Deutsche in Namibia

Deutsche in Namibia

Deutschnamibier ist die Bezeichnung für die deutschstämmigen Staatsbürger der südwestafrikanischen Republik Namibia (Deutschnamibier hingegen bezeichnen sich selber häufig als Deutsche, Deutsche aus Deutschland hingegen als Deutschländer). Viele Deutschnamibier leben heute bereits in der fünften Generation dort, als Folge einer deutschen Besiedlung seit dem frühen 19. Jahrhundert, vor allem jedoch während der Zeit der Reichsdeutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika von 1884 bis 1919. Heute leben in Namibia circa 30.000 Deutschnamibier, wobei sich durch Vermischung sowohl eine ethnische Zugehörigkeit unter den circa 100.000 weißen Namibiern als auch eine sprachliche Zugehörigkeit – vor allem gegenüber Afrikaans und Englisch – statistisch nur schwer festhalten lässt. Erwähnenswert sind die in der DDR aufgewachsenen schwarznamibischen „SWAPO-Waisenkinder“, die aufgrund ihrer ostdeutschen Kindheit und Erziehung eine besondere Gruppe unter den Deutschnamibiern bilden.

Die deutschnamibische Bevölkerung konzentriert sich vor allem auf Süd- und Zentralnamibia und hier auf die Städte Windhoek und Swakopmund, wo die deutsche Sprache neben Afrikaans und der offiziellen Amtssprache Englisch eine wichtige Verkehrssprache ist. Neben der Sprache bleibt ein landesweiter Einfluss der Deutschnamibier vor allem in Ess- und Festkultur, Vereinswesen sowie Wirtschaftsstruktur lebendig.

Inhaltsverzeichnis

Deutschnamibische Kultur

Beispiele deutscher Beschilderungen im namibischen Alltag.
Hohenzollernhaus in Swakopmund

Viele Ortsnamen sowie Bauwerke aus der Reichsdeutschen Kolonialzeit prägen heute noch das Bild vieler namibischer Städte und Landschaften, z. B. die vier Sander-Burgen (Heinitz-, Schwerins- und Sanderburg in Windhoek, und Schloss Duwisib bei Maltahöhe) – benannt nach ihrem Architekten Wilhelm Sander) –, das Hohenzollernhaus, das Bezirksamt und das „Alte Amtsgericht“ in Swakopmund sowie das Görke-Haus in Lüderitz. Auch die zahlreichen militärischen Bauten aus jener Zeit wie z. B. die „Alte Feste“ in Windhoek, die Pionierkaserne und das Lazarett in Swakopmund, ferner die Forts von Sesfontein und Namutoni (Etosha), sowie nahezu alle Bahnhofsgebäude in ganz Namibia.

Weiter gibt es in Namibia ein ausgesprochen aktives Vereinsleben, dessen Wurzeln eindeutig auf die deutsche Kolonialzeit zurückreichen: Turn-, Schäferhund-, Gesangs-, Reit-, Skat-, Kegel- und Veteranenvereine gibt es nahezu überall dort, wo zumindest sieben deutschstämmige Namibier zusammenkommen. In Windhoek sind der WIKA, der Windhoeker Karneval, der sich an den Kölner und Mainzer Vorbildern orientiert, und das Oktoberfest große Stadtfeste, welche neben den afrikanischen Festen feste Bestandteile Windhoeks sind.

Seit dem frühen 20. Jahrhundert hat sich eine eigenständige deutschnamibische Südwesterliteratur entwickelt: Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste (Henno Martin), Morenga (Uwe Timm), Die Erstgeborenen (Giselher W. Hoffmann) sind auch in Deutschland bekannte Werke. Das Südwesterlied spielt bis heute eine Rolle als inoffizielle Hymne vieler Weißnamibier (in Anbetracht einer Vergangenheitsmelancholie). Als Interessenvertretung gilt der Deutsche Kulturrat.

Geschichte der deutschen Besiedlung

Die ersten Deutschen in Namibia waren die Missionare der Londoner und später dann der Rheinischen Mission (beide Institutionen arbeiteten Ende des 18. Jahrhunderts eng zusammen, da die Rheinische Mission noch keine eigenen Missionseinrichtungen im südlichen Afrika hatte). So waren es die Gebrüder Albrecht und nach ihnen die Missionare Johann Hinrich Schmelen, Rath, Kleinschmidt, Hahn, Veith, Brincker und Heinrich Vedder (um nur einige von ihnen zu nennen), die sich ab 1805 in Südwestafrika niederließen und dort Kulturarbeit, aber auch – dem Geist der Zeit entsprechend – Vorarbeit für die spätere Kolonisation leisteten.

Ihnen folgten die Händler und nach der Anlandung der Bark „Tilly“ in der Lüderitzbucht im Jahre 1883 zunehmend deutsche Beamte, Siedler, Handwerker und Soldaten. Nachdem Südwestafrika 1884 offiziell zur Kolonie Deutsch-Südwestafrika erklärt und auch von England anerkannt worden war, setzte ein immer stärker werdender Zustrom aus Deutschland ein, der 1908 durch die ersten Diamantenfunde bei Lüderitz seinen Höhepunkt fand.

Diese Entwicklung stagnierte nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dessen Folge Deutschland durch den Versailler Vertrag jeglicher Anspruch auf seine Kolonien entzogen und Südafrika vom Völkerbund die Mandatsverwaltung über Deutsch-Südwestafrika übertragen wurde. Im Zuge der sich anschließenden „Südafrikanisierung“ von Südwest wurde etwa die Hälfte der dort noch lebenden 15.000 Deutschen ausgewiesen und deren Farmen Südafrikanern übergeben (was zu einem bis heute zu spürenden Spannungsverhältnis zwischen burischen und deutschstämmigen Farmern führte). Die als „Entgermanisierung“ bezeichnete Politik Südafrikas änderte sich erst durch das Londoner Abkommen vom 23. Oktober 1923, nach welchem den im Lande verbliebenen Deutschen die britische Staatsbürgerschaft angetragen und die Zuwanderung aus Deutschland sowie der Ausbau der deutschen Sprache nachdrücklich gefördert wurden. Ca. 3.200 Deutsche machten von der Möglichkeit des Staatsbürgerschaftswechsels Gebrauch.

Das Verhältnis zwischen den deutschstämmigen und burischen Bewohnern Südwest-Afrikas wurde 1927 erneut belastet durch den Zuzug der letzten aus Angola zurückkehrenden 1.800 Dorslandtrekker. Das englisch dominierte Südafrika legte keinen gesteigerten Wert auf deren Rückkehr in das Staatsgebiet der Südafrikanische Union und unterstützte daher den Wunsch der Dorslandtrekker, in Südwest-Afrika bleiben zu wollen, zumal sie dort um die Jahrhundertwende auf der Flucht vor den Engländern schon einmal wohlwollende Aufnahme gefunden hatten. 1927 allerdings war die Freude bei den deutschstämmigen Farmern über diese „Heimkehrer“ eher gedämpft, da sie in deren Ansiedlung – sicher nicht ganz zu Unrecht – einen weiteren Schritt in dem Bemühen sahen, Südwest-Afrika zur fünften Provinz von Südafrika zu „degradieren“. Vor diesem Hintergrund und angesichts der auch in Südwest-Afrika spürbaren dramatischen Folgen der Weltwirtschaftskrise (ca. 70–80% des Viehbestandes gingen verloren) hatte die aus Deutschland importierte „nationale Bewegung“ ein leichtes Spiel: 1932 wurde der südwestafrikanische Ableger der NSDAP mit Büros im ganzen Lande gegründet. Diese Partei hatte unter den Deutschstämmigen einen vergleichsweise ähnlich großen Zulauf wie in Deutschland, so dass sich die südafrikanische Mandatsverwaltung genötigt sah, die Partei bereits 1934 wieder zu verbieten.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges stellte sich Südafrika mit knapper Mehrheit auf die englische Seite, ohne jedoch aktiv in den Krieg einzugreifen. Dennoch wurden die in Südwest-Afrika lebenden deutschstämmigen Bewohner 1939 zunächst unter Farm- oder Hausarrest gestellt und ab 1940 in Internierungslager nach Südafrika verbracht, wo sie bis 1946 verbleiben mussten. Ab 1942 wurde ihnen die 1923 zuerkannte britische Staatsbürgerschaft wieder aberkannt.

Die von Südafrika betriebene Apartheidspolitik stieß auf zunehmende Kritik durch die UNO und hatte zugleich auch das Entstehen und Erstarken einer schwarzen Widerstandsbewegung – auch in Südwest-Afrika – zur Folge. In gleichem Maße verbesserte sich damit das Verhältnis zwischen der südafrikanischen Mandatsverwaltung und der deutschstämmigigen Bevölkerung, so dass die nach dem Zweiten Weltkrieg festzustellende verstärkte Zuwanderung aus Deutschland durchaus wohlwollend gesehen wurde.

Die meisten der heute in Namibia lebenden Deutschnamibier sind Nachfahren von Farmern, Beamten der Kolonialverwaltung, Handwerkern und Angehörigen der Schutztruppe sowie der beiden nach den Weltkriegen einsetzenden Einwanderungswellen. Seit etwa 1980 führte der zunehmende Tourismus zu vermehrtem Land- oder Immobilienerwerb durch Deutsche, die sich hier ein dauerhaftes Feriendomizil oder einen Altersruhesitz einzurichten gedachten. Namibia ist zwar auf ausländische Investitionen angewiesen, weite Teile der namibischen Bevölkerung sehen jedoch diese neue Form der „nachkolonialen Landnahme“ mit Besorgnis und auch Argwohn.

Bekannte Deutschnamibier

Literatur

  • Lucia Engombe: Kind Nr. 95 – Meine deutsch-afrikanische Odyssee, Aufgezeichn. v. Peter Hilliges. Ullstein, 2004, ISBN 3-548-25892-1
  • Walter G. Wentenschuh: Namibia und seine Deutschen. Klaus Hess Verlag, 1995, ISBN 3-980-45180-1
  • Constance Kenna: Die „DDR-Kinder“ von Namibia, Heimkehrer in ein fremdes Land. Klaus Hess Verlag, 1999, ISBN 3-933-11711-9
  • Martin Eberhardt: Zwischen Nationalsozialismus und Apartheid: die deutsche Bevölkerungsgruppe Südwestafrikas 1915-1965. LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster, 2007, ISBN 3-825-80225-6

Siehe auch

Weblinks


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