Claude Chabrol

Claude Chabrol
Claude Chabrol, 2009

Claude Henri Jean Chabrol[1] [kloːd ʃaˈbʀɔl] (* 24. Juni 1930 in Paris; † 12. September 2010[2] ebenda) war ein französischer Filmregisseur, Drehbuchautor, Filmproduzent und Schauspieler. Er war einer der wichtigen Regisseure der französischen Nouvelle Vague und bekannt für seine sozialkritischen Filme über die französische Bourgeoisie. Von Alfred Hitchcock beeinflusst, stellte er in vielen seiner Filme das Abgründige und Doppelbödige auf eine ironische und distanzierte Weise dar.[3]

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Chabrol stammte aus einer alteingesessenen Apothekerfamilie. Er wuchs bei den Großeltern im zentralfranzösischen Dorf Sardent auf (Département Creuse, Region Limousin).[4] Im Alter von dreizehn Jahren gründete er einen Filmklub in einer Dorfscheune.[1][5] Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte er nach Paris zurück, besuchte ein Gymnasium und studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne.[1] Nach dem Staatsexamen war er für kurze Zeit in Jura und Pharmazie eingeschrieben. Nebenher besuchte er regelmäßig die Cinémathèque française und den Cineasten-Zirkel im Pariser „Café de la Comédie“, der von André Bazin ins Leben gerufen worden war.[4] Gemeinsam mit Éric Rohmer verfasste er 1956 eine Monografie über sein filmisches Vorbild Alfred Hitchcock, die weltweit erste Hitchcock-Monografie überhaupt. Ende der 1950er Jahre wurde er Filmkritiker bei den Cahiers du cinéma. Chabrol brach schließlich sein Studium ab und arbeitete zunächst in der Presseabteilung von 20th Century Fox in Paris.[6]

Obwohl ihn seine Eltern am Besuch der Pariser Filmhochschule (IDHEC) gehindert hatten und er auch nie als Regieassistent Erfahrungen sammeln konnte, legte er 1958 auf dem Filmfestival von Locarno seine erste Regiearbeit Die Enttäuschten vor. Drehort war das Dorf seiner Kindheit und Jugend. Mit einer Erbschaft und den Einnahmen aus seinem zweiten Film Schrei, wenn du kannst (Les cousins) (1958) konnte er seine eigene Film-Produktionsfirma AJYM gründen. Sie produzierte auch die Erstlingswerke von Éric Rohmer, Philippe de Broca und Jacques Rivette.[4]

Seine erste Frau Agnès Goute „stammte aus reichem Hause, und wir haben im Grunde nichts anderes gemacht, als dekadente Partys zu veranstalten. Als sie dann auch noch ihre Oma beerbte, wussten wir gar nicht mehr, wohin mit dem Geld.“[7] Chabrol beschloss daraufhin 1957, eine Filmarbeit zu machen, „um wenigstens einen Teil der Kohle auszugeben“.[7] Chabrol bedauerte den unerwarteten Erfolg des Filmes, denn damit sah er sich „gezwungen“, mit dem Filmen weiterzumachen. Dieser Ehe entstammt sein Sohn Matthieu Chabrol, der als Musiker und Komponist die Filmmusik für einige Filme seines Vaters komponierte. In zweiter Ehe (1964–1980) war Chabrol mit der Schauspielerin Stéphane Audran verheiratet; der gemeinsame Sohn, der Schauspieler Thomas Chabrol, trat auch in Filmen seines Vaters auf, wie etwa in Betty. 1983 heiratete er Aurore Pajot,[8] die früher als „Skript Girl“[9] bzw. Script Supervisor arbeitete und ihren Mann häufig bei Dreharbeiten begleitete.[5] Chabrol war bekennender Maoist[10][11] und als Gourmet und Workaholic bekannt. 1989 wurde er zum „Pfeifenraucher des Jahres“ gewählt. Chabrol bezeichnete sich selbst als einen Feministen,[7] unter anderem machte er dies an der Wertschätzung seiner Ehefrauen deutlich: „Mit jeder Ehe gab es auch eine Überraschung. Meine erste Frau hatte viel Geld, was ich vorher nicht wusste. Die zweite erwies sich plötzlich als begnadete Schauspielerin. Und die dritte hat sich als wunderbarste Gattin herausgestellt, die auch noch wunderbar kocht, und das ist das größte Glück meines Lebens.“[12] Eine besonders intensive Arbeitsbeziehung teilte er mit der Charakterdarstellerin Isabelle Huppert, die in sieben seiner besten Filme auftrat: „Chabrol kennt mich besser als jeder andere. Wir brauchen keine kilometerlangen Gespräche. Wir verstehen einander auch ohne Worte.“[13]

Chabrol hat unter anderem Henry James, Cornell Woolrich, Flaubert, Henry Miller, Patricia Highsmith, Ellery Queen, Fantomas und Simenon verfilmt. Das französische Bürgertum war seine Lieblingsdomäne: Mit filmischen Mitteln sezierte er das Verhältnis der Bourgeoisie zu Geld und Macht, schildert deren Intrigen, ihre Dekadenz und ihre Geilheit. Mehr noch den gutbürgerlichen Mittelstand, der sich an den fremdbestimmten oder selbstgesetzten Wünschen und Ansprüchen, an dem gewünschten Selbstbild abarbeitet, bis das Selbstbewusstsein bröckelt und mit Obsessionen und Pathologien bestraft wird.[14]

Bei Kollegen war Chabrol beliebt für seinen „geistreichen“[15] und „ansteckenden Witz“, mit dem er schon in der Cinémathèque française ideologisch-ästhetische Debatten „entkrampfte“, wie Volker Schlöndorff beobachtete.[16] Für Hanns Zischler war er „ein ausgesprochen herzlicher Mensch und sehr unterhaltsam. Er konnte eine außerordentlich gute Stimmung verbreiten.“[17] Zudem kenne er niemanden, der so viele Filme gesehen hat und von so vielen Filmen begeistert sprechen konnte wie Chabrol.[17]

2000 war Chabrol Jury-Mitglied bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Ein großer Verehrer, aber auch Kritiker[10] von Chabrols Filmkunst war der deutsche Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, der dessen Filme 1975 auch in einem Essay analysierte. Gelegentlich trat Chabrol als Schauspieler in Filmen von Kollegen in Erscheinung.

Claude Chabrol wurde auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beigesetzt.[18]

Filmografie

Regie

  • 1958: Die Enttäuschten (Le Beau Serge)
  • 1959: Schrei, wenn du kannst (Les Cousins)
  • 1959: Schritte ohne Spur (À double tour)
  • 1959: Die Unbefriedigten (Les bonnes femmes)
  • 1960: Speisekarte der Liebe (Les Godelureaux)
  • 1961: Das Auge des Bösen (L’Œil du malin)
  • 1961: L’avarice, Episode aus: Die sieben Todsünden (Les sept péchés capitaux)
  • 1962: Der Frauenmörder von Paris (Landru)
  • 1964: Die Frauen sind an allem schuld (Les plus belles escroqueries du monde) (Episode: L’homme qui vendit la Tour Eiffel)
  • 1964: Der Tiger liebt nur frisches Fleisch (Le tigre aime la chair fraîche)
  • 1965: Der Tiger parfümiert sich mit Dynamit (Le tigre se parfume à la dynamite)
  • 1965: M.C. contra Dr. KHA (Marie-Chantal contre le docteur Kha)
  • 1966: La ligne de démarcation
  • 1966: Champagner-Mörder (Le scandale)
  • 1967: Die Straße von Korinth (La route de Corinthe)
  • 1968: Zwei Freundinnen (Les biches)
  • 1968: Die untreue Frau (La femme infidèle)
  • 1969: Das Biest muß sterben (Que la bête meure)
  • 1970: Der Schlachter (Le boucher)
  • 1970: Der Riß (La rupture)
  • 1971: Vor Einbruch der Nacht (Juste avant la nuit)
  • 1971: Der zehnte Tag (La décade prodigieuse)
  • 1972: Der Halunke (Docteur Popaul)
  • 1973: Blutige Hochzeit (Les noces rouges)
  • 1974: Ein lustiges Leben (Une partie de plaisir)
  • 1974: Nada
  • 1975: Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen (Les innocents aux mains sales)
  • 1975: Die Schuldigen mit den sauberen Händen (Les magiciens)
  • 1976: Die verrückten Reichen (Folies bourgeoises)
  • 1976: Alice (Alice ou la dernière fugue)
  • 1978: Blutsverwandte (Les liens de sang)
  • 1978: Violette Nozière

Drehbücher zu Filmen anderer Regisseure

  • 1988: Inspektor Lavardin: Der Teufel in der Stadt (Les dossiers de l’inspecteur Lavardin: Le diable en ville)
  • 2002: Untreu (Unfaithful) – Regie: Adrian Lyne – (als Vorlage diente Chabrols Drehbuch zu „Die untreue Frau“ von 1968 )

Auftritte als Darsteller

  • 1966: Brigitte und Brigitte (Brigitte et Brigitte) – Regie: Luc Moullet
  • 1983: Polar – Unter der Schattenlinie (Polar) – Regie: Jacques Bral
  • 1985: Ein Tag in Paris (Suivez mon regard) – Regie: Jean Curtelin
  • 1987: Alle Vöglein sind schon da (Alouette, je te plumerai) – Regie: Pierre Zucca
  • 1991: La femme normale (Sam Suffit) – Regie: Virginie Thévenet
  • 1993: Hotel de Suède, Zimmer 12 – Auf den Spuren von „Außer Atem“ – Regie: Claude Ventura, Xavier Villetard

Auszeichnungen

Literatur (Auszug)

  • Éric Rohmer und Claude Chabrol: Hitchcock. Éditions Universitaires Paris, 1957.
  • Claude Chabrol und Francois Guérif: Wie man einen Film macht. Autorenhaus Verlag, Berlin 2004, ISBN 978-3-932909-46-7.
  • Rainer Werner Fassbinder et al.: Claude Chabrol. In: Reihe Film. 2., ergänzte und erweiterte Auflage. Band 5, Hanser, München und Wien 1975 / 1986, ISBN 3-446-14410-2 (290 Seiten).
  • Joël Magny: Claude Chabrol. Cahiers du cinéma, Paris 1987, 237 S., Ill., ISBN 2-86642-050-0.
  • Charles Derry: The Suspense Thriller. Films in the Shadow of Alfred Hitchcock. McFarland, Jefferson, NC, 1988, 360 S., ISBN 978-0-7864-1208-2.
  • Christian Blanchet. Claude Chabrol. Rivages, Paris, Marseille 1989, 202 S., ISBN 2-86930-205-3.
  • Guy Austin: Claude Chabrol. Autoportrait. Manchester U.P., Manchester 1999, 197 S., Ill., ISBN 0-7190-5272-6.
  • Wilfrid Alexandre: Claude Chabrol. La traversée des apparences. Biographie. Éditions du felin, Paris 2003, Ill., ISBN 978-2-86645-459-3.
  • Pia Bowinkelmann: L’Œil de Vichy. In: Schattenwelt. Die Vernichtung der Juden, dargestellt im französischen Dokumentarfilm. Offizin, Hannover 2008, ISBN 3-930345-62-5.
  • Emilie Bickerton: Eine kurze Geschichte der Cahiers du cinéma, diaphanes 2010, ISBN 978-3-03734-126-1

Dokumentarfilme

  • Getting Away with Murder, or The Childhood of Claude Chabrol. Fernseh-Dokumentation, Großbritannien, 1978, Buch und Regie: Alan Yentob, Produktion: BBC-TV, London[19].
  • Claude Chabrol – Mein erster Film. (OT: Claude Chabrol. Mon premier film.) Fernseh-Dokumentation, Frankreich, 2003, 52 Min., Buch und Regie: Francis Girod, Produktion: ARTE France, Artline, deutsche Erstausstrahlung: 7. Dezember 2003, Inhaltsangabe von arte.
  • Die Welt des Claude Chabrol. Fernseh-Dokumentation, Deutschland, 2003, 30 Min., Regie: Eckhart Schmidt, Produktion: Raphaela-Film, Inhaltsangabe vom BR

Weblinks

 Commons: Claude Chabrol – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Presse-Artikel

Einzelnachweise

  1. a b c Simon Ofenloch: „Der Unschuldige mit den schmutzigen Händen – Claude Chabrol“, arte, Mai 2010
  2. Filmemacher Claude Chabrol gestorben. FR-online.de, 12. September 2010, abgerufen am 12. September 2010.
  3. vgl. Thema Claude Chabrol, Süddeutsche Zeitung
  4. a b c Biografie, film-zeit.de
  5. a b Susan Vahabzadeh: „Claude Chabrol zum 80. Harmonisches Unglück“, Süddeutsche Zeitung, 24. Juni 2010.
  6. Claude Chabrol-Biografie bei Who's Who
  7. a b c Marco Schmidt: Sind Sie ein Feminist, Monsieur Chabrol?. In: F.A.Z. Nr. 167, 21. Juli 2007, S. Z6 (Interview mit Claude Chabrol, Interview online bei FAZ.NET, abgerufen am 15. Juni 2008).
  8. APA: Claude Chabrol: „Mit meinen Frauen hatte ich stets Glück“, Die Standard, 1. Juli 2009
  9. „Französischer Regisseur feiert Geburtstag: Claude Chabrol: 75 und kein bisschen lieb“, ap / Rheinische Post, 20. Juni 2005
  10. a b „Geburtstag. Der Dompteur der schönen Biester“, Associated Press, 21. Juni 2010
    Interview mit Roger Ebert: Flashback: Chabrol and Ebert talk in 1971, Chicago Sun-Times, 24. Januar 1971
    Chabrol: „I am a Communist, certainly, but that doesn't mean I have to make films about the wheat harvest.“ (Übersetzung: Ich bin ein Kommunist, gewiss, aber das bedeutet nicht, dass ich Filme über die Weizenernte machen muss.)
  11. „Totale Ausnahmeerscheinung“. Berlinale-Chef Kosslick würdigt Claude Chabrol als Filmemacher und Feinschmecker“, Deutschlandradio, 12. September 2010.
  12. Claude Chabrol: „Mit meinen Frauen hatte ich stets Glück“, Die Standard, 1. Juli 2009.
  13. Wilhelm Roth (epd): „Zum Tod von Claude Chabrol – der scharfsichtige Kritiker“, Badische Zeitung, 13. September 2010.
  14. Fritz Göttler: Der Blick des Bösen - Zum Tod des Filmemachers Claude Chabrol, in Süddeutsche Zeitung vom 13. September 2010
  15. Gérard Depardieu in: „Er wusste zu lachen“, Die Zeit, 13. September 2010.
  16. „Überraschen Sie mich!“ Volker Schlöndorff trauert um Claude Chabrol, Tagesspiegel, 12. September 2010.
  17. a b Wenke Husmann, Carolin Ströbele: „Bilder, die mir nicht aus dem Kopf gehen“, Die Zeit, 13. September 2010, Interview mit Hanns Zischler.
  18. knerger.de: Das Grab von Claude Chabrol
  19. Chabrol, Claude, filmreference.com
    Getting Away with Murder, British Film Institute (BFI)

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