Das lange 19. Jahrhundert

Das lange 19. Jahrhundert

Unter dem langen 19. Jahrhundert versteht man nach Eric Hobsbawm die Phase von 1789 bis 1914/1917. Charakteristisch für diese Epoche ist der Weg in die Moderne, der sich in historistischem Fortschrittsdenken ebenso spiegelt wie in Säkularisierung und Rationalisierung, Nationenbildung und Demokratisierung. Ihre theoretische Grundlage findet sie in der Aufklärung, die nun endgültig politische und gesellschaftliche Gestalt annahm. Das 19. Jahrhundert ruht auf den tragenden Eckpfeilern der Industrialisierung, des demografischen Wandels (Auswanderung, Binnenwanderung und Verstädterung sind Massenphänomene), der Durchsetzung des nationalstaatlichen Prinzips sowie der Verbürgerlichung der Gesellschaft. Wissenschaft und Bildung gewannen an Geltung und wurden breiteren Schichten zur Verfügung gestellt. Für die außereuropäische Welt bedeutend war vor allem die Unterwerfung, Kolonialisierung und teilweise auch Besiedlung ganz Afrikas, Asiens und Australiens durch die europäischen Großmächte, v. a. in der Phase des Imperialismus 1885-1914, während in Amerika meist von europäischstämmigen Eliten geprägte neue Republiken entstanden.

In der Französischen Revolution hatte das Bürgertum die Vorherrschaft des Adels durchbrochen. Das Ende des langen 19. Jahrhunderts ergibt sich durch die politischen Umbrüche im Gefolge des Ersten Weltkriegs, die sich in einer Demokratisierung, oder Popularisierung niederschlugen.

Da die für das 19. Jahrhundert als charakteristisch angesehene Epoche somit ca. 125 Jahre umfasst, scheint das 19. Jahrhundert um ungefähr 25 Jahre „zu lang“. Analog dazu fasst man auch die Epoche von 1914 bis 1989 als Einheit und spricht vom „kurzen 20. Jahrhundert“. Getrennt werden diese beiden Jahrhunderte durch die sogenannte „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ – den Ersten Weltkrieg. Dabei wird deutlich, dass eine Epoche nie durch ein einziges Ereignis beendet und somit eine neue Epoche eingeleitet wird. Es bedarf immer einer Entwicklung, die dann in einem Wendepunkt mündet, der für heutige Geschichtswissenschaftler den Umbruch zwischen 2 Epochen kennzeichnet.


Literatur

  • Franz J. Bauer: Das 'lange' 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche, Stuttgart: Reclam 2004, 102 S., ISBN 3-15-017043-5
  • Jürgen Kocka: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 13), Stuttgart: Klett-Cotta 2002, 10., völlig neu bearb. Aufl., ISBN 3-608-60013-2
  • Buchners Kolleg Geschichte ISBN 3766146424
  • Michael Stolleis: Der lange Abschied vom 19. Jahrhundert, Berlin: Gruyter 2002, ISBN 3-110-15688-1
  • Nils Freytag, Dominik Petzold (Hrsg.): Das »lange« 19. Jahrhundert. Alte Fragen und neue Perspektiven. München: Herbert Utz Verlag 2007, 284 S., ISBN 978-3-8316-0725-9.
  • Jürgen Osterhammel: Auf der Suche nach einem 19. Jahrhundert, In: Sebastian Conrad (Hrsg.): Globalgeschichte, Campus, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-593-38333-0

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Das kurze 20. Jahrhundert — „Das kurze 20. Jahrhundert“ ist ein vom Historiker Eric Hobsbawm geprägter Begriff, der der Tatsache Rechnung trägt, dass Jahrhunderte als Einteilung historischer Epochen denkbar ungeeignet sind (da sich historische Ereignisse nicht an… …   Deutsch Wikipedia

  • Das Vermächtnis — ein Jahrhundert Nobelstiftung —   Werden, Wachsen und Wandel   Alfred Nobel hatte sein Testament am 27. November 1895 in Paris eigenhändig abgefasst und im Sommer 1896 bei der »Stockholms Enskilda Bank AB« in der schwedischen Hauptstadt deponiert. Die Verfügungen über die… …   Universal-Lexikon

  • Das Sinngedicht — Das Sinngedicht, Erstdruck 1881 Das Sinngedicht ist ein Novellenzyklus des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Erste Ideen zu dem Werk notierte Keller sich 1851 in Berlin, wo er 1855 auch die Anfangskapitel zu Papier brachte. Der größte Teil des …   Deutsch Wikipedia

  • Das letzte Orakel von Delphi — ist ein Orakelspruch, der aus dem Jahr 362 n. Chr. überliefert ist. Der spätantike Kirchenhistoriker Philostorgios berichtet, dass der römische Kaiser Julian (genannt Apostata) seinen Vertrauten Oreibasios ausgesandt haben soll, um das Orakel von …   Deutsch Wikipedia

  • Das Welterbe der Menschheit —   »Wer in seiner eigenen Geschichte und Kultur verwurzelt ist, gewinnt Achtung vor der Überlieferung anderer Völker. Daher ist es für uns alle eine Bereicherung, wenn wir gemeinsam verantwortlich für die kulturellen Denkmäler der Menschheit… …   Universal-Lexikon

  • Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation — Hugo von Hofmannsthal 1910 auf einer Fotografie von Nicola Perscheid. Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation ist der Titel einer Rede, die Hugo von Hofmannsthal am 10. Januar 1927 im Auditorium Maximum der Universität München hielt. In dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Das Karussell — Paris, Jardin du Luxembourg …   Deutsch Wikipedia

  • 19. Jahrhundert — Portal Geschichte | Portal Biografien | Aktuelle Ereignisse | Jahreskalender ◄ | 17. Jh. | 18. Jh. | 19. Jahrhundert | 20. Jh. | 21. Jh.   1800er | 1810er | 1820er | 1830er | 1840er | 1850er | 1860er | 1870er | 1880er | 1890er Das 19.… …   Deutsch Wikipedia

  • 19. Jahrhundert — Portal Geschichte | Portal Biografien | Aktuelle Ereignisse | Jahreskalender ◄ | 17. Jh. | 18. Jh. | 19. Jahrhundert | 20. Jh. | 21. Jh.   1800er | 1810er | 1820er | 1830er | 1840er | 1850er | 1860er | 1870er | 1880er | 1890er …   Deutsch Wikipedia

  • Neunzehntes Jahrhundert — Portal Geschichte | Portal Biografien | Aktuelle Ereignisse | Jahreskalender ◄ | 17. Jh. | 18. Jh. | 19. Jahrhundert | 20. Jh. | 21. Jh.   1800er | 1810er | 1820er | 1830er | 1840er | 1850er | 1860er | 1870er | 1880er | 1890er …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”