Darmbakterien

Darmbakterien
Escherichia coli (Sekundärelektronenmikroskopie)

Als Darmflora wird die Gesamtheit der Mikroorganismen bezeichnet, die den Darm des Menschen wie auch den vieler Tiere besiedeln und für den Wirtsorganismus von entscheidender Bedeutung sind – es herrscht somit ein Mutualismus.

Die an und für sich inkorrekte Bezeichnung Flora beruht auf der früher vertretenen Auffassung, Bakterien und viele andere Mikroorganismen gehörten zum Pflanzenreich. Da Bakterien heute eine eigene Domäne bilden, müsste man richtigerweise von einer „Darmmikroorganismengemeinschaft“ oder „-gesellschaft“ bzw. von einer Darmmikrobiota sprechen – Bezeichnungen, die sich in der Medizin – auch international – erst langsam durchsetzen.

Die Darmflora wird vor allem in der Humanmedizin behandelt.

Inhaltsverzeichnis

Zusammensetzung

Es handelt sich bei den Darmbewohnern überwiegend um Bakterien, aber auch Eukaryoten und Archaeen, Mitglieder der anderen beiden grundlegenden Domänen zellulären Lebens, sind im Darm nachzuweisen.[1]

Der Darm des Menschen stellt ein komplexes und dynamisches bakterielles Ökosystem dar, das sich innerhalb der ersten Lebensjahre etabliert. Die Besiedlungsdichte des Darms ist anfangs gering und steigt mit zunehmendem Lebensalter stetig an. Während des Geburtsprozesses und kurz danach erfolgt die erste bakterielle Besiedlung des vorher sterilen humanen Gastrointestinaltraktes. Bei natürlich geborenen Kindern beginnt die Kolonisation während der Geburt. Die ersten Keime, die nachgewiesen werden können, sind Escherichia coli, Enterobakteriaceen und Streptokokken. Einen besonderen Einfluss auf die Besiedlung hat die Nahrung. Ob ein Kind gestillt oder mit Flaschennahrung gefüttert wird, lässt sich an der Darmflora erkennen. Der Darm gestillter Kinder wird nach den ersten Wochen hauptsächlich von milchsäureproduzierenden Bakterien (Bifidobakterien und Laktobazillen) bevölkert. Die von ihnen produzierte Milchsäure führt zu einer Ansäuerung des Darmmilieus, die es pathogenen Bakterien erschwert, sich dort anzusiedeln. Im Gegensatz dazu wird bei Flaschenkindern eine erwachsenen-ähnliche Mikroflora nachgewiesen. Diese zeichnet sich durch eine Vielzahl von verschiedenen Bakteriengattungen aus. Bei einem gesunden Erwachsenen mittleren Alters besteht dieses Ökosystem schließlich aus hauptsächlich anaeroben Bakterien mit einer Gesamtzellzahl von 10 – 100 Billionen. Molekulare Analysen der 16s ribosomalen DNA haben bisherige kulturabhängige Schätzungen von 200-300 Spezies auf bis zu 1800 Genera mit bis zu 36000 Spezies ansteigen lassen. [2] Dabei sind sowohl das Darmlumen, die Muzinschicht sowie die mukosalen Oberflächen besiedelt. Im Gegensatz zum Dünndarm mit 103 – 107 Zellen/g Stuhl, ist der Dickdarm mit 1011 – 1012 Zellen/g Stuhl dicht besiedelt.[3]

Die Darmflora besteht zu 99% aus vier bakteriellen Abteilungen: Firmicuten, Bacteroidetes, Proteobacteria und Actinobacteria [4]

Bei Personen mittleren Alters werden im Dickdarm fast ausschließlich obligate Anaerobier (Bacteroides, Bifidobacterium, Eubacterium, Clostridium, Fusobacterium, Ruminococcus, Roseburia) gefunden, während sich die Dünndarmmikroflora hauptsächlich aus fakultativ anaeroben Bakterien wie z. B. Enterococcus- und Lactobacillus-Spezies zusammensetzt. Das wohl bekannteste Bakterium der Darmflora ist E. coli. Bei dieser Aussage ist zu berücksichtigen, dass es von E. coli verschiedene Biovare gibt. Einige dieser Biovare sind als Darmbewohner des Menschen völlig harmlos. Jedoch sind einige Biovare pathogen: EHEC, EPEC, EIEC, ETEC. Seinen hohen Bekanntheitsgrad verdankt E. coli der Tatsache, dass es einfach zu kultivieren ist und in der Mikrobiologie als Modellorganismus verwendet wird.

Nutzen, Funktion, Bedeutung

Im Darm befinden sich rund zehn mal mehr Bakterien, als der Organismus des Menschen Zellen enthält.

Im Dickdarm befinden sich sehr viel mehr Bakterien als im Dünndarm. Die Intestinalmikroflora ist an der Abwehr von Krankheitserregern (Kolonisationsresistenz) beteiligt und beeinflusst auch das Immunsystem, wobei nicht ganz klar ist, ob sich für den Wirt insgesamt ein Vorteil ergibt. Experimente mit Mikroorganismen-freien und normalen Mäusen haben gezeigt, dass verschiedene Bakterien und Amöben durch die Anwesenheit der Darmflora erst pathogen werden, hingegen werden die negativen Auswirkungen von einigen anderen eukaryotischen Einzellern und Saugwürmern verringert.[5] Die Konstanz der Milieubedingungen im Darm und die Vielseitigkeit der in Form der Nahrung zugeführten Substrate begünstigen die Entwicklung einer an Individuen- und Arten-Zahl und Aktivitäten äußerst komplexen Bakteriengesellschaft. Nahrungsbestandteile und vom menschlichen Organismus gebildete Stoffe dienen den Mikroorganismen als Nährstoff- und Energiequelle. Die Bakterien haben verschiedene Wirkungen auf den Menschen wie z.B.:


Im Verlauf der bakteriellen Fermentation unverdaulicher Kohlenhydrate (sog. Ballaststoffe) kommt es im menschlichen Darm zur Bildung von kurzkettigen Fettsäuren (hauptsächlich Essig-, Propion- und Buttersäure) und der Gase H2, CO2 und CH4. Die Fettsäuren werden von den Darmepithelzellen aufgenommen und verstoffwechselt, die Gase ausgeschieden (Flatulenz, Blähungen). Unter den kurzkettigen Fettsäuren wird besonders der Buttersäure auf Grund ihrer physiologischen Effekte eine besondere Bedeutung zugesprochen. So ist beispielsweise eine verminderte intestinale Buttersäurekonzentration bei Darmkrebs beobachtet worden.[11] Eine weitere Funktion der kurzkettigen Fettsäuren ist die Anregung der Darmperistaltik, der kontraktiven Bewegung des Darms zur Beförderung von Nahrungsbrei in Richtung Enddarm.

Verstoffwechselung bakteriell gebildeter kurzkettiger Fettsäuren

Bei der anaeroben Verstoffwechselung von Proteinen werden ebenfalls kurzkettige, aber auch verzweigtkettige Fettsäuren gebildet (iso-Valeriansäure, iso-Buttersäure). Daneben können noch Produkte wie Merkaptane, Indole, Amine und H2S gebildet werden. Im geringen Maße wird auch N2 nachgewiesen. Fette werden unter anoxischen Bedingungen im Darm nicht verstoffwechselt.

Die Darmflora beeinflusst auch das Körpergewicht und spielt eine Rolle bei der Fettsucht (Adipositas). Aus Experimenten an „dicken“ (engl. „obese“) Mäusemutanten (ob/ob), denen der Fettsäureregulator Leptin fehlt, ist bekannt, dass sich die Darmflora von dicken und schlanken Mäusen hinsichtlich der Zusammensetzung des Verhältnisses von Bakterien der Gattung Bacteroides und des Stamms der Firmicutes unterscheidet, wobei dicke Mäuse einen größeren Anteil an Firmicutes aufweisen. Auch die Darmflora des Menschen hat Einfluss auf das Körpergewicht. Eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen dem Anteil an Firmicutes und Bacteroides kann in schlanken und dicken Individuen beobachtet werden – in letzteren durch eine Verschiebung hin zu Firmicutes. Das Verhältnis ist dynamisch und reflektiert Veränderungen im Körpergewicht, sodass sich bei einer Gewichtsreduktion das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroides hin verschiebt. Die gegenseitige Beeinflussung der Zusammensetzung der Darmflora und des Körpergewichtes wird mit der Energieaufnahme in Zusammenhang gebracht, weil durch die Zusammensetzung der Darmflora die Verdauung von Fettsäuren und Polysacchariden beeinflusst wird. Dies geht aus Experimenten hervor, in denen die Darmflora (aus dem Caecum) von dicken Mäusen in Mikroorganismen-freie Mäuse transplantiert wurde, und diese anschließend, trotz Verringerung der Nahrungszufuhr, an Gewicht zunahmen.[12][13][14][15]

In ihrer Funktion als Kommensalen verhindern die Mikroorganismen durch ihre bloße Menge ein Überwuchern von pathogenen Mikroorganismen, wie dies durch Clostridium difficile bei der pseudomembranösen Kolitis geschieht. Umgekehrt kann allerdings auch durch die Verabreichung einer Stuhlinfusion (über das Rektum bzw. eine liegende Duodenalsonde) eine therapieresistente pseudomembranöse Kolitis in der Mehrzahl der Fälle ausgeheilt werden, wie Studien [16][17] zeigten. Über Erfolge bei anderen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wurde ebenfalls berichtet.

Forschungsgeschichte

Da Bakterien als Krankheitserreger entdeckt wurden, hielt man die Existenz der Darmflora nach ihrer Entdeckung für eine Krankheit, der man den Namen „intestinale Toxämie“ gab. Sir Arbuthnot Lane, der Chirurg des britischen Königshauses, empfahl seinen Patienten sich wegen der gefährlichen Eingeweidebewohner den Dickdarm entfernen zu lassen. Darmreinigungen kamen bei Ärzten sehr in Mode. In der weiteren Folge wurde das Thema von der Forschung weitgehend ignoriert. Die anaeroben Bakterien konnten im Labor nicht untersucht werden.

Erst mit dem Aufkommen der Antibiotika, deren bakterientötende Eigenschaft auch die Darmflora beschädigte, und die Folgen dieser Schädigung brachten das Thema zurück auf die Agenda der Forschung. Letztlich blieben aber wegen der praktischen Schwierigkeiten zunächst große Fortschritte aus. Dies lag daran, dass mit den klassischen Kulturtechniken nur ein Bruchteil der Darmmikrobiota nachgewiesen werden konnte. Das Bild der Zusammensetzung der Darmmikrobiota hat sich seit Einführung molekularer Techniken teilweise grundlegend geändert. [18]

Beeinflussung der Darmflora

Inwieweit die Darmflora durch die Einnahme von Bakterien überhaupt beeinflusst werden kann, bleibt wissenschaftlich umstritten. Die dabei eingesetzten Probiotika – lebende Mikroorganismen (Bakterien oder Hefepilze) – lassen aufgrund der durchgeführten Doppelblindstudien eine positive Wirkung bei akuten Durchfallerkrankungen bei Kindern, der Verhinderung Antibiotika-induzierter Durchfälle und Colitis ulcerosa aber möglich erscheinen.[19]

Nach den Ergebnissen jüngster Forschungen wird auch Blis als mögliche Sanierung empfohlen. In einer aktuellen Studie wird zudem der positive Einfluss auf den Darmzustand durch Probiotika-Gabe bestätigt.[20]

Einzelnachweise

  1. Nature. Band 442, 24. August 2006, S. 851
  2. Fank, DN et al. Molecular-phylogenetic characterization of microbial community imbalancers in human inflammatory bowel diseases. Proc Natl Acad Sci USA 2007:104:13780-13785
  3. Wilson, M. Microbial Inhabitants of Humans. Their Ecology and Role in Health and Disease. Cambridge University Press 2005. ISBN 0-521-84158-5
  4. Eckburg, PB & Relman, DA. The role of microbes in Crohn's disease. Clin Infect Dis 2007;44:256-262
  5. L.Q. Vieira, M.R. Oliveira, E. Neumann, J.R. Nicoli, E.C. Vieira. Parasitic infections in germfree animals. Braz J Med Biol Res, January 1998, Volume 31(1) 105-110
  6. Rakoff-Nahoum, S. et al. Cell 2004; 118:229-241
  7. Wolin, M.J. & Miller, T.L. Carbohydrate fermentation. In Human intestinal microflora in health and disease. Hentges, D.J. (Ed.) Academic Press Inc., New York, USA 1983
  8. Wolin, M.J. & Miller, T.L. Carbohydrate fermentation. In Human intestinal microflora in health and disease. Hentges, D.J. (Ed.) Academic Press Inc., New York, USA 1983
  9. Wolin, M.J. & Miller, T.L. Carbohydrate fermentation. In Human intestinal microflora in health and disease. Hentges, D.J. (Ed.) Academic Press Inc., New York, USA 1983
  10. Gill, SR. et al. Metagenomic analysis of the human distal gut microbiome. Science 2006;312:1355-1359
  11. Wolin, M.J. & Miller, T.L. Carbohydrate fermentation. In Human intestinal microflora in health and disease. Hentges, D.J. (Ed.) Academic Press Inc., New York, USA 1983
  12. Ley RE, Turnbaugh PJ, Klein S, Gordon JI. Microbial ecology: human gut microbes associated with obesity. Nature. 2006 Dec 21;444(7122):1022-3.
  13. Turnbaugh PJ, Ley RE, Mahowald MA, Magrini V, Mardis ER, Gordon JI. ”An obesity-associated gut microbiome with increased capacity for energy harvest.” Nature. 2006 Dec 21;444(7122):1027-31.
  14. Bäckhed F, Manchester JK, Semenkovich CF, Gordon JI. “Mechanisms underlying the resistance to diet-induced obesity in germ-free mice.” Proc Natl Acad Sci U S A. 2007 Jan 16;104(3):979-84. Epub 2007 Jan 8.
  15. Bäckhed F, Ding H, Wang T, Hooper LV, Koh GY, Nagy A, Semenkovich CF, Gordon JI. “The gut microbiota as an environmental factor that regulates fat storage.” Proc Natl Acad Sci U S A. 2004 Nov 2;101(44):15718-23. Epub 2004 Oct 25.
  16. Bacteriotherapy Using Fecal Flora: Toying With Human Motions. Borody, Thomas J et al; Journal of Clinical Gastroenterology 2004
  17. Literaturübersicht der FecalTransfusionFoundation.org
  18. Deutsches Institut für Ernährungsforschung: Gatrointestinale Mikrobiologie
  19. Haben Probiotika eine belegte Wirkung?
  20. Probiotic Escherichia coli Nissle 1917 Inhibits Leaky Gut by Enhancing Mucosal Integrity

Literatur

  • Peter Brookesmith, Karin Prager: Kleine Ungeheuer, Die geheime Welt der winzigen Lebewesen, Gondrom-Verlag, 1999, S. 55-59
  • Müller / Ottejann / Seifert (Hg): Ökosystem Darm - Morphologie.Mikrobiologie.Immunologie. Springer-Verlag: Berlin et al. 1989
  • Rosemarie Blatz: Medizinische Mikrobiologie und Immunologie - systematisch; Uni-Med: Bremen 1999

Siehe auch

Weblinks


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