Der Würger vom Lichtenmoor

Der Würger vom Lichtenmoor

Als Würger vom Lichtenmoor wird ein Wolf bezeichnet, der 1948 in Niedersachsen angeblich zahlreiche Haus- und Wildtiere riss. Der Vorgang löste großes öffentliches Aufsehen aus. Die große Zahl der dem Wolf zugeschriebenen getöteten Tiere sowie die Art der Tötung machen es jedoch wahrscheinlich, dass der größte Teil, wenn nicht alle Tötungen in Wirklichkeit auf Wilderei und illegale Schlachtungen zur Umgehung der Lebensmittelrationierung in der britischen Besatzungszone zurückzuführen war.

Inhaltsverzeichnis

Der „Würger“ schlägt zu

Das Jagdrevier des „Würgers“ war ein rund 30 Quadratkilometer großes Gebiet in den Landkreisen Neustadt, Fallingbostel und Nienburg. Im Winter 1947/48 wurden dort zahlreiche Wildtiere gerissen und ein „großer, grauer Hund“ gesichtet, der später mit dem Wolf in Verbindung gebracht wurde. Als im Frühjahr die Weidetiere ins Freie getrieben wurden, fielen erste Schafe und Rinder dem unbekannten Jäger zum Opfer. Bei mehreren der getöteten Rinder fiel das jeweils gleiche, ungewöhnliche Muster der Verletzungen auf: Die rechte Hinterkeule war aufgerissen, woran das jeweilige Tier verblutete. Dabei waren die Wundränder ungewöhnlich glatt, eher wie mit einem Messer geschnitten als von Raubtierfängen aufgerissen. Einige Schafe waren sogar auf der Weide vollständig aus dem Fell geschlagen worden.

Jagdpech und Jagdglück

Im Mai 1948 begann eine breitere Öffentlichkeit auf die sich häufenden Verluste unter den Herdentieren aufmerksam zu werden. Es gab ergebnislose Drückjagden, für die 1945 entwaffnete deutsche Jäger von der britischen Militärverwaltung mit Gewehren ausgestattet wurden. Am 13. Juni fand, ebenso ergebnislos, die größte Treibjagd statt, die es in Niedersachsen jemals gegeben hat. Beteiligt waren 1500 Treiber und 70 Jäger, darunter auch Angehörige des britischen Militärs. War man zunächst noch von wildernden Hunden als Schuldigen ausgegangen, wurde bald die Wolfs-Theorie diskutiert, aber ebenso wurde von Löwen, Pumas und gar einem Werwolf gesprochen. In der Landbevölkerung entwickelte sich mancherorts Angst, die durch Berichte der Medien über den „Würger vom Lichtenmoor“ noch verstärkt wurden.

Am 27. August, als die Zahl der dem „Würger“ zugeschriebenen Tierverluste bereits stark gesunken war, schoss der 61-jährige Landwirt Hermann Gaatz aus Eilte von einem Hochsitz in der Schotenheide aus auf einen Wolf, der sich gerade an einige Rehe anpirschte. Am folgenden Tag fand er das Tier, einen sechs Jahre alten Rüden, der eine Länge von 1,70 Metern, eine Schulterhöhe von 85 Zentimetern und ein Gewicht von 95 Pfund aufwies.

Kadaver auf Abwegen

Gaatz wollte den toten Wolf ausstopfen lassen und dem Landesmuseum stiften. Zwei zunächst Unbekannte gaben sich jedoch als offiziell Beauftragte aus und nahmen den Kadaver zu einem unbekannten Ziel mit. Zwei Tage später tauchte er im Kofferraum eines Autos eines Reporters auf dem Parkplatz des Anzeiger-Hochhauses in Hannover auf. Im heißen Sommerwetter war der Kadaver bereits so weit verfallen, dass er sich nicht mehr präparieren ließ. Im Landesmuseum Hannover ist eine Rekonstruktion des Wolfskopfs ausgestellt, die nach einem Gipsabdruck angefertigt wurde.

An der Stelle, an der der Wolf erlegt wurde, ließ der niedersächsische Jagdverband einen „Wolfsstein“ zum Gedenken errichten.

Wolf oder Mensch?

Heute werden für einen großen Teil der getöteten Haus- und Wildtiere Menschen verantwortlich gemacht, die die Nahrungsbewirtschaftung durch die britischen und deutschen Behörden umgehen wollten. Dies war möglich, da die offiziell vom „Würger“ gerissenen Tiere nicht zu Nahrungsmitteln verarbeitet werden durften und damit nicht von den entsprechenden Kontrollen erfasst wurden. Dies eröffnete die Möglichkeit, das Fleisch illegal zu verwerten und auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Für diesen Verdacht sprechen nicht nur die Schnittwunden an den gefundenen Tieren, sondern auch die für einen einzelnen Wolf nicht nachvollziehbare Anzahl der gerissenen Tiere: 58 Rinder, nach anderen Quellen 65, weisen die Statistiken allein für den Sommer 1948 aus. Dabei lagen die höchsten Zahlen im Mai und Juni. Dazu kamen rund hundert „gerissene“ Schafe sowie zahlreiche Wildtiere. Kurz nach der Einführung der D-Mark und damit dem Beginn einer zunehmend funktionierenden Marktwirtschaft am 18. Juni sank die Zahl dagegen rapide ab.

Heimatpflege

Hans Stuhlmacher

"Der Würger vom Lichtenmoor" ist ein Heimatbuch von Hans Stuhlmacher aus dem Jahre 1949, welches über die Geschehnisse berichtet. Heute wird das Buch hauptsächlich an niedersächsischen Schulen als heimatorientiertes Sachbuch gelesen. Der Herausgeber des Buches war der Flecken Ahlden.

Weblinks

Artikel in der „Zeit“


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