Yali-Bewegung

Yali-Bewegung

Die Yali-Bewegung war in den Jahren 1946 bis 1955 eine kultische Aufbruch-Bewegung ausgehend von der Rai-Küste in Papua-Neuguinea. Sie begann unter ihrem Führer Yali Singina als Cargo-Kult und wandelte sich ab 1948 sukzessive zu einer Religion.[1] Die Bewegung entstand unter dem Eindruck stattgehabter Kriegserlebnisse, entwickelte aber auch fordernde, soziale und politische Elemente, die sich gegen das koloniale Machtmonopol stellten und Selbstverwaltungs- und Wirtschaftsbeteiligung einforderten. In der Hoffnung, einen Umbruch der bestehenden Verhältnisse herbeiführen zu können, richtete man sich teils auch deutlich anti-missionarisch aus, teils millenarisch erwartungsvoll (d. h. dem Glauben an das nahe Ende der gegenwärtigen Welt anhängend). Von Yali Singina erhoffte man sich, dass er Papua-Neuguinea in eine Ära industriellen Wohlstands führen würde.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Bewegung fand ihren Ursprung in der Duldung durch die australische Administration, die die von Yali Singina gebildeten Patrouillen zuließ. Für den als Sergeant Major aus dem Krieg zurückgekehrten Yali erwies es sich als günstig, dass er von australischer Seite sogar dazu beauftragt wurde, im nördlichen Teil der Provinz Madang Wiederaufbauprogramme der Regierung zu propagieren.[2] Man war sich des großen Einflusses der Person des Yali in dessen Herkunftsregion an der Rai-Küste bewusst[3], so dass man die um ihn formierte Bewegung gewähren ließ.

Mitte der 1940er Jahre kursierten Mythen, welche große Mengen europäisch-industrieller Güter (cargo) für Papua Neu-Guinea prophezeiten und einen damit versehenen hohen Lebensstandard.[4] Missionare wie Administrativbeamte registrierten die damit verbundenen Aktivitäten der Einheimischen und prägten den Begriff des Cargo Kults.[5] Mit diesen Phänomenen befasste sich seit den 1950er Jahren eingehend der Anthropologe Peter Lawrence. Er verfolgte mehrere aufeinander folgende Phasen von cargo-Glaubensvorstellungen bis ins Jahr 1871 zurück. Die Yali-Bewegung manifestierte einen Höhepunkt, weil durch ihn der Tambaran-Kult zur Verehrung der Ahnengeister, der durch missionarische Einflüsse bereits aufgegeben schien, allerdings mit der Vorstellung um materiell-weltliche Dinge - wie in Übersee produzierte, annehmliche Güter - durch Riten herbeibeschworen wurde.

Yali Singina und die Anhänger aus seinem Dorf Sor, die seit den 1930er Jahren von der katholischen Societas Verbi Divini (S.V.D.) missioniert wurden, und die Nachbarn aus dem neu aufgebauten Dorf Yabilol, führten Riten durch, bei denen die Häuser ausgeschmückt wurden und Speiseopfer zur Anrufung von Gottheiten und Totengeistern dargebracht wurden. Monatelang wurden - auch in Küsten- und Bergregionen, die zum Einzugsgebiet verschiedener lutherischer Kongregationen gehörten - gabu-Zeremonien (nächtliche Tanzfeste mit Schallrohr-Blasmusik) zur Beauftragung der Ahnengeister durchgeführt. Die australische Obrigkeit vermutete Übergriffe der Cargo-kult-Aktivitäten und damit negative Auswirkungen auf die Missionstätigkeit durch die offiziellen Patrouillen, worin sie Recht behalten sollten. Peter Lawrence äußerte:[6]

„At each village, he gave an address of roughly the same kind as already described, urging the people to abondon Christianity and recieve the old region with the aim of getting cargo“

Andere Handlungsanweisungen des Yali hatten keinerlei Anklänge an cargo cults. Sie bestanden in ordnend-aktiven Prozessen. Alle in kleinen Weihern Ansässige sollten gemäß seiner "Schulungen" gemeinsam in größeren Dörfern siedeln. Ein harmonisches Dorfbild und hygienische Bedingungen seien anzustreben. Streit, Kampf und Schadensmagie seien aufzugeben. Agrarische Eigenprodukte sollten auf zu organisierenden Märkten abgesetzt werden. Auch sollte Bildung Einzug halten, über ein gepflegtes Schul- und Ausbildungswesen. Yali Singina überschritt dabei aber seine rechtlichen Befugnisse.[7] Eine eigene Armee und Polizei (bos boi) erleichterten ihm maßregelndes Verhalten.[8]

Verurteilung Yalis

Wegen eigenmächtiger Ausübung richterlicher Gewalt wurde Yali 1950 vom höchsten Gericht in Medang belangt. Der Vorwurf bestand darin, dass er gegen mehrere Personen Haftstrafen verhängte und zudem dazu anstiftete, eine Frau zu vergewaltigen. Das Urteil lautete auf 6 Monate wegen Freiheitsberaubung und 6 Jahre wegen des Vergewaltigungsdeliktes.[9] 1955 kam er vorzeitig aus dem Gefängnis zurück. Seine Haft hatte er in Lae verbüßt.[10] Die Schar seiner Anhänger hatte sich entgegen der Hoffnungen Australiens vermehrt und alsbald fanden sich erneut Besucher aus entlegenen Regionen der Provinz Madang im Heimatort Yali Singinas ein.

Die weitere Entwicklung der Yali-Bewegung

Die von Yali verkündeten Unterweisungen wurden wie Gesetze befolgt. Sogenannte lo bos (Gesetzesleute) überwachten den lo bilong Yali. Das eingeführte Blumenritual führte zu plana meri, einem besonderen Kult der Blumenfrauen. Dieser in den 1940er Jahren gepflegte Brauch gipfelte darin, dass Geschlechtsverkehr mit Yali Singina zum Insignium besonderer Würde wurde.[11]

Politische Karriere

Yalis Versuche, 1964 und 1968 durch seine Kandidatur bei den nationalen Wahlen für das House of Assembly eine politische Karriere einzuschlagen, scheiterten. Dass der Staat im Jahr 1975 die Unabhängigkeit erlangte, wurde gleichwohl Yali Singina zugeschrieben. Nach seinem Tod wurden zwei weitere Bewegungen ins Leben gerufen.[12]

Einzelnachweise

  1. Hermann Mückler, Einführung in die Ethnologie Ozeaniens
  2. Road Belong Cargo, A Study of the Cargo Movement in the Southern Madang District New Guinea, Manchester Melbourne 1964
  3. Patrol Reports, D.R. Prowse Patrol Reports 3/1946, Appendix "E"
  4. vgl. die von Lawrence (1964) für den Süden und von Burridge (1960) für den Norden der Madang Provinz dokumentierten Mythen
  5. Vgl. vor allem Worsley (1957) zu melanesischen cargo cults und Jarvie (1972) zur Definition des Begriffs
  6. Elfriede Herrmann, Die Last der Vergangenheit, Erinnerungsbemühungen an die Yali-Bewegung in: Jürg Wassmann, Abschied von der Vergangenheit, S. 53
  7. Elfriede Herrmann, Die Last der Vergangenheit, Erinnerungsbemühungen an die Yali-Bewegung in: Jürg Wassmann, Abschied von der Vergangenheit, S. 54 und 58
  8. Lawrence (1964: 213,214)
  9. National Archives of Papua New Guinea, Waigani: CA 35/6/6 Department of Government Secretary, Subject: Complaint Re Native Yali
  10. Elfriede Herrmann, Die Last der Vergangenheit, Erinnerungsbemühungen an die Yali-Bewegung in: Jürg Wassmann, Abschied von der Vergangenheit, S. 54 und 55
  11. Elfriede Herrmann, Die Last der Vergangenheit, Erinnerungsbemühungen an die Yali-Bewegung in: Jürg Wassmann, Abschied von der Vergangenheit, S. 55 und 58
  12. Elfriede Herrmann, Die Last der Vergangenheit, Erinnerungsbemühungen an die Yali-Bewegung in: Jürg Wassmann, Abschied von der Vergangenheit, S. 55

Weblinks zur Person Yali Singina

Literatur

  • Elfriede Hermann, Die Last der Vergangenheit, Erinnerungsbemühungen an die Yali-Bewegung, in Jürg Wassmann (Hg.), Abschied von der Vergangenheit (Ethnologische Berichte aus dem Finisterre-Gebirge in Papua New Guinea, Dietrich Reimer Verlag, 1992, ISBN 3-496-00496-7
  • Kenelm Burridge: New Heaven, New Earth. A Study of Millenarian Activities. Oxford 1969
  • Adolphus Peter Elkin: Social anthropology in Melanesia: a review of research. Oxford University Press, London 1953
  • Peter Worsley: Die Posaune wird erschallen. Cargo-Kulte in Melanesien. Frankfurt am Main 1973
  • Friedrich Steinbauer: Melanesische Cargo-Kulte. Neureligiöse Heilsbewegungen in der Südsee. Delp, München 1971
  • Holger Jebens, Kago und Kastom: Zum Verhältnis von kultureller Fremd- und Selbstwahrnehmung in West New Britain (Papua-Neuguinea), 2007

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