Das Unbehagen der Geschlechter

Das Unbehagen der Geschlechter

Das Unbehagen der Geschlechter ist ein Buch der Philosophin Judith Butler. Es gilt als ihr bekanntestes und einflussreichstes Buch. Die deutsche Übersetzung erschien in der ersten Auflage 1991.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Der englischsprachige Originaltitel Gender Trouble (erschienen 1990) verweist präziser auf den Ausgangspunkt, von dem aus Butler die Reproduktion von Geschlechterverhältnissen beschreibt: das Wort „gender“ lässt sich nur schwierig direkt ins Deutsche übersetzen; vielleicht etwa mit "soziales Geschlecht". Es bezeichnet somit in der feministischen Theorie eine Geschlechtskategorie, die nicht natürlich gegeben ist, im Unterschied zum biologischen Geschlecht (im Englischen „sex“). Die Grundannahme hierbei lautet meist: „Gender“ sei eine Geschlechtsidentität, die mit dem biologischen Geschlecht nicht ursächlich in Verbindung steht (so wie der grammatikalische Artikel „die“ in dem deutschen Wort „die Tür“ nicht darauf schließen lässt, dass das Objekt Tür etwas Feminines an sich habe). Butler jedoch geht einen Schritt weiter. Sie führt aus, dass auch das „Körpergeschlecht“ („sex“) diskursiv erzeugt ist. Die Einteilung der Menschen (und der Welt) in die Zweigeschlechtlichkeit, in die Kategorien „männlich“ und „weiblich“, wäre demnach ein diskursives Konstrukt, das eine angebliche, natürlich-biologische Tatsache zum Vorwand nimmt, Herrschaft und Macht auszuüben. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der feministischen Theorien der philosophischen Postmoderne, die im Gegensatz zum klassischen Feminismus nicht mehr für die „Rechte der Frau“ kämpfen, sondern an der Abschaffung der Geschlechterkategorien Frau/Mann arbeiten, da schon das Denken in diesen Kategorien Grundlage für die sexistische Unterdrückung sei. Diese Aufbrechung von Denkstrukturen soll gelingen, indem vermittelt wird, dass weder „das Konstrukt ‚Männer‘ ausschließlich dem männlichen Körper zukommt, noch dass die Kategorie ‚Frauen‘ nur weibliche Körper meint.“ (S. 23; die Seitenangaben beziehen sich auf die unten genannte deutsche Ausgabe.)

Zwei theoretische Grundlagen Butlers sind wichtig, um ihren Standpunkt zu verstehen:

  • Zum einen hält sie sich an Michel Foucaults These, dass Sexualität und Macht deckungsgleich sind. Das heißt, durch die kulturelle Einteilung der Gesellschaft in Geschlechter wird Macht konstruiert und aufrechterhalten.
  • Die zweite Grundannahme lautet: Identität ist performativ konstruiert. Das bedeutet, die Geschlechtskategorien „männlich/weiblich“ sind nicht naturgegeben, sondern werden kulturell geformt und müssen immer wieder bestätigt werden, indem ständig gemäß diesen Kategorien gehandelt wird. Wenn diese unendliche kulturelle Performanz der Geschlechtereinteilung anders gespielt würde, könnte die Macht gebrochen werden.

Butlers Kritik des Strukturalismus

Der Strukturalismus lehnt zwar die Subjektphilosophie ab und geht von einer nicht-subjektiven, allgemeinen Struktur aus, die Sprache und Gesellschaft gliedert; laut Butler begeht er aber zwei Fehler:

  • Dieses Allgemeine, die der Kultur zu Grunde liegende Struktur, wird vom Strukturalismus nicht als konstruiert, sondern als universal gegeben gedacht. Dieser Gedanke ist somit noch der Metaphysik verhaftet.
  • Der Strukturalismus ist dialektisch, das heißt, er teilt die Welt binär ein; diese Binarität ist auch noch subjektivistisch und gilt es aufzubrechen, natürlich besonders im postfeministischen Anliegen Butlers.

Butlers Kritik an Julia Kristeva

Kristevas Thesen

Mutterschaft und poetische Sprache sind subversiv gegen das Gesetz des Vaters, da sie das „Semiotische“ im Gegensatz zum „Symbolischen“ des Gesetzes widerspiegeln. Wie bei Lacan erfahren Mädchen (weibliche Kleinkinder) eine Abnabelung von der Mutter durch das Inzestverbot. Dadurch entsteht „Melancholie.“ Diese verlorene Beziehung kann wieder eingeholt werden durch die spätere eigene Mutterschaft. Die junge Mutter wird zum gleichen Wesen wie ihre Mutter. Auch weibliche Homosexualität ist vom melancholischen Verlust der Mutter-Beziehung geprägt. Sie wird aber gesellschaftlich nicht akzeptiert, also bleiben nur Mutterschaft und poetische Sprache als subversive Auswege.

Butlers Kritik

Kristeva geht von einer vor dem Gesetz liegenden und von ihm unterdrückten Weiblichkeit aus. Im Anschluss an Foucault ist dieser Begriff aber schon vom Gesetz selbst geprägt, das den Diskursrahmen absteckt. Was bei Kristeva also subversive kulturelle Handlung sein soll, ist in Wirklichkeit nur eine Festigung der Macht des Diskurses, also des männlichen Gesetzes. Wie bei Foucault unterdrückt das Gesetz zwar weibliche Selbstbestimmung, generiert diese aber zugleich, indem Weiblichkeit (als Anderes von Männlichkeit) überhaupt festgeschrieben wird. Butler will aber über diese Festlegung der Zweigeschlechtlichkeit hinaus. Statt, wie Kristeva, ein Vorherliegendes, Unterdrücktes zu suchen, das letztlich nur wieder eine Manifestation des Gesetzes ist, sieht sie Subversion nur möglich „als eine, die von den Bedingungen des Gesetzes ausgeht, d.h. von den Möglichkeiten, die zutage treten, wenn sich das Gesetz gegen sich selbst wendet und unerwartet Permutationen seiner selbst erzeugt.“ Es gibt keinen „natürlichen Körper“, es gilt vielmehr, sich von der „Illusion eines wahren Körpers jenseits des Gesetzes zu kurieren.“ Der Körper ist für Butler, in der Nachfolge von Foucault, immer schon „kulturell konstruiert.“ Befreiung dieses Körpers gelingt nicht für seine vermeintlich „ursprünglichen Lüste, sondern für eine offene Zukunft kultureller Möglichkeiten.“ Damit lehnt Butler also ganz entschieden feministische Konzepte ab, die sich der (Selbst-)Findung des weiblichen Körpers, der weiblichen Lust, der weiblichen Schreibweise o.a. verschrieben haben. Es gilt eher, das Konzept der Zweigeschlechlichkeit völlig aufzubrechen, nicht im Rückgriff auf Vergangenes, sondern im Blick aufs Jetzt und Gleich.

Butlers Kritik an Monique Wittig

Ausführlich referiert Butler die Thesen Monique Wittigs und stellt sich eindeutig in die gleiche Denkrichtung. Grundthese Wittigs ist, dass die Einteilung in zwei Geschlechter nicht nur, wie bei Simone de Beauvoir, für das gender zurückzuweisen ist, sondern auch für das biologische Geschlecht, sex. Die Begriffe „Frau“ und „Mann“ seien Ausdruck einer aufgezwungenen Heterosexualität. Aus diesem Grund ist auch der biologische Körper nicht männlich oder weiblich, sondern wird dies erst, sekundär, durch die geschlechtlich bestimmte Bezeichnungsweise. In diesem Sinne kann Wittig behaupten, dass die Lesbierin keine Frau ist, da sie die Kategorie „Frau“ aufbrechen oder unterlaufen will und nicht mehr dadurch bezeichnet werden könne. Wittig intendiert, die Sprache vollkommen zu verändern, um jenseits der Geschlechter-Kategorien denken zu können. Wird der biologische Körper in männlich und weiblich eingeteilt, indem z.B. seine Genitalien benannt werden, so wird er laut Wittig nicht etwa vereinheitlicht, sondern fragmentiert, denn er wird damit erogen auf diese Teile festgelegt, aufgesplittert und reduziert. Der sexuell eingeteilte Körper ist „Zeichen der Fragmentierung, Einschränkung und Herrschaft.“ (S. 171) Wittig sieht die Sprache als Machtinstrument der männlichen Schicht an. Das sprechende Subjekt ist immer ein männliches. Frauen, Lesben, Schwule und andere können eigentlich gar keine Sprecherposition in diesem System annehmen. Sprache baut ihre Herrschaft durch ständige Wiederholung lokutionärer Akte auf, die dann zur Institutionalisierung der Geschlechtertrennung und -herrschaft führen. Dabei gilt für Wittig jedoch, offenbar in Anlehnung an Lacan, dass nur Frauen ein Geschlecht zugewiesen bekommen, während Männer „als universale Personen an diesem System teilhaben.“ (S. 168) Frauen sind also immer nur in einem weiblichen „Zirkel der Immanenz“ (ein Zitat von de Beauvoir) gefangen. „Männer und Frauen sind politische Kategorien und keine natürlichen Tatsachen.“ (S. 172) Es gibt demnach also auch keine 'weibliche Natur'. Was wir intuitiv als natürlich ansehen, ist immer schon konstruiert. Ausweg aus diesem Herrschaftssystem sieht Wittig in der Formbarkeit der Sprache. Frauen sollten die männlich belegte Subjektposition ein- und übernehmen. Sobald eine Frau „ich“ sagt, wird sie gemäß Wittig ein „totales – d.h. geschlechtlich unbestimmtes (ungendered), universales, ganzes Subjekt“ (S. 174), was den Zusammenbruch der Kategorie des Geschlechts bedeutet. Butler vermutet aber bei Wittig noch einen ontologischen Glauben an eine nicht sekundäre, „vorgesellschaftliche Ontologie einheitlicher und gleicher Personen.“ (S. 171) Sie ordnet Wittigs politisches Projekt daher in den „Kontext des traditionellen Diskurses der Ontotheologie“ ein, (S. 174) da Wittig die Sprache als universal und „das Sein als Sein nicht geteilt“ ansieht. (S. 175) Wittigs Sprechen ruft für Butler „eine bruchlose Identität aller Dinge“ auf (S. 175), im Gegensatz zur différance Derridas.

Kritik des Feminismus, Kritik des Subjekts

Grundlage der Feminismuskritik Butlers ist die Kritik des Subjektbegriffs, die einerseits auf Nietzsche, andererseits auf Freud zurückgeht und von postmodernen Philosophen wie Derrida und Foucault weiter formuliert wurde. Das klassische oder metaphysische Subjekt bezeichnet eine feste Entität, die im Gegensatz zur Außenwelt, zu den Objekten steht. Somit werden auch die anderen Subjekte zu „Anderen“, und damit letztlich zu Objekten. Dieser Identitätsstiftung folgt eine Reihe von Konsequenzen, unter anderem die Trennung der Welt in Binaritäten wie Ich – Du, Kultur – Natur, oder eben Mann – Frau. Hier setzt Butlers Feminismuskritik ein, denn wenn dieser die Frauen als ein „wir“ anspricht, als eine gesellschaftliche Klasse, die es zu stärken gilt, so schreibt er sich in die metaphysische Identitätstradition mit ein. Dieser Binarität aber, besonders der der Geschlechterbinarität, sagt Butler den Kampf an. Wie aber wird das Subjekt und damit auch seine Geschlechterfestschreibung konstituiert? Im performativen Akt, im Diskurs, sagt Butler, d.h. durch ständige repetetive Praktiken. Dahinter steht für Butler zwar eine gesellschaftliche, aber keine subjektive Macht, oder anders formuliert, es ist – im Anschluss an ein Wort Nietzsches – eine „Tat ohne Täter.“ Aus diesem gesellschaftlichen Spiel auszubrechen ist für Butler nicht möglich, weil das Ich „immer schon drinnen ist.“ (S. 217) Deshalb, und im Gegensatz zum Feminismus, ist Butlers Frage auch „nicht: ob, sondern wie wiederholen – nämlich jene Geschlechter-Normen, die die Wiederholung selbst ermöglichen, wiederholen und durch eine radikale Vervielfältigung der Geschlechtsidentität verschieben.“ (S. 217) Solche verschiebende Vervielfältigung sieht Butler z.B. in der Parodie der Geschlechtsidentität, in den lesbischen Butches/Femmes u.a., die nicht einfach die Männer- und Frauenrollen wiederholen, sondern sie parodistisch umschreiben. Da Identität und Gender performativ konstituiert werden, gilt es für Butler, diese Festlegung durch Performanz zu verändern: „Die kulturellen Konfigurationen von Geschlecht und Geschlechtsidentität könnten sich vermehren (…), indem man die Geschlechter-Binarität in Verwirrung bringt“ (S. 218) – Gender Trouble, eben.

Literatur

  • Gender Trouble : Feminism and the Subversion of Identity, Routledge, New York (u.a.) 1990, ISBN 0-415-90042-5
  • Das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-518-11722-X

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