Der Vorleser (Film)

Der Vorleser (Film)
Filmdaten
Deutscher Titel Der Vorleser
Originaltitel The Reader
Produktionsland USA, Deutschland
Originalsprache Englisch
Erscheinungsjahr 2008
Länge 124 Minuten
Altersfreigabe FSK 12[1]
JMK 12[2]
Stab
Regie Stephen Daldry
Drehbuch David Hare
Produktion Anthony Minghella
Sydney Pollack
Donna Gigliotti
Redmond Morris
Musik Nico Muhly
Kamera Chris Menges
Roger Deakins
Schnitt Claire Simpson
Besetzung

Der Vorleser ist ein deutsch-US-amerikanischer Kinofilm aus dem Jahr 2008. Er basiert auf dem 1995 erschienenen, gleichnamigen Roman von Bernhard Schlink. Dieser handelt von einem 15-jährigen Schüler, der eine Liebesbeziehung mit einer zwanzig Jahre älteren Frau eingeht. Jahre später stellt sich heraus, dass sie während der Zeit des Nationalsozialismus KZ-Aufseherin war. Das Drehbuch, das unter Mitwirkung des Autors entstand[3], schrieb der Dramatiker David Hare. Der Film wurde unter der Regie des britischen Regisseurs Stephen Daldry fast ausschließlich in Deutschland gedreht und startete am 10. Dezember 2008 in den US-amerikanischen Kinos. In Deutschland lief er am 26. Februar 2009 an.[4]

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Die Rahmenhandlung des Films spielt im Jahr 1995. Der Rechtsanwalt Michael Berg trifft sich mit seiner Tochter Julia und fährt mit ihr zum Grab seiner ersten Liebe Hanna Schmitz. Julia als einziger Person, der gegenüber er sich öffnen kann, erzählt er zum ersten Mal die ganze Geschichte von sich und Hanna.

Die erste Rückblende ist im Jahr 1958 in Neustadt angesiedelt. Der fünfzehnjährige Michael Berg übergibt sich auf seinem Heimweg. Eine fremde Frau, die 36-jährige Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz, hilft Michael, wieder auf die Beine zu kommen. Drei Monate später, nachdem Michael sich vom Scharlach erholt hat, sucht er die Fremde auf, um sich mit einem Strauß Blumen bei ihr zu bedanken. Schon am ersten Tag entsteht eine Liebesbeziehung zwischen den beiden, bei der ihn Hanna, die ihn oft „Jungchen“ nennt, auf Distanz hält. Es entwickelt sich das Ritual, dass Michael Hanna – die auf diese Weise ihren Analphabetismus vor ihm zu verbergen versucht – vor dem Sex aus Büchern vorliest. Mit der Zeit kühlt die Beziehung etwas ab, Michael ist wieder mehr mit seinen Schulkameraden zusammen, unter anderem interessiert sich eine attraktive Mitschülerin für ihn. Eines Tages ist Hanna – aus Gründen, die nur dem Zuschauer offenbart werden – plötzlich verschwunden.

Im Jahre 1966 beobachtet Michael im Rahmen seines Jurastudiums einen Prozess gegen mehrere ehemalige KZ-Aufseherinnen in Mannheim. Unter ihnen ist Hanna Schmitz. Sie macht unbegreifliche Aussagen. Zur Begründung des barbarischen Umgangs mit den KZ-Häftlingen gibt sie banale Motivationen an. So rechtfertigt sie etwa mit naiver Ernsthaftigkeit die Selektion von Häftlingen zur späteren Vergasung damit, dass man zu wenig Platz im Lager gehabt habe, um alle Häftlinge unterzubringen. Den Tod von 300 jüdischen Häftlingen in einer zugesperrten brennenden Kirche erklärt sie damit, dass die Aufseherinnen, hätten sie die Tore aufgeschlossen, das dann entstehende Chaos nicht hätten bewältigen können. Gegen Ende des Prozesses beschuldigen die anderen Aufseherinnen Hanna Schmitz, die Hauptverantwortung für den Tod der 300 Häftlinge getragen zu haben. Dies soll durch eine Handschriftenprobe von Schmitz belegt werden, die direkt vollzogen werden soll. Anstatt ihre Scham zu überwinden und zuzugeben, dass sie weder lesen noch schreiben kann, bestätigt sie die Anschuldigungen.

Michael erkennt zu diesem Zeitpunkt, was Hannas Geheimnis ist, und ihm wird klar, dass dies der Schlüssel zu vielen ihrer Handlungen ist: ihrem Eintritt in die SS, der Tatsache, dass sie sich sowohl von KZ-Häftlingen als auch von Michael aus Büchern vorlesen ließ, ihrem plötzlichen Verschwinden im Jahr 1959 und auch ihrer fatalen Übernahme der Hauptverantwortung im Prozess. Er ringt mit sich, das Gericht auf diesen wichtigen Umstand hinzuweisen, bringt es aber letztendlich nicht fertig. Er begründet sein Nicht-Handeln mit dem Argument, dass Hanna die Bloßstellung ihrer Schwäche durch ihn auch nicht gewollt hätte. Der Prozess endet mit einer Verurteilung von Hanna zu lebenslanger Haft und der anderen Aufseherinnen nur zu etwas mehr als vier Jahren.

Im Jahr 1976 nimmt Michael, dessen Ehe gerade zerbrochen ist, den Kontakt zu Hanna im Gefängnis auf, indem er ihr Tonbandkassetten schickt, auf denen er für sie erneut aus Werken der Weltliteratur vorliest. Mit Hilfe dieser Aufnahmen bringt Hanna sich selbst das Lesen und Schreiben bei und beginnt, Michael kleine Briefe zu schreiben. 1988 bittet die Gefängnisleitung Michael Berg darum, sich der kurz vor der Entlassung stehenden Hanna anzunehmen, da diese nach 20 Jahren Haft weder Verwandtschaft noch Bekanntschaft hat. Berg zweifelt zunächst, lässt sich aber dann doch darauf ein. Schließlich besucht er die stark gealterte Hanna Schmitz kurz vor ihrer Entlassung im Gefängnis. Michael verhält sich relativ kühl und teilt Hanna mit, dass er ihr eine Wohnung und Arbeit besorgt habe und sie in einer Woche abholen werde. Noch vor ihrer Entlassung begeht Hanna Schmitz Selbstmord. In ihrem Testament beauftragt sie Michael, ihr erspartes Geld aus einer blechernen Teedose sowie 7.000 DM von ihrem Konto einer der zwei Überlebenden, der "Tochter", wie sie sie nennt, des Kirchenbrandes zu übergeben.

Diese Frau, Ilana Mather, lebt jetzt in New York. Einen Aufenthalt anlässlich eines Kongresses in Boston nutzt Michael zu einem Besuch. Ilana Mather zeigt sich reserviert und lehnt Michaels Versuche, Verständnis für Hanna Schmitz zu wecken, weitestgehend ab; auf seine Information, dass Hanna Schmitz Analphabetin war, geht sie kaum ein. Nach ihrer dringlichen Aufforderung, ehrlich mit ihr zu sein, spricht er zu ihr das erste Mal einem Menschen gegenüber über seine Liebesbeziehung zu Hanna. Hanna Schmitz’ Geld lehnt sie ab, da das in ihren Augen einer Absolution gleichkäme. Michael schlägt daraufhin vor, das Geld im Namen Hannas einer jüdischen Organisation zu spenden, die sich für Alphabetisierung einsetzt, womit Ilana Mather einverstanden ist. Für sich selbst behält sie jedoch Hannas alte Teedose, in der Michael ihr das Geld überbrachte, da sie als Kind selber eine ähnliche Dose besaß, die sie ins KZ mitnahm und die ihr dort, wie sie sagt, nicht ihres Inhaltes sondern Aussehens wegen, gestohlen wurde. Diese Szene endet, indem Ilana nach Michaels Weggang diese Dose neben das Erinnerungsfoto ihrer ermordeten Familie stellt.

Produktion

Kate Winslet, die Darstellerin der Hanna Schmitz, auf dem Palm Springs International Film Festival im Januar 2007.

Der Vorleser wurde auf deutscher Seite von der Studio-Babelsberg-Tochtergesellschaft Neunte Babelsberg Film GmbH und in den USA von The Weinstein Company und Mirage Enterprises mit einem Budget von 32 Mio. US-Dollar produziert.[5] Der Film wurde mit 500.000 Euro von der Filmförderungsanstalt bezuschusst.[6]

Vorbereitungen

Nachdem im Sommer 1997 die englische Übersetzung von Bernhard Schlinks Romanvorlage erschienen war, erwarb Miramax im April 1998 vom Diogenes Verlag die Rechte für die Verfilmung.[7] Als Drehbuchautor und Regisseur war Anthony Minghella vorgesehen,[8] der das Projekt in seiner gemeinsam mit Sydney Pollack betriebenen Produktionsfirma Mirage entwickeln wollte. Nachdem David Hare das Buch gelesen hatte, bat er die beiden Produzenten, ihn das Drehbuch schreiben zu lassen. Das Projekt blieb danach zehn Jahre trotz der Bemühungen Hares liegen, bis sich Stephen Daldry im Herbst 2006 als Regisseur für die Verfilmung interessierte. Da Hare und Daldry schon bei dem Film The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit zusammengearbeitet hatten, willigte Minghella im Herbst 2006 schließlich ein, das Projekt an die beiden abzugeben.[9][10]

Für die Rolle der Hanna Schmitz war ursprünglich Kate Winslet vorgesehen, die jedoch zuerst ablehnte, weil sie mit Leonardo DiCaprio unter der Regie ihres Ehemannes Sam Mendes den Film Zeiten des Aufruhrs drehte und es in diesem Fall zu Terminschwierigkeiten gekommen wäre.[11] Danach entschied man sich für Cate Blanchett, die aber im Jahr 2007 schwanger wurde und absagte.[12] Als nächstes sollte Nicole Kidman die weibliche Hauptrolle übernehmen, die jedoch am 8. Januar 2008 bekannt gab, dass sie ebenfalls ein Kind erwarte.[13] Da dies schon vorher bekannt war, führte der Produzent des Films, Harvey Weinstein, Gespräche mit Naomi Watts und Marion Cotillard und beabsichtigte, Cotillard die Rolle zu geben. Weil Daldry aber auf Kate Winslet beharrte, fiel die Wahl schließlich doch auf sie.[14] Bernhard Schlink sagte über die endgültige Besetzung: „Kate Winslet passt wunderbar.“[12]

Einige Szenen des Films sollten ursprünglich im Beethoven-Gymnasium Bonn gedreht werden. Die Stadt Bonn lehnte dies aber ab, da sie die zu erwartenden mehrtägigen Dreharbeiten als zu große Störung des Schulbetriebs ansah und die Produktionsfirma ihrerseits die Dreharbeiten nicht in die Schulferien verlegen wollte.[15]

Dreharbeiten

David Kross, der Darsteller des jungen Michael Berg, im Februar 2009 in Berlin.

Die Dreharbeiten begannen am 19. September 2007 in den deutschen Städten Berlin und Görlitz und wurden am 14. Juli 2008 in Köln abgeschlossen. An den Produktionskosten beteiligten sich diverse deutsche Filmförderungen mit insgesamt fast 4 Millionen Euro.

Während der Drehpause nach dem Ausstieg von Nicole Kidman musste Kameramann Roger Deakins die Produktion verlassen, da er vertraglich verpflichtet war, den Film Glaubensfrage zu drehen. Deakins wurde von Oscarpreisträger Chris Menges ersetzt.

Das musikalische Konzept des Filmes stammt aus der Feder des kroatischen Komponisten Ozren K. Glaser, doch die weitere Kompositionsarbeit wurde von Alberto Iglesias und Nico Muhly übernommen.

In einer Szene ist in einer kleinen Dorfkirche ein Kinderchor zu hören und zu sehen, der Palestrinas Motette "Pueri Haebraeorum" singt, dargestellt vom Kinderchor der Dresdner Philharmonie[16].

Bernhard Schlink, der Autor der Buchvorlage, hat einen Kurzauftritt in einer Biergartenszene.

Zwei der Produzenten des Films, Minghella und Pollack, verstarben 2008 während der Dreharbeiten. Weil Harvey Weinstein als Vertriebspartner während der Postproduktion des Films auf eine schnellere Fertigstellung drängte, um eine Premiere im November 2008 zu ermöglichen[17] und damit den Film in das Rennen um die Golden Globes und Oscars schicken zu können, verließ Produzent Scott Rudin die Produktion und verzichtete auf Namensnennung im Abspann.

Kritik und Kontroversen

In den Vereinigten Staaten

Im Vorfeld der Oscarverleihung meldete sich in den USA der jüdische Journalist Ron Rosenbaum zu Wort. Dieser bezeichnete den Vorleser als den schlechtesten Film über den Holocaust, der je produziert wurde. Des Weiteren vertritt er die Meinung: „Die essenzielle Botschaft, die dieser Film vertritt, ist jene, den Deutschen der Nazizeit eine Absolution zu erteilen, je etwas von der Endlösung gewusst zu haben.“ Über Kate Winslets Charakter und Darstellung meint Rosenbaum vernichtend: „Analphabetismus ist beschämender, als an Massenmord beteiligt zu sein.“[18] Eine ähnliche Haltung vertritt auch Mark Weitzman, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in New York City: „Es geht um eine Frau, die verantwortlich ist für den Tod von 300 Juden – und ihre größte Scham ist es, Analphabetin zu sein.“[19]

In Deutschland

Unter den Darstellern erhielt von der deutschsprachigen Kritik Kate Winslet viel Lob. Sie sei bewundernswert,[20] großartig und nuancenreich,[21] und zu Recht mit dem Oscar prämiert worden.[22][23] Zustimmende Erwähnungen gab es auch für David Kross.[24][21] Von Ralph Fiennes hingegen hieß es, er spiele hier unterfordert,[22] zeige eine sehr schlechte Leistung,[25] und sei wegen seiner Rolle als KZ-Kommandant in Schindlers Liste gewöhnungsbedürftig[21] oder eine verfehlte Wahl.[26]

Die Zeitschrift Cinema fand, im „verstörend faszinierenden“ Film habe der Regisseur das Richtige getan, sich auf die Liebesgeschichte zu konzentrieren statt zu moralisieren.[20] Hanns-Georg Rodek von der Welt bemerkte zwar, die Bilder seien „Brüder-Weinstein-typisch“ poliert und zeigten selbst das KZ in Hochglanz. Doch die Verzahnung vieler Zeitebenen gelinge souverän in einem „Film, der intensiver nach moralischen Maßstäben fragt als jeder andere seit langem.“ Der Wechsel in die Perspektive der Täter dränge sich „so lange nach Kriegsende“ auf. Thema sei das Leiden der Nachgeborenen, was nicht zu verwechseln sei mit einer Haltung, die betont, auch die Deutschen hätten im Krieg gelitten. Das universelle Thema betreffe alle Länder, in denen Menschen mit Verbrechen früherer Generationen umgehen müssen. Der Film behandle es entgegen Hollywood'schen Gut/Böse-Schemata mit europäischer Sensibilität.[21] Ähnlich meinte Jan Schulz-Ojala vom Tagesspiegel, an Michael manifestiere sich das moralische Dilemma der ersten deutschen Nachkriegsgeneration im Verhältnis zu ihren Eltern: „Man kann nicht verurteilen und verstehen zugleich, es sei denn man richtet sich selbst.“ Das Mitleid gelte Michael, nicht der Täterin. Unglaubhaft versöhnlich sei lediglich, dass die jüdische Überlebende Hannas Teedose neben das Foto ihrer ermordeten Familie stellt, als hätten Täter und Opfer ein gemeinsames Erbe. Der Film folge dem Roman „mit hoher Intelligenz“, und seine Dialoge betonten verstärkt die Unmoral der Verbrechen.[23]

Bei Marion Löhndorf von der taz hinterließ der Streifen einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits suche er sentimentale Effekte und das „bewusst naiv Gefühlsselige“, bei dem der Holocaust bloße Kulisse bleibe, anderseits bemühe er sich ernsthaft, die Banalität des Bösen nicht aufzulösen. Dabei begebe er sich auf der Suche nach Hannas Handlungsmotiv „in eine prekäre Situation: Wird das Unsagbare durch seine vermeintliche Nachvollziehbarkeit, nämlich den Analphabetismus der Figur, nivelliert?“ Problematisch sei die Sichtweise auf die Täterin, eine attraktive, geheimnisvolle Verführerin.[27] Die Übertragung des Romanstoffes ins Medium Film nicht gelungen fand Daniel Kothenschulte von der Frankfurter Rundschau, die Oscar-Nominierung als bester Film war ihm unverständlich. Der Film sei das Gegenteil einer gestochen scharfen Erinnerung, eine leere Nostalgie: „elegisch, übersättigt von Filmmusik und in jenen warmen, manchmal bräunlichen Farbtönen gehalten, mit denen uns das Kino oft die Vergangenheit ans Herz legt.“ Winslet sei aber über jeden Vorwurf erhaben, weil ihre Figur erdacht und papieren sei.[22] In einer zweiten Welt-Kritik fand Elmar Krekeler, die Täterin werde mild gezeichnet und erfahre am Ende eine ihr nicht gebührende Erlösung. Dennoch verdiene Winslet den Oscar auch wegen ihres Muts zu Hässlichkeit, „sie gibt Hanna bei aller Schönheit eine Härte, eine Kühle, eine Sturheit, die gerade noch verhindert, dass man mit ihr mitfühlt.“ Seiner Mehrdeutigkeit zum Trotz kein großartiger, sondern ein „schief liegender“ Film. Man habe der Geschichte eine Rahmenhandlung verpasst, die deren Gang mehrfach unterbreche. Das verschiebe die Perspektive von einer selbstquälerischen Beschäftigung mit Schuld zu einer „bildschöne[n], abgedunkelte[n] Zeitgeschichtsommerliebesgeschichte, an der wie Sticker moralische, juristische, philosophische Botschaften kleben.“[24]

Wie andere Literaturverfilmungen lege auch diese Schwächen der Vorlage schonungslos offen, urteilte Martin Wolf im Spiegel. Das sei „kein Film über den Holocaust, sondern eher eine peinliche Studie über das Selbstmitleid eines irregeleiteten Liebhabers.“ Viel zu spät zeige der Film, „dass es Menschen gegeben haben soll, die schlimmere Erfahrungen mit SS-Leuten machen mussten, als mit ihnen ins Bett zu gehen“. Für das große Schuldthema hätte Daldry Bilder finden müssen, doch zeige er nur wiederholt Michaels „Leidensmiene“ und eine „geschmackvoll ausgeleuchtete KZ-Gedenkstätte“. Der Star Winslet könne schon per se kein schlechter Mensch sein. Obszön sei die Heiligsprechung Hannas.[26] Für atmosphärisch dicht hielt Ulrich Kriest vom film-dienst die erotischen Szenen, ansonsten verriss er die Produktion. Schon der Roman sei „altklug, selbstmitleidig und handwerklich schlecht“, und Daldrys „armselige“ Verfilmung noch schlechter. Wo das Buch in subjektiven Erinnerungen die seelische Erschütterung des Jünglings vermittelte, wolle der Film sein Publikum zu Mitleid mit einer vom Leben manchmal ungerecht behandelten Nazi-Täterin zwingen. Das „geschmackvoll drapierte Rührstück“, mit einem „pittoresken“ KZ-Besuch, sei naiv angesichts der heiklen Thematik. Empörend fand Kriest, wie der Film die Leiden von Opfern und Tätern miteinander in Beziehung setzt. Die Kontrastierung von Hannas karger Zelle mit der luxuriösen Wohnung der New Yorker Jüdin bewege sich an der Grenze zum antisemitischen Ressentiment.[25] Der weltweite Erfolg des Romans war Thomas Assheuer von der Zeit ein Rätsel. Mit der Figur der Analphabetin trenne das Buch den Nationalsozialismus von der geistig-kulturellen, „irgendwie griechisch-christliche[n] Substanz der Deutschen“ ab, die unschuldig gehalten werde. Der Film bestreite zwar nicht das Vorhandensein schwerer Schuld und Barbarei. Er versuche jedoch, das Trauma mit einer anderen Klage zu überlagern, „der Klage über den Verlust der kulturellen Identität.“ Diese Klage werde obszön, wenn sie den Eindruck erweckt, die Deutschen seien ebenso Opfer wie die Juden. Im Film sage die „natürlich sehr reiche“ Jüdin, die Deutschen sollten mit den Erinnerungen an die KZ endlich aufhören. „Wie gut, dass die Juden selbst einen Schlussstrich ziehen, es wurde auch höchste Zeit. Im Gegenzug, könnte man vermuten, verzeihen die Deutschen den Juden, dass sie von ihnen so lange mit der Erinnerung an Auschwitz gequält wurden.“[28]

Auszeichnungen

Trotz zahlreicher kritischer Stimmen zu der angeblich verharmlosenden Darstellung von Hanna Schmitz durch Kate Winslet lebt der Film doch durch die Leistungen der britischen Schauspielerin. So wurde Winslet im Jahr 2009 für Der Vorleser mit zahlreichen Filmpreisen geehrt:

Des Weiteren erhielt der Film Golden-Globe-Nominierungen in den Kategorien Bester Film/Drama, Beste Regie, Bestes Drehbuch.

Vier weitere Oscar-Nominierungen folgten in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes adaptiertes Drehbuch, Beste Kamera.

Kritikenspiegel

Positiv

Gemischt

  • taz, 6. Februar 2009, S. 27, von Marion Löhndorf: Eine ausgesprochen attraktive Täterin

Eher negativ

Negativ

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Freigabekarte der FSK
  2. Freigabe der Jugendmedienkommission
  3. Presseheft zum Film, S. 10
  4. Offizielle Seite
  5. Der Vorleser. filmmag.de; abgerufen am 22. März 2009
  6. Ed Meza: “Reader” receives German funds. In: variety.com am 26. Oktober 2007; abgerufen am 22. März 2009
  7. Monica Roman: Miramax books “Reader”. In: variety.com am 8. Januar 2008; abgerufen am 22. März 2009
  8. Hanns-Georg Rodek: Als ob man ein fremdes Kind adoptiert. In: Welt Online vom 8. November 1999; abgerufen am 22. März 2009
  9. David Hare: Truth and reconciliation. In: The Guardian vom 13. Dezember 2008; abgerufen am 22. März 2009
  10. Presseheft zum Film, S. 9
  11. Michael Fleming/Ed Meza: Winslet replaces Kidman in “Reader”. In: Variety vom 8. Januar 2008; abgerufen am 22. März 2009
  12. a b A. Popovic/F. von Mutius: Kate Winslet ersetzt schwangere Nicole Kidman. In: Berliner Morgenpost vom 8. Januar 2008; abgerufen am 22. März 2009
  13. „Der Vorleser“ abgesagt – Nicole Kidman schwanger. In: ntv.de am 8. Januar 2008; abgerufen am 22. März 2009
  14. viviano.de: „Der Vorleser“: Kate Winslet war nur vierte Wahl. Abgerufen am 22. März 2009
  15. Ursula Katthöfer: Mit Glanz und Gloria durch Bonn. In: Die Wirtschaft, Ausgabe September 2009
  16. Mitwirkung des Philharmonischen Kinderchores der Dresdner Philharmonie
  17. Anne Thompson: 'Reader' gig was tricky for Daldry auf Variety.com
  18. Kate Winslet - The Reader is 'worst Holocaust film ever made'. „[…]the worst Holocaust film ever made[…] This is a film whose essential metaphorical thrust is to exculpate Nazi-era Germans from knowing complicity in the Final Solution. […] Illiteracy is something more to be ashamed of than participating in mass murder[…]“
  19. Oscars 2009: Kate Winslet's Holocaust movie The Reader faces renewed Jewish criticism. „Essentially, it takes a woman who serves in, is responsible for, is complicit in, you pick the words, in the deaths of at least 300 Jews – and her big secret shame is that she's illiterate.
  20. a b Jochen Schütze: Der Vorleser. In: Cinema Nr. 3/2009, S. 40
  21. a b c d Hanns-Georg Rodek: Im Bett mit der deutschen Vergangenheit. In: Die Welt, 6. Februar 2009
  22. a b c Daniel Kothenschulte: Schuld und Schweigen. In: Frankfurter Rundschau, 26. Februar 2009, S. 33
  23. a b Jan Schulz-Ojala: Die Unmoral der Liebe. In: Der Tagesspiegel, 26. Februar 2009, S. 27
  24. a b Elmar Krekeler: Im Bett mit der deutschen Vergangenheit. In: Die Welt, 26. Februar 2009, S. 25
  25. a b Ulrich Kriest: Der Vorleser. In: film-dienst Nr. 5/200, S. 28–29
  26. a b Martin Wolf: Strafe muss sein. In: Der Spiegel, 21. Februar 2009, S. 145
  27. Marion Löhndorf: Eine ausgesprochen attraktive Täterin. In: taz, 6. Februar 2009, S. 27
  28. Thomas Assheuer: Deutsches Reinemachen. In: Die Zeit, 26. Februar 2009, S. 42

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