Colonie Alsen

Colonie Alsen
Karte der Colonie Alsen 1883

Colonie Alsen bezeichnet die im Berliner Ortsteil Wannsee vom Bankier Wilhelm Conrad 1863 gegründete Sommervillenkolonie am nördlichen Ufer des Kleinen und westlichen Ufer des Großen Wannsee.

Die prachtvollen Villen dieser nobelsten Berliner Kolonie stellten, eingebettet in einen Park, eine einzigartige Kulturlandschaft der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik dar. Wenige Häuser sind heute erhalten, sodass das damals entstandene Gesamtkunstwerk der Anlage nur noch erahnt werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Wilhelm Conrad, begeisterter Naturfreund und Wassersportler, hatte die Idee der Errichtung einer Landhauskolonie am Wannsee, wo man in der sogenannten „guten Gesellschaft“ die Sommermonate in der Natur und auf dem Wasser verbringen konnte. Der Wannsee lag damals noch weit außerhalb der Stadt Berlin, und somit stellte das Vorhaben ein ziemliches Wagnis dar. Conrad, leitender Direktor der Berliner Handelsgesellschaft begann 1863 im Dorf Stolpe – gelegen an der Reichsstraße 1 (heute Bundesstraße 1) – mit dem Kauf des Gasthofs „Stimmings Krug“ an der Königsstraße und auch dorffernerem Wald- und Heidegebiet den Ankauf von Landbesitz. Bald umfasste der Grundbesitz ca. 320 Morgen.

Für die Parzellierung des Landes und Erstellung eines Straßen- und Bebauungsplans konnte Conrad Gustav Meyer gewinnen – Berlins Städtischen Gartenbaudirektor und Schüler Peter Joseph Lennés. Ab 1868 begann er mit dem Verkauf der Grundstücke. Erste Käufer waren überwiegend Mitglieder des exklusiven Herrenclubs „Club von Berlin“ dem auch Conrad zugehörte, gutbetuchte Geschäftsleute, Industrielle, Bankiers, Künstler und Wissenschaftler, die geschäftlich und auch privat miteinander verkehrten. Mit seinem eigenen Sommersitz, der „Villa Alsen“ ließ Conrad 1870 das erste Gebäude der Kolonie entstehen. 1872 lebten dann bereits 64 Bewohner in zwölf Villen.

Gustav Meyers Konzept entwickelte sich zu einem gelungenen und einmaligen Gesamtkunstwerk – entsprechend der Zeit gewissermaßen das bildungsbürgerliche Gegenstück zum nicht weit entfernten Landschaftspark Klein Glienicke des Prinzen Carl von Preußen, der von Lenné und Schinkel ab 1816 geschaffen wurde.

Namensgebung

Zinkkopie des Flensburger Löwen nach der Restaurierung 2005

1872 erhielt die Kolonie den Namen Colonie Alsen. Conrads Schwager General von Colomier soll zur Namensgebung Alsen angeregt haben, da ihn die Wannseelage an die Ostseelandschaft der Insel Alsen erinnerte. Damit nahm die Kolonie – im Sinne der damals typischen nationalistisch-patriotischen Einstellung – Bezug auf den Dänischen Krieg mit dem 1864 kriegsentscheidenen preußischen Sieg des Norddeutschen Bundes auf der Insel Alsen, an dem General von Colomier maßgeblich beteiligt war. Die Seestraße in der Kolonie wurde später nach ihm in Colomierstraße umbenannt.

Die Zinkkopie des Flensburger Löwen, die 1874 (ältere Angaben 1869) am erhöht liegenden Bergpark aufgestellt wurde, erinnert an dieses Ereignis. Heute steht der 2005 restaurierte Löwe direkt über dem Wannseeufer am Heckeshorn, wo die Kolonie in den Berliner Forst Düppel übergeht.

Verkehrstechnische Anbindung

Um die Kolonie verkehrstechnisch günstig an Berlin anzubinden, kam Conrad die Idee eine eigene Eisenbahnverbindung von Berlin nach Wannsee zu bauen – die Wannseebahn. Auch dieses zweite kühne Projekt als „Wahnsinnsbahn, die auf Conrädern läuft“ oder „Bankierszug“ von den Berlinern verspottet, realisierte er erfolgreich – sicherlich mitbedingt dadurch, dass er selbst Vorsitzender des Aufsichtsrats der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahn-Gesellschaft war. Die ersten Züge fuhren am 1. Juni 1874 erst teilweise noch auf der Potsdamer Bahnstrecke. 1891 war dann die ganz eigene Streckenführung – mit Anschluss von der sogenannten „Stammbahn“ ab Zehlendorf nach Wannsee (heute S-Bahn-Linie S1) – fertiggestellt. Sie führte weiter bis Neubabelsberg, wo sie wieder übergehend in die Stammbahn, die Verbindung nach Potsdam herstellte. Durch einen günstigen Vororttarif zog die Wannseebahn auch viele Ausflügler an, und gehört bis heute zu den beliebten Berliner Ausflugslinien. Das ursprüngliche Bahnhofsgebäude im Stil des Historismus wurde 1927/1928 durch den noch heute bestehenden Bau von Richard Brademann im Stil des Expressionismus und Neuen Bauens ersetzt.

Langsamer Niedergang

Die Villenkolonie war mit ihren repräsentativen Villen, Traumhäusern, „Schlössern“, prächtigen Gartenanlagen, Segelclubs und Vereinen reger Mittelpunkt des illustren Lebens des am klassischen Bildungsideal orientierten Großbürgertums.

Der Neue Friedhof Wannsee gehört ebenfalls zur Kolonie. Neben anderen Prominenten fand auch Conrad selbst in einem Ehrengrab der Stadt Berlin hier seine letzte Ruhe.

Ab 1900 wurden viele Villen der Kolonie mit Zentralheizung und Doppelfenstern ausgestattet, und damit für die überwiegende Zahl der Eigentümer zum Dauerwohnsitz. Der Zuzug stagnierte, als neue Villenvororte in Nikolassee, Schlachtensee und Dahlem entstanden.

Nach dem Ersten Weltkrieg konnten einige Bewohner der Kolonie ihre Villen wegen der Inflation nicht mehr halten und mussten verkaufen.

In den 1930er-Jahren sahen sich dann viele der jüdischen Bewohner zum Zwangsverkauf und zur Emigration gezwungen. Bis 1941 wurden Besitzer jüdischer Herkunft vertrieben, enteignet oder ermordet. Ihr Eigentum ging dann in die Hände prominenter Nazis über und/oder wurden für nationalsozialistische Einrichtungen genutzt.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs kam es schließlich noch zu Kriegsschäden an vielen Villen und Häusern, da der Volkssturm hier mit Hilfe von NS-Truppenteilen – als eine letzte Bastion – das Vordringen der Roten Armee in die Stadt Berlin aufhalten sollte.

Viele der verwaisten oder geplünderten Villen dienten nach Kriegsende als Krankenhäuser und Freizeiteinrichtungen der Alliierten oder wurden zu Schullandheimen umgestaltet. Eine weitere „Zerstörung“ der Villenkolonie und des Dorfs Stolpe kam durch den Bauboom und die damit verbundenen Bausünden der 1970er-Jahre zustande. So hat auch die „Villa Alsen“ – Wilhelm Conrads Sommersitz – dem Bau einer Appartementanlage und eines Hotels weichen müssen.

Einzelne Villen

Villa Marlier, Haus der Wannseekonferenz von 1941
  • Villa Alsen, Königsstraße 4; Wilhelm Conrads Landhaus, 1870 von Julius Hennicke und Hermann von der Hude im klassizistischen Stil erbaut. 1970 abgerissen und durch Appartementanlage und Hotel ersetzt.
  • Liebermann-Villa, Colomierstraße 3; 1909 in Zusammenarbeit mit dem Bauherrn und Maler Max Liebermann von dem Architekten Paul Baumgarten entworfen. Nach der aufwendigen Restaurierung bildet das Haus heute als Museum wieder eine künstlerische Einheit von Architektur, Gartenanlage, Originalgemälden und einer Dokumentation des Lebenswegs des Künstlers und seiner Familie.
  • Landhaus des Verlegers Carl Langenscheidt, Colomierstraße 1–2; Carl Langenscheidt, Sohn des Verlagsgründers Gustav Langenscheidt ließ sich 1899 ein Landhaus im Fachwerkstil von Bodo Ebhardt errichten. 1901 kam ein Stallgebäude mit Kutscher- und Bedienstetenwohnung hinzu. Das Anwesen befindet sich noch in Familienbesitz.
  • Villa Herz, Am Großen Wannsee 52/54; romantisches „Märchenschloss“ von Wilhelm Martens für den Fabrikanten Paul Herz im neoromanisch burgenhaften Stil erbaut.
  • Villa Marlier (Haus der Wannseekonferenz), Am Großen Wannsee 56/58; 1914 von Paul Baumgarten für das Ehepaar Marlier erbaut. 1941 erwarb die SS-Stiftung Nordhav die Villa. Hier fand am 20. Januar 1942 die Wannseekonferenz statt, deren Inhalt die Organisation und Koordinierung der Deportation und Vernichtung der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas war.

Literatur

  • Hinnerk Dreppenstedt, Klaus Esche (Hrsg.): Ganz Berlin. Spaziergänge durch die Hauptstadt. 3. überarbeitete Auflage. Verlag Nikolai, Berlin 2004, ISBN 3-89479-139-X.
  • Landhäuser und Villen in Berlin & Potsdam. Band 2: Ingo Krüger: Kleiner Wannsee. Aschenbeck & Holstein, Delmenhorst u. a. 2004, ISBN 3-932292-57-X.
  • Landhäuser und Villen in Berlin & Potsdam. Band 3: Ingo Krüger: Großer Wannsee, Colonie Alsen, Villa Liebermann. Aschenbeck & Holstein, Delmenhorst u. a. 2005, ISBN 3-932292-57-X.
  • Anke Stemmann: Max-Liebermann-Villa am Wannsee Berlin. Stadtwandel-Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-937123-88-1 (Die neuen Architekturführer 82), (20-seitige Broschüre über die Colonie Alsen und die Liebermann-Villa).
  • Klaus-Dieter Wille: 43 Spaziergänge. Historisches in Wilmersdorf und Zehlendorf. Bruno Hessling, Berlin 1977, ISBN 3-7769-0180-2 (Berliner Kaleidoskop 25).

Weblinks

Villenkolonien in Wannsee


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