Dashnaktsutiun

Dashnaktsutiun
Armenische Revolutionäre Föderation

Die Armenische Revolutionäre Föderation (armenisch Հայ Հեղապոխական Դաշնակծություն, in traditioneller Orthografie Հայ Յեղապոխական Դաշնակծութիւն, in deutscher Transkription Haj Heghapochakan Dashnakzuzjun) ist eine 1890 in Georgien gegründete armenische politische Partei. Die Revolutionäre Föderation hatte von Anfang an zwei Wurzeln: Sie war Teil der reformerisch eingestellten sozialistischen Bewegung, verband dies aber mit dem Streben nach nationaler Befreiung vom Russischen Reich und Osmanischen Reich, die damals das Siedlungsgebiet der Armenier unter sich aufgeteilt hatten. Die Revolutionäre Föderation ist Mitglied der Sozialistischen Internationalen, ihre Grundsätze sind aber als nationalistisch zu beschreiben. Die Partei ist sowohl in Armenien, wie auch in Bergkarabach und der Diaspora aktiv.

Kurz wird die Partei auch nur Daschnakzuzjun, Daschnak oder Taschnak genannt, ihre Mitglieder werden auf deutsch als Daschnaken bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Armenische Revolutionäre Föderation entstand 1890 im georgischen Tiflis durch den Zusammenschluss verschiedener armenischer politischer Gruppierungen, die den zur gleichen Zeit in Russland und Osteuropa tätigen glichen. Ihre Gründer waren der Marxist Kristapor Mikaeljan, der Narodnik Rostom Sorjan und der Bakuninist Simon Sawarjan. Ihr Ziel war die Emanzipation der Armenier im Osmanischen Reich. Die Daschnaken verlangten ursprünglich eher Autonomie und Reformen für die von Armeniern besiedelten Gebiete des Osmanischen Reiches als ein unabhängiges Armenien, das zu dieser Zeit nicht von allen Armeniern als erstrebenswertes Ziel gesehen wurde. Die Partei begann damit, sich in den frühen 1890er Jahren im Gebiet der heutigen Türkei zu organisieren und hielt 1892 im georgischen Tiflis ihre erste größere Versammlung ab. An dieser Versammlung wurde eine dezentralisierte Vorgehensweise beschlossen, nach der verschiedene Teile der Partei ihre Politik und Strategien den jeweiligen örtlichen Verhältnissen anpassen konnten.

Die Daschnaken verstanden sich aber auch als revolutionäre Organisation, deren Zellen bewaffnete Aktionen ausführten. Die bekannteste war die Besetzung der Osmanischen Bank in Konstantinopel 1896. In der Zeit von 1894 bis 1896 kam es zu gezielten Tötungen von Einzelpersonen. Auf der libanesischen Website der Jugendorganisation der Daschnak-Partei werden aufgezählt: Armenier, die dem Sultan und der türkischen Regierung dienten. Unter anderem Maksoud Simon Bey, der Spion Ardashes, der Polizeichef Haji Dikran, der Priester Mampre Benlian, der Chirurg M. Tutunjiev und andere. Darüber hinaus werden auf derselben Website die Namen reicher Armenier in Russland genannt, die nach 1903 von den Daschnakisten ermordet wurden, weil sie sich weigerten, die Daschnak-Partei mit Geld zu unterstützen: Isahag Zhamharian, Janpoladian, Atamian.

1896 nahmen die Daschnaken als Beobachter am vierten Kongress der Sozialistischen Internationalen teil und stellten dort ihr Programm vor. Angesichts der Russifizierungspolitik von Zar Nikolaus II. entschieden sich die Daschnaken an ihrem dritten Kongress in Sofia 1906, ihre Aktivitäten auf das russische Reich auszudehnen. Anlässlich ihres vierten Kongresses in Wien 1907 beschloss die Partei, sich der Sozialistischen Internationalen anzuschließen. Dies erfolgte gegen den Widerstand der Bolschewiki, die Klassenkampf und Nationalismus für unvereinbar hielten. Als 1908 Sultan Abdülhamid II. gestürzt wurde, unterstützten die Daschnaken die Jungtürken und das Komitee für Einheit und Fortschritt. Diese Unterstützung der neuen Regierung beruhte auf einem Missverständnis: Die Daschnaken sahen die Jungtürken als fortschrittliche Bewegung und verstanden nicht, dass es sich bei diesen um Nationalisten handelte, die das Osmanische Reich türkifizieren und die nationalen Minderheiten unterdrücken wollten. Obwohl die Daschnaken noch an ihrem fünften Kongress 1909 an ihrer Unterstützung für die Jungtürken festhielten, mussten sie ihre Hoffnungen schnell herunterschrauben. Schon am sechsten Kongress in Konstantinopel 1911 wandten sie sich gegen die Politik des Komitees für Einheit und Fortschritt. An der Schwelle zum Ausbruch des ersten Weltkriegs waren sich die Armenier der Gefahr bewusst, zwischen dem russischen und dem osmanischen Reich aufgerieben zu werden. An ihrem achten Kongress in Erzurum im Juli 1914 bestätigten die Daschnaken die gewählte Politik: Die Armenier sollten loyal an der Seite des jeweiligen Staates stehen, zu dem sie gehörten.

Während des Völkermordes an den Armeniern 1915 waren die Mitglieder der armenischen Revolutionären Föderation unter den ersten, die von den osmanischen Machthabern wegen ihrer führenden Rollen in den armenischen Gemeinden verfolgt und umgebracht wurden. Die Rolle der Armenischen Revolutionären Föderation in diesen Wirren wird bis heute äußerst widersprüchlich gewertet. Während von armenischer und westlicher Seite die Berechtigung des Einsatzes militärischer Mittel zum Schutz der Zivilbevölkerung als legitimes Mittel der Selbstverteidigung gesehen wird, betrachtet die staatliche türkische Geschichtsschreibung sie als kriminelle Aufrührer und Terroristen.

Nach dem Zusammenbruch des Russischen Reiches bildeten die Georgier, die Armenier und die Aserbaidschaner 1917 ein transkaukasisches Kommissariat. Nach dem Austritt der Georgier und Aserbaidschaner rief die Armenische Nationalversammlung am 28. Mai 1918 die Demokratische Republik Armenien aus. Der Daschnake Hovhannes Katchaznouni bildete die erste Regierung. Die anderen Parteien weigerten sich, an ihr teilzunehmen. Bei den Wahlen von 1919 erhielten die Daschnaken 90 % der Stimmen. Nach der militärischen Niederlage gegen Mustafa Kemal Atatürk (1920) gab die Daschnakische Regierung dem Druck der Bolschewiki nach und bildete mit diesen eine Koalitionsregierung, in die zwei Daschnaken einzogen. Bald darauf wurde die Regierung gestürzt und wiederum unter der Leitung der Daschnaken am 18. Februar 1921 eine neue gebildet. Im April 1921 wurde Armenien von der Sowjetunion besetzt. Die Armenische Revolutionäre Föderation wurde aufgelöst und verboten.

Siehe auch Armenische SSR

Moderne Geschichte

Während der folgenden 70 Jahre verstand sich die Armenische Revolutionäre Föderation als Partei im Exil, die sich aber auch als Interessenvertretung der Armenier in den Ländern betätigte, in die diese zerstreut worden waren. Auf nationaler Ebene war dies beispielsweise im Libanon und Syrien der Fall, auf Gemeindeebene in Marseille, Frankreich.

Die ARF gilt als die größte und einflussreichste Organisation in der Armenischen Diaspora. Sie besitzt ein weltweites Netzwerk von armenischen Schulen, Kirchen, Gemeinschaftszentren, Bildungs- und Kulturstiftungen (Armenian Educational and Cultural Society), Pfadfinder- und Sportvereinen (Homenetmen), Zeltlagern, Hilfswerken (Armenian Relief Society), Jugend- und Studentenorganisationen (Armenian Youth and Student Federation) und Interessenvertretungen (Armenian National Committee).

Die Armenisch Revolutionäre Föderation hat sich immer zu einem freien, unabhängigen und vereinten Armenien bekannt. Der Begriff „vereintes Armenien“ bezieht sich dabei auf die Grenzen Armeniens wie sie vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson festgelegt und im Vertrag von Sèvres offiziell anerkannt wurden, umfasst also auch das der Türkei angegliederte "Westarmenien" (Nordost-Anatolien). Obgleich sie sich immer als sozialistische Partei bezeichnet hat, ist sie tatsächlich zu einer vorrangig nationalistischen und antikommunistischen Partei geworden.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte sich die Partei auch wieder in Armenien und der armenisch dominierten Republik Bergkarabach etablieren.

Armenien

Nach der Erlangung der Unabhängigkeit 1991 wurde die Revolutionäre Föderation eine der größeren Parteien und wichtigste Opponentin der regierenden Armenischen Allnationalen Bewegung. In der Folge wurde sie vom Präsidenten Lewon Ter-Petrosjan zusammen mit Jerkir, der größten Tageszeitung des Landes, verboten. Nachdem Ter-Petrosjan sein Amt verlor und von Robert Kotscharjan abgelöst wurde, wurde das Verbot aber wieder aufgehoben.

Heute ist die Armenische Revolutionäre Föderation Teil einer aus drei Parteien bestehenden Regierungskoalition, an der daneben die Republikanische Partei und die Partei Herrschaft des Gesetzes beteiligt sind. Sie war mit elf von 131 Sitzen in der Nationalversammlung in der Legislaturperiode 2003-2007 die wichtigste sozialistische Partei in Armenien und die viertstärkste im Parlament. Bei den Wahlen im Mai 2007 konnte sich die Partei auf 16 Sitze verbessern.

Republik Bergkarabach

ARF-Milizionäre in Bergkarabach 1992

Bei den Parlamentswahlen vom 19. Juni 2005 erlitt die Armenische Revolutionäre Föderation schwere Verluste. Im Wahlbündnis mit der Bewegung 88 erreichte sie ganze 3 der 33 Sitze. Zuvor war die Partei mit neun von 33 Sitzen zweitstärkste Kraft gewesen.

Libanon

Für die im Libanon lebenden Armenier sind sechs Sitze in der Nationalversammlung reserviert. Der libanesische Arm der Armenischen Revolutionären Föderation erhielt lange Jahre eine Mehrheit der armenischen Stimmen und konnte die meisten der reservierten Sitze besetzen. Er vermied es im Allgemeinen, sich in heikle innenpolitische Angelegenheiten zu verstricken, und unterstützte meist die jeweilige Regierung.

Vor dem Libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 war die Partei eine enge Verbündete der Falangistischen Partei von Pierre Gemayel und ging mit dieser oft Listenverbindungen ein, besonders in den Beiruter Wahlkreisen mit ihren hohen armenischen Bevölkerungsanteilen. Die Weigerung der Armenischen Revolutionären Föderation, wie auch der meisten anderen armenischen Gruppen, im Bürgerkrieg Partei zu nehmen, belastete die Beziehungen zwischen den beiden Parteien und führte zu Angriffen der Lebanese Forces, einer von den Falangisten dominierten und von Bachir Gemayel, dem Sohn Pierre Gemayels geführten Miliz, auf die armenischen Viertel in zahlreichen libanesischen Städten.

Eine größere Veränderung trat bei den Parlamentswahlen von 2000 ein. Verhandlungen zwischen der Armenischen Revolutionäre Föderation und der Partei der Würde von Rafik Hariri über ein Wahlbündnis scheiterten an der Forderung Hariris, dass alle Kandidaten, die auf seiner Liste gewählt würden, eine gemeinsame Fraktion bilden müssten, eine Seltenheit in der libanesischen Politik. Außerdem konnte man sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für den Sitz der Protestanten, von denen viele Armenier sind, einigen. Die Armenische Revolutionäre Föderation wagte den Alleingang, scheiterte jedoch. Die Partei der Würde und ihre Verbündeten gewannen 13 von 19 Beiruter Sitzen, der Armenischen Revolutionären Föderation blieb ein einziger Parlamentssitz, ihr schlechtestes Ergebnis seit vielen Jahrzehnten.

Zentrale Ziele

Als ihre wichtigsten Ziele deklariert die Armenische Revolutionäre Föderation:

  • Die Schaffung eines „freien, unabhängigen und vereinten Armeniens“. Die Grenzen des vereinten Armeniens sollen einerseits die Gebiete umfassen, die Armenien im Vertrag von Sèvres zugesprochen wurden und andererseits die historischen armenischen Gebiete Arzach, Dschawachk und Nachitschewan.
  • Die internationale Verurteilung des bisher ungesühnten Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich, die Rückgabe der historischen armenischen Gebiete und Reparationszahlungen an das Armenische Volk.
  • Die Zusammenführung der weltweit zerstreuten Armenier auf dem Boden des vereinten Armeniens.
  • Die Stärkung von Armeniens Staatlichkeit, die Verfestigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Sicherung des wirtschaftlichen Wohlergehens des Volkes und die Schaffung sozialer Gerechtigkeit

Weil die Partei aber zurzeit an einer Regierung beteiligt ist, die keine territorialen Forderungen an die Türkei stellt, hält die Revolutionäre Föderation sich diesbezüglich vorerst zurück.

Weblink

Literatur

  • Hratch Dasnabedian: History of the Armenian Revolutionary Federation, Dashnaktsutiun, 1890-1924. Mailand 1990 ISBN 88-85822-11-8
  • Louise Nalbandian: The Armenian Revolutionary Movement. The Development of Armenian Political Parties through the Nineteenth Century. Berkeley/Los Angeles 1973.

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