blieb erfolglos. In diesen Dekaden kam die Bezeichnung Kampō-Medizin (漢方医学, Kampō-igaku) auf, um die traditionelle gegen die westliche Medizin abzugrenzen.[16] Gewisse Ähnlichkeiten zu den Debatten in China nach 1912 sind erkennbar, doch im Unterschied hierzu fehlte es dem Lager der traditionellen Ärzte in Japan an der Unterstützung einflussreicher politischer Kreise.

Anma als Berufsfeld von Sehbehinderten

Die seit der Frühzeit der chinesischen Medizin ins Land gekommene manuelle Therapie Anma (按摩, chin. ànmó, drücken und reiben') entwickelte sich zu einem wichtigen Berufsfeld der Sehbehinderten, was auch den europäischen Japanfahrern des 16. bis 19. Jahrhunderts auffiel. Bei der Reorganisation des Gesundheitswesens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war dieser Bereich weniger stark betroffen, doch wurde eine Fachausbildung und seit Anfang des 20. Jahrhunderts der Erwerb einer Lizenz obligatorisch.

Weiterentwicklung im 20. Jahrhundert

Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend schwierigere Lage der traditionellen Medizin verbesserte sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein wenig, da man diese nicht länger als Bedrohung der Modernisierung empfand. Zunächst erschienen Publikationen wie Wada Keijūrōs „Eiserner Hammer in der Welt der Medizin“ (Ikai-no-tettsui, 1910) oder „Neue Forschungen zur Kampō-Medizin“ (Kampō-igaku-no-shin-kenkyū). Erheblichen Einfluss übten nunmehr Ärzte wie Otsuka Keisetsu aus, die ein Studium der westlichen Medizin absolviert hatten. Bereits 1937 wurde an der Takushoku-Universität ein Kurs in Kampō-Medizin eingerichtet. 1941 erschien die von Shin'ichirō Takeyama verfasste „Theorie über die Wiederbelebung der Kampō-Medizin“ (Kampō-ijutsu-fukko-no-riron).

Zugleich wurde mit der Einführung moderner Methoden bei der Herstellung der Mittel die bislang mühselige Herstellung durch den Arzt, der aus seinem Fundus an Kräutern bei jeder einzelnen Behandlung die Dekokte herstellte und verabreichte, durch fertige Granulate etc. abgelöst. Die 1893 von Tsumura Jusha gegründete Firma leistete hier Pionierarbeit und errichtete zu diesem Zweck ein eigenes Forschungsinstitut ein.[17]

Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mehrt sich die Zahl der Ärzte, die nach ihrer Approbation in westlicher Medizin eine Zusatzausbildung in Kampō-Medizin absolvieren. 1976 wurden vielerlei Kampō-Produkte kassenfähig. Seit 1979 findet man Abteilungen für Kampō-Medizin an einer Reihe von staatlichen und privaten Universitäten und Hochschulen. In pharmazeutischen Fakultäten des Landes werden traditionelle Heilmittel im Hinblick auf ihre Wirkstoffe erforscht. Auch westliche Apotheken bieten das eine oder andere Kampō-Präparat an.

Seit 1955 ist die Ausübung von Akupunktur, Moxibustion, Anma und Shiatsu als Heilberuf anerkannt und setzt den Erwerb einer staatlichen Lizenz voraus. Die Ausbildung in Fachschulen und Fachhochschulen schließt grundsätzlich wesentliche Bereiche der ‚westlichen Medizin’ wie der Anatomie ein.

Aktuelle Lage

Zwar sind die Buchhandlungen gefüllt mit Werken zur traditionellen Medizin, und die Erfolge in Forschung und Praxis beachtlich, allerdings ist im Unterschied zu Korea und China die Unterstützung durch Staat und Politik nach wie vor nicht sonderlich ausgeprägt, was große Auswirkungen auch auf internationaler Ebene hat. Inzwischen haben sich drei Organisationen, die Japan Society for Oriental Medicine, die Medical and Pharmaceutical Society for Wakan-Yaku und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeinsam eine Japan Liaison for Oriental Medicine (JLOM) eingerichtet, doch handelt es sich hier nicht um eine Regierungsorganisation.


Einzelne Therapien

Akupunktur

Einweg-Nadeln mit Führungsröhrchen aus Plastik sind heute weit verbreitet. Neben den Verfahren, die auf dem aus China übernommenen Konzept der Leitbahnen (Meridiane) aufbauen, gibt es andere, die diese völlig ignorieren.

YNSA

Unter den jüngeren Methoden wurde besonders Yamamoto Neue Schädelakupunktur (YNSA) bekannt, die der Arzt Yamamoto Toshikatsu entwickelte und erstmals 1973 veröffentlichte. Der Therapeut sucht hierbei kleinste Veränderungen der Muskeln und des Gewebes auf Arealen am Kopf, die mit den Beschwerden des Patienten korrelieren. YNSA erwies sich als hilfreich bei Schmerzen jeder Form sowie neurologischen Erkrankungen.[18]

Daneben findet man vielerlei Forschungen zur nicht-invasiven Akupunktur oder Kontaktakupunktur (z.B. von Denda Mitsuhira, Sato Akira, Hotta Harumi) sowie der Elektroakupunktur (良導絡医学, ryōdōraku igaku).

Shōnishin

Historisch gesehen greift die nicht-invasive Kinderakupunktur Shōnishin oder Shōni-hari (小児鍼, shōni = Kleinkind, shin bzw. hari = Nadel) auf die Frühzeit der chinesischen Akupunktur zurück, in der die betreffende Stelle nicht gestochen, sondern nur berührt wurde.

Anstelle der Akupunkturnadeln arbeitet der Therapeut mit stumpfen Instrumenten in linearen Streichungen, Druck- und Klopftechnik. Dadurch werden Stimulationen an indikationsbezogenen Reflexzonen, Meridianabschnitten und Akupunkturpunkten am Rumpf und an den Extremitäten hervorgerufen. Diese Therapie nutzt man bei Infektanfälligkeit, Asthma und Allergien, Verdauungsbeschwerden, Auffälligkeiten im Bewegungsapparat, Schlafstörungen u.a.[19]

Moxibustion

Das Brennen mit direkt auf der Haut aufgebrachten Kegelchen ist nicht mehr allzu verbreitet. Von verschiedenen Firmen vertriebene Fertigprodukte von der Moxa-Zigarre bis hin zu fertigen Moxakegelchen auf einem leicht klebenden Untersatz dominieren die Therapie und werden häufig auch zur Eigenbehandlung verwendet.

Kampō

Kampō bedeutet soviel wie ‚chinesische Verfahren/Rezepte’, ‚chinesische Richtung’, doch hat Japan während der Edo-Zeit und ganz besonders seit der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zahlreiche Neuerungen entwickelt, die Kampō-Medizin von der traditionellen chinesischen Medizin deutlich unterscheidet. Manchen Autoren schließen auch Therapieverfahren wie Massage, Akupunktur und Diätetik ein, doch setzt sich die engere Fassung als Phytotherapie mehr und mehr durch. Bei der Diagnose legen viele Vertreter der Kampō-Medizin großen Wert auf die Bauchdiagnose (Palpation). [20]

Japanische Diätetik

Schon das Ishimpō enthält ausführliche Kapitel über die Lebensweise einschließlich der Speisetabus. Während der Edo-Zeit erlebt die japanische Lehre von der Lebensweise, Yōjōron (養生論, ‚Lebenspflege'), durch Schriften wie Yōjōkun (養生訓)) des Konfuzianers Kaibara Ekiken einen großen Aufschwung. Berührungspunkte zu westlichen Schriften von Hippokrates' Abhandlung „Über Luft, Wasser und Örtlichkeit“ bis hin zu Christoph Wilhelm Hufelands „Makrobiotik oder Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“ (1796) auf, sind von der Sache her vorgezeichnet gewesen.

Ende des 19. Jahrhunderts versuchte der Militärarzt Ishizuka Sagen ( 石塚左玄, 1850–1910), die herkömmlichen japanischen Lehren mit westlicher Wissenschaft in Schriften wie „Theorie der Langlebigkeit durch wissenschaftliche Ernährung“[21] und „Allgemeine Methode zur Lebenspflege durch Ernährung“[22] (1898) zu harmonisieren. Auf diese Konzepte berief sich dann die 1907 gegründete Bewegung Shokuyō-kai (食養会, ‚Gesellschaft für Lebenspflege durch Ernährung’), die sich entschieden gegen westliche Ernährungsgewohnheiten aussprach und in Politik, Wirtschafts- und Militärkreisen starke Unterstützung fand.

Sakurazawa Yukikazu (桜沢如一, 1893–1966), der in seiner Jugend durch Befolgung dieser Ratschläge eine Tuberkulose überwinden konnte, entwickelte später als Präsident der ‚Gesellschaft für Lebenspflege durch Ernährung’die Konzepte Ishizukas weiter und machte sie unter dem Namen Georges Ohsawa mit dem von Hufeland übernommenen Begriff Makrobiotik auch in Europa und den Vereinigten Staaten bekannt.[23]

Manuelle Manipulationen

Shiatsu

Shiatsu (指圧, dt. „Fingerdruck“) ist eine aus der traditionellen chinesischen Massage (Tuina) hervorgegangen Körpertherapie. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Japan verschiedene Formen manueller Druck- und Dehnmethoden unter dieser Bezeichnung vereint, um sich von den Entspannungsmassagen abzugrenzen. Im Unterschied zu Akupunktur und Akupressur werden nicht einzelne Punkte am Körper stimuliert, sondern mit Fingern, Händen, Ellbögen, Knien, Füssen entlang der Leitbahnen (Meridiane ) behandelt.[24]

Sōtai

Sōtai (操体, dt. „Manipulation des Körpers“) ist eine von dem japanischen Arzt Dr. Keizō Hashimoto (1897–1993) auf der Grundlage sino-japanischer Traditionen entwickelte Körpertherapie, die, verbunden mit einer speziellen Atemtechnik, durch Betonung der angenehmen Bewegungsrichtung auf eine positive Wahrnehmung des Körpers, die nachhaltige Lösung von Verspannungen und eine neuromuskuläre Neustrukturierung zielt. Diese Behandlung durch Umkehrbewegungen wurde später auch Technik der plötzlichen Entspannung genannt. Schließlich etablierte sich die Bezeichnung Sōtai, eine Umkehrung des Begriffes Taisō (Gymnastik).[25]

Judo Therapie (Judo Seifuku Therapie)

Die Judo Therapie oder auch Judo Seifuku Therapie ist eine auf den gleichnamigen Kampfsport und die Osteopathie der Edo-Zeit zurückgehende nicht-invasive Therapie, die 1920 erstmals durch das japanische Innenministerium anerkannt wurde. Weitere gesetzliche Regelungen folgten im Jahre 1970. Sie wird vor allem bei Prellungen, Knochenbrüchen, Luxationen usw. genutzt. Zur Ausübung benötigt der Judo-Therapeut (柔道整復師, Jūdō-Seifukushi) wie bei der Akupunktur eine Lizenz. Im Jahre 2001 wurde diese Therapie durch einen Bericht der Weltgesundheitsorganisation („Legal Status of Traditional Medicine and Complimentary/Alternative Medicine: A Worldwide Review“) international bekannt.

Gesellschaften zur traditionellen japanischen Medizin

Hierzu gibt es einen nützlichen englischen Überblick von Prof. Shūichi Katai (Department of Acupuncture and Moxibustion Tsukuba University of Techonology): Academic Societies related to Japanese Acupuncture and Moxibustion. In: The Journal of Kampo, Acupuncture and Integrative Medicine (KAIM), Volume 1 (Special Edition: Current Japanese Acupuncture and Moxibustion), 2010, S. 98–101 ([1])

Literatur

  • F. Büttgen: Die traditionelle Medizin in Japan – Versuch eines Überblicks. In: IGTJM Journal. Nr. 1 (September 2011), S. 9–28.
  • U. Eberhard: Leitfaden Kampo-Medizin. Japanische Phytotherapie. 2003.
  • Y. Fujikawa: Der Arzt in der japanischen Kultur. Tokio 1911.
  • A. E. Goble: Medicine and New Knowledge in Medieval Japan: Kajiwara Shōzen (1266-1337) and the Man'anpō. In: Journal of the Japanese Society of Medical History (Nihon ishi gaku zasshi), Vol. 47.1 (2001), S. 226-193; dito, 47.2 (2001), S. 452-432.
  • A. E. Goble, K.R. Robinson, H. Wakabayashi (Hrsg.): Tools of culture – Japan’s cultural, intellectual, medical, and technological contacts in East Asia, 1000-1500s. Ann Arbor, Mich. 2009.
  • K. Hashimoto: Sotai Balance and Health Through Natural Movement. Japan Publications, 1983.
  • M. Macé: La medecine d'Ishizaka Sotetsu (1770-1841) en tant que modele culturel de l'epoque Edo. In: Cahiers d'Extreme-Asie. Nr. 8 (1995), S. 413–438.
  • M. Macé: Yamawaki Tōmon (1736-1782) et Ogino Gengai (1737-1806) - Deux médecins de formation traditionnelle face à la médecine occidentale. In: Daruma. Nr. 1 (1997), S. 109–130.
  • A. Matsuki: Seishu Hanaoka and His Medicine. A Japanese Pioneer of Anesthesia and Surgery. Hirosaki University Press, 2011.
  • W. Michel: Frühe westliche Beobachtungen zur Akupunktur und Moxibustion. In: Sudhoffs Archiv. Vol. 77, No. 2 (1993), S. 194–222.
  • W. Michel: Japans Rolle in der frühen Vermittlung der Akupunktur nach Europa. In: Deutsche Zeitschrift für Akupunktur. Heft 36, Nr. 2 (1993b), S. 40–46.
  • W. Michel: Aufbruch in innere Landschaften - Zur Rezeption westlicher Körperkonzepte in der Medizin der Edo-Zeit. In: MINIKOMI. Nr. 62 (2001/4), S. 13–24.
  • W. Michel: Japansk läkekonst i teckningar av Clas Fredrik Hornstedt. In: C. F. Hornstedt: Brev från Batavia - En resa till Ostindien 1782-1786. Utgivare Christina Granroth under medverkan av Patricia Berg och Maren Jonasson. Stockholm 2008, S. 117–150.
  • J. Nakamura, M.Arnoldi (Hrsg.): Makrobiotische Ernährungslehre nach Oshawa. 2. Auflage. Mahajiva, Holthausen 2003.
  • K. Nishimura, G. E. Plotnikoff, K. Watanabe: Kampo Medicine as an Integrative Medicine in. Japan. JMAJ Vol. 52(3), S. 147–149, 2009
  • C. Oberländer: Traditionelle Medizin und Krankheitsverständnis im Japan der Moderne: der Weg von der sinojapanischen Heilkunde der Edo-Zeit zur Kanpō-Medizin der Gegenwart. In: Zeitschrift für medizinische Ethik: Wissenschaft, Kultur, Religion. Jahrg. 49, Heft 3 (2003), S. 277–286.
  • E. Rosner: Medizingeschichte Japans. Brill, 1989 (Handbuch Der Orientalistik, Fünfte Abteilung).
  • T. Shinmura: Kodai iryō kanninsei no kenkyū : ten yakuryō no kōzō. Hōsei Daigaku Shuppankyoku, Tokio 2005.
  • A. Tsumura: Kampo: How the Japanese Updated Traditional Herbal Medicine. Japan Publications, 1991.
  • T. Wernicke: Shônishin: Japanische Kinderakupunktur. Elsevier, Urban & Fischer, 2009.

Einzelnachweise

  1. Mehr zum kaiserlichen Gesundheitsamt bei Shinmura (2005)
  2. Rosner (1989)
  3. Rosner (1989), S. 34–38; Goble (2001)
  4. W. Michel: Frühe westliche Beobachtungen zur Akupunktur und Moxibustion. Sudhoffs Archiv, Vol. 77, No. 2 (Stuttgart 1993), 194-222. (Dokument als PDF)
  5. Wolfgang Michel: Medizin, Heilmittel und Pflanzenkunde im euro-japanischen Kulturaustausch des 17. Jahrhunderts. Horin - Vergleichende Studien zur japanischen Kultur. Nr. 16, 2009, S. 19–34 (Digitalisat im Kyushu University Institutional Repository)
  6. Fujikawa (1911), S. 79-82.
  7. Bilddateien in der Sammlung der Waseda Universität. Bemerkenswert sind u.a. die anatomischen Illustrationen.
  8. Heute in der Hiroshima Universität gehütet. Website der medizinischen Fakultät
  9. Fujikawa (1911), S. 66. Fujikawas Lesung des Namens ist nicht korrekt.
  10. Michel (1993b)
  11. Michel (2001)
  12. Macé (1997)
  13. Michel (2001)
  14. Michel (2008)
  15. Macé (1995)
  16. Oberländer (2003)
  17. Siehe Tsumura (1991)
  18. http://www.schaedelakupunktur.com/Deutsche_Version/deutsche_version.html
  19. Wernicke (2009)
  20. Oberländer (2003), Tsumura (2003), K. Nishimura, G. E. Plotnikoff, K. Watanabe (2009)
  21. 化学的食養長寿論, Kagakuteki shokuyō chōju ron, Hakubunkan: Tōkyō, 1896
  22. 通俗食物養生法, Tsūsoku shokubutsu yōjō-hō, Hakubunkan: Tōkyō, 1898
  23. J. Nakamura, M.Arnoldi (2003)
  24. Masunaga Shizuto und Wataru Ohashi: Das große Buch der Heilung durch Shiatsu. Barth: Bern/München/Wien, 2002.
  25. Hashimoto & Kawakami, 1983

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